Was erdreisten Sie sich?
Die Dreistigkeit beginnt mit einem Schreiben der Bezirksverwaltung Mainz – Rehabilitation, „VBG, Ihre gesetzliche Unfallversicherung“[1]
„Guten Tag,
vielen Dank für die Übersendung des vollständigen Urteils des Sozialgerichtes Darmstadt vom 28.06.2020 in Ihrem Verfahren zum Opferentschädigungsgesetz (OEG).[2]
Wir konnten daraus wertvolle Informationen und Hinweise zum weiteren Feststellungsverfahren der VBG als zuständigem Unfallversicherungsträger für bekannt gewordene Missbrauchsfälle in den Kirchen entnehmen.
Wir möchten Ihnen ein vertrauliches und persönliches Gesprächsangebot unterbreiten und Sie zu diesem Gespräch einladen.
Wir möchten Sie auf keinen Fall einer erneuten belastenden Befragung unterziehen und nur folgende Punkte mit Ihnen besprechen:
1. Welche Bedarfe an Unterstützung in Form von ambulanter oder stationärer Therapie/Behandlung haben Sie aktuell?
2. Sind Sie mit der Einsichtnahme der kompletten Akten des OEG Verfahrens einverstanden?
3. Sind Sie mit der Einsichtnahme der vorliegenden fachärztlichen oder psychologischen Berichte und Gutachten einverstanden?
Das Gespräch würden wir gerne im Psychotraumatologischen Zentrum für Diagnostik und Therapie in Frankfurt unter der Beteiligung und Betreuung einer sehr erfahrenen Traumatherapeutin in einem geschützten Rahmen mit Ihnen führen.
An dem Gespräch würden Frau H, Ihre persönliche Sachbearbeiterin und Herr B, Abteilungsleiter Reha der VBG Mainz teilnehmen.“
Es folgt im Originaltext die Antwort des Betroffenen[3]. Sie fällt deutlich aus, so dass ich keinen Kommentar abgeben muss.
„Sehr geehrt X XXXXXXXXX,
Sie wollten doch die Betroffenen von sexueller Gewalt nicht retraumatisieren. Das haben Sie mit Ihrem Schreiben und Vorderrungen (Bitten?) vom 08.07.2022 wohl nicht erreicht. Sie haben mich damit massivst traumatisiert. Am 11.06.2022 habe ich Ihnen das vollständige Urteil auf Ihren Wunsch hin per Mail zugesandt, wo ich sicher bin, dass Sie es erhalten haben. Das Urteil sagt alles aus, was Sie eigentlich wissen sollten und wollten. Wollen Sie mit Ihrem Schreiben die Glaubwürdigkeit von einem deutschen Gericht oder von mir hinterfragen? Sie wollen Einsicht in Unterlagen haben, die zu dem Urteil beigetragen haben. Warum? Haben Sie die Fachkräfte, die die Unterlagen verstehen können? Sie muten mir zu, dass noch mehr unbedarfte und unerfahrene Sachbearbeiter/innen in meinen Unterlagen herumschnüffeln? Hinter meinem Urteil, dass von drei Richter/innen gesprochen wurde, stehen Gutachten und Analysen, die ich nicht möchte, dass diese weitergeleitet werden, da im Urteil alles lesbar ist was Sie über meinen Fall wissen müssen. Im Urteil ist auch der GDS[4] mit 70 benannt. Mittlerweile habe ich auch einen Behindertenausweis mit einem GDB von 80.
Zu Punkt 2 „NEIN“
Für was brauchen Sie da noch eine Einsichtnahme der ärztlichen Unterlagen?
Die Einsicht in die Akten des OEG Verfahrens brauchen Sie auch nicht, denn das Ergebnis steht ja im Urteil. Ich werde demnächst 65 Jahre alt. Wollen Sie mich für den Arbeitsmarkt noch therapieren? Hoffen Sie, dass mir es besser geht?
Für was wollen Sie noch meine OEG-Unterlagen sehen? Wollen Sie herausfinden, wie hoch meine OEG-Rente beträgt?? Wollen Sie Ihre Zahlungen dementsprechend kürzen. Für die paar Kröten (ist der Ruf der VBG ruiniert………….) die Sie wahrscheinlich ausbezahlen wollen (bis jetzt nichts) werde ich mich vor Ihnen nicht nackisch machen.
Zu Punkt 3 „Nein“
Ein Gespräch im Psychotraumatologischen Zentrum für Diagnostik und Therapie in Frankfurt, ist nicht nötig und möglich, weil ich meinen bekannten Kreis nicht mehr verlassen kann und will. Ich ertrage keine fremden Menschen mehr und vermeide es deswegen öffentliche Verkehrsmitteln zu benutzen. Seit Jahren vermeide ich es mich außerhalb meines Wohnkreises zu bewegen. Außerdem sollen Personen aus Ihrem Kreis und dem Zentrum teilnehmen, die ich nicht kenne und denen ich aus diesem Grunde auch nicht vertraue. Dieses Angebot mir zu unterbreiten, betrachte ich als unsensibel und empathielos. Was haben Sie sich dabei gedacht? Ich habe im Jahr 2019 über mehrere Tage ein Gutachten fürs OEG machen lassen müssen. Warum wollen Sie 2022 noch einmal eine Begutachtung machen lassen? Für das Urteil wurde das Gutachten von 2019 herangezogen. Ich hätte dafür gerne eine Begründung von Ihnen.
Bitte teilen Sie mir mit, ob sich meine Verweigerung, trotz dass sie das Urteil haben, sich auf die Weiterverarbeitung in Ihrem Hause, sich negativ auf Ihre Arbeit auswirkt und die Auszahlung einer Rente oder anderweitige Auszahlung auswirken wird.
Welche Auszahlungsart von Ihnen beabsichtigt ist, haben Sie bis heute nicht bekannt gegeben. Wie Sie ja sicher wissen, wurde über mich Medienwirksam berichtet. Ich würde gerne den Medien berichten, dass die Weiterbearbeitung meines Antrages bei Ihnen unter der Berücksichtigung des Urteils stattfindet, oder ob Sie nur Unterlagen sammeln wollen.
