Dierk Schaefers Blog

Monotheismus & Gewalt?

Wie konnte das geschehen, fragen sich die Beobachter der Heimkinderdiskussion. Wie konnten christlich motivierte Menschen und Institutionen guten Gewissens Kinder mißhandeln mit Methoden schwärzester Pädagogik?[1] Schnell war der Bibelvers zur Hand: Wer sein Kind liebt, der züchtigt es[2], dazu die grausamen Bibelstellen besonders im Alten Testament. Passend dazu gab es im wissenschaftlichen Bereich die Diskussion um Monotheismus und Gewalt, ist der Monotheismus gewaltförderlich? Diese Frage wird seit einiger Zeit zum Teil heftig diskutiert bis zur Frage Schadet Religion?[3]

Ausgangspunkt war das Buch des Ägyptologen Jan Assmann, Moses, der Ägypter, das eine heftige Kontroverse über den Monotheismus ausgelöst und ihn veranlaßt hat, diese Auseinandersetzung im „Kulturmagazin Perlentaucher“ fortzuführen[4]. Dort kann sie nachgelesen werden[5]. Sie hier zusammenzufassen, würde den Rahmen sprengen. Der Knackpunkt ist jedenfalls der behauptete Zusammenhang von Monotheismus und Gewalt, bei Assmann als „mosaische Unterscheidung“ zwischen Wahr und Falsch in der Religion eingeführt. Verkürzt dargestellt: Der Polytheismus kenne mehrere Götter und sei tolerant, der Monotheismus kenne nur einen und sei intolerant.

Ist das die Ursache einer spezifischen Gewalt? Man konnte meinen, daß Assmann dieses meint. Er erntete heftigsten Widerspruch und ist ein Stück weit zurückgerudert.

 

Peter Sloterdijk hat sich in die Diskussion eingeschaltet und legt seinen Essay Im Schatten des Sinai nach seinem Beitrag im Perlentaucher[6] nun auch in Buchform[7] vor, als „Fußnote über Ursprünge und Wandlungen totaler Mitgliedschaft“ deklariert. Ein Understatement, zweifellos. Man mag ihn einen Schwa­d­ro­neur nennen, doch es lohnt sich, ihm zu folgen. Sloterdijk breitet gern und zuweilen auch suffisant sein enormes Wissen vor uns aus und besticht durch seine Logik.

 

Worum geht es?

Sloterdijk geht es erklärtermaßen nicht um Monotheismus. Doch er wäre nicht Sloterdijk, wenn er das Thema nicht nonchalant nebenbei mit erledigen würde. Sein Wendepunkt in der Entwicklung der Religion ist nicht die mosaische Unterscheidung, sondern der Bundesschluß am Sinai, als Moses mit den Gesetzestafeln vom Berg herabstieg und die „Kinder Israels“ beim Tanz um das Goldene Kalb antraf. Am Sinai sei dem alttestamentlichen Narrativ entsprechend nicht nur die das Bündnis der zwölf Stämme auf der Basis der göttlichen Gesetzestafeln als Grundgesetz erfolgt. Eigentlich ethnogen, volksgründend, sei die blutige Abrechnung mit denen, die Moses beim Tanz um das Goldene Kalb vorfand: Da stellte sich Moses an das Tor des Lagers und rief: „Wer für den Herrn ist, trete her zu mir!“ Da scharten sich alle Leviten um ihn. Er sprach zu ihnen: „So spricht der Herr, der Gott Israels: Es gürte ein jeder sein Schwert um die Hüfte! Zieht hin und her im Lager von Tor zu Tor! Es töte ein jeder selbst den Bruder, Freund und Nächsten.“ Die Leviten handelten nach des Moses Befehl. So fielen an jenem Tag vom Volk gegen dreitausend Mann.[8] Hier wird, so Sloterdijk, eine Moral etabliert, die im Gegensatz zur herkömmlichen steht Es töte ein jeder selbst den Bruder, Freund und Nächsten, und dies im Namen Gottes. Und das nicht nur bei diesem Anlaß. Die Landnahme, also die überlieferte Eroberung Kanaans folgt diesem mörderischen Konzept.[9] Die alttestamentlichen Schriften zeigen durchgängig, wie Israel sich von seinem Gott geführt erlebt, einschließlich der Schwarzen Pädagogik, mit der Gott sein auserwähltes Volk für Ungehorsam straft. Als Psychologe würde ich hier die Doppelbindungstheorie hinzuziehen. Das Bewußtsein, von Gott auserwählt zu sein, und die schweren Heimsuchungen durch eben diesen Gott stellen eine Paradoxie dar, der sich der gläubige Jude nicht entziehen, die er aber auch nicht lösen kann. Was ihm auch geschieht, gepriesen sei der Name des HErrn, der – sofern sein Volk folgsam ist – den Sieg verleiht und das Abschlachten der Feinde fordert, allenfalls die jungen (!) Frauen dürfen lebend erobert werden[10], der aber ebenso gnadenlos sein abtrünniges Volk bestraft. Ein Singularisierungs­projekt nennt Sloterdijk das, eine quälende und quälerische Beziehung, die eine Gruppe von Stämmen zu einem Volk zusammengeschweißt hat[11]. Hier die Juden, dort die Gojim.[12] Wer je bei einem Seder-Abend[13] zugegen war, hat wohl das Gefühl des Ausgeschlossenseins erlebt. Aus dem fröhlichen Unser Gott und wir hört man eher ein triumphierendes Wir und unser Gott heraus. Die „Ironie der Geschichte“ war, daß die Christen den Juden ihren Gott stahlen, die Ausgewähltheit auf sich bezogen und mit den perfiden (treulosen) Juden für den unterschobenen Gottesmord über Jahrhunderte hinweg, von Pogrom zu Pogrom bis hin zum Genozid[14] so verfuhren, wie die Leviten am Sinai.

