EKD, Für uns gestorben – Schon gelesen? Ganz?
Eigentlich ist die „Orientierungshilfe“ Für uns gestorben nicht an Theologen adressiert. Doch wer wird sie lesen, wenn nicht sie und ein paar theologisch Interessierte? Mehr wohl kaum, wenn überhaupt.[1] Ich habe mich bei der Lektüre immer wieder gefragt, in welcher Welt leben die Verfasser? Doch zunächst mal mein Dank für das Repetitorium, das wohl auch studierte Theologen gut gebrauchen können und das auch manches ausfüllt, was der Mut zur Lücke im Studium frei gelassen hatte.
Worum geht es?
Es geht um den Kreuzestod Jesu und das Bekenntnis Im Kreuz ist Heil.
An dieser Stelle werden schon viele meiner Leser aussteigen wollen. Bleiben Sie noch dran. Skurrilität hat auch ihren Unterhaltungswert, wenn ich auch niemandem empfehlen will, selber den Text zu lesen.[2] [3]
Die Fragestellung der Verfasser
Die Verfasser gehen ganz bewußt von den frühchristlichen Glaubenserfahrungen aus. Für die frühen Christen war es Wirklichkeit, dass Jesus, der Sohn Gottes ist und von den Toten auferstanden; damit habe er die Menschen mit Gott versöhnt.
Man hätte auch anders vorgehen können, räumen die Verfasser ein, nämlich allein auf Basis der historisch plausibilisierbaren Fakten. Doch so haben sie Position gezogen, Bekenntnis gegen Wissenschaft. Wäre ich nicht Theologe, hätte ich schon nach dem Vorwort aufgehört, denn ich schalte meinen Verstand, ohne ihn rühmen zu wollen, nicht gern ab.
Ein Repetitorium, sagte ich. Davon darf man nichts Neues erwarten. Und so ist für den Fachmann wie für den einfachen Gläubigen schon alles gesagt.[4] Trotzdem: »Eine solche Schrift war notwendig, weil viele Menschen Schwierigkeiten mit der Kreuzestheologie haben. Mithilfe dieses Textes können hoffentlich einige von ihnen verstehen, was mit dem Kreuz eigentlich gemeint ist.«, so die Begründung.
Von der Grundentscheidung zur Methode
Und so begeben wir uns auf den Parcour der Textauslegung, der Dogmen- und Kirchengeschichte um schließlich im resümierenden Schlusskapitel unsere Fragen beantwortet zu bekommen, wenn es denn so sein sollte, dass wir diese Fragen haben.
Doch selbst, wenn ich die Position der Verfasser teilen wollte, fällt mir auf, dass sie die Bibelstellenen gerade so nehmen und zitieren, wie sie ihnen passen. Auf die Unterschiede zwischen den Evangelien wird nicht kritisch eingegangen und manches kommt nicht vor.
So beispielsweise die Gethsemane-Geschichte[5]. Sie wird von Markus, Matthäus und Lukas berichtet und ist eine der Geschichten, die auch ohne Theologiestudium als total erfunden erkannt werden kann, denn die einzigen Zeugen schlafen fest – wie es heißt. Doch in dieser Geschichte wird eine sozusagen innertrinitarische Differenz aufgezeigt: Lass den Kelch an mir vorübergehen, sagt Jesus zum seinem Vatergott, um dann aber nachzugeben: Doch nicht mein Wille geschehe, sondern Deiner. Aber diese gedachte Differenz innerhalb der Trinität wird nicht thematisiert, dafür bekommen wir fix und fertig das Dogma von „wahrer Mensch und wahrer Gott“ serviert, auch wenn die kirchenspaltende Festlegung zur Person des Gott-Menschen Jesus Christus erst später und unter Druck des Kaisers zementiert wurde. Auf dieser Basis wird weitergebaut. Auch die Unterschiede im Abendmahlsverständnis zwischen Reformierten und Lutheranern spalten nicht mehr (was ja nur gut ist), dafür werden die Einmaligkeit und Endgültigkeit des Opfertodes so betont, dass die Katholiken mit ihrem sonntäglich zelebrierten Messopfer meinen müsssen, theologisch total falsch zu liegen.
Auf einige Details möchte ich noch eingehen.
