Dierk Schaefers Blog

»Die reiche Schweiz gibt sich knauserig«

Posted in Geschichte, Gesellschaft, heimkinder, Kinderrechte, Kirche, Kriminalität, Menschenrechte, Politik, Soziologie by dierkschaefer on 13. April 2013

»Die reiche Schweiz gibt sich knauserig«

und steht erst am Anfang für Kompensationsleistungen für die Leiden von Kindern unter staatlicher und kirchlicher Obhut. Der Schweizer „Beobachter“ gibt einen Länderüberblick.

Auszüge:

  • Irland stellt für misshandelte Heimkinder insgesamt 1,28 Milliarden Euro bereit, die Kirche musste dem Staat dafür Ländereien und Gebäude im Wert von 128 Millionen Euro abtreten. Das dürfte nicht alles gewesen sein: Anfang Februar lag eine Unter­suchung über Frauen vor, die als «gefallene Mädchen» in Zwangs­arbeitsinstitutionen eingewiesen und dort häufig Opfer sexuellen Missbrauchs geworden waren. Bis im Sommer soll für die rund 1000 Überlebenden ein Entschädigungsplan vorliegen.
  • In Schweden erhalten die Opfer von Misshandlung, Vernachlässigung und Gewalt eine Entschädigung von je 250’000 Kronen (rund 37’000 Franken).
  • Deutschland zwei Entschädigungsfonds: einerseits der mit 120 Millionen Euro dotierte Fonds «Heimerziehung West» – Bund, Länder und Kirchen steuern hier je ein Drittel bei, wobei 20 Millionen Euro zur wissenschaftlichen Begleitung und Aufarbeitung abgezogen werden. Und anderseits der Fonds «Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990», der vom Bund, den neuen Bundesländern und Berlin mit über 40 Millionen Euro ausgestattet wurde.
  • Kanada. Betroffene erhalten in einer ersten Entschädigungsrunde 10’000 Kanadische Dollar (rund 9000 Franken) für das erste und je 3000 (2700 Franken) für jedes weitere Jahr, das sie in einer «Residential School» durchlitten hatten. Für eine zweite Runde wird Kanada voraussichtlich mehrere hundert Millionen Dollar bereitstellen.
  • Australien. umgerechnet rund 5 Millionen Franken für Therapien und die Nachforschungen nach Verwandten zur Verfügung zu stellen. Weitere fast 1,5 Millionen Franken sollen in die Aufarbeitung des Themas fliessen.

Hier der Link: http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/zwangsversorgte_die-reiche-schweiz-gibt-sich-knausrig/#c356388 Sonnabend, 13. April 2013

 

Daß die Zahlen für Deutschland Augenwischerei sind, ist den Lesern dieses Blogs bekannt.

Es wäre gut zu wissen, wieviel Geld je nach Staat im Durchschnitt bei den geschädigten Kindern ankommt und ob alle Schutzbefohlenen, egal in welcher Einrichtung davon profitieren können.

Angesichts der verachtenswerten Deklaration der Zahlungen in Deutschland als „freiwillig“, „ohne Rechtsverpflichtung“ und „stellt keine Entschädigung dar“ wäre es interessant zu erfahren, ob in anderen Ländern das Schicksal der Kinder nicht nur bedauert und moralisch anerkannt wird, sondern ob es einen Rechtsanspruch gegen den gesamtverantwortlichen Staat und die nachgeordneten Einrichtungen in staatlicher oder kirchlicher Trägerschaft gibt.

Da miteinander verwoben wären auch Entschädigungszahlungen für sexuelle Gewalt darzustellen und dabei auch die wohl beachtlichen Gelder für die Fälle in den USA zu erwähnen.

 

Wer machts?

Und alle haben geschwiegen

»Fiktionale TV-Verfilmung des Sachbuchs „Schläge im Namen des Herrn“ von Peter Wensierski über die Schicksale deutscher Heimkinder in den Jahren zwischen 1945 und 1970«.

http://www.kino.de/kinofilm/und-alle-haben-geschwiegen/118969

Sagenhaft, diese Österreicher!

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 23. Juli 2010

Sagenhaft, diese Österreicher!

Ruckzuck wurde in Tirol eine Steuerungsgruppe eingerichtet, die ruckzuck eine Empfehlung an die Landesregierung erarbeitet hat, in der beispielsweise zu lesen ist:

»Die Höhe des Schmerzengeldes bewegt sich in den in Österreich gängigen Pauschalbeträgen

zwischen € 15.000,– und € 25.000,– und wird von einer für die Beurteilung

des erlittenen Ungemachs vom Land Tirol eingerichteten Kommission bindend

festgelegt. …

Eine geringere Entschädigungssumme wird als unangemessen angesehen.

Ein Verzicht auf allenfalls darüber hinaus (noch) bestehende weitergehende Ansprüche

wird damit nicht verknüpft.«

Österreich, du machst es besser! Wer das ganze Dokument lesen will:

ENDBERICHT21.7

Man muß übrigens den bundesdeutschen Runden Tisch, mittlerweile in zwei-Klassen-Ausführung vorhanden, nicht zur Schnecke machen – er ist eine.

