Dierk Schaefers Blog

Sie haben Recht: Man darf die Menschen nicht überfordern.

Posted in heimkinder by dierkschaefer on 10. Oktober 2010

Ich nehme den Kommentar von Herrn Jacob

https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/10/07/wohl-nicht-nur-in-niedersachsen/#comments als Anlaß für einen Beitrag an dieser Stelle:

 

Lieber Herr Jacob,

 

vielen Dank für Ihre umsichtige Beschreibung der Anforderungssituation vieler ehemaliger Heimkinder. Sie haben Recht: Man darf die Menschen nicht überfordern.

Dennoch rief mir Ihr Beitrag den Namen Björn Steiger in Erinnerung. Ich erlebte Siegfried Steiger vor inzwischen rund 30 Jahren bei einer Tagung. Mein Kollege hatte mich auf ihn vorbereitet mit den Worten: Er hat sein Kind bei einem Unfall verloren, weil der Rettungswagen erst nach einer Stunde eintraf. Und nun hat er eine Stiftung mit dem Namen seines Sohnes gegründet, mit der er Rettungstelefone an der Straße installiert und dann den Staat nötigt, die Folgekosten zu übernehmen. Heute habe ich einmal nachgeschaut, was aus der Björn Steiger Stiftung geworden ist und mit Vergnügen gelesen, daß die Grundidee immer noch wirkt zum Wohle und zur Sicherheit vieler Menschen.

http://www.steiger-stiftung.de/

Die Geschichte der abgesenkten Leitplanken-Enden ist ähnlich. Auf eigene Kosten experimentierte ein Vater mit Leitplanken. Sein Sohn war bei einem Unfall regelrecht aufgespießt worden. Der Vater brauchte mehrere Jahre, um die trägen Behörden zu überzeugen.

Sie haben Recht, Herr Jacob: Man darf die Menschen nicht überfordern. Aber wer die Herausforderungen annimmt und über den engen Rahmen persönlicher Betroffenheit hinauswächst, der ist besser dran. Der Schweizer Schriftstelle Ludwig Hohl hat das sehr treffend ausgedrückt:

 

Das Unglück allein

ist noch nicht das ganze Unglück;

Frage ist noch,

wie man es besteht.

Erst wenn man es schlecht besteht,

wird es ein ganzes Unglück.

Das Glück allein

ist noch nicht das ganze Glück.

Ludwig Hohl

aus Dierk Schäfer, Werner Knubben, … in meinen Armen sterben?

VDP-Sachbuch, Hilden 1996, 2. Auflage, ISBN 3-8011-0345-5

 

Die ehemaligen Heimkinder haben einen Anspruch auf Kompensation für ihr von anderen schuldhaft beschädigtes Leben. Ich wiederhole mich, wenn ich schreibe, daß selbstredend die Zwangsarbeit finanziell anerkannt werden muß, egal mit welcher rechtlichen Konstruktion, und auch über Therapiekosten (und freie Arztwahl) sollte man nicht länger diskutieren müssen. Der Posten „Schmerzensgeld“ sollte wenigstens bei sozialer Bedürftigkeit anständig behandelt werden können.

Jedoch für die Themen Alten- und Pflegeheime, Umgang mit Schutzbefohlenen wäre es nicht zuletzt für die Befindlichkeit der ehemaligen Heimkinder vorteilhaft, die eigene Betroffenheit als Ausgangspunkt für allgemeine Veränderungen zu nehmen. Wir brauchen Strukturverbesserungen durch bessere Ausbildung und Bezahlung des Personals, durch Supervision und eine Heimaufsicht, die außerhalb der Heimträger angesiedelt ist und mit viel Fingerspitzengefühl die Situation in den Heimen positiv mitgestaltet, Fingerspitzengefühl, weil auch das Heimpersonal „nur“ Menschen sind, und die Heimbewohner, seien es Kinder oder Alte, zuweilen eine Überforderung darstellen. Ähnlich ist es in den Familien: zuweilen sind wir überfordert und reagieren falsch.

Posted in News, Uncategorized by dierkschaefer on 15. April 2009

68er-bashing

Florentine Fritzen beteiligt sich heute (14.4.09) in der Frankfurter Allgemeinen am zur Zeit beliebten Mobbing gegen die 68er Generation. Sie beklagt, wohl zu recht, daß die Dreißigjährigen ohne Visionen seien, so der Titel ihres Kommentars auf der ersten Seite. Insbesondere für Soziales seien die jungen Leute von heute nicht mehr aufgeschlossen, gar nicht im Blick sei es. Was haben die 68er damit zu tun? Ganz einfach: Sie haben sie erzogen. Und wie? „Die Visionen der Schüler in den neunziger Jahren waren Kopien der Visionen der Achtundsechziger-Generation. Wenn im Unterricht wieder einmal diskutiert wurde, wußten die Lernenden ganz genau, was die Lehrer zum Beispiel über Rechtsextremismus hören wollten. Die Schüler der neunziger hatten begriffen, daß ihre Erzieher unter Selberdenken das Nachplappern der immer gleichen Phrasen verstanden.“ Und für das Selberdenken gab es später im Studium auch keine Zeit. Da haben wir’s. Hätten die jungen Leute beizeiten selber gedacht, hätten sie nicht die offensichtlich falsche Denke ihrer 68er–Lehrer über den Rechtsextremismus nachgeplappert, sondern … ja, was denn sonst, Frau Fritzen?

Im Wirtschaftsteil der heutigen FAZ, auch im Kommentar auf der ersten Seite in der rechten Ecke, liest man zum Thema Zeitarbeit, daß die Wirtschaft im Konjunkturverlauf atmen können müsse, Einatmen, das sind Einstellungen, und zum Ausatmen muß man entlassen können. Dafür sind Zeitarbeiter gut. Nach der Krise kann die Wirtschaft sie ja wieder einatmen. „Soziales Engagement gehört für junge Akademiker nicht mehr zum Katalog der Anforderungen“, schreibt Frau Fritzen. Ja, wie denn auch?

Bleibt auch die Logik auf der Streck,

Die Mittel heiligt hier der Zweck.