Ich möchte Ihnen noch etwas mitgeben. Im Vorfeld Ihrer Entscheidung den sexuell Missbrauchten Menschen, die Jahrzehnte lang Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauches sowie Machtmissbrauches mit sich herumtragen mussten, zu helfen, haben Sie keine Trauma Therapeuten befragt sonst hätten Sie Ihr Schreiben so nicht verfasst. Sie haben Sie sich Jahrzehntelang Zeit gelassen, und jetzt bitten (fordern) sie das die Betroffenen nochmals auf, dass sie Hose runter lassen sollen. Welche perversen Forderungen kommen noch von Ihnen um sich vor einer nicht definierten Zahlung die Sie bis jetzt noch nicht bekannt gegeben haben, zu drücken. Wurden Sie von nicht kompetenten Fachleuten beraten? Hören Sie auf, wenn Sie eindeutige Unterlagen haben, wie das Urteil, mich zu retraumatisieren und teilen Sie den Betroffenen klar mit, ob Urteile von deutschen Gerichte anerkannt werden oder ob Sie über den Gerichten stehen und somit das Recht haben bevor bezahlt wird die Überlebenden nackt sehen zu wollen. Und beachten und kontrollieren Sie ob eine Weitergabe von Unterlagen, die eindeutig kinderpornografischen Inhalt haben könnten, an Sachbearbeiter/innen und andere so weitergegeben werden sollten?
Haben Sie sich nur einmal Gedanken gemacht, was die Unterlagen bei pädophilen Mitarbeiter von Ihnen auslöst? Womit ich nicht sagen will, dass Kollegen von Ihnen pädophile Neigungen haben. Aber wer weiss…….
Haben Sie das rechtlich abklären lassen ob Sie solche Unterlagen anfordern dürfen?
Und nun zum Punkt 1 Ihres Schreiben. Nein Ich habe keine therapeutischen Unterstützung. Ich war ca. 4 Jahre in Behandlung, bis die Bezahlung eingestellt wurde. 4 Jahre lang musste ich auf eigene Kosten 100 km zu meinem Trauma Therapeut fahren, da nach jahrelangem Suche im Umkreis von 50 km keiner zu finden war. Wäre ich in einem verunfallten Flugzeug gesessen, hätte ich unter 50 Therapeuten mir einen aussuchen können.
Mit einem solchen rücksichtslosen Verhalten, von der VBG hätte ich nicht gerechnet.
Mit freundlichem Gruß
xy“
Nachwort, Dierk Schäfer
„Hier ermitteln wir“, so lautet die vollmundige Ankündigung von Kay Schumacher[5][6]. Haben die Kirchenopfer einen starken Partner bekommen? Werden sie sich endlich durchsetzen können? Ist die Versicherung gar zu vergleichen mit den Engeln, die vor Gott für die Kinder eintreten?[7]+[8] Hat sie die Aufgabe einer Schutzmantelmadonna übernommen?[9]

Schumacher kündigt an: „Sexualisierte Gewalt, die an Ehrenamtlichen wie Ministranten oder Leiterinnen von Jugendgruppen verübt wurde, sollten die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland der Berufsgenossenschaft VBG melden … Denn die Versicherung könnte in vielen Fällen Therapie oder sogar eine Verletztenrente zahlen.“
Doch dann kommen Zweifel auf: Eine Versicherung, die sich danach drängt, Schäden zu bezahlen? Gibt’s denn sowas?
Nun, es könnte sein, dass sie auf eine Geldquelle gestoßen sind. Mithilfe der Geschädigten fordern sie nachdrücklich Akteneinsicht, die der Staat nicht zu fordern wagt. Mit Hilfe der Opfer könnten sie das Geld, das sie ihnen zahlen, bei den Kirchen eintreiben, mit Aufschlag für ihre Tätigkeit natürlich. Eine verdienstvolle wie verdienstträchtige Aktion – und die Kirchen haben das alles verdient. Selber Schuld!
Das Vorgehen im vorgestellten Fall zeigt jedoch, dass auch die Versicherung keine Ahnung hat von Traumatisierungen, Triggern und Retraumatisierungsgefahr. Noch dazu im konkreten Fall: Der ist gerichtlich angemessen gelöst. Will die Versicherung etwa auch von diesem Kuchen etwas abhaben? Sie muten mir zu, dass noch mehr unbedarfte und unerfahrene Sachbearbeiter/innen in meinen Unterlagen herumschnüffeln? Was erdreisten Sie sich?
[1] Datum: 8.7.202.
Alle Namen in diesem Schriftverkehr habe ich anonymisiert. Alle Fußnoten von Dierk Schäfer
[2] Meine Blogleser finden es unter: https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/11/20/oeg-urteil/
[3] Datum: 14.07.2022
[4] Gemeint ist der Grad der Schädigung (GdS), s. auch: https://www.vdk.de/ov-ka-gruenwinkel/ID159865
[5] Kay Schumacher ist Leiter der Bezirksverwaltung der VBG Bezirksverwaltung Mainz, https://www.vbg.de/SharedDocs/Adressen/DE/Kay%20Schumacher.html?nn=3358
[6] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-05/missbrauch-kirche-versicherung-sexualisierte-gewalt?utm_referrer=https%3A%2F%2Ft.co%2F, 23. Juni 2022
[7] Mt 18; 10: Sehet zu, daß ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit in das Angesicht meines Vaters im Himmel.
[8] Auf die Kirchen ist ja kein Verlass, es sei denn auf ihr Betroffenheitsgestammel und auf ihre einfallsreichen Vertuschungsmanöver. „Die Kirche braucht Hilfe, um wieder ehrlich zu werden.“ https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/05/05/die-kirche-braucht-hilfe-um-wieder-ehrlich-zu-werden/
[9] Photo Privatbesitz Dierk Schäfer
#auchdasistKirche
Soweit ich sehe, bin ich (fast) der einzige evangelische Pfarrer, der nicht nur in seinem Blog, sondern auch bei Twitter kirchenkritische Meldungen und Meinungen verbreitet. Ich verweise auf einen Beitrag in meinem Blog: https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/07/27/ecrasez-linfame-hasskommentare-meinem-blog/
Wie dort beschrieben, verstehe ich die auch hasserfüllten Postings von Menschen sehr gut, die in kirchlichen Einrichtungen durch kirchliches Personal traumatisiert wurden und deren Ansprüche nun gnadenlos auf die lange Bank geschoben werden nach dem Motto „Kinder schänden, Zeit schinden, Kassen schonen“. Wer meinen Blog liest, der sieht, dass ich mich seit rund 20 Jahren umfangreich für deren Belange einsetze.
Doch ich bin es leid, immer wieder von nicht persönlich betroffenen Leuten blanken Hass über Kirche und Religion entgegengeschleudert zu bekommen, die zumeist keine bis wenig Ahnung von Kirchen, von Religion und Religionswissenschaft haben, von Theologie ohnehin nicht.
Ich werde wohl leider nicht aufhören können, wie bisher Kritikwürdiges über Kirche und Religion zu berichten und werde es auch heftig verurteilen. Doch es gilt, wenigstens die Gebildeten unter den Verächtern der Religion (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_die_Religion._Reden_an_die_Gebildeten_unter_ihren_Ver%C3%A4chtern) an ihre Bildungslücken zu erinnern.
