Dierk Schaefers Blog

Wie man Verbrechen gekonnt versteckt. – Durch Ablenkung.

Der große Osterhasenpreis fürs Verstecken geht an Hephata.

„Die Auswirkungen des menschenverachtenden nationalsozialistischen Regimes prägten auch die Nachkriegszeit.“ Das war schon das ganze Ablenkmanöver. Hephata macht dann gleich einen großen Sprung von 1945 in die 70er und 80er Jahre: „Der große Nachholbedarf individueller Förderung und Lebensgestaltung von Menschen mit Behin­derungen und Benachteiligungen, konnte in den 70er und 80er Jahren realisiert werden.“[1] Und was war dazwischen?

Viele Leser werden mit „Hephata“ nichts anfangen können. „Hephata Hessisches Diakoniezentrum e.V. ist eine Einrichtung der Diakonie in SchwalmstadtTreysa. Dort werden Menschen in den Bereichen Behindertenhilfe (für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen), Jugendhilfe, Altenhilfe, Sozialpsychiatrie, Suchthilfe, Wohnungslosenhilfe, Neurologische Klinik und der Akademie für soziale Berufe betreut, gefördert und ausge­bildet.“[2]

Auch Wikipedia macht bei der Geschichte der Anstalt den großen Sprung mit: „Auch aus Hephata wurden während des Dritten Reichs Menschen mit kognitiven und körperlichen Behinderungen im Rahmen der Aktion T4 zuerst in andere Einrichtungen verlegt und später unter anderem in der NS-Tötungsanstalt Hadamar getötet. Mit der Errichtung eines Mahn­mals vor der Hephata-Kirche erinnert die Einrichtung an die Opfer und bekennt sich zu ihrer Verantwortung.“ Wikipedia fährt fort: „1945 wurde bei der Kirchenkonferenz von Treysa, die in Hephata tagte, die Evangelische Kirche in Deutschland und das Evangelische Hilfswerk, die Vorläuferorganisation des Diakonischen Werks, gegründet. … Bis heute sind Diakone und der Kirche verbundene Mitarbeiter in der Diakonischen Gemeinschaft Hephata organisiert. Von der Gemeinschaft gehen Impulse zur Wahrnehmung des diakonischen Auftrages und zum spirituellen Leben in Hephata und an den Einsatzstellen der Mitglieder aus.“

Wie sahen nun die prägenden „Auswirkungen des menschenverachtenden nationalsozia­listischen Regimes“ in der Nachkriegszeit aus? Darüber schweigt die firmeneigene Selbstdarstellung auf Facebook.

„Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen“[3] So auch hier. Die Wiesbadener Filmemacherin Sonja Toepfer hat im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau das Leiden der Kinder in Kinderheimen aufarbeitet. Hephata heißt „Öffne dich!“[4], so steht es im Markusevangelium (7,31-37). Über das dort berichtete Wunder kann man sich nur wundern. Doch wie das Öffnen in Hephata, der Anstalt der Diakonie in Treysa praktiziert wurde, kann sich nur wundern, wer sich in der Heimkinder­geschichte nicht auskennt.

In Hephata – und wohl nicht nur dort – ging das so: durch die Punktion mit einer langen Nadel zwischen zwei Wirbelkörpern wird Liquor abgelassen und Luft in den Rücken­marks­kanal eingelassen. Pneumenzephalographie heißt das Verfahren[5]. Durch Umlagerung des Patienten steigt diese Luft dann im Rückenmarkskanal auf bis in das Ventrikelsystem des Gehirns. Die Gehirnflüssigkeit wird entfernt, um die Kammern und Hohlräume des Gehirns röntgen zu können. Es handelt sich laut einem wissenschaftlichen Fachbuch um „eine der schmerzhaftesten Pro­ze­duren, die man sich denken kann“. Dabei entstehe bei dem Patienten „das Gefühl, als sei sein Kopf ein riesiger Luftballon, der jeden Augenblick zu platzen droht“[6], heißt es weiter. So machte man das in Hephata und zwar ohne individuelle medizinischen Indikation. Es war ein Forschungsprojekt an wehrlos entrechteten Kindern.