Der Münchhausentrick
Manches ist amüsant. So der Müchhausentrick von Immanuel Kant. Er meinte, die existentielle Schuld des Menschen könne jeder nur selbst abtragen, nicht aber Jesus für uns. Unter der Schuld, die Kant dem „alten“ Menschen zuordnet, leidet der „neue Mensch“, der physisch derselbe ist. Er trägt damit die Schuld des alten ab. So zieht sich Münchhausen am eigenen Zopf aus dem Sündenpfuhl.
Kotau[6] der EKD vor der feministischen Theologie
»Besonders die feministische Theologie hat solche Verzerrungen und Missdeutungen des theologischen Opferbegriffs aufgedeckt. Im Hintergrund ihrer Kritik standen viele biografische Erfahrungen und ganze Lebensgeschichten: Wenn Männern von Frauen forderten, dem Opfer Christi mit dem Opfer des eigenen Lebens zu entsprechen und es für andere hinzugeben, wurde nur theologisch der Anspruch verbrämt, dass Frauen eigene Interessen und Lebenspläne zurückzustellen hatten. Nicht zufälligerweise waren vor allem Frauen von solchen gesellschaftlich dominanten Erwartungen betroffen.«
Schon vor der feministischen Theologie wussten wir, dass der Gott des Alten Testamentes vielfach die Züge eines orientalischen Despoten trägt. Wie hätten die Menschen damals auch sonst sich Gott vorstellen können? Doch die Opfererwartungen, von denen die Frauen mit Bezug auf Jesu Opfer betroffen sein sollen, sind mir nicht geläufig, dafür aber der Missbrauch des Vorbildes Christi für den Soldatentod: Wer das Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.[7]
Der Opfergedanke – hoch aktuell? Ein falsches Beispiel
Die Aktualität des Opfergedankens wird an mehreren Beispielen gezeigt. So auch beim neueren Liedgut. Als einer der Gewährsleute wird Otmar Schulz[8] präsentiert mit seinem Lied »In einer fernen Zeit gehst du nach Golgatha, erduldest Einsamkeit, sagst selbst zum Sterben ja.«. Schlechtes Beispiel: Schulz hat seiner Vergangenheit, auch seinen Liedern den Abschied gegeben. Öffentlich, im Pfarrerblatt.[9] Das haben die Verfasser der Orientierungshilfe nur nicht zur Kenntnis genommen. Schulz schreibt dort, das Anstimmen solcher Lieder sei für ihn »bestenfalls ein Besuch im tönenden Museum. Und das trifft auf mindestens 80 Prozent der Gesangbuchlieder zu (meine eigenen zum großen Teil eingeschlossen!). Da hilft mir auch der Hinweis wenig, diese Lieder hätten … schließlich Generationen von „Gläubigen“ getröstet, ermutigt, ermahnt. Mag alles sein. Ich will „Gottes Spuren“ heute reflektiert sehen, nicht die „Spuren in längst vergangnen Tagen“, wie es in einem Lied heißt.« Es geht ihm um die theologische Redlichkeit. »Es ist für mich vorbei mit der Blut- und Sühneopfertheologie meiner Kindheit und Jugend und auch langer erwachsener Jahre. Es ist vorbei mit dem „Christi Leib für dich gegeben“. Die „Lehre“ hat der Erfahrung und dem neu erworbenem Wissen nicht standgehalten.«
Ein Pfarrer, der sich so äußert, fällt in die erbarmungslosen Hände seiner Kollegen. Eine symbolische öffentliche Hinrichtung war die Replik in der nächsten Folge des Pfarrerblatts. Von der „Desaströsen Bilanz eines Pfarrerlebens“ schrieb Michael Heymel.[10] Ich schickte Schulz meinen Leserbrief: »Bastelreligion wirft Heymel dem Kollegen Schulz vor, so, als habe der sich für seinen privaten Herrgottswinkel einen Götzen geschnitzt. Gebastelt wurde allerdings schon immer. Es begann mit den Jüngern, die sich einen Reim darauf machen mussten, wieso der von ihnen verehrte Meister einen solch schmählichen Tod sterben konnte und wieso er dennoch bei ihnen weiterlebte. Auch Paulus hat gebastelt und dem beginnenden Christentum den paulinischen Schliff gegeben. Und erst die Evangelisten: Von der Adoptionsformel zur Gottessohnschaft mit weihnachtlicher Vorgeschichte. Es waren ja nicht nur vier Evangelisten, ganze Bastelkollektive stellten den Kanon[11] zusammen und schlossen aus, was ihnen nicht zu passen schien. An den Symbola[12] haben auch die Kaiser mitgebastelt. Muß ich noch auf andere Bastelergebnisse eingehen, auf das Fegefeuer zum Beispiel? Es haben doch Gläubige aller Zeiten mit ihren Erkenntnismöglichkeiten und ihren Erfordernissen an ihrem Glauben gebastelt. So what? – Ja, ich weiß: Die Basteleien mussten approbiert werden. Wer allein bastelte, musste den Mund halten oder er landete wie Jan Hus[13] [14]auf dem Scheiterhaufen. Da hätten manche Luther auch gern gesehen.«
Und nun haben wir eine Orientierungshilfe der EKD, die alle wichtigen Fragen beantwortet.