Dazu gehört nicht nur, dass Kirche und Religion für viele Menschen immer noch ein Stück Heimat sind. Wir sollten die positive Bedeutung von Religion und Kirche – und ihre Leistungen herausstellen. Man kann und sollte aber nicht der Versuchung unterliegen, das Positive mit dem Negativen zu verrechnen; das wäre zynisch. „#auchdasistKirche“ wird auch von Gegnern und Feinden genutzt werden, doch damit wird erst die Realität von Kirche und Religion transparent. Kirche und Religion sollen so durchwachsen präsentiert werden, wie sie nun einmal sind.
Zunächst aber möchte ich alle ermuntern, für die Kirche und Religion Bedeutung haben – bei aller Ambivalenz: Machen Sie Gebrauch von „#auchdasistKirche“!
Ich beginne mit „Notfallseelsorge: #auchdasistKirche“
Gastkommentar – von Erich Kronschnabel
Zunächst: Vorsicht, wenn Sie retraumatisiert werden könnten. Wer dieses Video anschaut amüsiert sich zuerst. Es gibt aber auch Menschen, die das Grauen der Vergangenheit einholt, weil sich diese qualvollen Schreie in ihre Seelen einbrannten. Es waren diese Kinderschreie, die sie noch heute in ihren Angstträumen hören.
Wenn Sie aber unbesorgt oder gar mutig sind: Starten sie das Video, klicken Sie hier: http://www.youtube.com/watch?v=rCK6zvWEN_Q
Beim Hören dieser Schreie fühlte ich mich in meine Vergangenheit zurückversetzt. Es waren die ersten drei Jahrzehnte nach dem Krieg, die ich hier beschreibe.
Wir waren damals Heimkinder, wir waren im Kinder-KZ Stephansstift – KZ Kronsberg in Hannover eingesperrt. Wir waren den brutalen Schlägern der Diakonie Hannover ausgeliefert. Die Diakonie hielt sich diese Bestien in Menschengestalt als Diakone und nannte diesen menschlichen Abschaum „Erzieher“.
Ich ließ diese qualvollen Schreie aus dem Video in meinen Kopf und „sah“ einen „Bruder“ – so mussten wir den Diakon ansprechen. Ich sah, wie er ein wehrloses Kind schlägt und genussvoll quält. Die Schreie geilen ihn auf, er greift sich das Kind, vergewaltigt es brutal, lässt es dann in all seiner Not liegen.
Die Schreie des gequälten, geschundenen Kindes gellen durch die Nacht. Im Schlafraum nebenan liegen die in dieser Nacht verschonten Kinder. Sie zerbrechen an ihrer Angst, bald selbst wieder Opfer zu werden.
Hören Sie genau hin! Hören Sie die Qual und die Schmerzen des Kindes, an dem sich das perverse Schwein von Diakon vergeht?
„Bruder“ nannte sich das Stück Dreck! „Brüder“ nannten sie sich. Die Schergen der Diakonie missbrauchen und schinden wehrlose Kinder. „Diener des Herrn“ nannten sie sich, Diener des Satans waren sie.
Und heute? Heute tun ihre Nachfolger in den kirchlichen Firmen so, als würden sie die Verbrechen von damals aufarbeiten. Sie stellten eine „Unabhängige Kommission“ zusammen, die „in Anerkennung des erlittenen Leids“ lächerliche Beträge an die Opfer der Kinderschinder ausreichen. Der höchste von der Landeskirche Hannovers bezahlte Betrag belief sich auf 31.000 Euro. Eine lächerliche Summe als Wiedergutmachung für zerstörtes Leben! Mein Peiniger, das Stück Dreck, bezog PRO JAHR eine höhere Pension, als es das Taschengeld ausmachte, das seine „Brüder im Glauben“ mir hinwarfen.
Die Sexualopfer im Bereich des katholischen Konzerns mit dem Kreuz im Logo erfuhren jetzt, dass sie in „Anerkennung des Leids“ bis zu 50.000 € erhalten können. Und wieso hielt sich die evangelische Konkurrenz so bescheiden zurück und zahlte lediglich einem Opfer lausige 31.000 € ??? Hatten die evangelischen Täter etwa Beschwerden über die missbrauchten Kinder vorgebracht? Waren die sexuellen Leistungen der Kinder schlechter als die von der Glaubenskonkurrenz? Nach welchen Maßstäben messen die Kommissionsmitglieder der Landeskirche Hannovers die Verbrechen ihrer Glaubensbrüder? „Sind ja nur Heimkinder gewesen“?
Sieht man sich die Vita der Mitglieder der „Unabhängigen Kommission“ an, dann stellt man fest, dass jedes Mitglied engstens mit der Kirche verbandelt ist! Wo findet man da die angebliche Unabhängigkeit?: Mitglied der Landessynode, Richter beim kirchlichen Disziplinargericht, Pfarrer i.R.! Und alle Drei unabhängig … aber nicht von der Kirche!
Das Video lässt Kinderschreie hören, wie sie die geschundenen Opfer beider Kirchen ausstießen. Die einen bekommen bis zu 50.000 €, die anderen bekamen bisher in den meisten Fällen nicht mal die Hälfte von dem, was den Katholiken die Kinderfickerei wert ist.
Die Katholiken fordern die bisher zu gering „entschädigten“ Opfer auf, einen weiteren Antrag zu stellen, der schnellstens beschieden würde, weil der Sachverhalt ja bereits aktenkundig ist.
Die Evangelischen tun diesbezüglich was? Hören sie sich ungerührt die qualvollen Schreie aus dem Video an und verweigern sie die weitere, höhere „Entschädigung“, wie sie die Katholiken ankündigten? Frei nach dem Spruch eines Diakonie-Vorsitzenden, der einem übelst missbrauchten Opfer sagte „Na, Herr Hedd.., so schlimm wird‘sich wohl nicht gewesen sein“?