Es gab schon früher Hinweise auf solche Untersuchungen an Heimkindern. Mich hat die neue Veröffentlichung nicht gewundert. Ohnehin hat der kirchliche Umgang mit dem Thema „Eugenik“ eine leidvolle Tradition, und schon bisher tauchte dabei der Name Treysa mehrfach auf.

Zunächst auf der „Ev. Fachkonferenz für Eugenik“ 1931 (!) in Treysa: »Pastor Friedrich von Bodelschwingh. Er behauptet in Treysa, die Sterilisierung Behinderter entspreche dem Willen Jesu. Bodelschwingh wörtlich: „Ich würde den Mut haben, in Gehorsam gegen Gott, die Eliminierung an anderen Leibern zu vollziehen.“« Wem der Name Bodelschwingh nichts sagt: Er gehört zu Bethel. Auch Bethel taucht ständig negativ in der Heimkindergeschichte auf.

Doch zu Hephata. Ein Korrespondent schrieb mir: »In Hephata (Schwalmstadt/Treysa) hielt die Diakonie nach dem Zweiten Weltkrieg [in den 1950er/1960er Jahren] 2000 Insassen – Kinder und Jugendliche – , die angeblich „schwachsinnig“ waren. Für jeden „Schwachsinni­gen“ in Hephata erhielt die Diakonie vom Staat „[pro Woche] eine Mark mehr“ als für „nor­male“ Schutzbefohlene. Indem man seine Schutzbefohlenen als „schwachsinnig“ begutachtete und deklarierte, konnte man seine Gewinne steigern, bei 2000 Insassen im Jahr um 104.000 DM! Über zehn Jahre hinweg macht das bei 2000 „schwachsinnigen Insassen“ eine zusätz­liche beträchtliche Summe von 1.040.000 DM aus (eine Million und vierzig Tausend Mark!) ! So wurde es dann auch gehandhabt von der Diakonie in Hephata über einen Zeitraum von 20, 30 oder gar 40 Jahren hinweg!! Und nicht nur in Hephata!!!«[7]

Wenn’s nur das gewesen wäre. Doch da die Kinder „schwachsinnig“ waren, konnte man auch noch schmerzhafte Experimente mit ihnen machen.

Alles verjährt obwohl es Verstöße gegen die Menschenrechte waren? Die eigentlich nicht verjähren? In Deutschland schon. Für die Kirchen auch.[8]

„Der christliche Grundgedanke, das selbst erfahrene Heil Gottes in der Lebens­gestaltung mit anderen zu teilen, ist erhalten geblieben und prägt bis heute die Arbeit.“[9] An die dunklen Punkte erinnert man sich nicht gern, das ist verständlich – aber verges­sen und beschweigen? Oder gar fortführen?

Noch 1973 offenbarte der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) über »verantwortliche Eltern­schaft« für Kinder mit Behinderung lupenreine Nazi-Eugenik. Dort ist die Rede von der »Anhäufung schädlicher Gene in der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Folgen für die Gesellschaft«. Weiter heißt es, das Bewußtsein der Öffentlichkeit sei zu »schärfen für die impliziten sittlichen Fragen und für die Notwendigkeit, sich ernsthaft mit Dingen ausein­anderzusetzen, die wir bisher der Natur überlassen haben, wobei wir auch schlechte Ent­wicklungen in Kauf nahmen«[10].

