Posted in Uncategorized by dierkschaefer on 11. August 2021
„Sehr geehrter Abt Barnabas – Sie ermessen nicht die Überlebensinteressen einiger, die fünf Jahre oder länger andauernde sexuelle und physische Exzesse des benediktinischen Personals und anderer Täter wie durch ein Wunder überlebt haben.“
Bisher kannte man nur die „überirdischen“ Missbräuche à la Odenwaldschule im Kloster Ettal, die an den Internatsschülern, diese meist aus „besseren Häusern“. Doch das Kloster hat auch einen Keller. Dort ging es wahrhaft unterirdisch zu: sadistische Sexverbrechen an Heimkindern, also Kinder mit nicht so gutem Rückhalt ihrer Elternhäuser. Diese „Verteilkinder“ wurden unterschiedlichen Einrichtungen zugeteilt, so auch dem Kloster Ettal. Dort verbrachten sie ihre Ferien in den Kellerverließen und waren frei zugänglich für die klerikalen Missbrauchstäter. Die kamen auch extra angereist. Das Pädophilennetz funktionierte.
Gestern kamen in der Sendung „Report München extra“ neue Dimensionen des Missbrauchs an die Öffentlichkeit[1]. Wird es eine Fortsetzung geben?
Das Kloster Ettal jedenfalls mauert. Nun wird versucht, dem Abt auf die Sprünge zu helfen. Ich zitiere zwei Mails.[2]
Das erste Mail, vom 26. Juli 2021:
„Sehr geehrter Abt Barnabas,
am Montag, nach dem Erscheinen des Beitrages in der SZ vom 30.1.2021 suchten Sie über Herrn Jörg Jägers Kontakt zu unserer Gruppe.[3] Zustande kam am Dienstagnachmittag, dem 2. Februar, ein kurzes Telefonat von fünf Minuten, Ihre Worte dabei sind in etwa so zu resümieren:
Wenn die Betroffenen sich vorstellen könnten, dass von einem Gespräch mit Ihnen eine für sie heilende Wirkung ausgeht, dann seien Sie zu diesem Gespräch bereit.
Sie machen die Wirkung dessen, was Sie „Heilung“ nennen, vom guten Willen und der Bereitschaft der zu Heilenden abhängig. Die in Ettals Kellern Missbrauchten und Gefolterten bedürfen der Heilung, die Sie anbieten. Ein großartiger, von Demut zeugender Gedanke: Der gute Wille der Opfer und der Glaube an Ihre heilenden Worte führen zum happy ending. Ich war zunächst baff und ließ mir von Herrn Jörg Jägers nochmals den Wortlaut bestätigen.
Weitere Punkte, die Jörg Jägers noch ansprechen wollte, waren nicht zu besprechen.
Sie haben Ihre Botschaft verkündet und beendeten das Gespräch. Ein weiterführender Dialog und Meinungstausch lagen wohl nicht in Ihrer Absicht.
Sie sind sich offenbar nicht darüber im Klaren, wie Ihr Heilungsangebot bei den drei Missbrauchten angekommen ist. Warum in einem Klosterkeller gefolterte und getriggerte Menschen Energie und den Willen und Bereitschaft mobilisieren sollen, sich der heilenden Wirkung Ihrer Worte zu überlassen, bleibt Ihr Geheimnis. Ich gratuliere Ihnen zu dem starken Glauben an die Kraft Ihrer Worte. Die Empörung, die sie angesichts eines solchen Angebots verspürten, können Sie wohl nicht nachvollziehen. Es sei denn, es war anders und Sie wollten nur provozieren.
Zumindest stellt sich noch eine grundsätzliche, tiefgründigere Frage: Kann man Menschen, die an Selbstüberhöhung und/oder Hybris der Demut leiden, ebenfalls einer heilenden Wirkung zuführen? Verwirrt die frische Bergluft die Wahrnehmung oder führt sie in lichte Höhen, denen andere nicht folgen wollen? Anders gefragt: Brauchen Sie nicht selber Beistand?
