Die Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe gegen die Evangelische Brüdergemeinde Korntal
Das klingt ja überraschend gut: Ein neuer Anlauf zur Klärung der Korntaler Missbrauchsvorwürfe.[1] Endlich fragt auch mal jemand, „ob es eine spezifische religiöse Dimension der strafenden Pädagogik gibt.“
Die Akteure wirken glaubwürdig und alle Betroffenen wären gut beraten, sich von der Glaubwürdigkeit im direkten Kontakt zu überzeugen, gemeinsam ihre Forderungen und Sichtweisen einzubringen und nicht durch kontraproduktive Pressearbeit voreilig Druck aufzubauen.
Natürlich könnte es einen Punkt geben, an dem sie den Eindruck bekommen, dass nicht mehr rücksichtslos-neutral gearbeitet wird. Auf mich machen die drei im Artikel vorgestellten Akteure den Eindruck, dass sie furchtlos ermitteln werden.
Doch es scheint sich ein Drama zu wiederholen. Die ehemaligen Heimkinder im Hintergrund vom Prozess des Runden Tisches – damit meine ich nicht deren Vertreter – hatten sich darauf versteift, einen Rechtsanwalt gestellt zu bekommen, der zwar große finanzielle Hoffnungen weckte, aber seine Zulassung verloren hatte. Das war ein Eigentor, denn damit hatten sie ihren Vertretern am Runden Tisch die Möglichkeit genommen, energisch von der „Moderatorin“ Vollmer Waffengleichheit einzufordern, nämlich die Finanzierung einer Rechtsberatung durch eine renommierte Anwaltskanzlei. Die Zerstrittenheit der ehemaligen Heimkinder im Hintergrund des Runden Tisches Heimerziehung spielte denen in die Hände, die keinerlei Interesse an einer nennenswerten Entschädigung hatten; das waren die Interessenvertreter von Staat und Kirche. Die Machtasymmetrie am Runden Tisch blieb unangesprochen und unangefochten und ein echter Rechtsfriede wurde bis heute nicht erreicht.
Und nun wieder ein gleiches Szenario in Korntal. Die Einen lassen sich auf den Prozess ein und die Anderen mauern. Ein jämmerliches Bild. Aber ein déjà-vue.
Man lese und beherzige: „Der Runde Tisch Heimkinder und der Erfolg der Politikerin Dr. Antje Vollmer“.[2]
[1] https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/318/wer-traut-hier-wem-4347.html
[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/01/31/der-runde-tisch-heimkinder-und-der-erfolg-der-politikerin-dr-antje-vollmer/
Nachtrag
Die Aufklärer scheinen wirklich gute Arbeit zu leisten. Korntal 29.05.2017 Aufklärer sehen System der Gewalt
Eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad[1]?
Da es inzwischen auch Richter gibt, die das für gut halten[2], da schon länger der Verdacht besteht, dass nicht alle unsere Institutionen auf allen Ebenen den gesetzlichen Vorgaben gemäß funktionieren[3]und angesichts der angeschwollenen Zahl von Unterstützern nazi-verwandter Parolen[4], scheint es mir „zeitgemäß“, an die Aufgaben unserer Institutionen zu erinnern. Beispielhaft sei hier die Polizei genannt, die auch nicht durchgängig sicher ist vor manchen Nazi-Denkmustern. Wir brauchen aber eine durchgängig demokratisch gesinnte Polizei für den Schutz unserer Grundrechte.
Darum sei hier eine Vereidigungsansprache aus dem Jahre 1992 wiedergegeben.
Bereitschaftspolizei Biberach
Vereidigung – 8. Mai 1992
Wir haben heute den 8. Mai. Heute vor 47 Jahren war der zweite Weltkrieg zu Ende. Nach diesem Tag sind in anderen Ländern Europas Straßen und Plätze benannt. Dieser Tag bedeutete Sieg und Befreiung für die einen und Niederlage für die anderen. Manche haben bis heute nicht verstanden, daß auch für die Verlierer die Niederlage zugleich eine Befreiung sein kann. Es war die Befreiung von einem Regime, das seine Beamten mit einem Treueid auf den Führer verpflichtete. Beamte wurden nach dem Deutschen Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 vom Führer ernannt, damit sie den Willen des von der NSDAP getragenen Staates in rücksichtslosem Einsatz und äußerster Pflichterfüllung vollstreckten. Beamter konnte nur werden, wer Reichsdeutscher und deutschen oder artverwandten Blutes war (soweit verheiratet, galt das auch für den Ehepartner). Wir wissen, wohin rücksichtsloser Einsatz und äußerste Pflichterfüllung geführt haben. Auch die Polizei des Deutschen Reiches hat ihre so verstandene Pflicht erfüllt, nachdem man in den Anfangsjahren des Nazi-Terrors demokratisch gesinnte Beamte aus dem Dienst entfernt und braune Hilfstruppen mit Polizeiaufgaben betraut hatte. Es scheint mir nötig, an diese Zusammenhänge zu erinnern, nachdem braunes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit bis hin zu Progromen bei uns zulande wieder Auftrieb haben.