Mich hatte interessiert, inwiefern unsere Landeskirchen die »Expertise« des ÖRK mitver­antwortet haben und welchen Stellenwert sie heute noch hat. Gab es einen Widerruf? Ob eine Landeskirche wohl antwortet? – hatte ich gefragt.[11] Keine einzige hat geantwortet. Auch „mein“ Landesbischof, extra und normal freundlich angefragt, reagierte nicht.[12]

„Der christliche Grundgedanke, das selbst erfahrene Heil Gottes in der Lebensgestaltung mit anderen zu teilen … “ Wir dürfen uns nicht wundern, wenn dies als Drohung verstanden wird.

 

Noch ein weiterer Link:

https://www.hna.de/lokales/melsungen/treysa-ort314602/heimkinder-in-treysa-sollen-unter-eingriffen-gelitten-haben-9622856.html

Fußnoten

[1] https://www.hephata.de/wir-ueber-uns/geschichte-14.php

[2] In den letzten Jahrzehnten wurde ein Netz differenzierter Dienstleistungen in Hessen, Thüringen und Nord-Bayern aufgebaut. Sitz des Vereins ist Marburg.[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hephata_(Schwalmstadt)

[3] http://juttas-schreibblog.blogspot.de/2009/07/uber-die-redewendung-es-ist-nichts-so.html

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Effata

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Pneumoenzephalografie

[6] Zitate aus: http://www.fr.de/rhein-main/heime-in-hessen-hirnexperimente-mit-heimkindern-a-1446116,0#artpager-1446116-0

[7] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/12/27/hephata-aus-tradition/

[8] , https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/07/das-jc3bcngste-gericht2.pdf

[9] https://www.hephata.de/wir-ueber-uns/geschichte-14.php

[10] Diese Zitate sind der Veröffentlichung von Heike Knops entnommen: http://www.thkg.de/Dokumente/KnopsSterbehilfe.pdf http://www.graswurzel.net/367/euthanasie.shtml#u10

[11] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/09/12/ork-absolut-besturzend/ Ich konnte nicht überprüfen, ob sie auch auf lebende Menschen mit Behinderung gemünzt sind oder ausschließlich eine Stellungsnahme zur „pränatalen Euthanasie“ darstellen. Auch dann bliebe der Vorwurf der Nazi-Eugenik bestehen. Übrigens: Bei der pränatalen Euthanasie sind wir heute mit verfeinerten Detektionsmethoden wieder angelangt.

[12] https://dierkschaefer.wordpress.com/2012/07/07/die-anhaufung-schadlicher-gene-in-der-bevolkerung/

Medikamententests und nicht einwilligungsfähige Personen? Ein ideales Menschenmaterial!

»Es handle sich, so versicherten die Gesetzesmacher, nur um eine kleine Anpassung ans EU-Recht. Das Kabinett hat sie bereits durchgewunken, im Juni soll sie vom Bundestag beschlos­sen werden, im August in Kraft treten. Und auch der Name für das Vorhaben des Gesund­heits­mi­ni­sters klingt wenig elektrisierend: viertes Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften[1]

Die gegenwärtige Rechtslage ist wirklich hinderlich: »Erlaubt sind solche Studien bisher nur, wenn für die Patienten davon ein persönlicher Nutzen erwartbar ist. Auf Drängen des For­schungs­ministeriums soll diese Regelung nun jedoch auch auf „gruppennützige“ Studien ausgeweitet werden, von denen die Probanden selber gar nicht profitieren.«

Eine solche Verzweckung des Menschen hatten wir in Deutschland schon einmal. Erinnert sei nur an die Menschenversuche des Dr. Mengele.[2]