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Soweit der Gastkommentar. Die Leser meines Blogs kennen Herrn Kronschnabel. Er meldet sich öfter zu Wort und hat seinen eigenen Stil, den er auch in Verhandlungen mit der „Behördenkirche“ erfolgreich benutzt, um den von ihm vertretenen ehemaligen Heimkindern Zahlungen zu erstreiten. Herr Kronschnabel hatte auch oft einen Platz im Hauptartikel, den ich für den Blog schrieb. Ich erinnere nur an „Ist es legitim, die Obszönitäten von Kronschnabel mit Bonhoeffer in Verbindung zu bringen?“ https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/06/28/ist-es-legitim-die-obszoenitaeten-von-kronschnabel-mit-bonhoeffer-in-verbindung-zu-bringen/
Regelmäßig bin ich bemüht, den Hintergrund seiner aggressiven Verbalinjurien aufzuhellen. Denn abgesehen davon hat er ja Recht. Er weiß zwar, dass man Kirche auch anders erleben kann als von einem Diakon aufgespießt. Doch seine Erfahrungen waren halt andere. Ich schrieb ihm im Vorfeld seines Gastkommentars:
„Im Unterschied zu Ihnen und vielen anderen habe ich mit vielen anderen die Kirche positiv erlebt. Sie machte in unserem Arbeiterstadtteil eine ausgezeichnete Jugendarbeit, auch mit Freizeiten und Ferienfahrten, angefangen vom Kindergarten, der mit allen Kindern für mindestens eine Woche in die Sommerfrische fuhr, wie lange, weiß ich nicht mehr genau, das war etwa 1949, noch zu Nachkriegsbedingungen. Später die Einrichtung einer „Schülertagesstätte“ für „Schlüsselkinder“ u.a. (das war allerdings besser gedacht als gemacht), dann die Kinderkirche, die uns Spaß machte, weil wir den Helferinnen auf der Nase rumtanzen konnten, nach der Konfirmation dann die klassische Jugendarbeit mit wöchentlichen Angeboten, erschwingliche Urlaubsfahrten, am weitesten nach Italien. Und wenn wir mit Werner Brennecke uns im Wald um eine kleine Tanne versammelten und nach und nach eine Kerze für die „Waldweihnacht“ aufsteckten, – das hatte schon was. Die Kirche war ein zweites Elternhaus. Es wäre unfair, dies alles zu vergessen oder gar zu verleugnen.“
Dennoch bekommt Herr Kronschnabel auch weiterhin einen Platz in meinem Blog. Denn „meine Kirche“, die Kirchen überhaupt häufen weiterhin Unrecht auf Unrecht. Frei nach der Trias, die kürzlich Vladimir Kadavy so formulierte: „Kinder schänden, Zeit schinden, Kassen schonen“.
Nachtrag: Herr Kronschnabel kann auch noch ganz anders: https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/04/23/singe-o-goettin-vom-zorn-der-geschaendeten-knaben/
Singe, o Göttin, vom Zorn der geschändeten Knaben!
»Verrecken sollst du Vieh, verrecken wie ein Hund! …
In meinem Kopf sprang ein Schalter um, ich schlug ihm mehrfach mit den Fäusten in’s Gesicht, [1] er wich zurück, fiel rücklings auf’s Sofa, seine Nase blutete. … „Du spieltest Gott, Du warst dort im Kinder-KZ ja auch Gott, zwei deiner Schergen hielten mich fest, du tobtest dich an mir aus, an einem schmächtigen Vierzehnjährigen.“«
»Dann ging ich aus dem Haus, ging zu meinem Auto, konnte nicht sprechen, meine Begleiter ließen mich eine Zeit lang in Ruhe und dann fragte einer leise „Und …?“ – „Ihm läuft das Blut über die Fresse, wie damals mir und euch – und mir geht es innerlich unsagbar gut“. – „Der holt die Bullen.“ – „Der holt keine Bullen, denn der weiß, was dann in den Medien abgeht,“ sagte ich. „So war es auch, der verlor kein Wort über meinen abendlichen Besuch. Mir war unsagbar wohl, eine unsagbare Last war mir von der Seele gefallen. Aber der Triumph lag in dem Wissen, dass sich dieser elende Kinderschinder vor Angst fast in die Hose gemacht hatte. Er erlebte erstmals, wie sich ein wehrloser Mensch fühlt, wenn er geschlagen und gedemütigt wird. Das Menschsein zu verlieren ist grausam – und der Kinderschinder erlebte es in seinem eigenen Haus! Von seiner Allmacht war nichts mehr da, eines seiner Opfer hatte ihn zum Opfer gemacht, seine Welt brach zusammen.«
»Seit meiner „Auge um Auge“ – Aktion ging es mir seelisch gut; leider entkamen mir drei dieser menschlichen Ungeheuer, die im Namen ihres Gottes prügelten und vögelten – und uns sonntags in die Kirche ihres Diakonie-Kinder-KZ’s führten. Und sich abends wieder Opfer holten, die sie vergewaltigten und ihnen anschließend erklärten, dass sie, die Kinder, doch einfach Dreck wären. Deshalb seien sie ja schließlich hier, im Heim. AMEN.«[2]
Zorn!
„Europas erstes Wort“ nennt es der Philosoph Peter Sloterdijk[3]: »Am Anfang des ersten Satzes der europäischen Überlieferung im Eingangsvers der Ilias taucht das Wort „Zorn“ auf, fatal und feierlich wie ein Appell, der keinen Widerspruch duldet«. „Singe, Göttin, den Zorn des Peleiaden Achilleus.“[4]
»Die alte Welt hatte sich zum Zorn ihre eigenen Wege gebahnt, die nicht mehr die der Modernen sein können. Wo diese an den Therapeuten appellieren oder die Nummer der Polizei wählen, wandten die Wissenden von früher sich an die Überwelt. Um das erste Wort Europas zum Klingen zu bringen, wird von Homer die Göttin angerufen. … Wenn das Wort „Gewaltverherrlichung“ je einen Sinn hatte – für diesen Introitus zur ältesten Urkunde der europäischen Kultur wäre es am Platz. Doch würde es nahezu das Gegenteil dessen bezeichnen, worauf es in seinem heutigen, unvermeidlich mißbilligenden Gebrauch abzielt. Den Zorn besingen heißt ihn denkwürdig machen, was aber denkwürdig ist, steht dem Eindrucksvollen und dauerhaft Hochzuschätzenden nahe, ja geradezu dem Guten. Diese Wertungen sind den Denk- und Empfindungsweisen der Modernen so stark entgegengesetzt, daß man wohl zugeben muß: Ein unverfälschter Zugang zum Eigensinn des homerischen Zornverständnisses wird uns in letzter Instanz versperrt bleiben.«
Soweit Sloterdijk zum Zorn der Altvorderen. Lässt sich vernünftig daran anknüpfen? Ich denke, ja. Das verbindende Stichwort dürfte Affektkontrolle sein. Den griechischen Helden hätte sie ihre Heldenhaftigkeit genommen. Vernünftig mit aufsteigendem Zorn umgehen und ihn zügeln zu sollen, war in ihrer Vorstellungswelt nicht vorgesehen und darum gegen ihre Natur. Dies ist jedoch in der Moderne die Erwartung an den gesitteten, zivilisierten Menschen. „Wer schreit, hat Unrecht“, sagte meine Lehrerin, als die Stimme eines Kollegen unüberhörbar von drei Zimmern weiter bis in unser Klassenzimmer drang. Ich bin weit davon entfernt, Kronschnabel als griechischen Helden zu stilisieren. Zu oft haben wir uns wegen seiner – in der Regel verbalen – Ausraster[5] gekabbelt.[6] Natürlich ist seine Selbstjustiz nicht akzeptabel – aber hat er Unrecht?