„Schleich di!“ würde ein Österreicher sagen.

photo: dierkschaefer

Was ist aus dem Fall Mixa zu lernen?

Posted in heimkinder, Kirche, News, Pädagogik by dierkschaefer on 24. April 2010

Nicht nur für die Heimkinder: Was ist aus dem Fall Mixa zu lernen?

Es geht hier nicht um die Person Mixa, sondern um den Versuch, den Fall zu analysieren.

1. Der Ablauf

  • Herr Mixa brachte sich ins Spiel, indem er in der Mißbrauchsdebatte die „sexuelle Revolution“ mitverantwortlich machte für sexuellen Mißbrauch von Kindern allgemein und für Pädophilie insbesondere. Damit machte er sich weithin lächerlich.

siehe: https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/02/17/ein-mailwechsel/

  • Ehemalige Heimkinder geben eidesstattliche Erklärungen ab: Herr Mixa habe sie damals in seiner Eigenschaft als Stadtpfarrer mißhandelt (heftige Ohrfeigen, teils mit gesundheitlichen Folgeschäden).
  • Mixa streitet ab: Alles Lüge. Nie habe er überhaupt körperliche Gewalt gegen Kinder ausgeübt. Ohnehin sei er grundsätzlich gegen Gewalt. Seine Funktion als Militärbischof reflektiert er in diesem Zusammenhang nicht öffentlich.
  • Die Zahl der einschlägigen eidesstattlichen Erklärungen nimmt zu.
  • Mixa bzw. sein Pressesprecher streiten im Brustton der Überzeugung ab. Sie wiederholen, Mixa sei zu Gesprächen mit den Heimkindern bereit.
  • Ein Sonderermittler (wer hatte ihn beauftragt, und warum?) stößt auf finanzielle „Unregelmäßigkeiten“: Von Waisenhausgeldern habe Mixa u.a. „Kunstwerke“ und Wein gekauft.
  • Mixa relativiert und bagatellisiert die Luxusausgaben und hält ein paar „Watschn“ durchaus für möglich.
  • Der Druck wird stärker. Ein Gespräch mit Herrn Zollitsch bringt anscheinend nicht das gewünschte Ergebnis.
  • Zollitsch empfiehlt Mixa öffentlich geistliche Einkehr und Besinnung. Ein solcher Vorgang ist ein Novum und besagt nichts anderes als: Ich habe ihn nicht zur Raison bringen können. Er hat die letzte Chance vertan.
  • Mixa bietet seinen Rücktritt an.

2. Die Interpretation

  • Mixa hatte sich mit seiner aberwitzigen Verknüpfung von sexueller Revolution und Mißbrauch/Pädophilie als Zielscheibe der Kritik angeboten.
  • Die Öffentlichkeit war „vorgewärmt“ durch die Heimkinderdebatte und die  Mißbrauchsdebatte.
  • Die Vorwürfe der ehemaligen Heimkinder aus Schrobenhausen stießen auf eine durch die öffentlich gewordenen Mißbrauchsvorwürfe in anderen Einrichtungen und die Besonderheiten der Person Mixa (Bischof, katholisch, anti-modernistisch, 68er-bashing) auf mediales Interesse.
  • Mixa hielt dem stand durch Leugnung. Allerdings übersah er, daß sein Standpunkt unrealistisch erschien. Wer so generell behauptet, sich weder erinnern zu können, noch jemals überhaupt Gewalt befürwortet oder gar angewendet zu haben, ist unglaubwürdig, selbst wenn seine Behauptungen stimmen sollten. Damit hatte Mixa prinzipiell schon verloren. Hätte er gesagt, so genau erinnere er sich nicht, doch es könne schon sein, daß er als männliche Autorität in dieser von Frauen geleiteten Einrichtung die Kids auch mit leichter Gewalt diszipliniert habe, so wäre er damit aus dem gröbsten heraus gewesen. Denn eine körperliche Züchtigung in Maßen war tatsächlich damals gesellschaftsfähig und ist es mitunter auch heute noch. Hätte er gesagt, damals sei das halt nicht sonderlich ungewöhnlich gewesen, man habe es jedoch inzwischen als falsche Pädagogik erkannt – und insofern tue es ihm leid und er bitte nachträglich um Entschuldigung, so hätte der Fall einen für ihn glücklichen Ausgang genommen.
  • Erst der Vorwurf, er habe das Geld der Waisenkinder in Wein verwandelt, brach ihm das Genick. Denn es war nie gesellschaftsfähig, das Geld von Waisenkindern zu veruntreuen. Erst damit hatte er sich als zum Bock gewordener Gärtner entlarvt.

3. Es gibt eine Parallele

Die Klagen der ehemaligen Heimkinder wurden lange nicht geglaubt und der Runde Tisch brachte als jämmerliches Zwischenergebnis die Bestätigung der Klagen, wiegelte jedoch ab: Mißbrauch sei selten gewesen, und von Zwangsarbeit könne man nicht reden. Es bleibe die Gewalt.

