Dierk Schaefers Blog

Tafelgeschäfte: Almosen sind keine angemessene Kompensation für Rechte.

Posted in Gesellschaft, Menschenrechte, Soziologie by dierkschaefer on 12. April 2013

Lauter Zitate aus einem guten Artikel:

Für viele ist Hartz-IV die existentielle Entlassungsurkunde aus der Mehrheitsgesellschaft. …

Das Menschenrecht auf soziale und kulturelle Teilhabe ist offensichtlich in Deutschland ebenso beschädigt, wenn Bürgerinnen und Bürger mit Sachleistungen abgespeist werden. Almosen sind keine angemessene Kompensation für Rechte.

So charmant die Tafelidee auf den ersten Blick wirkt, so problematisch sind Tafeln. Sie sind weder sozial noch nachhaltig. Wenn Freiwillige Verantwortung in hoheitlichen Bereichen (Existenzgrundlage, Teilhabe) übernehmen, droht bei den politisch Handelnden der Sorgereflex zu erschlaffen. Durch Freiwilligkeit werden soziale Schutzfunktionen des Staates immer weiter von einer öffentlich-rechtlichen in eine privat-ehrenamtliche Sphäre verlagert. In dieser Sphäre werden Bürgerrechte durch personelle Abhängigkeiten und Schutzgarantien durch Willkür ersetzt.

So haben Tafeln für viele einen bitteren Beigeschmack, denn das dort Erlebte wiegt das Erhaltene nicht auf. Bei Tafeln haben viele das Gefühl, nicht im Mittelpunkt zu stehen, sondern eher im Weg. Tafeln sind schambesetzte Stressräume, in denen um kleinste Gaben konkurriert wird. Sozial ist das alles nicht. Sozial ist etwas, auf das ein Anspruch besteht. Almosen sind, auch bei aller Freundlichkeit und Nettigkeit, gerade nicht sozial. Letztlich sind Tafeln eine wirtschaftliche und politische, aber keine soziale Lösung. Tafeln sind nichts anderes als gesellschaftlich arrangierte Bedürftigkeit. Sie sind Verharmlosungsagenturen, die nicht für Gerechtigkeit sorgen, sondern das Bedürfnis nach Verdrängung bedienen.

Problematisch ist nur, dass die für die Lebensmittelindustrie imagefördernde und kostensparende Entsorgung von Lebensmittelüberschüssen an Tafeln weder das Überschuss- noch das Armutsproblem ursächlich löst. Die Lebensmittelkonzerne und weitere Unterstützer erkaufen sich mithilfe der liebgewonnenen Tafeln lediglich Ruhe, damit sie ihrem Kerngeschäft, der Gewinnmaximierung, nachgehen können. „Social Washing“ in Zeiten inszenierter Solidarität.

Der Boom der Tafeln zeigt, dass das soziokulturelle Existenzminimum mit der derzeitigen Mindestsicherung (ALG II/Grundsicherung) nicht gedeckt ist.

http://www.heise.de/tp/artikel/38/38915/1.html