Wer vertritt in im Parlament die Belange von Menschen mit Behinderung? Der Behindertenbeauftragte! Aber »der frühere Behindertenbeauftragte der Regierung [CDU-Politiker Hubert Hüppe] will nachgewiesen haben, dass es „eine unabweisbare Notwendigkeit für Forschung an Nicht­einwilligungsfähigen ohne direkten Nutzen für diese Patienten“ gibt.« [Achtung, Korrektur: Das Zitat war wohl richtig, wurde von mir aber missverstanden und aus dem Sinnzusammenhang gerissen. Eindeutig mein Fehler. Heute, 20. Juni 2016, rief mich Herr Hüppe an und stellte klar, dass er gegen die geplante Gesetzesänderung ist. Also: Erst wenn dieser Nachweis wirklich erbracht werde, sei über die Ausgestaltung entsprechender Patientenverfügungen zu reden. Es tut mir leid, Herrn Hüppe auf der Seite derer gesehen zu haben, die einwilligungsunfähige Personen, also Demente und teils auch Menschen mit Behinderung als Versuchskaninchen für Medikamenten-Tests zu missbrauchen.]

Das soll dann wohl auch richtig flutschen: Hermann Gröhe[3], Bundesminister für Gesundheit, »argumentiert pragmatisch. Hochwertige klinische Prüfungen seien nun mal „Voraussetzung für einen schnellen und sicheren Zugang zu neuen Arzneimitteln“. Das ist dann wohl alter­na­tivlos. »Dabei müssten Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Bürger mit einem reibungs­losen Genehmigungsverfahren „Hand in Hand gehen“.« Unabhängige Ethikkommis­sionen »seien „maßgeblich zu berücksichtigen“.« Was immer das heißen mag.

»Dem Bundesrat ist die Umformulierung ebenfalls nicht geheuer. Sofern die jeweils zustän­dige Ethikkommission eine klinische Prüfung abgelehnt habe, dürfe „kein zustimmender Bewertungsbericht ergehen“, lautet der Klarstellungsvorschlag der Länderkammer. Die Bundesregierung lehnt das ab, begründet es mit verfassungsrechtlichen Bedenken.« Welche das wohl sein mögen?

Die Überschrift zum Zeitungsartikel gefiel mir. Sie lautete: »Kirchen laufen Sturm gegen Pläne für Medikamententests«. So gefällt mir meine Kirche[4]. Beim Googeln stößt man auf andere Publikationen, die sich auf den Artikel beziehen.[5]

Damit komme ich zum zweiten Teil dieses Beitrags.

Für den Protest gegen nazi-ähnliche Menschenrechtsverletzungen sollte es eine breite Basis geben bei allen Organisationen und Publikationen, die für Menschenrechte eintreten. Warum machen das nur – und hoffentlich erfolgreich – die Kirchen? Es gibt noch andere Weltanschauungsgemeinschaften, die sich dem humanitären Protest anschließen könnten und sollten. Zusammen könnte man mehr erreichen.[6]

Besonders vermisse ich in diesem Zusammenhang die Glaubensgemeinschaft der Atheisten. Sie berufen sich auf Menschenrechte und Menschenwürde. Das ist gut so. Doch ihre Aktivi­täten erschöpfen sich meist in allgemeiner Religions- und spezieller Kirchenfeindlichkeit.[7]

Als ich zu unserem Thema beim Humanistischen Pressedienst recherchierte, stieß ich nur auf eine Rezension zu Tierversuchen.[8] Soll das wirklich alles sein?

Wir brauchen eine Ökumene für Menschenrechte – und die gegenseitige Toleranz in Weltanschauungsfragen. Da sind die Kirchen zum Glück – oder Gottseidank – schon weiter.[9]

[1] Zitate soweit nicht anders vermerkt aus: http://www.tagesspiegel.de/politik/demenzkranke-und-geistig-behinderte-betroffen-kirchen-laufen-sturm-gegen-plaene-fuer-medikamententests/13602502.html

[2] Übrigens: „Eine Entschädigung an die Opfer für den körperlichen und seelischen Schaden wurde nicht geleistet.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenversuche_in_nationalsozialistischen_Konzentrationslagern

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Gr%C3%B6he

[4] Die Leser meines Blogs wissen, dass mir an der Kirche vieles nicht gefällt.