Selbstjustiz[7]
Selbstjustiz kommt vor, wenn die „ordentliche“ Rechtsprechung versagt oder gar gänzlich fehlt.[8] Insofern ist Selbstjustiz der Versuch, den gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen.
Das ist hier nicht weiter zu vertiefen. Aber stehen die Verjährungsgrenzen der Verbrechen an Kindern und ihre fortgesetzte Vertuschung nicht dem Rechtsfrieden eklatant entgegen? „Der holt keine Bullen, denn der weiß, was dann in den Medien abgeht,“ sagte Kronschnabel und behielt Recht damit. Es gibt also – sogar auf beiden Seiten – ein Verständnis der Rechtslage, das über das positive Recht hinausgeht. Ob allerdings der Faustschlag von einem Gericht als Affekttat milde beurteilt worden wäre, möchte ich bezweifeln. Zu überlegt waren seine Vorbereitungen und er müsste deutlich machen, dass der Faustschlag nicht geplant war, sondern der Affekt erst während des Gesprächs virulent wurde.
Wenn man in der Öffentlichkeit zuschlägt, kann die Sache allerdings anders ausgehen.
»Weißt du, was mich an deiner G´schicht so wundert? Ich kenn´ wirklich nur eine einzige Geschichte. Dass ein Heimkind, ein ehemaliges Heimkind, mal hingeht und einen voll, voll erwischt.[9]
Was du sogst. Ha ha.
Gibt´s sowas?
Gibt´s scho. I hab zugeschlagen damals. Dem hab i eine auf´s Maul gehaut.
Hab´ ´ne Anzeige gekriegt und circa 2300 Geldstraf´. «[10]
Die Selbstjustiz hat noch einen Nachtrag verdient. Ich hatte Erich Kronschnabel gefragt: „Ich wüsste dazu noch gern, wie Ihre Familie Sie aus dem Stephansstift wieder freigekriegt hat. Ging das problemlos?“ Die Antwort kam postwendend: „Entkommen trifft tatsächlich zu, denn ich flüchtete bei der Kartoffelernte.“
Kronschnabel bediente sich des VW-Käfers, den der „Drecksack und Sklaventreiber = Landwirtschaftsleiter“ fahrbereit mit Schlüssel am Ackerrand abgestellt hatte.
„Die Polizei griff mich in meinem Elternhaus auf und schaffte mich zurück zu den (warmen) Brüdern. Zuhause hatte ich teilweise erzählt, was mir bei den Scheinheiligen widerfahren war. Das trieb meinen Vater zu seinem Anwalt und der flog beim Amtsrichter ein und erreichte dort die sofortige Aufhebung der Einweisung durch das Jugendamt.“ … „Der Käferklau brachte mir von den warmen Brüdern gewaltige Prügel und von einem kleinen Amtsrichterlein mit Nazivergangenheit 14 Tage Jugendarrest in Neustadt/Rübenberge ein. Das kleine Arschloch von Staatsanwalt fuhr gewaltig großmäulig auf und verlangte 6 Monate Jugendknast. Das Auftreten unseres Familienanwaltes blieb nicht fruchtlos, alle sprachen den Nazidialekt, man hatte Stallgeruch, und mein Alter zeigte den Hauptmann, den er sonst zu unterdrücken wusste. Das Staatsanwältchen wurde ganz leise, als die alten Nazis mit ihm fertig waren. Der hatte gedient, der verstand und kam fast um das bißchen Verstand. Damals gefielen mir die alten Nazisäcke einen Tag lang. Sie schossen sich gegenseitig in die Knie, war lustig.“
„Problemlos war die anwaltliche Aktion keineswegs, wie ich dann später erfuhr. Die Kinderficker konnten mich noch 6 Wochen auf ihrer geschlossenen Station festhalten, bis meine Eltern mich abholen konnten. Nebenher liefen Ermittlungsverfahren gegen den verantwortlichen Jugendamtsleiter des damaligen Landkreises Wesermünde. Man konnte (wollte) dem Nazischwein nicht an’s Leder, ich lernte sehr früh, was Nazi-Vitamin B bewirken kann. Auch der die ganze Sauerei lostretende Nazilehrer ging straffrei aus. Ich holte die Bestrafung 20 Jahre später nach – und ging auch straffrei aus … weil er roch, dass es besser wäre, einfach das Maul zu halten. Welches der in die Sauereien verwickelten Schweine ich später erwischen konnte, das bezahlte teuer. Mein Respekt vor Obrigkeiten war für immer weg, ich greife mir solche Häns’chen auf die verachtungsvolle Art. Motto: „Wer bezahlt hier wen, Herr/Frau Unwichtig?!“ Ich weiss, das ist nicht schön und nicht richtig, aber ich wende genau deren Methoden an – und die sind ja auch unrichtig.“
Andere Zeiten hatten andere Strafen: [11]
Hass
Wenn Kronschnabel nach seiner Racheaktion sagt, „mir geht es innerlich unsagbar gut“, ist der Zorn erkennbar verflogen. Zorn vergeht, Hass frisst weiter. Bei Kronschnabel bleibt sein grenzenloser Hass auf alles, was irgendwie mit Kirche und Diakonie zusammenhängt.
Hass kann sehr beständig und dauerhaft sein. Niemand hat ein Recht, dem Opfer den Hass auszureden oder zu verbieten. Er ist auch nicht abkaufbar. Aber: Hass macht blind. Und er vergiftet das Leben, auch wenn er zutiefst befriedigen mag.[12] Doch Kronschnabel leidet unter »furchtbaren Erinnerungen. Sie kommen nachts, sie reißen dich aus dem Schlaf, sie nehmen dir die Luft, du schreist deine Angst vor der geilen Drecksau mit Titel Diakon heraus – und wenn du Glück hattest, wachst du in den dich haltenden Armen deines Partners auf. Und irgendwann, wenn sie groß genug sind um zu verstehen, fragen auch deine Kinder nicht mehr, warum der Vater/die Mutter nachts manchmal so schreit. Du siehst es in ihren Augen, du siehst das Mitleid, die Zuneigung, die Liebe und auch die Verschrecktheit. Und erlebst, dass sie bei dem Wort Kirche nur Hass zeigen. Du leidest darunter wie ein Hund, weil du erkennst, dass die Täterschweine auch deine Kinder erreichten. DIE VERBRECHERISCHEN SCHWEINE DER DIAKONIE MACHTEN AUCH MEINE KINDER ZU OPFERN!«
Für Kronschnabel sind die Verbrechen gegenwärtig.[13] Sie sind die Quelle von Zorn und Hass, sind aber auch immer Retraumatisierung, die Wiederbelebung der Vergangenheit.