Doch die Gewalt gegen Heimkinder wird in Teilen der Öffentlichkeit gesehen als: das war damals halt so, wird nicht so schlimm gewesen sein, wir haben auch mal eine gefangen, hat uns aber weiter nicht geschadet. Dabei wird das Ausmaß von Demütigung und Gewalt ebenso wenig gesehen, wie die psychischen Folgen. Nur wenige wissen wirklich, was Traumatisierung bedeutet. Darum: Alles nicht so schlimm.

Sexueller Mißbrauch ist dagegen etwas anderes. Der hätte nicht sein dürfen. Hier spielt die „Einhegung“ der Sexualität in der bürgerlichen Ehe, wie sie vor der sexuellen Revolution üblich war, eine skandalfördernde Rolle. Erst hat sie zwar dazu geführt, die Augen vor Mißbrauch zu schließen. Nachdem nun jedoch das „Geheimnis“ öffentlich wurde, stellt die Öffentlichkeit die Täter an den medialen Pranger.

Nicht die Gewalt, sondern die unerlaubte Sexualität war der Motor der öffentlichen Empörung, verstärkt dadurch, daß mit den Gymnasiasten, wie Kappeler zurecht hervorgehoben hat, die Opfer aus der Mitte der „guten“ Gesellschaft kamen, also keine „Schmuddelkinder“ waren, keine Kinder vom sozialen Rand, die zudem ja „nicht ohne Grund“ in Erziehungseinrichtungen gelandet waren. Hätte es gegen Herrn Mixa auch Mißbrauchsvorwüfe gegeben, wäre er schneller erledigt gewesen. So mußte noch Veruntreuung von Waisengeldern hinzukommen.

4. Was lehrt uns das?

Die ehemaligen Heimkinder müssen aufpassen, daß sie aus dieser Wahrnehmungsfalle hinaus kommen. Sie und ihre Unterstützer müssen das fast Unmögliche tun: Der Öffentlichkeit beibringen, was sie nicht kennt und wahrhaben will. Ständige Demütigung und Bindungsverweigerung, die erzwungene Einpassung in eine totale Institution,  die unberechenbare, terrorartige  Gewalt und die Ausbeutung, auch die Verweigerung von Bildung und Ausbildung, all das ist Gift für das weitere Leben, zerstört vielfach die Fähigkeit zur Lebensbewältigung beruflich wie privat und führt zu ständiger Furcht vor Entdeckung als Heimkind, zu Heimlichkeit anstelle von Vertrauen. Kurz: viele Lebensläufe sind in den kirchlichen und staatlichen Kinderheimen gründlich – und schuldhaft! – deformiert worden. Da muß nicht unbedingt noch Mißbrauch hinzugekommen sein.

Mißbrauch ist in den Augen der Öffentlichkeit zurecht ein schlimmes Verbrechen. Aber er ist allenfalls die sichtbare „Krönung“ vielfältiger Kindesmißhandlung, sozusagen die Spitze des Eisbergs. siehe: eisberg

Was wir brauchen, ist die kindeswohlorientierte Bewertung der vergangenen „Pädagogik“ und die Ausrichtung  nicht nur der Pädagogik, sondern unseres gesamten Gemeinwesens am Kindeswohl. Wenn uns die Verbrechen der Vergangenheit teuer zu stehen kommen, wird die Gesellschaft vielleicht lernen, die wohlverstandenen Interessen der Kinder beizeiten  ernst zu nehmen.

Auch in Österreich

Posted in heimkinder, Kirche, News, Pädagogik by dierkschaefer on 14. April 2010

»Wir brauchen keine lapidaren Entschuldigungen von Kirchenleuten. Ich möchte eine Entschädigung für die Scheiße.«

Wer den Bericht liest, wird Verständnis haben für diesen Mann.

http://www.profil.at/articles/1015/560/266325/der-horrortrip

Flyer: Mißhandelte Kindheit und Jugend

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 9. April 2010

Misshandelte Kindheit und Jugend:

Wir klagen an …

Chronologie …

Wir fordern …

Die „Freie Initiative Ehemaliger Heimkinder“ stellt ihren Flyer vor.

Ich wünsche viel Erfolg!

Flyer: Mißhandelte Kindheit und Jugend

Geschichte einer geraubten Kindheit, Rezension

Posted in heimkinder, News, Pädagogik by dierkschaefer on 18. Februar 2010

Geschichte einer geraubten Kindheit

Die Erstauflage des Buches datiert von 2008. Zu dieser Zeit war „Jöri“ 62 Jahre alt. Der im Buch 14jährige erzählt mit vielen Rückblenden aus seiner Heimzeit. Am Ende des Berichts steht der Beginn der nicht gewollten Bäckerlehre – und wie es bei dem Bäcker zugeht, erfah­ren wir auch, denn ein Kamerad von Jöri war schon da.

Die Geschichte von Jenö Alpár Molnár kann man in doppeltem Sinne als Geschichte einer geraubten Kindheit lesen.

Den einen Aspekt einer geraubten Kindheit kennen wir aus der derzeitigen Heimkinderdiskus­sion: Unfähiges Heimpersonal, Prügel und Demütigungen, Gewalt, auch unter den Kindern selbst, bis zu sexuellen Übergriffen. Im Hintergrund Jugendämter, die die Kinder nur verwal­ten, und das möglichst kostengünstig.

