Dierk Schaefers Blog

Den Runden Tisch in seinem Lauf, hält der V e H nicht auf!

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 16. August 2009

Den Runden Tisch in seinem Lauf,

hält der V e H nicht auf!

Nun haben wir’s. Der Verein ehemaliger Heimkinder (VeH) hat sich eine blutige Nase geholt. Ebensowenig wie alle, die seinen Kurs nicht mittragen wollten, nun in ein selbstzufriedenes „Das-haben-wir-ja-gleich-gesagt!“ verfallen sollten, sollte der Runde Tisch nun triumphieren. Viele ehemalige Heimkinder mißtrauen dem Runden Tisch grundlegend, darunter auch viele, die nun die Gerichtsentscheidung begrüßen.

Dieses Mißtrauen hat er sich durch seine Undurchsichtigkeit verdient. Er sitzt nach dieser Gerichtsentscheidung zwar für alle erkennbar am längeren Hebel. Doch Vertrauen läßt sich nicht herbeinötigen. In der Auseinandersetzung mit dem VeH hat der Runde Tisch gewonnen, aber dabei viel Porzellan zerschlagen. Er hat es versäumt, den drei offiziellen Vertretern am Runden Tisch die erforderliche Glaubwürdigkeit zu ermöglichen. Ein ehemaliges Heimkind hat die Vorsitzende des Runden Tisches gefragt, wann man denn zum Blumenstreuen für die Hochzeit zwischen ihr und dem ehemaligen Vereinsvorsitzenden kommen könne. Gewiß, dieses Heimkind neigt zum Poltern, macht aber das Mißtrauen deutlich, das ich auch von anderen Heimkindern höre, die Gründe für ihr Mißtrauen angeben. Damit ist der im Honey-Moon Verdächtigte zu einer Belastung geworden. Während man ihm mißtraut, traut man den beiden anderen Vertretern ganz einfach nichts zu. Denn sie stehen, so die Sichtweise, als einfache ehemalige Heimkinder lauter Fachleuten gegenüber. Dies ist nicht der einzige Geburtsfehler des Runden Tisches. Doch den hätte man bei etwas mehr Einfühlungsvermögen seiner Vorsitzenden und ihres Büropersonals, kompensieren können: Transparenz anstelle eines brachialen Schweigegebotes, dazu eine von Runden Tisch finanzierte und nach außen erkennbare Stützung der Heimkindervertreter durch umfangreiche, auch juristische Beratung.

Dank des Gerichtsentscheids sitzen die Macher des Runden Tisches nun auf noch höherem Roß. Das war schon hoch genug. Denn wenn die Vertreterin des Parlaments zitiert wird mit den Worten: „25 Milliarden Euro Entschädigung, rund 50.000 Euro für jeden Betroffenen, sind völlig unrealistisch“, dann hat sie offensichtlich bereits einen Ergebnisrahmen im Kopf. Die 25-Milliardenforderung der „Opferanwälte“ war so medienträchtig wie schädlich. Die Einschätzung als „unrealistisch“ durch eine mit diesen Fragen befaßte Person ist allerdings ebenso voreilig wie die Forderung der Anwälte. Woher will sie jetzt schon wissen, auf welche Summe sich eine Entschädigung aller ehemaligen Heimkinder belaufen wird, die durch Zwangsarbeit, Mißhandlung und nachhaltige Beschädigung ihrer Biographien zusammenkommen?

Obwohl dem Runden Tisch eine Vielzahl von Lebensläufen vorliegt, die haarsträubende Menschenrechtsverletzungen glaubhaft belegen, hat er bis heute noch nicht erklärt, daß es für bestimmte Fallgruppen Entschädigungen geben muß, unabhängig von individuellen Schmerzensgeldern,* und daß er es als eine seiner Aufgaben sieht, solchen ehemaligen Heimkindern den Weg zu Entschädigungen zu bahnen. So wie es steht, sieht die Angelegenheit nach einem Nullsummenspiel aus, bei dem der Runde Tisch Gegenspieler ist: Was die Heimkinder nicht kriegen, spart er für die staatlichen und kirchlichen Verantwortlichen, und umgekehrt. Bei Nullsummenspielen verliert auf längere Zeit der, der die meisten Ressourcen hat. Das sind nicht die Heimkinder.

Am Gerichtsentscheid ist aus meiner Sicht lediglich zu bedauern, daß der Runde Tisch in seiner stolzen Abgehobenheit gestärkt wurde. Eine andere Entscheidung hätte wohl tatsächlich zum Ende aller Bemühungen geführt.

Doch nun 1. zum VeH und 2. zu den ehemaligen Heimkindern. Beide sind ja nicht identisch.

1. Der VeH steht nun vor einem Scherbenhaufen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder erklärt der Vorstand seine Strategie für gescheitert und reißt das Steuer herum oder er sieht keine Alternative zu seiner konfrontierenden Strategie und tritt geschlossen zurück.

