Dierk Schaefers Blog

Orthodoxe Prügel, eine Herausforderung für die Ökumene?

Es darf misshandelt werden, alles bleibt in der Familie, soweit das Opfer keine sichtbaren Schäden erleidet oder mehr als einmal im Jahr verprügelt wird. Gewalttaten in der Familie werden in diesem Fall lediglich als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit einem Bußgeld von umgerechnet bis zu 470 Euro bestraft. Bislang waren dafür Strafen von bis zu zwei Jahren Gefängnis vorgesehen. … 380 der 450 Duma-Abgeordneten stimmten in Moskau in dritter Lesung für das Gesetz, nur drei Abgeordnete mit Nein. Der Text muss noch den Senat passieren, bevor es von Präsident Wladimir Putin unterzeichnet werden kann. Der hatte bereits seine Zustimmung signalisiert… In der russischen Gesellschaft ist häusliche Gewalt weit verbreitet. Eine aktuelle Umfrage ergab, dass 19 Prozent der befragten Russen der Ansicht sind, dass Gewalt gegen Kinder oder Partner unter gewissen Umständen akzeptabel ist.[1]

Weder schön, noch gut. Das Abstimmungsergebnis lässt tief in die russische Seele blicken und bestätigt die Redensart: Mein Mann liebt mich nicht mehr, er hat mich schon vier Wochen nicht geschlagen.[2]

Ist es unter diesen Umständen erstaunlich, dass auch die Russische Orthodoxe Kirche zu den Lobbyisten des Gesetzes gehört?[3] Sie betrachtet die körperliche Züchtigung als einen traditionellen Vorzug russischer Kindererziehung. Die gleiche Auffassung vertritt die konservative Volksfront „Allrussischer Elternwiderstand“, die obendrein davor warnt, leichte körperliche Bestrafungen, die für Kinder oft nützlich und vollkommen unschädlich seien, mit elterlicher Grausamkeit zu verwechseln. Tatjana Borowikowa, die tiefgläubige Leiterin von „Viele Kinder, das ist gut!“ (einer Vereinigung kinderreicher Familien), bezeichnet es gar als elterliche Liebesbezeugung, ein Kind zu verdreschen, wenn es etwas geklaut oder pornographische Videofilme geschaut hat. [4]

 

Die Russische Orthodoxe Kirche ist Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen[5], wenn auch die Orthodoxen Kirchen eine gewisse Distanz halten.[6] Es geht dabei nicht nur um den „westlichen Lebensstil“, sondern um Menschenrechte.

Damit hat die Russische Orthodoxe Kirche grundlegende Probleme. Sie distanziert sich in ihren ökumenischen Kontakten von anderen Kirchen, deren Amtsträger nicht im Einklang mit russisch-orthodoxen Vorstellungen über die Rollen von Männern und Frauen leben.[7]

In der „Russische[n] Erklärung der Menschenrechte“ werden diese an zusätzliche Grundlagen gebunden. Dort heißt es: „Die Rechte und Freiheiten des Menschen können nicht getrennt werden von Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit. Bei der Verfolgung seiner Interessen ist das Individuum angehalten, dies in Korrelation mit den Interessen seiner Nachbarn, seiner Familie, seiner Gemeinde, seiner Nation und der Menschheit zu tun. Und weiter: …….Es ist gefährlich „Rechte“ zu „erfinden“, die ein Verhalten legalisieren, das von der traditionellen Moral und allen historischen Religionen mißbilligt wird. [8]

Die traditionelle Moral kann vieles umfassen, würde notfalls auch die Blutrache legitimieren. Im Ansatz unterscheidet sich die Russische Erklärung der Menschenrechte nicht von der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam.[9] Hier wie dort stehen die Menschenrechte unter Vorbehalt, im Islam ist es die Geltung der Scharia; z.B. „Artikel 7 definiert Rechte zwischen Kindern und ihren Eltern. Eltern steht das Recht auf die Wahl der Erziehung ihrer Kinder nur in dem Umfang zu, wie diese mit den „ethischen Werten und Grundsätzen der Scharia übereinstimmt“. [10]

Die Russische Orthodoxe Kirche meint einen feinen Unterschied machen zu können zwischen Menschenrechten und Menschlichkeit.[11] Dabei will sie ein „besonderes Augenmerk legen auf das Schützen der Rechte von Kindern.“ Ein Hohn angesichts der Zustimmung zur Gewalt in der Familie.

Es wird in Russland also weiter misshandelte Kinder geben, misshandelte Frauen und eheliche Vergewaltigungen, so lange es keine bleibenden Schäden gibt.