[5] https://www.google.de/search?hl=de&gl=de&tbm=nws&authuser=0&q=%22Pl%C3%A4ne+f%C3%BCr+Medikamententests%22&oq=%22Pl%C3%A4ne+f%C3%BCr+Medikamententests%22&gs_l=news-cc.1.0.43j43i53.3045.5397.0.7760.3.2.0.1.0.0.73.142.2.2.0…0.0…1ac.1.YXYnGghj-SM&gws_rd=ssl#q=%22Pl%C3%A4ne+f%C3%BCr+Medikamententests%22&hl=de&gl=de&authuser=0&tbm=nws&start=0

[6] Im allgemeinen Zusammenhang und für die kommunale Ebene plädierte ich kürzlich für ein öffentliches und öffentlich beworbenes interreligiöses Gespräch unter Einbeziehung der kommunalen Partner unter dem Motto: Was leisten die religiösen Gemeinschaften (und ihre Theologie) zum Wohl der Stadt? http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv.php?a=show&id=4037

[7] So gab es kürzlich beim hpd einen Artikel, in dem „bewiesen“ wurde, dass die Theologie keine Wissenschaft sei. Als These wäre das ja diskutabel gewesen. Doch ich stieß dort auf eine atheistisch-fundamentalistische Glaubensgemeinschaft. http://hpd.de/artikel/warum-theologie-keine-wissenschaft-13057

[8] http://hpd.de/artikel/12532

[9] Bei uns gibt es zwar auch eng-schriftgläubige Fundamentalisten. Doch für Arzneimittelversuche an Dementen und Menschen mit anderen Behinderungen sind sie bestimmt nicht.

Zum „Zwischenbericht“ des Runden Tisches

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 25. Januar 2010

Zum „Zwischenbericht“ des Runden Tisches

Der ganze Komplex des Zwischenberichtes besteht aus mehreren Teilen.

Nicht eingehen möchte ich auf den ersten, den „Entwurf“. Der war nicht öffentlich, und es muß möglich sein, einen Entwurf intern zur gemeinsamen Abstimmung kursieren zu lassen, ohne daß er öffentlich detailliert kritisiert wird, auch nicht im Nachhinein.

Für die hier besprochenen Teile beziehe ich mich als Quelle auf die drei nachstehend genannten Links.

1. Der offizielle Zwischenbericht

http://www.gewalt-im-jhh.de/Aktuelles_von_der__an_die_oder/RTH_Zwischenbericht.pdf

Dieser Bericht hat für mich zwei wesentlich unterschiedliche Teile,

die Abschnitte 1-7 und

der Abschnitt 8: »Zusammenfassung und Ausblick«.

2. Hinzu kommt die Pressekonferenz mit der Vorstellung des Berichts durch Dr. Antje Vollmer und dem Zusatzvotum von Sonja Djurovic:

http://de.sevenload.com/sendungen/Top-TV-im-OKB/folgen/iC47wnY-Zwischenbericht-Teil-1

3. Die anschließende Diskussion:

http://de.sevenload.com/sendungen/Top-TV-im-OKB/folgen/UM0RAot-Zwischenbericht-Teil-2

Nach dem Prinzip „es gilt das gesprochene Wort“ lege ich meinen Schwerpunkt auf meine Eindrücke von der Präsentation des Berichts durch Frau Dr. Vollmer.

Das Positive vorweg: Ich sah und hörte eine Vorsitzende, die in der Darstellung der Arbeit des Runden Tisches integer wirkte und ein in den meisten Details gutes Arbeitsergebnis präsentierte, dies in einer Weise, die mir deutlich machte, daß Frau Dr. Vollmer sich nicht auf die bloße Abhandlung eines Themas beschränkt, sondern bemüht ist, die Befindlichkeiten der ehemaligen Heimkinder zu respektieren. Sehr positiv fand ich, daß sie wichtige Details des Berichts vorstellte, insbesondere, und das gilt auch für die Schriftform des Berichts, die Zitate aus den Eigenberichten der ehemaligen Heimkinder, die nun endlich eine offizielle Würdigung erfahren und hoffentlich geeignet sind, die heute Verantwortlichen in den Organisationen nicht nur zu beschämen, sondern zu Entschädigungsmaßnahmen zu veranlassen. Im Klartext: Ich sehe hier eine legitime Nötigung, endlich tätig zu werden.