Noch Fragen?
[1] Eine Reichweitenanalyse würde mich interessieren.
[2] Wer es dennoch will, hier geht’s zum Text: http://www.ekd.de/download/fuer_uns_gestorben2015.pdf
[3] Wenn Sie’s kurz gefasst haben wollen, reicht das Abschlusskapitel mit den Fragen und Antworten. Sollten das Ihre Fragen sein, dann müssen Sie mindestens dieses Kapitel lesen, dann sind Sie orientiert. Hier nur die Fragen:
Für uns gestorben – Fragen und Anstöße
- Ist Jesus von Nazareth wirklich gekreuzigt worden?
- Wer ist für seinen Tod verantwortlich zu machen, die römischen oder die jüdischen Autoritäten?
- Warum musste Jesus überhaupt sterben?
- War Jesus klar, dass er in Jerusalem sterben würde?
- Wird durch die Lehre vom Kreuz nicht ein allzu dunkles Menschenbild gezeichnet?
- Wieso musste Jesus Christus deswegen sterben? Ging das nur so?
- Kann man nicht auch an den christlichen Gott glauben, ohne dem Tod Jesu eine so hohe Bedeutung beizumessen?
- Wollte Gott Blut sehen, um seinen Zorn zu besänftigen?
- Hat Gott ein Menschenopfer gefordert?
- Wieso ist aber im Neuen Testament und auch danach in Liedtexten und sogar in Predigten vom Opfer die Rede?
- Lässt sich nur mit biblischer Sprache ausdrücken, was es heißt, dass Jesus Christus für uns gestorben ist?
- Wenn uns die biblischen Motive so fremd sind, ist es dann nicht besser, auf sie zu verzichten?
- Was klärt dann die Deutungsfigur des (Sühn-)Opfers überhaupt?
- Was kann die Figur vom Passalamm erklären, als das Jesus bezeichnet wird?
- Hat das traditionelle Motiv des Loskaufs heute noch einen nachvollziehbaren Sinn?
- Kann Gott die Menschen erst wieder lieben, nachdem Jesus Christus für ihre Sünden gestorben ist?
- Musste Jesus Christus sterben, weil Gott als ein »gerechter« Gott dies so fordert?
- Musste Gott durch den Tod Jesu versöhnlich gestimmt werden?
- Und was ist mit der menschlichen Freiheit?
- Erkenne ich im Kreuz nur, dass ich versöhnt bin, oder bewirkt das Kreuz das auch?
- Biblische Texte betrachten immer wieder den Glauben als Voraussetzung dafür, dass Menschen an dem, was Christus für sie getan hat, teilhaben. Was wird dann aus denen, die nicht an Gott, geschweige denn an Jesus Christus glauben?
- Was ist aber mit den Menschen, die vor Jesu Geburt gelebt haben?
- Wieso verknüpft sich mit dem Tod Jesu von Nazareth ausgerechnet der Gedanke der Neuschöpfung? Tod und Schöpfung scheinen doch das genaue Gegenteil zu sein.
- Was ist gemeint, wenn gesagt wird, am Kreuz ereigne sich »ein fröhlicher Wechsel und Streit«?
- Stellvertretung – was soll das im Blick auf den Tod Jesu Christi heißen? Muss nicht jeder seinen eigenen Tod sterben?
- Ist damit die Stellvertretung nicht schon als Deutungsfigur erledigt?
- Warum ist es dennoch wichtig, von Stellvertretung zu reden?
