Zum „Zwischenbericht“ des Runden Tisches
Zum „Zwischenbericht“ des Runden Tisches
Der ganze Komplex des Zwischenberichtes besteht aus mehreren Teilen.
Nicht eingehen möchte ich auf den ersten, den „Entwurf“. Der war nicht öffentlich, und es muß möglich sein, einen Entwurf intern zur gemeinsamen Abstimmung kursieren zu lassen, ohne daß er öffentlich detailliert kritisiert wird, auch nicht im Nachhinein.
Für die hier besprochenen Teile beziehe ich mich als Quelle auf die drei nachstehend genannten Links.
1. Der offizielle Zwischenbericht
http://www.gewalt-im-jhh.de/Aktuelles_von_der__an_die_oder/RTH_Zwischenbericht.pdf
Dieser Bericht hat für mich zwei wesentlich unterschiedliche Teile,
die Abschnitte 1-7 und
der Abschnitt 8: »Zusammenfassung und Ausblick«.
2. Hinzu kommt die Pressekonferenz mit der Vorstellung des Berichts durch Dr. Antje Vollmer und dem Zusatzvotum von Sonja Djurovic:
http://de.sevenload.com/sendungen/Top-TV-im-OKB/folgen/iC47wnY-Zwischenbericht-Teil-1
3. Die anschließende Diskussion:
http://de.sevenload.com/sendungen/Top-TV-im-OKB/folgen/UM0RAot-Zwischenbericht-Teil-2
Nach dem Prinzip „es gilt das gesprochene Wort“ lege ich meinen Schwerpunkt auf meine Eindrücke von der Präsentation des Berichts durch Frau Dr. Vollmer.
Das Positive vorweg: Ich sah und hörte eine Vorsitzende, die in der Darstellung der Arbeit des Runden Tisches integer wirkte und ein in den meisten Details gutes Arbeitsergebnis präsentierte, dies in einer Weise, die mir deutlich machte, daß Frau Dr. Vollmer sich nicht auf die bloße Abhandlung eines Themas beschränkt, sondern bemüht ist, die Befindlichkeiten der ehemaligen Heimkinder zu respektieren. Sehr positiv fand ich, daß sie wichtige Details des Berichts vorstellte, insbesondere, und das gilt auch für die Schriftform des Berichts, die Zitate aus den Eigenberichten der ehemaligen Heimkinder, die nun endlich eine offizielle Würdigung erfahren und hoffentlich geeignet sind, die heute Verantwortlichen in den Organisationen nicht nur zu beschämen, sondern zu Entschädigungsmaßnahmen zu veranlassen. Im Klartext: Ich sehe hier eine legitime Nötigung, endlich tätig zu werden.
Positiv auch die vielen Ergebnisse, die die Erfahrungen der ehemaligen Heimkinder und die „Qualität“ der Heimerziehung bestätigen, eine Qualität, die um so erschreckender ist, als es offenbar auch viele Heime gab, die es anders und besser machten. Dies sind öffentliche Festlegungen des Runden Tisches, die den Weg zu Entschädigungslösungen bahnen (sollten), zumal gesagt wurde: »Es gab Verantwortlichkeiten«, »Kontrolle wurde in der Regel nicht wahrgenommen«.
Und zum Schluß wurde immerhin nicht nur von immaterieller, sondern auch von materieller Rehabilitation gesprochen.
Der Runde Tisch hat mit seinem Bericht endlich, endlich die Öffentlichkeitsarbeit geleistet, die ihm, wäre sie eher gekommen, zumindest die Massivität des Mißtrauens erspart hätte, die ihm in nachvollziehbarer Weise von Beginn an entgegenschlug und deren Funktionsweise ich bei der Anhörung am 2.4.09 vorgetragen habe (siehe: https://dierkschaefer.wordpress.com/2009/04/05/anhorung-runder-tisch-2-april-2009/ – doch das war tauben Ohren gepredigt).
Was hat gefehlt?
Die genannte Basis von 450 Heimkinderberichten hätte der Erklärung bedurft. Was ist mit der Vielzahl von Berichten, die bei verschiedenen anderen Anlaufstellen und bei den Forschungsprojekten abgeliefert wurden? Hat man sich darum bemüht? Sind sie Teil der 450? Der Runde Tisch muß sich vonseiten der ehemaligen Heimkinder kontrollierbar machen!