Der Umgang der Christen mit ihren eigenen „Abtrünnigen“, mit Albigensern, Ketzern und Hexen kann hier als bekannt angenommen werden, und der Islam kennt ähnliches[15]. Auch der Umgang mit den „Kindern der Sünde“ in den Kinderheimen konnte auf die Legitimation durch ein solches Gottesbild zurückgreifen.

Es ist also nicht der Monotheismus schlechthin, der Gewalttätigkeit fördert, sondern die Kombination von Monotheismus und Ethnozentrismus und Erwähltheit machte es möglich, Gott als Begründung für Grausamkeiten jeglicher Art zu mißbrauchen. Am perfidesten im Vorwand, es geschehe zu deren Seelenheil.

Diese Kombination bekam im Judentum bei seinem politischen Niedergang einen selbstquälerischen Charakter, während das Christentum die ethnische Komponente des Ethnozentrismus weitgehend aufgab und die Juden und „Mohammedaner“ an die Stelle des die eigene Identität bedrohenden Feindes rückte. Mit der zunehmenden Machtlosigkeit übernahmen andere, weltanschaulich begründete Gruppenegoismen das Staffelholz[16], und derzeit leiden wir gerade unter einem muslimisch inspirierten Paradieses-Egoismus Auserwählter[17].

 

Hoffnungslos?

Sloterdijk schreibt: Wenn es auch übertrieben sei, von einer Sakralisierung der Person in der Moderne zu sprechen, sei die Souveränisierung der Person ist nicht zu leugnen. „Indem die Souveränität der Person ein grundrechtlich verankertes Gegengewicht zur potentiell dämonisch übersteigerbaren Idee der Volkssouveränität bildet, lockert sie eo ipso den Zugriff des Kollektivs auf die Einzelnen und emanzipiert diese von der Zumutung totaler Volksangehörigkeit“[18].

 

Wir wissen ja: Die Hoffnung stirbt zuletzt[19].


[1] Vom sexuellen Mißbrauch ist hier nicht zu sprechen, denn für den gab es nie eine religiöse Entschuldigung, jedenfalls nicht im christlichen Abendland.

[2] Sprüche Salomos 13, 24

[7] Ich wußte gar nicht, daß Suhrkamp auch dermaßen schmale Bändchen produziert, 64 Seiten für 6,00 €.

[8] Exodus 32; 26ff

[9] Erschreckenderweise fordert Stefan Meißner in seinem Artikel Bemerkungen zur Orientierungshilfe der EKD »Gelobtes Land?« Der schwierige Spagat der Kirchen im Nahostkonflikt, die EKD solle in der erneuten Landnahme Israels im Jahre 1948 das Wirken Gottes anerkennen. http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv.php?a=show&id=3397

[10] Vom Gesamtbefund des sinaitischen Schemas ist die kultisch explizit gemachte Pflicht zur Grausamkeit nicht wegzudenken, die bei der Exekution von strengen Gottes- bzw. Führergeboten demonstriert werden soll. So gebietet Moses den Kriegern bei dem Rachefeldzug gegen die verführerischen Midianiter die vollständige Auslöschung dieses Volks. Er erzürnt, als er erfährt, daß das israelitische Heer lediglich alle Männer niedergemacht hatte, Frauen und Kinder jedoch in Gefangenschaft führen wollte. In seinem vom Bundesbewußtsein befeuerten Eifer besteht Moses darauf, auch sämtliche Knaben und alle erwachsenen Frauen zu töten und nur die jungfräulichen Mädchen zu verschonen: die „laßt für euch am Leben!“ (4 Moses 31). Sloterdijk, S. 39

[11] Es ist in erster Linie dieser ethnogenetische Geniestreich, es ist diese singuläre Verwandlung einer zufälligen Ethnie aus bis dahin unauffälligen, „götzendienerischen“ Stämmen in ein eiferndes Programmvolk unter dem einen Gott, auf welche das eindrucksvolle Phänomen der „Zeitüberdauer des Judentums“ zurückzuführen ist. Sloterdijk, S. 44

[12] Universalistische Tendenzen traten erst später auf im Motiv der Völkerwallfahrt zum Zion, gefolgt vom Weltfrieden. Es findet sich in Mi 4,1-5; Jes 2,2-4; Jes 60; 66,20; Hag 2; Sach 8,22; 14,16 f.; Ps 68,32 u. a. http://de.wikipedia.org/wiki/Zion#Zionsverhei.C3.9Fungen

[14] Klar, das waren die Nazis. Aber ohne den Antijudaismus im Neuen Testament ist der abendländische Antisemitismus nicht vorstellbar. Luthers Antijudaismus ist ein abschreckendes Beispiel. http://hpd.de/node/13504

[15] Die Geschichte des Christentums wie die des Islams ist bis zu einem gewissen Grad als die Wanderung des Sinai-Schemas durch expansive nicht-jüdische Kollektivprojekte zu verstehen. Erst in diesen späteren Re-Inszenierungen kam es zu den bekannten massiven Gewaltfreisetzungen nach innen wie nach außen, die die Religionsgeschichte verdüstern. Sloterdijk, S. 48

[16] Als Beispiel sei hier nur an Arthur Koestlers Roman Sonnenfinsternis erinnert, http://de.wikipedia.org/wiki/Sonnenfinsternis_%28Roman%29

[17] Dierk Schäfer, Terror / MACHT / Terrorismus, Legitimierung und Delegitimierung und die unerträgliche Reinheit der Herzen, erscheint demnächst

[18] Sloterdijk, S. 56

[19] Römerbrief 8,24