Wir sind gerade Zeitzeugen, wie ein anderes Unrechtsregime auf deutschem Boden sein Ende gefunden hat. Dort wurden die Polizisten vereidigt auf das sozialistische Vaterland und seine Regierung. Sie versprachen treue Ergebenheit bis hin zum Bruch der geschriebenen Gesetze, denn die Parteiräson hatte Vorrang. Die juristische Aufarbeitung des roten Unrechts wird, wie es scheint, schneller und effektiver vorangetrieben, als die des braunen. Die unkomplizierte Übernahme von Beamten, die nach ’45 die Regel war, ist unseren umständlichen Prozeduren gewichen, die wenig darauf Rücksicht nehmen, daß Menschen nach dem Niedergang eines Systems, das sie geprägt hat und für das sie gelebt haben, nur dann diese Niederlage akzeptieren können, wenn man ihnen eine lebenswerte Zukunft eröffnet. Doch bei allen persönlichen Härten hat dieses Verfahren auch sein Gutes. Wir dürfen es allerdings nicht nur benutzen, um dem ideologischen Gegner in Siegerpose unseren Stiefel aufs Haupt zu setzen. Wenn unser System lediglich produktiver war als die Kommandowirtschaft, dann berechtigt uns das noch lange nicht zu rechtlich-moralischer Überheblichkeit, ganz abgesehen davon, daß wir nicht wissen können, wie wir selber uns in einem System bewährt hätten, das seine Menschen total in den sozialistischen Anspruch nahm. Solche Systeme sind allemal ein gutes Beispiel für die Verführbarkeit des Menschen und über die wollen wir heute, am Tag Ihrer Vereidigung, nachdenken. Eine Eidesleistung unter Berufung auf die höchsten Werte, die eine Gesellschaft wie auch der einzelne, der den Eid ablegt, erkennt, ist ja immer eine Verpflichtung, eine Gewissensbindung, eine Impfung gegen die Versuchung, solche Werte zugunsten von persönlichen Vorteilen finanzieller und emotionaler Art mit Füßen zu treten.
Wenn wir uns das einmal anhand der beiden genannten Beispiele aus der deutschen Geschichte betrachten, dann wird eines ganz deutlich: Das ganz große Unrecht ist selten oder nie von der Verfassung oder den Gesetzen abgedeckt. Die Nazi-Diktatur machte zwar von Rechts wegen einen Unterschied zwischen arischen und nichtarischen Staatsangehörigen, doch es gab meines Wissens kein Gesetz, das die Mißhandlung oder gar Tötung von Juden und anderen als Schädlinge betrachteten Menschen erlaubt hätte. Alle Beamten, die im Dritten Reich vereidigt wurden, konnten sich bei diesem Unrecht nicht auf einen Treueid berufen, der sie zu diesem Tun verpflichtet hätte. Doch muß man einräumen, daß die Verpflichtung auf einen Führer und eine Partei alle möglichen Entwicklungen ermöglichte. Dies konnte bei der fatalen Neigung der meisten Menschen zu bedingungslosem Gehorsam, soweit es sie selbst nichts kostet, von den Machthabern entsprechend ausgenutzt werden. In der roten Diktatur waren die Dinge schon etwas schwieriger. Hier lag bei der Vereidigung die Betonung ganz deutlich auf der sozialistischen Rechtsordnung, wenn auch die Regierung mitgenannt wurde. Die Partei blieb beim Eid außen vor. Unrecht war hier kaum rechtlich gedeckt. Zwar wissen wir, daß Ulbricht persönlich Todesurteile schon vor dem Gerichtsverfahren verfügt hatte, doch stehen wir generell vor die Schwierigkeit, daß die Rechtsverletzungen, die Mißachtung des geschriebenen Rechts eher beim Vollzug als bei den die Politik bestimmenden Personen nachgewiesen werden kann. Die Verführung zu praktikablen Gesetzesverstößen geschah weiter unten: Grenzsoldaten wurden bei der Schießausbildung instruiert, daß natürlich Warnschüsse vorgeschrieben seien, man aber notfalls auch den zweiten oder dritten Schuß als Warnschuß ausgeben könne, es müsse nur die Zahl der verschossenen Patronen stimmen. Die ausgesprochene oder unausgesprochene Erwartung, zugunsten der Interessen dieses Staates das Recht zu brechen, wurde meist erfüllt und das Gift dieses Unrechts hat den Staat zersetzt, wir nehmen es heute mit Erschrecken wahr.