Positiv auch die vielen Ergebnisse, die die Erfahrungen der ehemaligen Heimkinder und die „Qualität“ der Heimerziehung bestätigen, eine Qualität, die um so erschreckender ist, als es offenbar auch viele Heime gab, die es anders und besser machten. Dies sind öffentliche Festlegungen des Runden Tisches, die den Weg zu Entschädigungslösungen bahnen (sollten), zumal gesagt wurde: »Es gab Verantwortlichkeiten«, »Kontrolle wurde in der Regel nicht wahrgenommen«.

Und zum Schluß wurde immerhin nicht nur von immaterieller, sondern auch von materieller Rehabilitation gesprochen.

Der Runde Tisch hat mit seinem Bericht endlich, endlich die Öffentlichkeitsarbeit geleistet, die ihm, wäre sie eher gekommen, zumindest die Massivität des Mißtrauens erspart hätte, die ihm in nachvollziehbarer Weise von Beginn an entgegenschlug und deren Funktionsweise ich bei der Anhörung am 2.4.09 vorgetragen habe (siehe: https://dierkschaefer.wordpress.com/2009/04/05/anhorung-runder-tisch-2-april-2009/ – doch das war tauben Ohren gepredigt).

Was hat gefehlt?

Die genannte Basis von 450 Heimkinderberichten hätte der Erklärung bedurft. Was ist mit der Vielzahl von Berichten, die bei verschiedenen anderen Anlaufstellen und bei den Forschungsprojekten abgeliefert wurden? Hat man sich darum bemüht? Sind sie Teil der 450? Der Runde Tisch muß sich vonseiten der ehemaligen Heimkinder kontrollierbar machen!

Es gab zwar eine nachvollziehbare Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und erzwungener Arbeit, so daß verständlich ist, warum der Runde Tisch den Begriff Zwangsarbeit nicht übernehmen wird. Unverständlich ist, daß die Firmen, die von der erzwungenen Arbeit profitiert haben, nicht – zumindest als Gruppe – genannt werden, um klarzustellen daß sie für die unterbliebene Sozialversicherung der betroffenen Heimkinder verantwortlich sind und man sie zur Kasse bitten wird. Diese Arbeitgeber (und die Heime), die damals sehenden Auges von den Ausbeutungsarbeitsverhältnissen der Abhängigen profitiert haben, sollten doch in einem Zwischenbericht bereits wenigstens Erwähnung finden. Immerhin gibt es auch ehemalige Heimkinder, die massive gesundheitliche Schäden am Arbeitsplatz erlitten haben. (Zum Thema „Arbeitserziehung“ werde ich demnächst noch im Blog schreiben.)

Ich fand auch keinen Hinweis auf die vielfach berichtete medikamentöse Ruhigstellung und deren (wohl fehlende) vormundschaftsgerichtliche Anordnung. Auch lag dem Runden Tisch anscheinend nicht der Bericht des Heimkindes vor, an dem in der Tübinger Psychiatrie Menschenversuche vorgenommen wurden. Man hört auch von der Erprobung neuer Medikamente an Heimkindern. Wie steht es damit?

Schaut man schließlich in die Zusammenfassung muß man feststellen, daß sie Folgerungen aus den harten Fakten der vorangegangen Kapitel weitgehend vermeidet. Hier ist alles sehr vage und unverbindlich. Wäre die Pressekonferenz nicht gewesen, hätte ich unterstellt, daß der Runde Tisch darauf setzt, daß meist nur die Zusammenfassung gelesen wird.