Es gab zwar eine nachvollziehbare Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und erzwungener Arbeit, so daß verständlich ist, warum der Runde Tisch den Begriff Zwangsarbeit nicht übernehmen wird. Unverständlich ist, daß die Firmen, die von der erzwungenen Arbeit profitiert haben, nicht – zumindest als Gruppe – genannt werden, um klarzustellen daß sie für die unterbliebene Sozialversicherung der betroffenen Heimkinder verantwortlich sind und man sie zur Kasse bitten wird. Diese Arbeitgeber (und die Heime), die damals sehenden Auges von den Ausbeutungsarbeitsverhältnissen der Abhängigen profitiert haben, sollten doch in einem Zwischenbericht bereits wenigstens Erwähnung finden. Immerhin gibt es auch ehemalige Heimkinder, die massive gesundheitliche Schäden am Arbeitsplatz erlitten haben. (Zum Thema „Arbeitserziehung“ werde ich demnächst noch im Blog schreiben.)
Ich fand auch keinen Hinweis auf die vielfach berichtete medikamentöse Ruhigstellung und deren (wohl fehlende) vormundschaftsgerichtliche Anordnung. Auch lag dem Runden Tisch anscheinend nicht der Bericht des Heimkindes vor, an dem in der Tübinger Psychiatrie Menschenversuche vorgenommen wurden. Man hört auch von der Erprobung neuer Medikamente an Heimkindern. Wie steht es damit?
Schaut man schließlich in die Zusammenfassung muß man feststellen, daß sie Folgerungen aus den harten Fakten der vorangegangen Kapitel weitgehend vermeidet. Hier ist alles sehr vage und unverbindlich. Wäre die Pressekonferenz nicht gewesen, hätte ich unterstellt, daß der Runde Tisch darauf setzt, daß meist nur die Zusammenfassung gelesen wird.
Insgesamt frage ich mich, wozu der Runde Tisch diesen zeit- und ressourcenaufwendigen Umweg gehen mußte, um schließlich, immerhin in Absetzung von der enthüllenden Zielvorgabe der damaligen Familienministerin, doch zu sagen: »Eine Fondslösung ist nicht ausgeschlossen.« Die Fondslösung hat mit guter Begründung bereits die Abgeordnete Künast in ihrer Dissertation vorgeschlagen.Auch ich habe bei der Anhörung eine differenzierte Fondslösung angeregt. Angesichts der juristischen Probleme, die der Runde Tisch bei den rentenrechtlichen Fragen und dem Problem der Verjährung sieht, hätte man Fondslösungen schon lange ansteuern können. Warum der Umweg? Warum der nur zaghafte Hinweis, diese Lösungen würden »nicht ausgeschlossen«?
Kurz noch zum mir bekannten Teil der Befragung auf der Pressekonferenz.
Vorweg: Als ehemaliger Tagungsleiter kenne ich das Problem, wenn Beiträge aus dem Publikum zu lang geraten oder gar zum Co-Referat ausufern, und ich hätte wohl nicht anders als Frau Dr. Vollmer manchem Teilnehmer das Wort schließlich entzogen. Hier wird aber ein Bedarf sichtbar, nämlich daß sich der Runde Tisch auch öffentlich den Fragen von ehemaligen Heimkindern und ihren fachkundigen Begleitern stellen muß. Wer immer hinter verschlossenen Türen tagt, darf sich nicht wundern, wenn die Betroffenen ihre Fragen auch öffentlich erörtert und beantwortet haben möchten. So fehlte die Antwort auf den Vorschlag, die Kirchen zu bitten, auf die Verjährungseinrede zu verzichten. Wenigstens die Zusage hätte kommen müssen, diesen Punkt mit den Kirchen gründlich zu erörtern. Und wenn ein Rechtsanwalt einen Fall vorträgt, der dem Runden Tisch anscheinend bekannt ist, und beklagt, daß seine Mandantin nicht an den Runden Tisch eingeladen wurde, dann hätte man – bei allem Datenschutz – doch eine Erklärung hören wollen, oder die Vorsitzende hätte ihn ausreden lassen sollen.
Das Angebot, der Runde Tisch werde Betroffenen helfen, auch gegen Widerstand Akteneinsicht zu erhalten, hätte diesem bei einer Eröffnungsveranstaltung zu Beginn der Arbeit des Runden Tisches gut angestanden. Man wird wohl nie erfahren, wie viele Akten clam-heimlich seit Bekanntwerden der Problematik noch vernichtet wurden.
Die Vorsitzende erklärte, das Zeitfenster des Untersuchungsraumes ermögliche eine »exemplarische« Aufarbeitung. Darf man das so verstehen, daß sich Heimkinder mit zeitlich abweichenden Daten oder aber aus Heimen, die keine Erziehungsheime waren, ganz einfach auf den Runden Tisch und seine Ergebnisse berufen dürfen, um analoge Kompensationen zu erhalten?