- Zu welchem Missverständnis kommt es, wenn die Exklusivität der Stellvertretung zu stark betont wird?
- Zu welchem Missverständnis kommt es, wenn die Inklusivität der Stellvertretung zu stark betont wird?
- Was bedeutet eine Stellvertretung, die exklusiv und inklusiv sein soll?
- Mit welchem Recht kann Jesus überhaupt für alle Menschen stellvertretend eintreten?
- Jesu Tod gibt uns neues Leben, heißt es. Neues Leben, Neuschöpfung, was bedeutet das für uns?
- In welchem Verhältnis steht der Tod von Menschen, die ihr Leben für andere riskieren, zum Tod Jesu Christi?
- Wie ist dann der biblische Satz zu verstehen, dass der, der Jesus nachfolgen wolle, sein Kreuz auf sich nehmen solle (vgl. Mk 8,34)?
- Zu welchen Missverständnissen kommt es, wenn Jesu Hingabe und sein Weg ans Kreuz zum ethischen Vorbild erklärt werden?
- Wenn von Christus gesagt wird, er sterbe und sei von den Toten auferstanden, und Menschen dasselbe hoffen dürfen, ist dann nicht auch möglich, Jesus Christus als Exempel zu verstehen?
- War und ist das Grab Jesu Christi leer?
- Was stiftet denn die Identität zwischen dem gestorbenen Jesus und dem auferstandenen Christus?
- Hat die Überwindung des Todes Gott verändert?
- »Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber« (2Kor 5,19), sagt Paulus. Aber wie können Gott und Mensch wirklich zusammenkommen, ohne dass Gott als Person in sich gespalten ist?
- Geht das nicht auch einfacher? Wieso muss Jesus Christus überhaupt wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch sein?
[4] So der Interviewer im Gespräch mit dem Theologen Christoph Markschies, Mitautor des EKD-Grundlagentextes „Für uns gestorben“. http://www.ekd.de/aktuell/98061.html
[5] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/7727190772/
[6] Der Begriff Kotau wird im deutschen Sprachraum als Umschreibung für Unterwerfung, Eingliederung in eine Rangordnung bzw. nicht ganz freiwilliges Nachgeben benutzt. https://de.wikipedia.org/wiki/Kotau
[7] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/3355906263/in/set-72157632548603352
[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Otmar_Schulz
[9] http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/dpb_print.php?id=3640
[10] http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt//dpb_print.php?id=3659
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Bibelkanon
[12] Nur das Chalcedonense sei hier als einschlägiges Beispiel genannt: http://de.wikipedia.org/wiki/Konzil_von_Chalcedon
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Hus
[14] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/4468626403/
„Für uns gestorben“ heißt die neue Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland.
»Wegen des Flugzeugabsturzes wurde sie nicht öffentlich präsentiert. …
Dabei ist es das richtige Papier zur richtigen Zeit. … Doch außer ein paar Fachleuten wird es nun niemand lesen.«[1]
Das hätten ohnehin fast nur die Fachleute getan. Ich bin gerade dabei. Das Papier interessiert mich allerdings ausschließlich als Theologe – und nebenbei auch noch als Psychologe.
[1] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/trauerhilfe-evangelische-kirche
Das war „mein“ Landesbischof[1] seinen Pietisten schuldig: Die Herabstufung der „Orientierungshilfe“ zum „Impulspapier“
»Das Impulspapier der EKD ist keine „Denkschrift“, sagt Landesbischof Frank Otfried July. „Was die EKD vorgelegt hat, ist eine Plattform für Zukunftsdiskussionen“, sagt July. Es beschreibe einen möglichen Prozess, beachte aber die regionalen Unterschiede der Kirchen im Norden und im Süden Deutschlands kaum«.[2]
Als Nachtrag zu bewerten:
http://www.abendblatt.de/hamburg/article117453789/Skandal-legal-normal.html Mittwoch, 26. Juni 2013
[1] Apropos „Landesbischof“: Das Land Baden-Württemberg hat zwei Landesbischöfe. Die sind jeweils nur für einen Teil des Landes zuständig, einer für Baden, einer für Württemberg. Die Kirchen und ihre Amtsbezeichnungen bewegen sich immer noch in den Grenzen, die dereinst Napoleon gezogen hat. Man mag das lächerlich finden oder auch für eine nette historische Huldigung an den Kaiser der Franzosen.
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