Ein lesenswerter Beitrag zum Erhalt der „Odenwaldschule“
Hier nur das Resümee: »Eine Schule unter dem Namen Odenwaldschule kann im Interesse zukünftiger Schülergenerationen keine Genehmigung bekommen. … klar muss eigentlich auch sein, dass eine Schule dort nur nach einer ordentlichen Zäsur betrieben werden kann. … [Die] Expertise [der Betroffenen der Odenwaldschule] ist für andere Schulen und Einrichtungen extrem wertvoll, sie sollten aber nicht direkt „Odenwaldschule” machen wollen. … Falls und wenn dort Schule gemacht wird, dann muss dies eine Neugründung sein, die eine zwei- bis dreijährige Schliessung des Schulbetriebs und eine anständige Vorbereitung voraussetzt. … Letztlich steht diese offizielle Aufklärung immer noch am Anfang, sie hat eigentlich nie stattgefunden. Eine vor dem Abgrund, als Kontinuum gerettete Odenwaldschule macht diese Aufklärung unmöglich. Abseits vom unwiderruflich bestehenden Interesse und Anspruch der Betroffenen auf eine angemessene und schonungslose Aufklärung, wäre es gerade für die pädagogische Zunft, wie auch die Aufsichtsbehörden selbst, mehr noch aber für künftige Schülergenerationen insgesamt wichtig, dass wir durch eine offizielle Untersuchungskommission erschliessen, wie es zu Fehlentwicklungen dieses Ausmasses über einen solch langen Zeitraum – über Jahrzehnte – kommen konnte und welche Rolle die Behörden selbst dabei gespielt haben. Das ist nicht einmal ansatzweise geleistet.«[1]
[1] http://netzwerkb.org/2015/05/17/zur-rettung-der-odenwaldschule/
„Die Reformpädagogik ist von jeher eine Pädagogik der schönen Rede.“
»Die Reformpädagogik ist von jeher eine Pädagogik der schönen Rede. Die wohl größte Tradition, welche die Zunft entwickelt hat, ist die der horriblen Beschreibung der herrschenden Schule – der Presse, Anstalt, Paukschule und welche Begriffe da immer erfunden wurden. Dieser Karikatur der schwarzen Staats-Pädagogik stellen Reformpädagogen gerne die rosaroten Schilderungen ihrer achtsamen Schulen entgegen, die – angeblich – kein Kind beschämen.« Sollte man weiterlesen.[1]
[1] http://netzwerkb.org/wp-content/uploads/2014/12/Bibliothek-für-Bildungsgeschichtliche-Forschung_28.11.2014.pdf s. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Wyneken
Die Reformer und Reformpädagogik
Heute schreibt Heike Schmoll in der FAZ über Das Nest der Bildungsaristokraten. Da tauchen Namen auf, die in Zusammenhang mit dem heute gesendeten Film über die Odenwaldschule interessant sind.
- Hellmut Becker, bei Wiki lesen wir: »Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 9. August 2011, dass der Schulleiter der Odenwaldschule Gerold Becker unter dem persönlichen Schutz von Hellmut Becker stand. Hellmut Becker habe von den pädophilen Neigungen seines Schützlings gewusst und ihm dennoch zum Schulleiterposten verholfen. In der ZEIT vom 18. August 2011 wird von Robert Leicht dazu ausgeführt, dass Hellmut Becker den nicht mit ihm verwandten Gerold Becker zum Schulleiter gemacht habe, obwohl er wusste, dass dieser sich an seinem Patensohn vergangen hatte.«[1]
- Georg Picht, »Seine Mutter war Greda Picht, die Schwester von Ernst Robert Curtius, der auch Pichts Patenonkel war. Sein Vater Werner Picht war u. a. Abteilungsleiter im preußischen Kulturministerium und Publizist zu Themen der Erwachsenenbildung. Zum Freundeskreis der Familie zählten Albert Schweitzer, Eugen Rosenstock-Huessy und Charles Du Bos.«[2]
- Über Picht kommt man zum Birklehof in Hinterzarten, ein Musterbeispiel für Reformpädagogik. Dort stößt man auch auf den Namen Hartmut von Hentig. Wiki schreibt »Im Zusammenhang mit den 2010 bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule war von Hentig als langjähriger enger Freund Gerold Beckers, des als Haupttäter beschuldigten ehemaligen Leiters dieser Schule, öffentlicher Kritik ausgesetzt.[3] + [4]«
Zurück zu Picht und zum Birklehof: »Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Schule am 7. Januar 1947 wieder eröffnet, auf Wunsch von Wendelstadt mit Georg Picht als Schulleiter. … 1955 trat Picht von der Schulleitung zurück, da die von ihm zu Beginn seiner Tätigkeit angekündigten 10 Jahre Schulleitung vorüber waren. Er wurde Vorstandsvorsitzender im Schulverein. … Als im Jahr 2010 Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule im hessischen Heppenheim untersucht wurden, mit der der Birklehof in den 1940er- und 1950er-Jahren zusammen an einer Reform der Oberstufe gearbeitet hatte, unternahm die Leitung des Birklehofs ebenfalls Nachforschungen in diese Richtung. Dabei wurden Anschuldigungen gegen einen örtlichen Mediziner laut, der über Jahrzehnte Sprechstunden im Birklehof abgehalten hatte und dabei Mädchen und Jungen missbraucht haben soll. Daneben wurde von einem gewalttätigen Lehrer berichtet sowie von drei Lehrkräften, die infolge sexueller Belästigung in den 1950er-Jahren entlassen worden seien. … Die rund 160 im Internat lebenden Schüler kommen zu 40 % aus Baden-Württemberg, die übrigen aus allen Teilen Deutschlands und dem Ausland; dazu rund 70 externe Schüler aus den umliegenden Gemeinden. Das Schulgeld für die internen Schüler beträgt rund 2600 € pro Monat. Ähnlich der Schule Schloss Salem, aus der der Birklehof 1932 hervorging, bedingen die Kosten eine Zusammensetzung der Schülerschaft aus vorwiegend wohlhabenden Familien.«[5]
Und jetzt ganz zurück zum Artikel von Heike Schmoll, in dem uns die protestantische Bildungselite aus den Anfängen der Bundesrepublik begegnet: »Ihren späteren Mann Werner Picht hatte Greda als Freund ihres Bruders Robert schon in Straßburg kennengelernt. Während ihrer Ehe berichtet Greda ihrem Mann freimütig über ihre außerehelichen Verhältnisse, während er ihr als Soldat in Frankreich von einer jungen Geliebten erzählt und ihr rät, ihre Freiheit nicht weniger auszukosten. Dieser Aufforderung hätte es kaum bedurft, denn offenbar sei Franz Rosenzweigs Einschätzung vom „großen allgemeinen Liebensmanschepanscheozean“ nicht völlig aus der Luft gegriffen gewesen. Im privaten Bereich seien solche offenen Beziehungen auch kein Problem, wohl aber, wenn sie auf Institutionen wie Internate mit Familienprinzip übertragen würden, gab Löwe-Bahners zu bedenken«[6]. [Hervorhebung ds]
Soviel als Nachlese zu den Auserwählten und der anschließenden Diskussion bei Anne Will.