Trauma und Retraumatisierung
Mit dem Schaubild von Dr. Besser lässt sich der Vorgang gut und knapp darstellen. Das habe ich in diesem Blog bereits getan und muss es nicht wiederholen: https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/11/25/wenn-die-seele-zuckt-trigger/
Abwicklung
Da wäre nur noch der Umgang der Täterorganisationen mit ihren Opfern anzusprechen.
Ein Mail von Kronschnabel:[14]
»Lieber Herr Schäfer, ich schicke hier einen anonymisierten Beschluss der Hannoveraner.
Meinen bekommen Sie unbearbeitet per Post. Den hier lesbaren Tenor findet man in jedem Beschluss, die arbeiteten mit Textbausteinen. Was man sich an sexuellen Spielarten vorstellen kann, kam der Kommission auf den Tisch. Die alten Säcke der Kommission könnten die besten Sexgeschichten schreiben, Porno pur.«
Meine Antwort: „Die emotionsfreie Darstellung der Vorgänge und ihrer Bewertung dürfte juristisch korrekt sein und es wäre überzogen von furchtbaren Juristen zu sprechen. Aber sie scheinen von der Psychodynamik in solchen Fällen nichts zu wissen. Sie sind entweder völlig unbeleckt von wissenschaftlich gesicherten Kenntnissen von Trauma und Retraumatisierung – oder sie haben den Auftrag, die Kassen ihrer Arbeitgeber zu schonen.“

Hier das Mail von Erich Kronschnabel, in dem er das Zusammentreffen mit seinem Täter ausführlich beschreibt, (Auszüge sind oben wiedergegeben).
»Gleiches mit Gleichem „heimzuzahlen“, das versteht jeder Mensch. Christen und sonstige Gutmenschen lehnen das zwar ab, aber als Atheist erlebte ich, dass auch ein sich Christ nennender Diakon das „wie du mir, so ich dir“ versteht, wenn ihn die Vergangenheit einholt und er für seine früheren Missetaten zu sühnen hat.
Er war Diakon im Kinderheim Stephansstift in Hannover, avancierte in der Außenstelle Kronsberg, einem berüchtigten Kinder-KZ bis in die 70er Jahre hinein, zum „Hausvater“ – und war für die Heimkinder ein gewalttätiger Stiefvater übelster Sorte. Nicht nur ich erlebte ihn als übelsten Schläger. Unterstützung erhielt er durch seine ihm unterstellten „Brüder“ (so nannten sich die scheinheiligen Schläger im Dienste der Diakonie).
Nach Bekanntwerden der Verbrechen an zahllosen Heimkindern holte auch mich die lange verdrängte Vergangenheit ein. Die Namen der Schläger und Vergewaltiger waren im Gehirn eingebrannt, ich begann mit der systematischen Tätersuche. Logistik war beruflich mein täglich Brot, bei der Internetsuche stellten sich schnell Erfolge ein. Telefonbucheinträge waren ergiebig, denn die inzwischen auch schon alten Täter nutzten Festnetzanschlüsse.
Günter Wallraff war mein Vorbild, ich wurde zum ehemaligen Diakonieschüler.
Eine frühere Sekretärin meines Peinigers freute sich sehr über den Anruf des ehemaligen Diakonieschülers, wir tauschten alte Erinnerungen aus, die Namen der früheren „Erzieher“ waren mir ja geläufig, die alte Frau schöpfte keinerlei Verdacht und nannte mir gerne die Adressen der ehemaligen „Kollegen“, auch die meines Peinigers. Weil ich die soooo gerne mal besuchen möchte….
Tante Google zeigte mir eine gepflegte Wohngegend in Hannover, zeigte mir ein stattliches Gebäude als Wohnsitz meines Peinigers. Heute – nach meinem Besuch – ist das Haus in Google Maps unkenntlich gemacht. Was natürlich sinnloser Quatsch ist, denn die Nachbargebäude sind unverblendet und die Hausnummer ist eh bekannt.
Ich schloss mich mit zwei weiteren Opfern des feinen „Hausvaters“ kurz und an einem regnerischen Abend fuhren wir nach Hannover. Ich hatte mir aus dem Internet den Namen eines verstorbenen Diakons „geliehen“. Ich klingelte. Eine Frauenstimme meldete sich über die Sprechanlage, ich stellte mich als der ehemalige Diakonieschüler Schröder vor und fragte, ob sie die Frau von Bruder N. sei und wenn ja, ob der noch lebe. „Ja, mein Mann lebt noch, aber kommen Sie bitte herein!“. Der Summer gab die Tür frei, ich stand in einer kleinen Diele, mir gegenüber stand eine alte Dame, am Ende der Diele guckte ein Mann aus einem Zimmer. Unverkennbar mein Peiniger, der alte Scherge lächelte, seine Frau bat mich in’s Wohnzimmer, „Bruder“ N. begrüßte mich freudig.
„Ich kann mich zwar nicht mehr an Sie erinnern, aber ich freue mich sehr, einen alten Kollegen zu sehen“ schwadronierte er. Wieder Erinnerungsaustausch, alle Namen waren mir ja geläufig, ich konnte überhaupt nicht auffliegen. Der Schweinehund mir gegenüber war trotz seines hohen Alters noch rüstig. Kein Wunder, der hatte ja nie ernsthaft arbeiten müssen. Kinder schlug er so nebenbei zusammen, wie alle seine (warmen) „Brüder“, die sich am „Frischfleisch“ nach Lust und Laune bedienten. In mir stieg die kalte Wut hoch, als ich diese Fresse wiedersah.
In einer Gesprächspause zeigte ich mit dem Zeigefinger auf meine Stirnnarbe und fragte „Erinnerst du dich an den Tag, als du mir mit dem Schuh an den Kopf getreten hast?“. Er erstarrte, seine Frau sagte „Ja aber…“, man hätte eine Stecknadel fallen hören [können] und er fragte leise „Wer sind Sie?“. In seinen Augen stand Angst, die Vergangenheit, seine schmierige Vergangenheit hatte ihn eingeholt.
