Dierk Schaefers Blog

Es geht nicht um das Ob von Medikamentenversuchen an Kindern und Jugendlichen, denn daran besteht kein Zweifel. Es geht um das Ausmaß – und das soll verheerend sein.

Sich darüber empören? Wer hat noch die Kraft dazu?

Also listen wir ganz nüchtern auf: Berichte von ehemaligen Heimkindern über verabreichte Medikamente zur Ruhigstellung gab es schon lange, auch zu Zeiten des Runden Tisches unter der betrügerischen Moderation von Frau Vollmer. Doch der ging es eher um den Schutz der Kassen von Staat, Kirchen und Auftraggebern für Kinderarbeit. Sie hätte ja einen Forschungsauftrag geben können, um auch diese Hintergründe zu erhellen. Gibt es nun eine neue Runde für den Runden Tisch? Keine Angst, hier gibt niemand eine Runde aus. Man gibt sich „beschämt“[1] und entschuldigt sich[2] – ja, wie üblich, reinigt man sich selbst von Schuld. Das wars aber noch nicht ganz, denn man bietet großzügig Hilfe an – und lässt die eigene Geldbörse zu: „Wir wollen allen Bewohnern der ehemaligen Rotenburger Anstalten helfen, ihre berechtigten Ansprüche bei der Stiftung Anerkennung und Hilfe geltend zu machen.“ Auch solche billigen Zusagen sind den Lesern dieses Blogs bekannt.

Sich darüber empören? Wer hat noch die Kraft dazu? Es ist nur die nächste Runde in einem Spiel mit gezinkten Karten.

[1] Alle Zitate aus: http://www.rotenburger-rundschau.de/lokales/rotenburg-wuemme/rotenburger-werke-arbeiten-duestere-seite-der-geschichte-auf-von-dennis-bartz-113730.html

Es gibt noch einen Link zum Vorfall, doch der ist kostenpflichtig: http://www.abendblatt.de/region/niedersachsen/article205793077/Wurden-Medikamente-an-Bremer-Heimkindern-getestet.html Das Geld kann man sich sparen, gibt ja ohnehin nichts Neues.

[2] „Der christliche Anspruch und die Wirklichkeit klafften damals weit auseinander. Ich entschuldige mich bei allen Bewohnern für das Leid und das Unrecht, das ihnen angetan wurde.“

Mit einer Stiftung kann man stiften gehen

Posted in Firmenethik, Geschichte, Kinder, Kinderheime, Kinderrechte, Kindeswohl, Kirche by dierkschaefer on 28. Oktober 2015

Was haben Atomkraftwerkbetreiber mit einer diakonischen Einrichtung gemeinsam? Die Einrichtung einer bad bank, wie es die Banken in der Finanzkrise getan haben. Allerdings hat man einen honorigen Namen dafür gefunden: Stiftung. Das klingt besser und hat denselben Zweck: Man lagert die kostenträchtigen Altlasten aus.

So anscheinend auch die Rotenburger Werke[1].

Werke im kirchlichen Jargon sind mildtätige Einrichtungen. Man sollte besser von Sozialkonzernen sprechen. Sie verhalten sich auch wie Konzerne. Manche Konzerne haben „Altlasten“, so auch die Sozialkonzerne. Die stören im Auftritt wie in der Bilanz und müssen entsorgt werden. Eine elegante Methode für diese Aktion ist die Wahl eines Namens, der nicht nur unverdächtig ist, sondern zum humanitären Anstrich solcher Einrichtungen passt. Ein bissel was kosten darf der Vorgang schon. Doch die Kosten müssen niedrig gehalten werden und vor allem kalkulierbar bleiben. Eine Stiftung mit dem Namen „Anerkennung und Hilfe“ scheint ideal für solche Zwecke, – zielführend nennt man das heute.

»Von Juli 2016 an soll rund 80000 Betroffenen, die als Kinder und Jugendliche in deutschen Behindertenheimen misshandelt worden sind, über die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ eine finanzielle Entschädigung in Aussicht gestellt werden. Auch die Rotenburger Werke haben sich der Initiative von Bund, Ländern und Kirchen im September angeschlossen.«[2]

Wer wird da meckern? Na, die üblichen Verdächtigen.