 

Sollte der Ökumenische Rat der Kirchen der russischen Orthodoxie nicht deutlich entgegen­treten, auch auf die „Gefahr“ hin, dass die ihre Mitgliedschaft aufgibt? Menschenrechte sind unteilbar und auch nicht ökumenisch zu verwässern.

Meine Meinung: Schmeißt sie raus.

Fußnoten

[1] http://www.deutschlandfunk.de/russland-schlaege-zu-hause-nur-noch-eine-ordnungswidrigkeit.1818.de.html?dram:article_id=377480

[2] In Russland werden jedes Jahr 12.000 Frauen von ihrem Partner oder Verwandten getötet, 36.000 werden täglich verprügelt. Die meisten von ihnen reden allenfalls mit Freunden darüber. Nur wenige gehen zur Polizei. Die meisten fürchten, das mache die Lage nur schlimmer. Eine Frau aus dem zentralrussischen Orjol, die im vergangenen November die Polizei anrief, weil ihr Exfreund sie bedrohte, bekam zu hören, man werde nur kommen, wenn sie umgebracht würde – was dann auch geschah. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/soll-haeusliche-gewalt-strafbar-sein-russland-diskutiert-14826380.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[3] s. Anmerkung 1

[4] s. Anmerkung 1

[5] Der Ökumenische Rat der Kirchen / ÖRK (auch Weltkirchenrat; englisch World Council of Churches, WCC) wurde am 23. August 1948 in Amsterdam gegründet[1] und gilt seitdem als zentrales Organ der ökumenischen Bewegung. Er ist ein weltweiter Zusammenschluss von 348 Mitgliedskirchen (Stand: 2016) in mehr als 120 Ländern auf allen Kontinenten. https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kumenischer_Rat_der_Kirchen,

[6] Die Orthodoxen Kirchen haben den ÖRK u.a. wegen der von ihnen empfundenen Dominanz von liberal-protestantischen Themen wie Frauenordination und positive Bewertung der Homosexualität in den letzten Jahren mehrmals scharf kritisiert, haben sich aber zunächst zur Fortführung ihrer Mitgliedschaft entschieden. s. Anmerkung 4

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Russisch-Orthodoxe_Kirche#Im_neuen_Russland

[8] beschlossen beim X. Weltkonzil des Russischen Volkes in der Christus-Erlöser-Kathedrale zu Moskau vom 4. bis 6. April 2006, https://antifo.wordpress.com/2009/03/14/russische-erklarung-der-menschenrechte/

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Kairoer_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte_im_Islam

[10] s. Anmerkung 9.

[11] Die Verwendung von Doppelstandards im Bereich der Menschenrechte weisen wir zurück … Wir sind bereit zur Kooperation mit dem Staat und allen wohlmeinenden Einrichtungen, um die Rechte der Menschlichkeit zu schützen.

Medikamententests und nicht einwilligungsfähige Personen? Ein ideales Menschenmaterial!

»Es handle sich, so versicherten die Gesetzesmacher, nur um eine kleine Anpassung ans EU-Recht. Das Kabinett hat sie bereits durchgewunken, im Juni soll sie vom Bundestag beschlos­sen werden, im August in Kraft treten. Und auch der Name für das Vorhaben des Gesund­heits­mi­ni­sters klingt wenig elektrisierend: viertes Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften[1]

Die gegenwärtige Rechtslage ist wirklich hinderlich: »Erlaubt sind solche Studien bisher nur, wenn für die Patienten davon ein persönlicher Nutzen erwartbar ist. Auf Drängen des For­schungs­ministeriums soll diese Regelung nun jedoch auch auf „gruppennützige“ Studien ausgeweitet werden, von denen die Probanden selber gar nicht profitieren.«

Eine solche Verzweckung des Menschen hatten wir in Deutschland schon einmal. Erinnert sei nur an die Menschenversuche des Dr. Mengele.[2]

Wer vertritt in im Parlament die Belange von Menschen mit Behinderung? Der Behindertenbeauftragte! Aber »der frühere Behindertenbeauftragte der Regierung [CDU-Politiker Hubert Hüppe] will nachgewiesen haben, dass es „eine unabweisbare Notwendigkeit für Forschung an Nicht­einwilligungsfähigen ohne direkten Nutzen für diese Patienten“ gibt.« [Achtung, Korrektur: Das Zitat war wohl richtig, wurde von mir aber missverstanden und aus dem Sinnzusammenhang gerissen. Eindeutig mein Fehler. Heute, 20. Juni 2016, rief mich Herr Hüppe an und stellte klar, dass er gegen die geplante Gesetzesänderung ist. Also: Erst wenn dieser Nachweis wirklich erbracht werde, sei über die Ausgestaltung entsprechender Patientenverfügungen zu reden. Es tut mir leid, Herrn Hüppe auf der Seite derer gesehen zu haben, die einwilligungsunfähige Personen, also Demente und teils auch Menschen mit Behinderung als Versuchskaninchen für Medikamenten-Tests zu missbrauchen.]