Der andere Aspekt liegt in einem Geheimnis, ähnlich wie bei Oliver Twist oder bei Kaspar Hauser: Wer sind die Eltern von Jöri? Jöri wird als Waise behandelt, doch er ist fest über­zeugt, daß seine „Mom“ lebt und er auch einen Vater hat. Es sind nicht nur die üblichen Nachkriegsverhältnisse, die seine Familie auseinander gebracht haben. Das Geheimnis seiner Herkunft ist gezielt herbeigeführt. Die US-Besatzungsarmee in Österreich wollte Ehen zwi­schen ihren Soldaten und Einheimischen verhindern, so wie auch dafür gesorgt war, daß Va­terschaftsfeststellungen vereitelt wurden durch Versetzungen der Soldaten und Verschleie­rung der Spuren, wie ich es auch von einem Besatzungskind in Deutschland weiß. Diese von den besetzten Ländern akzeptierte Situation gilt bis heute. Allerdings verwundert das Verhal­ten der USA nicht, haben sie doch als einziges Land der Welt neben Somalia die UN-Kinder­rechtskonvention bis heute nicht unterzeichnet; die Konvention gibt dem Kind ein Recht auf Kenntnis seiner Herkunft. Im Fall von Jöri verweigerten die Behörden nicht nur Kooperation und Auskunft, sondern die Besatzungsmacht griff aktiv ein: Militärpolizisten holten den klei­nen Jöri ab, brachten ihn ins Heim und man sagte der Mutter, er sei beim Vater. Die Akten wanderten mit ins Heim, doch sie blieben lange Zeit geheim. Jöri aber „wußte“, daß seine Mutter auf ihn wartet (erst 1986 fanden die beiden wieder zusammen). Die Militärpolizei tauchte in den Träumen des kleinen Jöri auf.

Wie kam Jöri damit zurecht? Uns begegnet ein äußerst lebendiger Junge, zäh, umsichtig und mit ungeheurer Durchsetzungskraft – und er „trägt das Herz auf der Zunge“, wie es mehrfach heißt. Das hatten (und haben) Erzieher nicht so gern, denn solch ein Kind hat seinen eigenen Kopf, ist unbequem und tanzt aus der Reihe. Am schlimmsten war die prügelnde Schwester Margit; na ja, da ist auch noch die Heimleiterin, die Jöri brutal zusammenschlägt, nachdem er ihr eine Standpauke gehalten hat – und ihn schließlich zu dem Bäcker in die Lehre schickt, von dem sie weiß, wie er seine Lehrlinge skrupellos ausbeutet. Doch Lehrjahre sind keine Herrenjahre, meint auch das Jugendamt. Die Bäckerlehre ist kostengünstig – und die „Berufs­beratung“ eine Farce.

Wie kam Jöri damit zurecht? Das ist die Frage nach den Schutzfaktoren, nach der „Resilienz“. Davon hatte Jöri sehr viel. Über die Lebensenergie, die er von Geburt mitbekam, können wir nur spekulieren. Doch wir wissen, daß es Säuglinge und Kleinkinder gibt, die voll Energie stecken, manchmal durchaus zum Leidwesen der gestreßten Eltern. Und dann gibt es die „Pflegeleichten“. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Jöri jemals phlegmatisch war. Im Heim jedenfalls nicht. Wir sehen einen Jungen, der den Widerstand organisiert, sich für Schwächere einsetzt, der Schwester Margit – wie zum Schluß auch der Heimleiterin – die Leviten liest und planvoll und erfolgreich dafür sorgt, daß Schwester Margit das Heim verlassen muß. Er ent­machtet auch Stefan, den Primus und Liebling von Schwester Margit, und organisiert die Gruppe als Beistands- und Schutzgemeinschaft. Er gibt sich auch nicht damit zufrieden, daß die Heimleiterin nichts gegen die fünf Jungen tun will, die ihn überfallen und geschändet ha­ben, und er setzt sich durch. Jöri hat allerdings auch Unterstützer, nicht nur seine Kameraden. Da sind insbesondere die Schwester Gusti und der Lehrer, freundlich sind aber auch der Schreiner im Heim und die Küchenchefin. Sie sichern Jöri eine abgehobene Position, auch wenn der Heimalltag immer wieder unbarmherzig durchschlägt.

Mindestens genau so wichtig erscheint mir jedoch etwas anderes. Es ist das große Geheimnis, dem er auf die Spur kommen muß – und er „weiß“ eine ihn liebende Mutter irgendwo auf der Welt. Das heißt: In seiner Vorstellung existiert eine enge Mutter-Sohn-Bindung, die ihm Kraft gibt, den Mißhandlungen und Ungerechtigkeiten im Heim zu trotzen. Er fragt nicht nach den Elternhäusern der Kameraden, sieht die Nicht-Waisen eher im Vorteil, weil Jugendamt und Heim sich denen gegenüber nicht so viel herausnehmen können, wie bei den schutzlosen Waisen. Er fragt nicht, warum seine Kameraden nicht bei ihrer Familie aufwachsen, wo wir doch wissen, daß manche Familien ihre Kinder mißhandeln und mißbrauchen und sie deshalb im Heim leben. Daß viele Kinder unter der „professionellen Pädagogik“ ebenso lei­den mußten wie daheim, das steht auf einem anderen Blatt. Jöri ist seinem Geheimnis auf der Spur – und als es ihm aufgedeckt wird, darf er zwar darüber nicht sprechen, doch nun weiß er definitiv, daß er von seiner ihn liebenden Mutter fortgerissen wurde.