Seit Februar sind Sie auf Tauchstation, von Ihnen keine Impulse. Der Verdacht verstärkt sich: Sie reagieren nicht, Sie wollen es aussitzen. Stattdessen verbreiten Sie, verführt von Ihrem Wahrnehmungsbedürfnis, erstaunliche Ansichten über die Interessen unserer Gruppe, darunter die Behauptung, es gehe uns nur um den schnöden Mammon.
Mit dieser Behauptung haben Sie nur ins Blaue gezielt, aber nicht ins Schwarze getroffen. Die Rolle des Geldes in dieser causa einzuschätzen überlassen Sie uns, gegen Ihre öffentlichen Spekulationen dazu verwahren wir uns.
Sie ermessen nicht die Überlebensinteressen einiger, die fünf Jahre oder länger andauernde sexuelle und physische Exzesse des benediktinischen Personals und anderer Täter wie durch ein Wunder überlebt haben. Wir reden von den drei uns bekannten Überlebenden, deren Schicksal wir dokumentiert haben. Von den anderen, die außerdem noch in den Ettaler Klosterverliesen gefangen, sexuell und physisch missbraucht wurden und inzwischen verstorben sind, ganz zu schweigen. Oder denen, die noch so traumatisiert sind und neben sich stehen (man nennt es: dissoziiert) und sich nicht melden werden. Mit entsprechender Abrichtung und Zuarbeitung des Paritätischen Heimpersonals und transportierender Nonnen haben sich Mönche Ihres Klosters in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in schändlicher Weise an diesen drei und noch anderen vergangen. Ein Gemeinschaftswerk, eine Kooperation zwischen weltlicher und kirchlicher Institution zur Vermehrung von Geld und Lust. Immer wenn die Kloster-Zöglinge nicht verfügbar waren, wurden Heimkinder herbeigeschafft, übrigens nicht nur während der Ferien. Gerne auch zu hohen christlichen Feiertagen.
Stattdessen wollen Sie die Überlebenden mit Ihrem Segen erquicken und, ganz entscheidend, bevor Gespräche stattfinden, wollen Sie vorab mit ihnen ein Friedensfest feiern: „Heile heile Segen“. Wie im Kinderreim. Lasset uns von Eurer Versöhnung mit Uns sprechen, bevor wir Euch Teilhabe an Unserer Verantwortung und Schuld gewähren. Denn unser Eingeständnis an Schuld und Verantwortung ist Gnade. Seid dankbar. Ist Ihnen nicht bewusst, dass es ankommt wie ein christlicher Reflex zur Vermeidung von größeren Ausgaben?
Sind die Opfer eingestimmt worden, verstärkt dies den Segen und schont die Kassen. So die benediktinische Kalkulation: Kinder schänden, Zeit schinden, Kassen schonen – geht nur mit Versöhnungskonzil.
Weiteres zu Ihrem Verdacht, es gehe ums Geld. Die Sache mit dem Mammon bedarf weiter gehender Klärung.
Dabei und zunächst spielt das Wieviel durchaus eine Rolle. Diesmal geht es nicht um die Söhne der bayerischen Eliten, deren spätere Biografien von den mönchischen Abartigkeiten zur Genüge determiniert waren, Sie kennen ja die IPP-Studie[4] und das der Studie vorausgegangene Buch der beiden SZ-Autoren Stadler und Obermeyer („Bruder, was hast du getan?“[5]). Die Ex-Ettaler, missbraucht und gedemütigt und gezeichnet für den Rest ihres Lebens, aber ganz anders aufgefangen und eingebettet, sind meist gestützt durch Abstammung, Wohlstand und Privilegien ihrer Familien. Davon kann im Falle der Heimkinder aus Feldafing keine Rede sein. Die treiben alleine durchs All und konnten durch Herrn Jörg Jägers und mich zumindest ihre Sprachlosigkeit überwinden.
Die finanzielle Leistung des Klosters an seine ehemaligen Internatszöglinge hat meinem Empfinden nach bestenfalls symbolischen Charakter. Die gezahlten Beträge (je 7.000,00 €? Oder auch weniger?) drücken diesen Symbolismus adäquat aus.