Das soll dann wohl auch richtig flutschen: Hermann Gröhe[3], Bundesminister für Gesundheit, »argumentiert pragmatisch. Hochwertige klinische Prüfungen seien nun mal „Voraussetzung für einen schnellen und sicheren Zugang zu neuen Arzneimitteln“. Das ist dann wohl alter­na­tivlos. »Dabei müssten Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Bürger mit einem reibungs­losen Genehmigungsverfahren „Hand in Hand gehen“.« Unabhängige Ethikkommis­sionen »seien „maßgeblich zu berücksichtigen“.« Was immer das heißen mag.

»Dem Bundesrat ist die Umformulierung ebenfalls nicht geheuer. Sofern die jeweils zustän­dige Ethikkommission eine klinische Prüfung abgelehnt habe, dürfe „kein zustimmender Bewertungsbericht ergehen“, lautet der Klarstellungsvorschlag der Länderkammer. Die Bundesregierung lehnt das ab, begründet es mit verfassungsrechtlichen Bedenken.« Welche das wohl sein mögen?

Die Überschrift zum Zeitungsartikel gefiel mir. Sie lautete: »Kirchen laufen Sturm gegen Pläne für Medikamententests«. So gefällt mir meine Kirche[4]. Beim Googeln stößt man auf andere Publikationen, die sich auf den Artikel beziehen.[5]

Damit komme ich zum zweiten Teil dieses Beitrags.

Für den Protest gegen nazi-ähnliche Menschenrechtsverletzungen sollte es eine breite Basis geben bei allen Organisationen und Publikationen, die für Menschenrechte eintreten. Warum machen das nur – und hoffentlich erfolgreich – die Kirchen? Es gibt noch andere Weltanschauungsgemeinschaften, die sich dem humanitären Protest anschließen könnten und sollten. Zusammen könnte man mehr erreichen.[6]

Besonders vermisse ich in diesem Zusammenhang die Glaubensgemeinschaft der Atheisten. Sie berufen sich auf Menschenrechte und Menschenwürde. Das ist gut so. Doch ihre Aktivi­täten erschöpfen sich meist in allgemeiner Religions- und spezieller Kirchenfeindlichkeit.[7]

Als ich zu unserem Thema beim Humanistischen Pressedienst recherchierte, stieß ich nur auf eine Rezension zu Tierversuchen.[8] Soll das wirklich alles sein?

Wir brauchen eine Ökumene für Menschenrechte – und die gegenseitige Toleranz in Weltanschauungsfragen. Da sind die Kirchen zum Glück – oder Gottseidank – schon weiter.[9]

[1] Zitate soweit nicht anders vermerkt aus: http://www.tagesspiegel.de/politik/demenzkranke-und-geistig-behinderte-betroffen-kirchen-laufen-sturm-gegen-plaene-fuer-medikamententests/13602502.html

[2] Übrigens: „Eine Entschädigung an die Opfer für den körperlichen und seelischen Schaden wurde nicht geleistet.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenversuche_in_nationalsozialistischen_Konzentrationslagern

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Gr%C3%B6he

[4] Die Leser meines Blogs wissen, dass mir an der Kirche vieles nicht gefällt.

[5] https://www.google.de/search?hl=de&gl=de&tbm=nws&authuser=0&q=%22Pl%C3%A4ne+f%C3%BCr+Medikamententests%22&oq=%22Pl%C3%A4ne+f%C3%BCr+Medikamententests%22&gs_l=news-cc.1.0.43j43i53.3045.5397.0.7760.3.2.0.1.0.0.73.142.2.2.0…0.0…1ac.1.YXYnGghj-SM&gws_rd=ssl#q=%22Pl%C3%A4ne+f%C3%BCr+Medikamententests%22&hl=de&gl=de&authuser=0&tbm=nws&start=0

