Keine rentenrechtliche Anerkennung von Zwangsarbeit
»Unter Zwang geleistete Arbeit von Heimkindern könne nicht als Beitragszeit in der Rentenversicherung anerkannt werden.«[1]
Als positiv ist hervorzuheben, dass hier gerichtlich überhaupt der Gedanke geäußert wird, es könne in Kinderheimen Zwangsarbeit gegeben haben. Ein Gedanke, den die vorurteilsbehaftete „Moderatorin“ des Runden Tisches, Antje Vollmer, gescheut hat, wie sprichwörtlich der Teufel das Weihwasser, um einen Vergleich zu wählen, der für eine Theologin passend erscheint.
»Nach Auffassung des Landessozialgerichts ist es zwar glaubhaft, dass die Klägerin zu verschiedenen Arbeiten herangezogen worden ist, wenn auch der genaue Umfang auch unter Berücksichtigung von bereits bestehenden Beweiserleichterungen nicht mehr aufklärbar ist. … Weder habe aber nach damaligem Recht eine echte versicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen, noch habe es Beitragszahlungen des Heimes gegeben, noch sei ein Arbeitsverhältnis vereinbart worden. Nach damaliger Anschauung sei das Prinzip der Erziehung durch Arbeit vorherrschend gewesen. Heimkinder haben nicht in einem auf den freien Austausch von Arbeit und Lohn gerichteten Verhältnis gestanden. Was die Klägerin im Rahmen ihrer Unterbringung erhalten habe (Kost/Logis, Bekleidung, Taschengeld), stelle sich daher nicht als (beitragspflichtiges) Arbeitsentgelt dar. Ob das Kinderasyl Gundelfingen seinerzeit Personal eingespart oder die Arbeit der Klägerin gewerblich für Dritte genutzt habe, sei nicht aufklärbar gewesen, hätte aber auch nicht zur Versicherungspflicht geführt. … Eine rentenrechtliche Berücksichtigung dieser Zeiten sei nach der gegebenen Rechtslage nicht möglich und damit Sache des Gesetzgebers.«[2]
Was wir dem Urteil entnehmen können:
- Kinder als Schutzbedürftige konnten sich der schutzpflichigen Einrichtung dem als Arbeitstherapie getarnten Zwang nicht widersetzen. Wenn das Gericht meint: Heimkinder haben nicht in einem auf den freien Austausch von Arbeit und Lohn gerichteten Verhältnis gestanden, so ist das ein Hohn. Speziell diese Kinder waren rechtlos ihren Einrichtungen ausgeliefert, die sie rücksichtlos wirtschaftlich zur Kostendeckung und Gewinnerzielung ausgebeutet haben. Die Arbeitstherapie war in kirchlichen Einrichtungen zudem religiös verbrämt; manche Erzieher werden selber daran geglaubt haben. Selbstverständlich bekamen die Kinder weder einen Lehrlings-, noch Arbeitsvertrag. Das wäre nachteilig für die Einrichtungen gewesen – bis heute! Da Sozialgerichte nur aufgrund bestehender Gesetzeslage urteilen können, sind ihnen die Hände gebunden, damalige Menschenrechtsverletzungen (Zwangsarbeit gehört dazu) als solche anzuerkennen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, meint auch das Gericht. »Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages habe zwar im Jahr 2008 hinsichtlich der Möglichkeit der Beitragsnachentrichtung für Arbeit während der Heimunterbringung ein Tätigwerden des Gesetzgebers angeregt.«[3] Doch dieser schläft den Schlaf des Ungerechten.
- Die Beweislage ist schwierig. Doch die Behandlung der Entschädigungsleistungen für Homosexuelle (§ 175) weist einen Ausweg: Per Eidesstattlicher Erklärung sollen sie Entschädigungen beanspruchen können. Die sind allerdings in einer Höhe gehalten, die den ehemalige Heimkinder vertraut vorkommen dürfte: In Deutschland gibt es (fast) nichts für Opfer. „Du Opfer!“
- Der Hinweis auf den Runden Tisch von Frau Vollmer und die in der Folge geöffnete rudimentäre Anerkennung von Rentenzeiten ist selbst rudimentär. Seit Jahren ist die Anerkennung gleicher Vorgänge in Einrichtungen für Kinder mit Behinderung überfällig. Auch von dort wurde Zwangarbeit glaubhaft berichtet.
Und sollte sich der Gesetzgeber, das Bundesparlament, aufraffen, die Gesetzeslage zugunsten der Opfer zu verbessern, so werden sich gewiss im Bundesrat Rat und Widerstand dagegen finden.
[1] https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA170303535&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
[2] wie Anmerkung 1
[3] http://rsw.beck.de/aktuell/meldung/lsg-baden-wuerttemberg-keine-rentenrechtlichen-beitragszeiten-fuer-ehemalige-heimkinder-wegen-zwangsarbeit
Anhörung Runder Tisch, 2. April 2009
Anhörung am Runden Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“
Berlin, Donnerstag, 2. April 2009 Dierk Schäfer
Ohne Auftrag von dritter Seite und in meiner freien Zeit bin ich freiwillig zu dieser Anhörung erschienen. Ich habe auch weder die Absicht noch die Aussicht auf irgendeine Honorierung meines Beitrages.
Ich bin Pfarrer der evangelischen Landeskirche Württemberg, seit Februar dieses Jahres im Ruhestand. Mit Heimkindern bin ich in Kontakt seit meiner ersten Kriegskindertagung an der Evangelischen Akademie Bad Boll im Jahr 2000. Neben einigen persönlichen Kontakten gibt es viele per Telefon und eMail. Manche Gespräche nehmen zuweilen seelsorgerlichen Charakter an. Hierbei dürfte auch meine langjährige Beschäftigung mit Traumatisierungen und der Notfallseelsorge eine Rolle gespielt haben. Aufgrund dieser Kontakte und einiger schriftlicher Äußerungen im Internet zur Heimkinderproblematik haben einige ehemalige Heimkinder gefordert, mich an den Runden Tisch zu berufen. Dies ist nicht erfolgt. Mein heutiger Beitrag geschieht lediglich im Rahmen einer Anhörung.
Für diesen Beitrag haben den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Runden Tisches die Texte „Verfahrens-vorschläge-RT“ und „Rueck-Sicht“ als handout vorgelegen. Sie stehen in Zusammenhang mit diesem Bericht. Die „Verfahrensvorschläge“ sind eine anläßlich der Anhörung leicht überarbeitete Fassung eines Vorläufertextes, mit ergänzenden Fußnoten und zwei integrierten Anlagen.
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