2. Eine ganze Reihe von ehemaligen Heimkindern in- und außerhalb des VeH hat dessen Strategie nicht mitgetragen, auch wenn sie im Mißtrauen gegenüber dem Runden Tisch geeint sind. Es kommt jetzt darauf an, die bisherigen Strategien und auch die Haltungen zu überdenken. Wenn es gegen meine Vermutung nicht doch noch zu erfolgreichen Einzelklagen mit Präzedenzcharakter oder gar zu einer Sammelklage kommen sollte, sind die Interessen der ehemaligen Heimkinder dem Runden Tisch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das ist eine Situation, die wohl keines der ehemaligen Heimkinder gewünscht hat, erinnert sie doch an die erlebte Hilflosigkeit während der Heimzeit. Die Heimkinder müssen nun tun, was ihnen zutiefst zuwider ist, was manche von ihnen vielleicht gar nicht können – und es ist kein Trost, daß es der Runde Tisch anscheinend auch nicht kann: Ein Problem von der anderen Seite nicht nur sehen, sondern sich auch einfühlen können in die Psyche der Gegenseite. Die Brutalität der Machtverhältnisse läßt, denke ich, keine andere Chance.

Der wichtigste Punkt scheint mir zu sein, daß die ehemaligen Heimkinder akzeptieren, daß sie nicht auf eine bis heute andauernde Kollektivschuld der Heimbetreiber und der aufsichtspflichtigen Organe setzen können. Die Heimkinder sind zwar noch dieselben wie damals, aber ihnen stehen nun Personen gegenüber, denen – mit wohl seltenen Ausnahmen – kein persönlicher Schuldvorwurf gemacht werden kann. Zudem hat sich die Situation in den Heimen – auch hier mit wohl seltenen Ausnahmen – grundsätzlich gegenüber früher verändert. Wer heute von „Täterorganisationen“ spricht, vergiftet das Klima und minimiert seine Erfolgschancen. Es ist kaum vorstellbar, daß Heimvertreter und Heimaufsicht ihre Organisation samt Arbeitsplätzen finanziell ruinieren werden und sich zudem noch beschimpfen lassen. Hier kann es nur faire Aushandlungsprozesse geben, bei denen weder der einen Seite die Dollarzeichen in den Augen unterstellt werden, noch der anderen die Absicht, gar nichts geben und zugeben zu wollen. Hier benötigen die Heimkinder wie auch die Vertreter der Organisationen eine kompetente Konfliktmanagement-Beratung; es darf auch Mediation sein. Doch letztere mit so viel Prozeßtransparenz, daß die jeweils Vertretenen sich nicht über den Runden Tisch gezogen fühlen.

Die ehemaligen Heimkinder sitzen in der Klemme eines berechtigten hohen moralischen Anspruchs auf Entschädigung einerseits und den Möglichkeiten und Machtverhältnissen andererseits.

In meiner Schulzeit lernte ich im Englisch-Unterricht den Begriff der cornered rat kennen. Eine Ratte, die sich in die Enge (die Ecke) gedrängt sieht, beißt wild um sich. Das funktioniert, wenn es eine gewisse Aussicht auf Erfolg gibt. Hier jedoch ist laterales Denken angesagt: Nicht stur geradeaus auf das Ziel, auf den Gegner schauen, kein Tunnelblick, sondern mit geweitetem Blickwinkel Auswege aus der desolaten Situation erkennen und wahrnehmen.

* siehe dazu: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/04/verfahrensvorschlage-rt.pdf

Anhörung Runder Tisch, 2. April 2009

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 5. April 2009

Anhörung am Runden Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“
Berlin, Donnerstag, 2. April 2009    Dierk Schäfer

Ohne Auftrag von dritter Seite und in meiner freien Zeit bin ich freiwillig zu dieser Anhörung erschienen. Ich habe auch weder die Absicht noch die Aussicht auf irgendeine Honorierung meines Beitrages.
Ich bin Pfarrer der evangelischen Landeskirche Württemberg, seit Februar dieses Jahres im Ruhestand. Mit Heimkindern bin ich in Kontakt seit meiner ersten Kriegskindertagung an der Evangelischen Akademie Bad Boll im Jahr 2000. Neben einigen persönlichen Kontakten gibt es viele per Telefon und eMail. Manche Gespräche nehmen zuweilen seelsorgerlichen Charakter an. Hierbei dürfte auch meine langjährige Beschäftigung mit Traumatisierungen und der Notfallseelsorge eine Rolle gespielt haben. Aufgrund dieser Kontakte und einiger schriftlicher Äußerungen im Internet zur Heimkinderproblematik haben einige ehemalige Heimkinder gefordert, mich an den Runden Tisch zu berufen. Dies ist nicht erfolgt. Mein heutiger Beitrag geschieht lediglich im Rahmen einer Anhörung.

Für diesen Beitrag haben den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Runden Tisches die Texte „Verfahrens-vorschläge-RT“ und „Rueck-Sicht“ als handout vorgelegen. Sie stehen in Zusammenhang mit diesem Bericht. Die „Verfahrensvorschläge“ sind eine anläßlich der Anhörung leicht überarbeitete Fassung eines Vorläufertextes, mit ergänzenden Fußnoten und zwei integrierten Anlagen.

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Anlage „Verfahrensvorschläge“ hier als PDF runterladen

Anlage „Ruecksicht“ hier als PDF runterladen