Insgesamt frage ich mich, wozu der Runde Tisch diesen zeit- und ressourcenaufwendigen Umweg gehen mußte, um schließlich, immerhin in Absetzung von der enthüllenden Zielvorgabe der damaligen Familienministerin, doch zu sagen: »Eine Fondslösung ist nicht ausgeschlossen.« Die Fondslösung hat mit guter Begründung bereits die Abgeordnete Künast in ihrer Dissertation vorgeschlagen.Auch ich habe bei der Anhörung eine differenzierte Fondslösung angeregt. Angesichts der juristischen Probleme, die der Runde Tisch bei den rentenrechtlichen Fragen und dem Problem der Verjährung sieht, hätte man Fondslösungen schon lange ansteuern können. Warum der Umweg? Warum der nur zaghafte Hinweis, diese Lösungen würden »nicht ausgeschlossen«?

Kurz noch zum mir bekannten Teil der Befragung auf der Pressekonferenz.

Vorweg: Als ehemaliger Tagungsleiter kenne ich das Problem, wenn Beiträge aus dem Publikum zu lang geraten oder gar zum Co-Referat ausufern, und ich hätte wohl nicht anders als Frau Dr. Vollmer manchem Teilnehmer das Wort schließlich entzogen. Hier wird aber ein Bedarf sichtbar, nämlich daß sich der Runde Tisch auch öffentlich den Fragen von ehemaligen Heimkindern und ihren fachkundigen Begleitern stellen muß. Wer immer hinter verschlossenen Türen tagt, darf sich nicht wundern, wenn die Betroffenen ihre Fragen auch öffentlich erörtert und beantwortet haben möchten. So fehlte die Antwort auf den Vorschlag, die Kirchen zu bitten, auf die Verjährungseinrede zu verzichten. Wenigstens die Zusage hätte kommen müssen, diesen Punkt mit den Kirchen gründlich zu erörtern. Und wenn ein Rechtsanwalt einen Fall vorträgt, der dem Runden Tisch anscheinend bekannt ist, und beklagt, daß seine Mandantin nicht an den Runden Tisch eingeladen wurde, dann hätte man – bei allem Datenschutz – doch eine Erklärung hören wollen, oder die Vorsitzende hätte ihn ausreden lassen sollen.

Das Angebot, der Runde Tisch werde Betroffenen helfen, auch gegen Widerstand Akteneinsicht zu erhalten, hätte diesem bei einer Eröffnungsveranstaltung zu Beginn der Arbeit des Runden Tisches gut angestanden. Man wird wohl nie erfahren, wie viele Akten clam-heimlich seit Bekanntwerden der Problematik noch vernichtet wurden.

Die Vorsitzende erklärte, das Zeitfenster des Untersuchungsraumes ermögliche eine »exemplarische« Aufarbeitung. Darf man das so verstehen, daß sich Heimkinder mit zeitlich abweichenden Daten oder aber aus Heimen, die keine Erziehungsheime waren, ganz einfach auf den Runden Tisch und seine Ergebnisse berufen dürfen, um analoge Kompensationen zu erhalten?

Interessant war, wie bedeckt sich der Regierungsvertreter und auch der nicht „die Länder“ vertretende Landesvertreter verhalten haben. Das sieht deutlich nach Widerstand gegen jede kostenträchtige Empfehlung des Runden Tisches aus. Es wird klarzustellen sein, daß die staatlichen Organe, unabhängig von dem föderalen und kommunalen Verantwortungsdschungel in erster Reihe der Verantwortlichen stehen. Der Staat, in welcher Form auch immer, muß die Rechtsnachfolger der Mit-Täter und ihrer Organisationen in die Mitverantwortung nehmen – und in die Mitfinanzierung der Entschädigungskosten. Der Staat muß dafür sorgen, daß es nicht zu vergleichbarer Peinlichkeit kommt wie bei der Zwangsarbeiterentschädigung, als man sich – hier war es die Industrie – lange und zum Teil erfolgreich um die Verantwortung gedrückt hat. Der Verweis der Vorsitzenden auf die Rücksicht, die man auf die Lösungen für andere Opfergruppen nehme müsse, verheißt ohnehin nichts Gutes, nämlich eine Lösung, die noch schäbiger ist als die für die Zwangsarbeiter.