„Du erinnerst dich genau, du Schwein, deine Augen sagen es mir, nur mein Name fällt dir nicht ein – weil du zahllose Kinder so misshandeltest wie mich!
Du spieltest Gott, Du warst dort im Kinder-KZ ja auch Gott, zwei deiner Schergen hielten mich fest, du tobtest dich an mir aus, an einem schmächtigen Vierzehnjährigen. Und als mich deine Schergen losließen und ich am Boden lag, tratest du mit dem Fuß zu, meine Stirn platzte auf und das Blut lief in meine Augen. Von der alten H. weiß ich, dass du Schwein Krebs hast. Verrecken sollst du Vieh, verrecken wie ein Hund!“
Er stand auf, stand sprachlos da, fixierte mich und sagte leise „Aber man muss doch auch mal vergessen können, das ist doch schon sechzig Jahre her…“
In meinem Kopf sprang ein Schalter um, ich schlug ihm mehrfach mit den Fäusten in’s Gesicht, er wich zurück, fiel rücklings auf’s Sofa, seine Nase blutete. Sie kreischte „Aufhören, aufhören….!“ „Das hättest du deinem Schwein damals auch zurufen sollen, wenn er Kinder prügelte. Ihr ekelhaftes Gesindel, ihr verfluchten Kinderschinder!“
Dann ging ich aus dem Haus, ging zu meinem Auto, konnte nicht sprechen, meine Begleiter ließen mich eine Zeit lang in Ruhe und dann fragte einer leise „Und…?“ „Ihm läuft das Blut über die Fresse wie damals mir und euch – und mir geht es innerlich unsagbar gut“. „Der holt die Bullen“. „Der holt keine Bullen, denn der weiß, was dann in den Medien abgeht“, sagte ich.
So war es auch, der verlor kein Wort über meinen abendlichen Besuch. Mir war unsagbar wohl, eine unsagbare Last war mir von der Seele gefallen. Aber der Triumph lag in dem Wissen, daß sich dieser elende Kinderschinder vor Angst fast in die Hose gemacht hatte. Er erlebte erstmals, wie sich ein wehrloser Mensch fühlt, wenn er geschlagen und gedemütigt wird. Das Menschsein zu verlieren ist grausam – und der Kinderschinder erlebte es in seinem eigenen Haus! Von seiner Allmacht war nichts mehr da, eines seiner Opfer hatte ihn zum Opfer gemacht, seine Welt brach zusammen.
Monate später erlebte ich bei einer weiteren Rechnungslegung ähnliche Verhaltensweisen früherer Täter aus dem Kreis der Diakonie. Wenn wir sie stellten und als das bloßstellten, was sie waren, knickten sie ein, wurden hilflose Kreaturen, denen die pure Angst in den Augen stand, einer stand mit nassen Hosen da. Tat ihm mehr weh als die Schläge in die Fresse.
Viel erstaunlicher waren allerdings die Reaktionen der noch lebenden Ehefrauen. Die zeterten und kreischten wie Perlhühner, kamen mit „… ist doch alles Lüge, ihr wollt doch nur Geld! Mein Mann war immer anständig zu euch Pack!“ Wahrheiten wurden verdrängt, werden von den noch lebenden Tätern immer noch verdrängt. Heimkinder waren und sind für diese Diakonieschergen einfach PACK! Ich vermute, daß diese (Un)Menschen nur so mit ihrem Gewissen zurechtkommen, denn ich stellte immer wieder fest, dass diese Kanaillen genau wussten, was sie an Unrecht lieferten.
Seit meiner „Auge um Auge“ – Aktion ging es mir seelisch gut, leider entkamen mir drei dieser menschlichen Ungeheuer, die im Namen ihres Gottes prügelten und vögelten – und uns sonntags in die Kirche ihres Diakonie-Kinder-KZ’s führten. Und sich abends wieder Opfer holten, die sie vergewaltigten und ihnen anschließend erklärten, dass sie, die Kinder, doch einfach Dreck wären. Deshalb seien sie ja schließlich hier, im Heim. AMEN…«[15]
Wer vergibt ist der Gebende.
Er wird dadurch stärker als der Schuldige, der ihm etwas schuldig bleibt, nämlich die tätige Reue. Erst danach kann man wieder auf Augenhöhe kommen.
Das haben die Kirchen nicht kapiert, der Staat auch nicht.
Fußnoten
[1] Graphik: Gespiegelter Scan, Roland Topor https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Topor
[2] Dies sind die von mir anders montierten Zitate aus dem Bericht von Erich Kronschnabel. Ich hatte ihn nach der Lektüre von Sloterdijk darum gebeten, weil ich darin einen weiteren Zugang zu Kronschnabels Art gesehen hatte, mit seinem Schicksal als gedemütigtes, vergewaltigtes ehemaliges Heimkind umzugehen. Wir sind seit langer Zeit in Mailkontakt, manchmal auch per Telefon. Wir schätzen und vertrauen einander. Nur zwei Links von vielen: https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/01/14/hass-ist-eine-menschliche-emotion-scharfer-und-anhaltender-antipathie/ https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/06/27/wie-unfein-erich-spricht-klartext-ueber-die-diakonie-konzentriert-und-schlagkraeftig/
Sein Originalmail ist für den interessierten Leser unten wiedergegeben.
[3] Die folgenden Zitate aus: Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit, Frankfurt 20081.
[4] Im Unterschied zu Sloterdijk folge ich hier der „klassischen“ Tieck‘schen Übersetzung von „Μῆνιν [= Zorn] ἄειδε θεὰ Πηληιάδεω Ἀχιλῆος“.
[5] https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/11/29/wenn-der-landesbischof-zum-trigger-wird-und-dann-auch-noch-meister-heisst/
[6] https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/07/10/die-sache-mit-gott-werden-wir-in-diesem-leben-wohl-nicht-mehr-gebacken-kriegen/
[7] Selbstjustiz ist ein weites, hier nicht abzuschreitendes Feld. Genannt sei nur die Ohrfeige von Beate Klarsfeld für den „furchtbaren Juristen“ Filbinger; er wurde erkennbar an der Kirchentür zu Villingen verewigt (https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/5527357060/in/photolist-9qrgvJ-9qo93p-9qr9FE-9qo56X-9qrehL-9qo6Fk-9qoaEa-9qrgby) oder Marianne Bachmeier, die den Mörder ihrer Tochter im Gerichtssaal erschoss. „Ich wollte ihm ins Gesicht schießen. Leider habe ich ihn in den Rücken getroffen. Hoffentlich ist er tot“. https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Die-Rache-der-Marianne-Bachmeier,mariannebachmeier101.html . Zu Selbstjustiz zähle ich auch die sogenannten Ehrenmorde, bis hin zu politisch motivierten Angriffen und Morden.