Die Biographie Jöris deckt nicht nur die „Schwarze Pädagogik“ in der Heimerziehung auf, sondern auch den Schandfleck des us-amerikanischen Umgangs mit Kinderschicksalen und in der Folge auch des österreichischen Staates, der nicht nur seiner Aufsichtspflicht über die Heime nicht nachkam, sondern Jöri als Staatenlosen ins Leben entließ. Es ist die Geschichte der Ausgrenzung als lästig empfundener Kinder, Kinder, die vom Personal weder gemocht werden (von geliebt ganz zu schweigen), noch nach den Regeln des pädagogischen Wissens­standes erzogen wurden. Heute verlangen diese Kinder Anerkennung, Rehabilitation und Ent­schädigung, in Irland, in Deutschland, in Österreich – und demnächst wohl auch anderswo, denn es ist nicht anzunehmen, daß es in anderen Ländern besser war. Doch auch jetzt sind sie nur lästig, die ehemaligen Heimkinder. Für Betroffenheitsbekundungen reicht es wohl, aber bis zu einer materiellen Anerkennung des staatlich zu verantwortenden, meist aber kirchlich praktizierten Unrechts ist es noch weit.

Wäre das Buch kein Lebensbericht, hätte es keinen dokumentierenden Bildanhang, könnten wir es als klassischen Bildungsroman lesen: Ein junger Mensch auf dem mit zahlreichen Hin­dernissen gespickten Weg ins Erwachsenenalter. Erzählform ist das Imperfekt, die Dialoge und reflektierenden Gedanken jeweils in der Gegenwart. Dadurch wird die „Handlung“ le­bendig und Jöri so sympathisch, daß man sich unweigerlich von Seite zu Seite mehr mit ihm identifizieren kann. Das gilt für sein heldenhaftes Verhalten und seine Klarsicht; aber auch für die ungewöhnliche Reife bei seiner unbefangenen Behandlung pubertärer Sexualnöte und für sein Liebeser­lebnis mit der Küchenhilfe Lisa. Wer in der damaligen verklemmten Zeit aufgewachsen ist, hätte an diesen Punkten jedenfalls gern mit ihm getauscht.

Doch dieser Bildungsroman mit Do­kumentationsanspruch wirft auch Fragen auf. Das Buch ist im Rückblick auf den 14jährigen und dessen Vergangenheit geschrieben. Das ist nicht unproblematisch, denn auch wenn man unterstellt, daß Jöri in Gedanken und Verhalten reifer war als altersüblich, so ist doch kaum anzunehmen, daß er damals zu den Formulierungen, Monologen und reifen Gedankengängen in der Lage war, wie im Rückblick auf den 14jährigen. Der Leser fragt sich, inwieweit in dieser Darstellung bereits die Gedanken und Verarbeitungsversuche, auch die Stilisierungsbemü­hungen des Erwachsenen den Blick auf den damaligen Jöri beeinflußt haben. Es mag auch sein, daß der Autor versucht, sich ein Stück des ihm gestohlenen Lebens zurückzuerobern. Auch wüßte man gern, wie es dem Jöri später erging. Hier vermißt man ein erhellendes Edito­rial, hervorgegangen aus einer auch psychologisch fachkundigen Begleitung beim Erstellen des Manuskripts.

Doch abgesehen davon: Ein lesenswertes Buch, das uns das Schicksal der abgeschobenen Kinder näher bringt und uns nachdenklich werden läßt; nachdenklich, weil wir immer noch nicht sicher sind, wie wir Kindeswohl außerhalb der Familie bieten können, wenn die Familie – warum auch immer – ausfällt. Die Prügelpädagogik ist zum Glück vorbei. Die Rechte der Kinder aber scheitern all zu oft an der Realität, die wir Erwachsenen für uns geschaffen haben.

Jenö Alpár Molnár, Wir waren doch nur Kinder …Geschichte einer geraubten Kindheit; August von Goethe Literaturverlag, Frankfurt, 20092, 301 Seiten, plus Bildanhang, 17,40 €

Rezensiert von Dierk Schäfer, Freibadweg 35, 73087 Bad Boll

Fon: (0 71 64) 1 20 55, Mail: ds [at] dierk-schaefer.de

Die Rezension bezieht sich ausschließlich auf das Buch.

Unter http://www.interview-trier.de/Molnar.html kann man mehr über „Jöri“ erfahren.

forwarded

Posted in heimkinder by dierkschaefer on 27. Mai 2009

wenn auch in sachen „opferanwälte“ anderer meinung, stelle ich den aufruf des VeH in meinem blog zur diskussion.

den untersuchungsbericht der irischen kommission kann man hier anklicken. Commission to Inquire into Child Abuse.