Schließlich ein Wort zu den Vertretern der ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch der Pressekonferenz. Frau Djurovic scheint die einzige gewesen zu sein. Wo waren die anderen? Hat der VeH doch Recht mit seinem Vorwurf, daß die ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch nicht gut vertreten sind.

Mit Erstaunen hörte ich übrigens, daß die Vertreter der ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch anscheinend kein Budget für kleinere Auslagen bekommen haben, sondern z.B. ihr Porto selber finanzieren müssen. Wenn das stimmt, handelt es sich entweder um falsche Bescheidenheit, auf jeden Fall aber um Mißachtung der Heimkindervertreter durch den Runden Tisch. Den Heimkindern sitzen ohnehin nicht nur Personen gegenüber, die einen „Apparat“ im Hintergrund haben, sondern auch ihre Kosten abrechnen können.

Vor dem Runden Tisch liegt nun noch ein Jahr anstrengender Arbeit, und vor den ehemaligen Heimkindern ein weiteres Jahr des Wartens. Es wäre konstruktiv, wenn der Runde Tisch mehrere Lösungsszenarien erarbeitet, damit nicht noch mehr Zeit ins Land geht und noch mehr Heimkinder eine Entschädigung nicht mehr erleben. Anscheinend will man Gesetzesänderungen (Rentenrecht, OEG) anregen. Das wird dauern und ist nur glaubwürdig, wenn die danach möglichen Ansprüche rückwirkend gelten und auch vererbbar sind.

(siehe https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/01/03/auf-der-langen-bank-freeze-now/ )

Wenn nicht parallel zur Prüfung von Gesetzesänderungen eine Fondslösung vorbereitet wird, wird die Angelegenheit vollends unglaubwürdig. Ich komme mir ja mittlerweile merkwürdig vor, wenn ich immer wieder auf meine Verfahrensvorschläge verweise. Aber ich halte sie weder für überholt, noch für überhaupt wahrgenommen und diskutiert. Bitte kein Mißverständnis: Ich bin nicht der Meinung, daß es nur so und nicht anders geht. Aber ich darf erwarten, daß sich der Runde Tisch, der mich zur Anhörung vorgeladen hatte, sich erkennbar mit den Vorschlägen auseinandersetzt.  (siehe: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/05/verfahrensvorschlage-rt2.pdf

Ein Punkt gehört noch angesprochen: Die Zukunft der ehemaligen Heimkinder in Alters- und Pflegeheimen. Hier liegt eine Möglichkeit, über die Entschädigung für Zwangsarbeiter hinauszugehen, ohne diese zu diskriminieren. Wird es den ehemaligen Heimkindern ermöglicht werden, die Endphase ihres Lebens unter Berücksichtigung ihrer Vorbelastungen angstfrei und menschenwürdig zu verbringen, nachdem vielen die  Kindheit und Jugend auf verbrecherische Weise und mit Langzeitwirkung verkorkst wurde?

PS: Sympathisch fand ich natürlich den Hinweis von Frau Dr. Vollmer, daß der Runde Tisch seine Heim-Rundreise während der Buß- und Bettags-Woche gemacht hat. Wenn ich auch nicht viel Zuversicht in die Handlungsbereitschaft der Kirchen mehr habe, darf ich doch an meinen Bußaufruf an die Kirchen erinnern.

Soweit Sie es noch nicht getan haben: Unterzeichnen Sie die Petition!

http://www.petitiononline.com/heimkids/petition.html