»Den hiesigen Mitgliedern des Vereins ehemaliger Heimkinder geht diese Ankündigung nicht weit genug. „Junge Menschen, die in den Rotenburger Anstalten betreut werden sollten, mussten dort unter vielfältiger Gewalt leiden. Schlimmer noch, an ihnen wurden von Ärzten und Betreuern Vergehen und Verbrechen verübt“, heißt es in einer Presseerklärung. Die einzige konkrete und direkte Hilfe, die die Leitung der Rotenburger Werke in dieser Situation den Betroffenen anbiete, bestehe aber in der Bereitschaft, sie bei der Antragstellung bei der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ zu unterstützen. Das sei nicht akzeptabel: „Es ist das offensichtliche Bestreben der Leitung der Rotenburger Werke, die eigene Verantwortung für die Betroffenen aus ihrer Einrichtung an diese Stiftung abzugeben.“ Grundsätzlich sei anzumerken, dass die künftige Stiftung keine Entschädigung zahle, sondern es gehe um „Anerkennung durch Geldleistungen“.«

Und ohnehin: eine finanzielle Entschädigung soll in Aussicht gestellt werden, – wie schön, wie unverbindlich.

Was haben Atomkraftwerkbetreiber mit einer diakonischen Einrichtung gemeinsam? Mehr als man sich vorgestellt hat.

[1] http://www.rotenburger-werke.de/

[2] Zitate aus: https://www.kreiszeitung.de/lokales/rotenburg/rotenburg-ort120515/entschaedigung-ueber-stiftung-unzureichend-deklassiert-abgeschoben-5690818.html Dienstag, 27. Oktober 2015

Scheinheiliger geht es nicht

Posted in heimkinder, Kinderrechte, Kindeswohl, Kirche by dierkschaefer on 8. Oktober 2015

Es fehlen nur noch die Krokodilstränen, wenn Thorsten Tillner[1], der Finanzvorstand der Rotenburger Werke[2] beteuert: »„Wir dürfen Einzelfälle gar nicht entschädigen.“ Grund dafür sei, dass das Non-Profit-Unternehmen aus Steuergeldern finanziert wird und der satzungsgemäßen Verwendung der Steuergelder verpflichtet ist.«[3] Aber man will ja durchaus entschädigen: »Um Betroffene aber gerecht zu entschädigen, werde man sich an der Stiftung beteiligen, diese würden die „individuellen Ansprüche der Opfer abwägen“. Wenn man Einzelnen finanzielle Leistungen zukommen lasse, so Tillner, „käme das einer Bewertung der unterschiedlichen Schicksale gleich. Dies steht uns nicht zu“.«

Da kommt fast Mitleid auf mit dem armen Mann, dem die Hände dummerweise gebunden sind. Er wäre gut, anstatt so roh, doch die Verhältnisse, die sind nicht so. Er darf gar nicht anständig sein.

Diese Absage an menschliche Verantwortung gegenüber einzelnen Geschädigten sollte zum Entzug der Gemeinnützigkeit einer Sozialfirma führen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, sagt man. Wo ein Widerwille ist, findet sich allemal ein Grund, Wege nicht zu beschreiten. Der Verweis auf eine längst fällige Stiftung ist pure Ausrede. Außerdem: Wie will Herr Tillner Zahlungen an eine Stiftung mit der „satzungsgemäßen Verwendung der Steuergelder“ in Einklang bringen? Oder sieht die Satzung schon Folgekosten für gesetzwidrige Medikamentierungen vor?

Ein Blick auf die freie Wirtschaft: VW wird Milliarden zahlen müssen für seinen gezielten Betrug. Man hätte als gemeinnützige Einrichtung der Diakonie firmieren sollen mit eng begrenzten Buchungsmöglichkeiten. Dann hätte man für Schadensfälle ganz einfach keinen ordentlichen Topf für Entschädigungen gehabt.

Man merke: Massive Fehlmedikamentierung an Kindern ist offensichtlich weniger gravierend als Betrugsprogrammierung von Motoren.

Hier noch der Podcast zum Fall: http://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=3&audioID=369916&state

[1] http://www.rotenburger-werke.de/meldung/konsequente-geschichtsaufarbeitung.html

[2] http://www.rotenburger-werke.de/ http://www.diako-online.de/

[3] Zitate nach: https://www.kreiszeitung.de/lokales/rotenburg/rotenburg-ort120515/gerd-schnakenwinkel-fordert-entschaedigung-ehemalige-heimkinder-5606335.html