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Hellmut_Becker
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Picht
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Hartmut_von_Hentig
[4] Der unterzeichnete eine mehr als problematische Todesanzeige für Gerold Becker: https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/07/15/und-wandle-neu-belebt-und-jung-%E2%80%A6/
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Birklehof
[6] FAZ Mittwoch, 1. Oktober 2014, S. N 3, HEIKE SCHMOLL
Perverse Phantasien unter dem Deckmantel der reformierten Lehre
Perverse Phantasien unter dem Deckmantel der reformierten Lehre
»Darum bekommen wir nun mit „Die Auserwählten“, fiktional auf den Punkt gebracht und dramaturgisch zugespitzt, eine – wenn auch nur vage, mehr wird nie möglich sein – Ahnung davon, welches Leid es verursacht, jenen ausgeliefert zu sein, die unter dem Deckmantel der reformierten Lehre ihre perversen Phantasien auslebten. [1]«
Der Film scheint interessant zu sein. Die Missbraucher an der Odenwaldschule hatten mit ihren Reformvorstellungen einen ideologischen Überbau, an den sie vielleicht sogar selbst geglaubt haben, soweit sie keine Zyniker waren.
Wie steht des mit den kirchlichen Einrichtungen? Für die Gewalt gab es einen solchen Überbau, für die Demutserziehung auch. Beides spricht gegen den Überbau. Für den Missbrauch gab es jedoch keinen.
Wie vielleicht beides zusammenhängt, zumindest im Kopf der Täter, wäre die Frage. Doch die ist diffiziler und kaum spielfilmtauglich.
Noch einmal in den Odenwald.
- In welcher Höhe ist die Odenwaldschule am Fonds für Mißbrauchsopfer beteiligt?
- Was sagen die Ideologen der Reformpädagogik, die von gestern und die von heute, zu der Verbindung von „Reform“ und Mißbrauch? Die Traueranzeige[2], mit unterzeichnet vom Reformpädagogen Hartmut von Hentig[3] dürfte ja eher ein Grund sein, auf dieser Frage zu beharren.
[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/film-zum-missbrauchsskandal-an-der-odenwaldschule-13028071.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/07/15/und-wandle-neu-belebt-und-jung-%E2%80%A6/
Und wandle neu belebt und jung …
Todesanzeigen werden normalerweise nicht kommentiert; doch sie sind eher eine Information für die Öffentlichkeit als nur Trauerarbeit der Hinterbliebenen.
Am 7. Juli starb der ehemalige Leiter der Odenwaldschule. Dieser Tod wurde bedauert und betrauert. Bedauert von vielen ehemaligen Schülern seiner Schule, denen es wichtig war, daß der Schulleiter persönlich Stellung nimmt zu den gegen ihn erhobenen Mißbrauchsvorwürfen.
Betrauert wurde dieser Tod, wenn man eine Traueranzeige als Ausdruck von Trauer nehmen darf, von den Unterzeichnern der Anzeige. So weit, so gut. Gut, weil es verständlich ist, daß für Familienangehörige und Freunde die persönliche Beziehung zum Verstorbenen und damit die Trauer im Vordergrund stehen.
Doch dieser Todesanzeige ist ein Motto vorangestellt, das man vielleicht der Familie zubilligen mag, nicht aber einem Unterzeichner, der als der Reformpädagoge Deutschlands gilt und der bis heute sich nicht angemessen zu den Mißständen an der Schule geäußert hat, die seinen Reformvorstellungen von Schule wohl am ehesten entsprach. Es wäre auch ein Wort zur Alltagstauglichkeit seiner Reformvorstellungen zu erwarten.
Das Motto ist „gut“ ausgesucht:
„Die Feinde, die bedrohen dich,
Das mehrt von Tag zu Tage sich;
Wie dir doch gar nicht graut!“
Das seh’ ich alles unentwegt,
Sie zerren an der Schlangenhaut,
Die längst ich abgelegt.
Und ist die nächste reif genug,
Abstreif’ ich die sogleich,
Und wandle neu belebt und jung
Im frischen Götterreich.
Goethe
Die Anzeige erschien am 12. Juli 2010 in der FAZ.
Mir scheint, mit dieser Anzeige wird den Opfern des Schulleiters noch eine lange Nase gedreht.
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