Sie werden heute auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Baden-Württemberg vereidigt. Die Verführung, diesen Eid zu verletzen, liegt in unserem Staat eher in der Person des Vereidigten selbst. Die Erwartung zu ungesetzlichem Handeln wird an Sie wohl nicht herangetragen werden – und wenn doch (man weiß ja nie, was in den vor Ihnen liegenden mehr als vierzig Dienstjahren alles auf Sie zukommt), wenn man eines Tages doch einmal will, daß Sie Ungesetzliches tun, dann sagen Sie Nein! Und berufen sich auf Ihren Eid, den Sie heute schwören. Dazu braucht es Mut und eine gefestigte Persönlichkeit. Doch die brauchen Sie schon, um gegen die Versuchungen des kleinen Unrechts gewappnet zu sein. Dem Unrecht, das Ihrer Bequemlichkeit oder Ihren Vorurteilen entgegenkommt. Im Klartext: Wer betont langsam zum Einsatz fährt, nur weil der Hilferuf aus einer Asylbewerberunterkunft kommt, und er ohnehin der Meinung ist, daß Asylbewerber raus gehören, der praktiziert Unrecht und bricht seinen Eid. Wer auf einen festzunehmenden Bürger mehr als notwendig einschlägt, wir alle haben das Video aus Los Angeles gesehen, der hat seine eigene Menschenwürde preisgegeben und sich mit Folterern und Totschlägern auf eine Stufe gestellt. Aber wer den Bürger gegen Übergriffe schützt und ihm den gesetzlichen Bewegungsspielraum verschafft, den wir Innere Sicherheit nennen, der befindet sich auf dem Wege des Rechts, gebe Gott, daß es auch der Weg zur Gerechtigkeit ist.
Ich wünsche Ihnen Gottes Segen für Ihren Lebensweg.
Gott möge Sie leiten und schützen.
Er bewahre Sie vor Überheblichkeit
und gebe Ihnen Mut, Ausdauer und Weisheit, dem Unrecht zu wehren.
Dierk Schäfer Biberach, den 8. Mai 1992
Und da wir gerade beim Jahr 1992 sind: Mein Rückblick im Weihnachtsgruß an die Polizei in meinem Aufgabenbereich fiel entsprechend aus: [zum Vergrößern: Strg + drücken oder ansehen bei: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8136579421/ + https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8136616464/ ]
Fußnoten
[1] „Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß’ Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“ http://www.zeit.de/news/2017-01/18/parteien-die-hoecke-rede-von-dresden-in-wortlaut-auszuegen-18171207
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article161318995/Dresdner-Richter-preist-oeffentlich-die-NPD-und-Hoecke.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Gestern-NSU-heute-Amri-3604524.html
[4] Sie rief „in Einigkeit und Patriotismus zum gemeinsamen Bundestagswahlkampf auf, um die letzte Chance zu nutzen und das System zu stürzen“. http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-rede-in-dresden-afd-spitze-ruegt-hoecke-aber-kein-parteiausschluss/19289098.html
photo: dierk schäfer
68er-bashing
Florentine Fritzen beteiligt sich heute (14.4.09) in der Frankfurter Allgemeinen am zur Zeit beliebten Mobbing gegen die 68er Generation. Sie beklagt, wohl zu recht, daß die Dreißigjährigen ohne Visionen seien, so der Titel ihres Kommentars auf der ersten Seite. Insbesondere für Soziales seien die jungen Leute von heute nicht mehr aufgeschlossen, gar nicht im Blick sei es. Was haben die 68er damit zu tun? Ganz einfach: Sie haben sie erzogen. Und wie? „Die Visionen der Schüler in den neunziger Jahren waren Kopien der Visionen der Achtundsechziger-Generation. Wenn im Unterricht wieder einmal diskutiert wurde, wußten die Lernenden ganz genau, was die Lehrer zum Beispiel über Rechtsextremismus hören wollten. Die Schüler der neunziger hatten begriffen, daß ihre Erzieher unter Selberdenken das Nachplappern der immer gleichen Phrasen verstanden.“ Und für das Selberdenken gab es später im Studium auch keine Zeit. Da haben wir’s. Hätten die jungen Leute beizeiten selber gedacht, hätten sie nicht die offensichtlich falsche Denke ihrer 68er–Lehrer über den Rechtsextremismus nachgeplappert, sondern … ja, was denn sonst, Frau Fritzen?
Im Wirtschaftsteil der heutigen FAZ, auch im Kommentar auf der ersten Seite in der rechten Ecke, liest man zum Thema Zeitarbeit, daß die Wirtschaft im Konjunkturverlauf atmen können müsse, Einatmen, das sind Einstellungen, und zum Ausatmen muß man entlassen können. Dafür sind Zeitarbeiter gut. Nach der Krise kann die Wirtschaft sie ja wieder einatmen. „Soziales Engagement gehört für junge Akademiker nicht mehr zum Katalog der Anforderungen“, schreibt Frau Fritzen. Ja, wie denn auch?
Bleibt auch die Logik auf der Streck,
Die Mittel heiligt hier der Zweck.
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