Dass das Kloster diesmal in einer anderen Verantwortung steckt, die zumindest finanziell über den oben geschilderten Symbolgehalt hinaus reicht, ließe sich ohne Mediatoren vermitteln. Dass unbeschadet der Höhe des geleisteten Betrages eine Versöhnungserwartung aber nicht bedient werden kann: Diese Kröte müssen Sie schlucken. Auch wenn Sie persönlich keine Schuld haben, als Abt tragen Sie Verantwortung. Das Kloster soll zahlen, basta. Keine Zahlungsbedingungen. Keine Umarmungen vor Kameras. Keine Instrumentalisierung der Interessen der Täterorganisation durch die Medien. Punkt. Es gibt vergebungslose Taten. Trost möge man sich bei Gott holen, nicht bei den Opfern. Das ist stillos.
Dieses Mail werde ich zunächst nicht öffentlich verwenden, erwarte aber von Ihnen eine zeitnahe Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Vladimir Kadavy“
Abt Barnabas hat nicht geantwortet. Nun ist die Schonfrist um.
Das zweite Mail, 11. August 2021:
„Sehr geehrter Abt Barnabas,
Sie haben auf mein … Mail vom 26. Juli des Jahres nicht reagiert. Auch auf weitere Aufforderungen zu antworten sind Sie nicht eingegangen. Unsere Recherchegruppe, bestehend aus Herrn Jörg Jägers und mir, hatte Ihnen außerdem das Angebot gemacht, die von uns erarbeiteten und recherchierten Materialien zu den Missbräuchen an Heimkindern, die in den Klosterkellern geschahen, vorzulegen. Auch darauf erfolgte keine Reaktion. Damit haben Sie entschieden, dass dieses Mail nun seinen Weg in die Öffentlichkeit nimmt. Weitere Versendungen werden noch erfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Vladimir Kadavy“
Dierk Schäfer: Das muss ich nicht weiter kommentieren.
Nachtrag: Ich Nichtbayer wurde darauf hingewiesen, dass es sich nicht um den Tegern-, sondern um den Starnberger See gehandelt hat. Wie es zu der Verwechslung kam, weiß ich nicht. Vielleicht, weil ich Tee-Trinker bin, ein Tee-gern-Seer.
[1] Ein Netz von Missbrauchern & Nutznießern / Kinder wurden zum Missbrauch weitergereicht / ritueller Missbrauch / das System Feldafing / nach der Kirchweih durfte sich jeder Priester rund um den Tegernsee einen Buben mitnehmen. – Was nicht zur Sprache kam war die sorgfältige Auswahl opfertauglicher Kinder und ihre sadistisch-sexuelle Zurichtung für weitere Missbräuche. Wir erfuhren nichts über die Rolle des Jugendamtes München und den Träger der Einrichtung in Feldafing. Aber das kommt wohl noch.
[2] DS: Die Klarnamen habe ich nur beim Adressaten und beim Absender stehen lassen. Die Fußnoten habe ich hinzugefügt.
[3] Es handelt sich um eine private Recherchegruppe (der Staat macht hier bisher nix). Sie besteht überwiegend aus Missbrauchsopfern. Ihre Aussagen wurden protokolliert und einigen Medien zur Verfügung gestellt. Daraus resultierten die Beiträge in der SZ.
Die Unfähigkeit zu trauern haben wir nicht noch nicht überwunden. Das Entschuldigungsgestammel, ein Begriff von Helmut Jacob, ist nur die Camouflage dieser Unfähigkeit. In der Heimkinderfrage finden wir die Unfähigkeit auf beiden Seiten[1]. Doch die ehemaligen Heimkinder sind exkulpiert, denn die einen können in ihrer Empörung, die anderen in ihrer Scham keinen Trauermodus finden. Die Täterseite hingegen könnte, wenn sie wollte. Dafür bedarf es jedoch mehr als bloße Rituale, auch mehr, als die Beauftragung wissenschaftlicher Untersuchungen – denn die Opfer leben noch. In wenigen Tagen endet die Frist für einen Teil der Opfer auf Antragstellung für Hilfeleistungen mit entwürdigenden Prozedere.