Interessant war, wie bedeckt sich der Regierungsvertreter und auch der nicht „die Länder“ vertretende Landesvertreter verhalten haben. Das sieht deutlich nach Widerstand gegen jede kostenträchtige Empfehlung des Runden Tisches aus. Es wird klarzustellen sein, daß die staatlichen Organe, unabhängig von dem föderalen und kommunalen Verantwortungsdschungel in erster Reihe der Verantwortlichen stehen. Der Staat, in welcher Form auch immer, muß die Rechtsnachfolger der Mit-Täter und ihrer Organisationen in die Mitverantwortung nehmen – und in die Mitfinanzierung der Entschädigungskosten. Der Staat muß dafür sorgen, daß es nicht zu vergleichbarer Peinlichkeit kommt wie bei der Zwangsarbeiterentschädigung, als man sich – hier war es die Industrie – lange und zum Teil erfolgreich um die Verantwortung gedrückt hat. Der Verweis der Vorsitzenden auf die Rücksicht, die man auf die Lösungen für andere Opfergruppen nehme müsse, verheißt ohnehin nichts Gutes, nämlich eine Lösung, die noch schäbiger ist als die für die Zwangsarbeiter.
Schließlich ein Wort zu den Vertretern der ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch der Pressekonferenz. Frau Djurovic scheint die einzige gewesen zu sein. Wo waren die anderen? Hat der VeH doch Recht mit seinem Vorwurf, daß die ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch nicht gut vertreten sind.
Mit Erstaunen hörte ich übrigens, daß die Vertreter der ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch anscheinend kein Budget für kleinere Auslagen bekommen haben, sondern z.B. ihr Porto selber finanzieren müssen. Wenn das stimmt, handelt es sich entweder um falsche Bescheidenheit, auf jeden Fall aber um Mißachtung der Heimkindervertreter durch den Runden Tisch. Den Heimkindern sitzen ohnehin nicht nur Personen gegenüber, die einen „Apparat“ im Hintergrund haben, sondern auch ihre Kosten abrechnen können.
Vor dem Runden Tisch liegt nun noch ein Jahr anstrengender Arbeit, und vor den ehemaligen Heimkindern ein weiteres Jahr des Wartens. Es wäre konstruktiv, wenn der Runde Tisch mehrere Lösungsszenarien erarbeitet, damit nicht noch mehr Zeit ins Land geht und noch mehr Heimkinder eine Entschädigung nicht mehr erleben. Anscheinend will man Gesetzesänderungen (Rentenrecht, OEG) anregen. Das wird dauern und ist nur glaubwürdig, wenn die danach möglichen Ansprüche rückwirkend gelten und auch vererbbar sind.
(siehe https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/01/03/auf-der-langen-bank-freeze-now/ )
Wenn nicht parallel zur Prüfung von Gesetzesänderungen eine Fondslösung vorbereitet wird, wird die Angelegenheit vollends unglaubwürdig. Ich komme mir ja mittlerweile merkwürdig vor, wenn ich immer wieder auf meine Verfahrensvorschläge verweise. Aber ich halte sie weder für überholt, noch für überhaupt wahrgenommen und diskutiert. Bitte kein Mißverständnis: Ich bin nicht der Meinung, daß es nur so und nicht anders geht. Aber ich darf erwarten, daß sich der Runde Tisch, der mich zur Anhörung vorgeladen hatte, sich erkennbar mit den Vorschlägen auseinandersetzt. (siehe: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/05/verfahrensvorschlage-rt2.pdf
Ein Punkt gehört noch angesprochen: Die Zukunft der ehemaligen Heimkinder in Alters- und Pflegeheimen. Hier liegt eine Möglichkeit, über die Entschädigung für Zwangsarbeiter hinauszugehen, ohne diese zu diskriminieren. Wird es den ehemaligen Heimkindern ermöglicht werden, die Endphase ihres Lebens unter Berücksichtigung ihrer Vorbelastungen angstfrei und menschenwürdig zu verbringen, nachdem vielen die Kindheit und Jugend auf verbrecherische Weise und mit Langzeitwirkung verkorkst wurde?
PS: Sympathisch fand ich natürlich den Hinweis von Frau Dr. Vollmer, daß der Runde Tisch seine Heim-Rundreise während der Buß- und Bettags-Woche gemacht hat. Wenn ich auch nicht viel Zuversicht in die Handlungsbereitschaft der Kirchen mehr habe, darf ich doch an meinen Bußaufruf an die Kirchen erinnern.
Soweit Sie es noch nicht getan haben: Unterzeichnen Sie die Petition!
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