Stellungnahme des Verein ehem. Heimkinder e.V. zu dem Untersuchungsbericht über Kindesmißhandlungen in Irland

Am vergangenen Mittwoch hat die irische Kommission zur Untersuchung von Kindesmißbrauch in katholischen Schulen unter Vorsitz von Sean Ryan seinen 2.500-seitigen Untersuchungsbericht veröffentlicht.

Die irische Untersuchungskommission berichtet von willkürlichen und exzessiven Bestrafungen, einem Klima der Angst und fehlender staatlicher Aufsicht. Hierin erkennt die amtierende Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder Monika Tschapek-Güntner Parallelen zu den Geschehnissen in deutschen Heimen in der Nachkriegszeit, die derzeitig von dem Runden Tisch Heimerziehung unter Vorsitz von der Bundestagsvizepräsidentin a.D. Antje Vollmer untersucht werden: „Die Feststellungen der irischen Untersuchungskommission entsprechen dem Wesen nach dem, was uns am Runden Tisch und in unserer täglichen Arbeit von Betroffenen berichtet wurde. Auch in deutschen Heimen waren systematische Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Gewalt bis hin zum sexuellen Missbrauch an der Tagesordnung.“  Unverständnis äussert Tschapek-Güntner insoweit gegenüber dem zögerlichen Verhalten, welches Staat und Kirche bei der Bewältigung der Folgen an den Tag legen: „Eine ergebnisoffene Arbeit des Runden Tische, wie von Frau Dr. Vollmer in der konstituierenden Sitzung des Runden Tisches angekündigt ist fehl am Platze. Der Deutsche Bundestag hat in seinem Beschluss vom 04.12.08 das Unrecht nicht nur erkannt, sondern auch anerkannt. Der Runde Tisch sollte sich daher verstärkt mit der Bewältigung des Unrechts befassen und weniger mit bereits seit langem bekannten Fakten.“, so Tschapek-Güntner. An dieser Kritik ändert auch die jüngste Äusserung des Diakonie-Präsidenten Klaus-Dieter Kottnik nichts, wonach man am Runden Tisch Ende Juni erste Vorschläge für eine Wiedergutmachung präsentieren wolle. „Schon 2006 haben die Kirchen angekündigt, mit uns in einen Dialog über die Folgen der Heimerziehung einzutreten. Direkte Verhandlungen hat es nie gegeben. Wir begegnen der Äusserung von Kottnik daher mit gehöriger Skepsis. Was soll man auch von einem ausschließlich öffentlich kommunizierten Angebot halten, wenn die Vertreter der Diakonie gleichzeitig Verhandlungen am Runden Tisch mit den Rechtsvertretern der Opfer ablehnen“ gibt Rechtsanwalt Gerrit Wilmans zu Bedenken, der den Verein ehemaliger Heimkinder vertritt. Dem schliesst sich Tschapek-Güntner an: „Der erste Schritt, den wir von Staat und Kirche erwarten, ist, dass man wie in Irland oder Kanada mit uns auf Augenhöhe verhandelt und nicht erneut versucht, uns fertige Konzepte aufzunötigen“

Für weitere Rückfragen stehen Ihnen –gerne auch auf dem Pressegespräch im Anschluss an die Mitgliederversammlung des Vereins ehem. Heimkinder am 30.05.09 ab 18.00 Uhr in Mainz- zur Verfügung:

Frau Monika Tschpek-Güntner (Verein ehem.Heimkinder), Sandwelle 10, 59494 Soest, Tel: 02921 13608

Rechtsanwalt Gerrit Wilmans, Sierichstr. 32, 22301 Hamburg, Tel: 040 65055179

Kindesmißhandlungen in Irland – und in Deutschland?

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 22. Mai 2009

Kindesmißhandlungen in Irland – und in Deutschland?

Fünf Bände, 2600 Seiten mit dokumentierten Mißhandlungen von Kindern in irischen Kinderheimen!

1700 Zeugen trugen innerhalb von 10 Jahren zu dem Bericht der Untersuchungskommission ihre Leidensgeschichten zusammen: Mißhandlungen, Mißbrauch, Zwangsarbeit und durchgängige Demütigungen.

Dieser Bericht kommt aus Irland und findet seit gestern umfassende Resonanz in den deutschen Medien.

In Deutschland tagt zur Zeit, auf zwei Jahre angesetzt, der „Runde Tisch“. Es geht um dasselbe Thema.

Was bedeutet der irische Bericht für die deutschen Verhältnisse?

Einerseits nicht viel, Irland ist Irland. Das Untersuchungsergebnis ist ein irisches, kein deutsches.

Andererseits sind Parallelen deutlich. Hier wie dort wird und wurde geleugnet, wurde von bedauerlichen Einzelfällen gesprochen, wurde auf zeittypische Erziehungsmethoden verwiesen. Der irische Bericht macht klar, daß das Unvorstellbare Realität gewinnen kann. Nein, nicht für die ehemaligen Heimkinder, die haben nie daran zweifeln können, sie leiden noch heute unter dieser erlebten Realität.