[6] Im allgemeinen Zusammenhang und für die kommunale Ebene plädierte ich kürzlich für ein öffentliches und öffentlich beworbenes interreligiöses Gespräch unter Einbeziehung der kommunalen Partner unter dem Motto: Was leisten die religiösen Gemeinschaften (und ihre Theologie) zum Wohl der Stadt? http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv.php?a=show&id=4037

[7] So gab es kürzlich beim hpd einen Artikel, in dem „bewiesen“ wurde, dass die Theologie keine Wissenschaft sei. Als These wäre das ja diskutabel gewesen. Doch ich stieß dort auf eine atheistisch-fundamentalistische Glaubensgemeinschaft. http://hpd.de/artikel/warum-theologie-keine-wissenschaft-13057

[8] http://hpd.de/artikel/12532

[9] Bei uns gibt es zwar auch eng-schriftgläubige Fundamentalisten. Doch für Arzneimittelversuche an Dementen und Menschen mit anderen Behinderungen sind sie bestimmt nicht.

Völlig naiv oder gewieftes Schlitzohr?

Posted in Kirche by dierkschaefer on 15. April 2014

»Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, verbindet mit Papst Franziskus Hoffnungen für die Ökumene.«

 

http://aktuell.evangelisch.de/artikel/93884/ekd-ratsvorsitzender-papst-bringt-hoffnung-fuer-die-oekumene

Menschenrechtsökumene

Posted in Menschenrechte by dierkschaefer on 6. Mai 2013

Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990 stellte noch alle Menschenrechte unter den Vorbehalt der Übereinstimmung mit der Scharia.[1] So fällt auch der Vergleich zwischen der UN-Menschenrechts-Charta und ihrem islamischen Pendant sehr ernüchternd aus.[2]

Allerdings muß man feststellen, daß in manchen Gesichtspunkten die Rechte der Frauen in der katholischen Kirche auf dem damaligen islamischen Niveau sind: Man spricht den Frauen Würde zu, aber kaum Rechte. Doch im Unterschied zur katholischen  Kirche scheint in die islamische Welt Bewegung zu kommen.

Unter dem Titel Modernisierungsschub brachte die FAZ am 4. Mai, leider mal wieder nur in der Printausgabe, einen Artikel von Rainer Hermann über die „OIC“ (Organisation für islamische Zusammenarbeit) mit Sitz in Dschidda.[3] Ihr Generalsekretär »erarbeite­te einen „Zehn-Jahres-Aktionsplan“ und eine neue Charta, die 2008 in Kraft trat. Sie bezieht sich uneingeschränkt auf die Men­schen­rechte[4] und fordert von ihren Mit­gliedstaa­ten, sich im eigenen Land und in­ternational für die Grundfreiheiten und das Konzept der Demokratie, die Herr­schaft des Rechts und die Gleichheit vor dem Gesetz, gute Regierungsführung und die Rechte der Frauen einzusetzen«.

Der Dekan der poli­tikwissenschaftlichen Fakultät an der König-Saud-Universität in Riad, Saleh , ist Mitglied der Kommission. Er meint, »die Kommission werde die wichtigste Menschenrechtsorganisation in der islamischen Welt werden«.

»Es dürfe nicht länger ak­zeptiert werden, dass sich Staaten mit dem Verweis auf die Scharia aus der Befol­gung der Menschenrechte herausredeten, sagt der stellvertretende Vorsitzende der saudischen „Nationalen Gesellschaft für Menschenrechte“. Die Kommission soll die kontroverse „Erklärung von Kairo“ zu den Menschenrechten von 1990 überarbei­ten«.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon habe die OIC zum „strategischen Partner“ erhoben und Barack Obama einen Sondergesand­ten an die OIC geschickt. So der Artikel.

»Die OIC ist damit bei der Beilegung von Konflikten und der Ver­mittlung von Werten ein Motor für die Mo­dernisierung der islamischen Welt gewor­den – und ein Partner des Westens«.

 

„Der Westen“ und die christlichen Kirchen sollten den Ball aufgreifen und Ökumene im ursprünglichen Sinn als den bewohnten Erdkreis verstehen. Die Menschenrechte könnten das uns alle verbindende Band werden. Das gilt auch dann, wenn die Menschenrechte vielfach nur auf dem Papier stehen. Ein Anspruch wäre gesetzt und ein Ziel benannt.


[3] Quelle: FAZ , Sonnabend, 4. Mai 2013, S. 10

[4] UN-Konvention in deutscher, englischer, französischer und leichter deutscher Sprache: Bundesminsterium für Arbeit und Soziales (Hrg.), Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, Stand: Dezember 2011 www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a729-un-konvention.html [Stand: Sonntag, 7. April 2013]