Dierk Schaefers Blog

Die Behörden setzten noch am Montag Seelsorger ein, um Angehörige und Nachbarn zu betreuen[1]. – Wo kommen die bloß her, die Seelsorger?

Posted in BRD, Christentum, Deutschland, Ethik, Gesellschaft, heimkinder, kirchen, Kultur, Leben, Politik, Seelsorge, Soziologie, Staat, Theologie by dierkschaefer on 21. November 2018

 

Notfallseelsorger stellen die Kirchen bereit. Sie arbeiten aus innerer Berufung nebenberuflich und schreiben keine Rechnungen.

Die Kirchen stehen zurzeit massiv unter Druck – und das mit Recht. Zu schwer wiegen die Verbrechen von Misshandlungen und Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen, zu schwer wiegt der mafiöse Zusammenhalt bei der Vertuschung dieser Verbrechen, zu widerlich sind die Abwehrmaßen von berechtigten Entschädigungsleistungen. Das ist die eine Seite, die mich enorm bedrückt und verärgert. Kirche sollte anders sein.

Die andere Seite verärgert mich nur. Für manche ist Religosität als solche ein Ärgernis Die wollen nicht – auch nicht passiv – davon Kenntnis nehmen und halten schon die Erkenn­bar­keit von religiösen Einstellungen für eine Provokation. Natürlich gehören religiöse Zeichen nicht in Diensträume, es sei denn, es handelt sich um Zeugnisse aus der architektonischen Geschichte dieser Baulichkeiten. Doch ich vermute, so manchen Zeitgenossen steht auch dort der Sinn nach Bildersturm analog zur französischen Revolution.

Apropos: die „laïcité negative“ in Frankreich[2] gilt diesen Leuten als erstrebenswertes Vorbild, wenn sie sich dort auch als spezielles Integrationshindernis für Muslime erwiesen hat.[3] Erst kürzlich hat Prof. Zulehner „Das Kopftuchverbot in Schulen – eine religionspolitische Falle“ genannt[4], und er hat Recht damit.

Nun zu den oben genannten Seelsorgern. Wer von den radikalen Religionskritikern über­nimmt denn solche Aufgaben? Ich rede jetzt nicht von den Sozialkonzernen der Kirchen, die finanzieren sich selbst, was ja auch in Ordnung ist. Nein, ich meine die polunbezahlten[5] – und wohl auch unbezahlbaren Dienste der Kirchen und ihrer Pfarrer an die Einzelnen in Not: Telefonseelsorge, Notfallseelsorge, dazu gehören auch die Polizeiseelsorge[6]

und ökumenische Gottesdienste zu staatlichen Trauer­anlässen. All dies erfolgt, von möglichen Ausnahmen abgesehen, ohne missionarische Absichten. In unserem Buch über „Polizisten im Umgang mit Trauer und Tod“[7] haben wir einen Anwendungsfaden[8] zur „Überbringung von Todesnachrichten“ veröffentlicht und in aller Selbstverständlichkeit auch den Umgang mit Angehörigen muslimischen Glaubens berücksichtigt.

Nun meine Frage: Wo bleiben sie denn, die seelsorglichen Dienste unserer Kirchen- und Religionskritiker? Oder ist schon diese Frage eine Provokation, weil von einem Pfarrer gestellt?

Unterstützung bei diesen Aufgaben könnten wir gut gebrauchen. Wir bekommen sie bereits für die Notfallseelsorge von den Einsatzkräften in Feuerwehr und anderen Sozialdiensten mit Blaulicht. Die nehmen unsere Zusammenarbeit und die Ausbildungsangebote der kirchlichen Notfallseelsorger gerne an. Wohl kaum jemand von ihnen träumt allerdings davon die Kirchen auszuradieren.

Fußnoten

[1] Die Frage stellt die FAZ gar nicht erst in ihrem heutigen Artikel über vier Tote „nach mutmaßlicher Beziehungstat in Jena.“ Auch die FAZ geht davon aus, dass die Seelsorger einfach parat stehen. Meldungen dieser Art gibt es fallbezogen mit gewisser Regelmäßigkeit.

[2] Dierk Schäfer, Laizismus als Lösung vieler Probleme? https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/01/28/laizismus-als-losung-vieler-probleme/

[3] »Die Ausgangsfrage war jedoch die Einbindung von Religion in Staat und Gesellschaft. Im Unterschied zu Frankreich werden in Deutschland die Ressourcen der Konfessionen vom Staat genutzt. Dass sich dies nicht immer zum Vorteil der Kirchen und ihrer Einrichtungen ausgewirkt hat, habe ich in meiner Rezension zu „Himmelsthür“ dargelegt[10]. Zu dieser „hinkenden Trennung von Staat und Kirche“[11], wie die Fachleute den Zustand bei uns nennen, gibt es viel zu sagen, wie schon vielfach auch in diesem Blog geschehen, kritisches wie positives. … generell läßt sich wohl sagen, dass Christen sich in diesem Staat gut aufgehoben erleben und Mitspracherecht haben. Es wäre ein Fortschritt, wenn das auch die Muslime so sehen könnten, die sich an die staatlichen Gesetze halten – und das ist die überwiegende Mehrzahl. Aber nur so läßt sich der Islam in unsere plurale Gesell­schaft einbinden und nur so wird die Umma[12] auch der clamheimlichen Sympathie mit Gewalttätern aus ihrer Mitte den Nährboden entziehen können. Frankreich mit seiner laïzistischen Staatsreligion hat das nicht geschafft. Es ist übrigens lehrreich und geradezu erheitend zu lesen, wie die Trinität von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in Anlehnung an das religiöse Vorbild sich herausgebildet hat.[13] Man meint aber, die muslimisch erzogenen Kinder der Banlieue mit noch mehr staatsbürgerlichem Patriotismus fesseln zu können. Doch sie sind die Kinder „D’OUTRE MER“[14] und pfeiffen auf die Marseillaise.« — Die hier auftauchenden Links sind nachzulesen in: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/02/01/laizismus-als-losung-vieler-probleme-anscheinend-nicht-hatte-ich-argumentiert/

[4] https://zulehner.wordpress.com/2018/11/19/das-kopftuchverbot-in-schulen-eine-religionspolitische-falle/

[5] Letztlich werden sie über die vielbeklagte Kirchensteuer bezahlt, die auch auf der Abschussliste steht, wobei die meisten nicht wissen, dass der Staat für die Dienstleistung des Kirchensteuereinzugs bezahlt wird, und zwar höher, als es inzwischen, in Zeiten der elektronischen Datenverarbeitung angemessen ist.

[6] Emblem der Kirchlichen Arbeit in der Polizei.

[7] Dierk Schäfer, Werner Knubben, … in meinen Armen sterben?, Polizisten im Umgang mit Trauer und Tod – Zwischen Hilflosigkeit und Routine, Hilden 19962, S. 299f

[8] Dieser Anwendungsfaden wurde als sehr hilfreich empfunden und als Faltblatt „Erste Hilfe – Letzte Hilfe, Sie haben eines Todesnachricht zu überbringen“ in großer, für uns nicht mehr überschaubarer Zahl nachgedruckt. Wir hatten der Landespolizeidirektion Tübingen das © überlassen.