Realität haben die unvorstellbaren Menschenrechtsverletzungen für die irische Öffentlichkeit gewonnen, für den Staat und für die Heimträger, doch manche leugnen immer noch.

Nach den vorliegenden Berichten der ehemaligen Heimkinder ist für Deutschland kein wesentlich anderes Ergebnis zu erwarten: Mißhandlungen, Mißbrauch, Zwangsarbeit und durchgängige Demütigungen.

Was bedeutet das?

Der Runde Tisch will »ergebnisoffen« arbeiten. Dieses Ziel ist nicht länger haltbar. Der Runde Tisch muß davon ausgehen, daß es in Deutschland kaum anders aussehen dürfte als in Irland. Er muß also heute schon deutlich machen, an welche Entschädigungen er denkt, wenn die Daten, wie zu erwarten, erhärtet werden. Hierzu liegen bereits von anderer Seite Vorschläge auf dem Tisch, auch auf dem Runden. Anlage  Verfahrensvorschläge-RT

Wenn der Runde Tisch nach dem von ihm nicht zu verantwortenden Startschwierigkeiten Glaubwürdigkeit gewinnen will, muß er nach den erschreckenden aber objektivierten Daten aus Irland vom worst case ausgehen, also, daß es ähnlich teuer werden wird, wie in Irland, das vielleicht auch noch auf größerer Zahlenbasis. Doch es hilft nichts, vergangenes Unrecht muß man anerkennen und dafür bezahlen, auch wenn man nur Rechtsnachfolger ist.

Noch etwas anderes lehrt ein Vergleich. Das wird die ehemaligen Heimkinder weniger interessieren, denn wer gequält wurde, denkt an die Qual und nicht an die Erklärungen. Dennoch:

Es war so logisch: In den deutschen Heimen arbeitete vielfach Personal, das in den Wertvorstellungen der Nazi-Zeit erzogen war, so dachte und so handelte. Doch das kann keine Erklärung sein, denn Irland hat keine Nazi-Vergangenheit.

Ein anderer Erklärungsansatz mag in der Sexualnot zölibatär lebenden Heimpersonals gesehen werden. Auch dieser Ansatz hilft nicht weiter. In evangelischen Heimen hat es anscheinend nicht besser ausgesehen, als in katholischen Einrichtungen. Von einem evangelischen Heim hörte ich, daß dort sämtliche Jungen von den Erziehern und Erzieherinnen mißbraucht wurden.

»Das Personal war nicht gut ausgebildet!« Auch das erklärt nur wenig, denn die Heimleitungen kann man darunter nicht subsumieren. Die hatten eine bessere Ausbildung und wurden zum Teil selber handgreiflich. Sehr ergreifend zu lesen auf Seite 17 im Beitrag von Prof. Manfred Kappeler über den heimleitenden Pfarrer. VORTRAG-am-RUNDEN-TISCH-am-02-04-2009_-_Zur-zeitgechichtlichen-Einordnung-der-Heimerziehung

Was also erklärt die Unmenschlichkeiten?

Ich sehe nur die unkontrollierte Macht als Erklärung, sehe das Fehlen von Gewaltenteilung. Sie läßt die dunkle Seite der conditio humana, der menschlichen Beschaffenheit zum „Vorschwein“ (!) kommen, um eine bekannte freud’sche Fehlleistung hier aufzunehmen. Lord Acton, interessanterweise in Zusammenhang mit der Unfehlbarkeitserklärung des Papstes, schrieb 1887: »Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut«.

Die Erzieher (und Erzieherinnen) waren lauter kleine Päpste, Herren mit Gewalt über die Gewalt- und absolut Wehrlosen. Und sie wurden nicht kontrolliert. „Es gab keine Systematik der Gewaltausübung außer der, daß alle Untaten toleriert wurden.“ schreibt der Historiker Zoran Janjetovic im Ausstellungskatalog „Daheim an der Donau – Zusammenleben von Deutschen und Serben in der Vojwodina“, über das Schicksal der deutschen Donauschwaben in der ersten Zeit nach dem verlorenen Krieg (zitiert nach FAZ/18. Mai 2009). Die Brutalität, mit der Heimkinder behandelt und mißbraucht wurden, ist tatsächlich die gleiche, wie die, von der mir Kriegskinder berichtet haben. siehe: kriegskinderkongress_frankfurt

Wozu wir selber fähig wären, wenn wir unkontrollierte Macht über Wehrlose hätten, wissen wir nicht. Hoffentlich funktionieren dann unsere Spiegelneuronen und bewirken unser Mitleiden, wenn andere leiden.

Etwas weiter sind wir in der deutschen Diskussion aber schon:

»Ich habe mir bis vor zwei Jahren nicht vorstellen können, dass wir so etwas in unserer Geschichte der Diakonie mitschleppen«, sagte Kottnik [Präsident des Diakonischen Werks/EKD]. Mehrere hunderttausend Kinder und Jugendliche waren in der frühen Bundesrepublik oft aus nichtigen Anlässen in vorwiegend kirchliche Heime eingewiesen worden. Viele von ihnen wurden geschlagen und zur Arbeit gezwungen, zudem gab es sexuelle Mißhandlungen. Eine Schulausbildung erhielten die Kinder häufig nicht.