Die Verbrechen sind nicht einfach gleichzusetzen. Den Begriff der Unfähigkeit zu trauern hat Alexander Mitscherlich geprägt – und ein paar Parallelen gibt es doch:
»Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beauftragten ihn 1946 die Ärztekammern der drei Westzonen mit der Leitung einer Kommission zur Beobachtung der „NS-Ärzteprozesse“ in Nürnberg. Er bekam den Auftrag, „alles zu tun, um den Begriff der Kollektivschuld von der Ärzteschaft in der Presse und in der Öffentlichkeit abzuwenden“. Der Kommission gehörten neben Mitscherlich noch fünf weitere Personen, darunter Alice von Platen-Hallermund und sein Mitarbeiter Fred Mielke (1922−1959), an. Im März 1947 erschien die Prozess-Dokumentation Diktat der Menschenverachtung: Der Nürnberger Ärzteprozeß und seine Quellen in einer Auflage von 25.000 Exemplaren. In der Mitscherlich allerdings, erschüttert von den Grausamkeiten, von denen er in den Prozessen erfahren hatte, über die Verbrechen deutscher Mediziner in den Konzentrationslagern berichtete. Der ursprüngliche Plan, einen Bericht in Deutsche Medizinische Wochenschrift (DMW) zu veröffentlichen, war an der Ablehnung der Redaktion gescheitert. Die Broschüre Diktat der Menschenverachtung: Der Nürnberger Ärzteprozeß und seine Quellen wurde in der DMW und anderen Ärzteblättern nicht erwähnt. Auch in der sonstigen Presse fand die Broschüre fast keine Erwähnung.
1949 erschien das Buch Wissenschaft ohne Menschlichkeit: Medizinische und Eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg über die NS-Ärzteprozesse, in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. „1960 erinnert sich Mitscherlich: ‚[…] Nahezu nirgends wurde das Buch bekannt, […] Es war und blieb ein Rätsel – als ob das Buch nie erschienen wäre.‘ Über das Schicksal des Buches herrscht bis heute Unklarheit. Mitscherlich vermutete, es sei von den Ärztekammern […] ‚in toto aufgekauft‘, denn alle Exemplare seien ‚kurz nach dem Erscheinen aus den Buchläden‘ verschwunden“. „Alexander Mitscherlich war seitdem freilich aus den medizinischen Fakultäten Deutschlands ausgegrenzt; […] er [wurde] nie an eine medizinische Fakultät berufen. Als er berufen wurde, war es die Philosophische Fakultät der Frankfurter Universität“. 1960 erschien die Prozess-Dokumentation aus dem Jahr 1949 mit dem Titel Medizin ohne Menschlichkeit erneut. Von dieser wurden bis 1996 119.000 Exemplare gedruckt, welche große Resonanz fanden. Im Buch sprach Mitscherlich von 350 Medizinverbrechern unter 90.000 Medizinern im Reich
Um seine Erschütterung auch philosophisch zu verarbeiten, brauchte er 20 Jahre, bis er zusammen mit seiner Frau Margarete 1967 Die Unfähigkeit zu trauern veröffentlichte.«[2]
»Ein Schuldbekenntnis der Deutschen kam spät. Erst 100 Jahre nach der Schlacht am Waterberg bat die damalige SPD-Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul die Nachfahren der überlebenden Herero mit christlichen Worten „um Vergebung unserer Schuld“. Eine Wortwahl, die keine Konsequenzen forderte. Denn wirtschaftliche Interessen der Bundesrepublik scheinen die Einordnung der Geschehnisse bis heute zu überschatten: Obgleich Historiker den Krieg mehrheitlich als Völkermord einstufen, hat sich die Bundesregierung dem noch nicht angeschlossen. Auch eine offizielle Entschuldigung blieb weiterhin aus. Beides könnte, so befürchtet man offenbar in Berlin, Forderungen nach Entschädigung begünstigen«[1].
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