Er habe früher von Einzelschicksalen gesprochen, sagte der Präsident. Heute wisse er, daß dies eine unzulässige Bagatellisierung sei. »Ich will, dass es für die Betroffenen in irgendeiner Form eine Wiedergutmachung gibt«, betonte Kottnik. Der vom Bundestag eingerichtete Runde Tisch, an dem sich auch die Diakonie beteiligt, wolle Ende Juni erste Vorschläge unterbreiten. url: http://www.derwesten.de/nachrichten/wr/westfalen/2009/5/15/news-119900605/detail.html

Hoffen wir, daß die Wiedergutmachung »in irgendeiner Form« nicht im und Irgendwann und Irgendwie stecken bleibt.

Jetzt muß der Runde Tisch Perspektiven aufzeigen.

Die Zeit der Ergebnisoffenheit ist vorbei.

Ohne Hände ins Leben!

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 17. Mai 2009

Ohne Hände ins Leben!

Wer sich mit den Schicksalen von ehemaligen Heimkindern beschäftigt, den läßt das Thema auch im Urlaub nicht los.

In Lyon stieß ich auf ein Denk-mal! und photographierte es.P1260743 d

Ein geistlicher Herr, sein Habit weist ihn als katholischen Würdenträger aus, schaut milde auf ein Kind, seine Linke umfaßt es sanft, die Rechte, der Zeige­finger ist abgebrochen, weist gen Himmel, wie die thematisch ähnliche Statue von August Hermann Francke in Halle. P1230235 d Kopie 2

Doch im Gegensatz zu Francke eröffnet seine gesamte Haltung eher den Blick des Betrachters auf das Kind.

Doch das Kind hat keine Hände.

Kein Zweifel, er wird sie ihm nicht abgeschlagen haben. Ich unterstelle auch nicht, daß er Kinder mißhandelt hat. Doch für mich ist diese Statue eine Illustration kirchlicher Heimerziehung.

Allerdings nicht generell.

Wir dürfen nicht vergessen, daß früher (viel früher) Findelkinder, die in einem Kloster Aufnahme fanden, eine deutlich größere Über­lebens­chance hatten, als Kinder in öffentlichen Kinderheimen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, daß sie dort nicht nur eine für das Leben nützliche Erziehung bekamen, sondern daß es sogar pädagogisch sinnvolle Sonderwege gab. Dabei denke ich an Fra Filippo Lippi aus dem 15. Jahrhundert. Früh verwaist fand er Aufnahme bei den Karmelitern. In der Schule fiel er durch ungebührliche Kritzeleien auf. Doch die Mönche entdeckten sein Talent und ließen ihn das Malen lernen.

Solche kindgerechten Reaktionen waren sicher auch damals nicht die Regel – und doch wird man nachdenklich, wenn man den Berichten der Heimkinder entnimmt, wie wenig viele von ihnen gefördert wurden. Ganz im Gegenteil: Viele wurden mißhandelt und mißbraucht. Demütigung scheint ein durchgängiges Prinzip gewesen zu sein. Diese Heimkinder gleichen damit dem Kind auf dem Bild, dem die Hände abgeschlagen wurden, denn sie entkamen dem Heim als Behinderte an Geist und Seele, manche hatten bei der Zwangsarbeit auch körperliche Schäden davongetragen.

Wie behindert waren die Erzieher? Was muß man für ein Mensch sein, um Kinder so zu quälen, wie es vielfach berichtet wird? (Eine Frage, die leider auch für manche Eltern zu stellen ist.  Siehe dazu: gewalt-07-2)

Von einigen Heimkindern, die in staatlichen Heimen waren, hörte ich: „Die kirchlichen waren ja noch viel schlimmer“. Da ich Pfarrer bin, suche ich natürlich auch nach einem Grund für die Mißhandlungen gerade in kirchlichen Einrichtungen – und habe ihn noch nicht gefunden. Das, was dort geschah, steht völlig im Gegensatz zu dem Jesus-Wort bei Matthäus (18,10): Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. (siehe las meninas)

So wurde die Statue eines hochgerühmten Theologen aus dem 14./15. Jahrhundert für mich zum Symbol kirchlicher Erziehung in der Nachkriegszeit.

Der Theologe ist übrigens Jean le Charlier de Gerson, auch Johannes Gerson genannt. Er lebte von 1363 bis 1429, war auch zeitweise Kanzler der Pariser Universität Sorbonne. In seinem letzten Lebensabschnitt widmete er sich der Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen. Sein Denkmal steht gegenüber der Kirche St. Paul in Lyon, seiner letzten Wirkungsstätte.

Bei Wikipedia lesen wir, daß er „gegen die Unsittlichkeit der Geistlichkeit eiferte (was ihm den Beinamen Doctor christianissimus eintrug). Anderseits betrieb er in Konstanz auch die Verurteilung und Hinrichtung von Jan Hus und Hieronymus von Prag.“

photos: dierkschaefer