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Blutrache
[9] Damit war Kronschnabel gemeint.
[10] Auszug aus einem Interview mit einem Heimopfer. Die Aussage dieses Mannes, der hier nicht genannt werden soll, liegt mir komplett vor.
[11] Paul Beck, Oberländer Spitzbuben-Chronik, zitiert aus: Michael Barczyk, Die Spitzbubenchronik, Oberschwäbische Räuberbanden – Wahrheit und Legende, Ravensburg, o.J., S. 102
[12] https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/01/14/hass-ist-eine-menschliche-emotion-scharfer-und-anhaltender-antipathie/
[13] https://dierkschaefer.wordpress.com/?s=abgebr%C3%BCht
[14] vom 21.03.2020
[15] Mail vom 19.03.2020, keine inhaltlichen Veränderungen, eine [Ergänzung]
Wenn die Seele zuckt: Trigger
Manche zucken zusammen, manche zucken aus. Doch beides ist wie ein Reflex: unwillkürlich, nicht abzubremsen.
Reflexe sind lebenswichtig. Wenn mein Finger einer Kerze zu nahe kommt, zucke ich blitzschnell zurück. Müsste der Reflexbogen über das Gehirn laufen, wäre der Weg zu lang und ich würde mich verbrennen. So etwas erledigt das Rückenmark-Segment viel schneller.[1] Soweit die Physiologie: Schmerzwahrnehmung und Schutzreaktion. Funktioniert auch bei Tieren.
Und die Psychologie? Hier geht es um die Erinnerung an Schmerzen und die Abwehrmaßnahmen gegen schmerzhafte Erinnerungen und deren beängstigende Wiederbelebung, um Trauma und Retraumatisierung.
Beispiel: Ein ehemaliges Heimkind berichtete mir, er sei bereits an seinem ersten Tag im Heim missbraucht worden; als Erwachsener umfassend psychotherapiert könne er nun frei über das Erlebte sprechen.
Aber kürzlich war er beim Arzt. Die Untersuchung auf krankhafte Vergrößerung der Prostata (Krebsgefahr) erfolgt rektal. Als ihn der Arzt dazu mit dem Finger penetrierte, habe er sich reflexhaft umgedreht und dem Arzt eine „geschmiert“. Natürlich, so sagte er, habe er sofort gewusst, wieso das passiert war, habe sich beim Arzt entschuldigt und ihm die Hintergründe erklärt. Der Arzt sei auch verständnisvoll gewesen. Er aber habe danach zwei weitere Sitzungen beim Psychotherapeuten gebraucht.
Reflexhaft. Solche Reflexauslöser kommen zuweilen unerwartet und können zu Problemen führen, die der Betroffene nicht immer erklären kann, manchmal nicht einmal sich selber. Dazu ein Blick auf den Ablauf von der Traumatisierung bis zur posttraumatischen Belastungsstörung. Ich benutze dafür das Modell der Traumazange von Dr. Besser, wie ich es bei seinen Vorträgen notiert habe; dazu die Erklärung von Prof. Resch, der den Vorgang der Traumatisierung beschreibt.
Ausgangspunkt ist eine Situation absoluter Hilflosigkeit, die zu einer Dissoziation führen kann – aber nicht muss. Auf jeden Fall bleibt das Geschehen nicht nur als „unangenehme Erinnerung“ im Gehirn gespeichert, sondern kann sich plötzlich und dramatisch aufdrängen und dieselbe Angstreaktion auslösen, wie in der ursprünglichen Bedrohung. Das kann die Erinnerung an das Keuchen des Täters sein, an seine Kleidung oder, nur scheinbar banal, an die Temperatur – alle Details können gespeichert sein, meist sind es nur einige. Was Dr. Besser salopp die „Tupper-Blackbox“ nennt ist nämlich nicht ganz so dicht, wie man es Tupper zutraut. Die Schutzfunktion ist hier nicht vollkommen. Zum einen ist der Schutz nicht sicher, zum anderen kann das „Verdrängen“ zu Störungen der Psyche führen, deren Ursache nicht so leicht zu erkennen ist[2], und drittens können Situationen auftreten, die der Umwelt nicht so leicht zu vermitteln sind – im obigen Fall hat das jedoch geklappt.
Zu den im Schaubild gezeigten Undichtigkeiten kommen Trigger als Auslöser der Erinnerungskaskade: die posttraumatische Stressreaktion – mit den soeben beschriebenen Problemen.
Hinzu tritt ein weiteres Problem, dass jedoch den Betroffenen nicht als solches erscheint, zumal solche Wahrnehmungsblockaden auch ohne vorgängige Traumatisierung vorkommen; dann sind sie den Vorurteilen zuzuordnen.
Dazu noch ein Schaubild.
Ich habe es im Laufe meines Berufslebens immer wieder ergänzt, um den komplexen Sachverhalt der sozialen Wahrnehmung abzubilden. Es ist entsprechend komplex – und immer noch nicht vollständig. Nicht erfasst habe ich bisher die traumabedingte Wahrnehmungsblockade, hier konkret das zum Teil aggressive Ausblenden aller Informationen, die ein differenziertes Bild zeichnen könnten von den Personen oder Institutionen, die in Zusammenhang mit der Traumatisierung gesehen werden.
Aus meiner persönlichen Geschichte: Ich konnte meiner Großmutter nie Argumente gegen die Todesstrafe nahebringen; zu sehr war sie zutiefst befriedigt darüber, dass die Mörder ihres Mannes 1936 auf der Guillotine endeten. Dieser Mord hatte sie lebenslänglich traumatisiert und die „gerechte Strafe“ hatte dem nicht abhelfen können.[3] Ich habe das alles erst viel später verstanden. Auch sehr spät habe ich verstanden, warum manche Psalmen von Hass geradezu triefen. Sie rufen keinen gnädigen Gott an, sondern den rächenden.[4]
Wenn nun im derzeit aktuellen Zusammenhang missbrauchte ehemalige Heimkinder aus kirchlichen Einrichtungen hasserfüllt sind wegen der an ihnen begangenen Verbrechen und der darauffolgenden Vertuschung, Relativierung und geheuchelten Betroffenheitsbekundungen, dann habe ich Verständnis für diesen Hass und verstehe auch, dass sie ‚Kirche’ nur unter ihrem Erfahrungshorizont wahrnehmen und verstehen wollen und können.
Dass es auch anders geht, erfuhr ich erst gestern, als mir ein Kollege einen Link schickte.[5] Doch eine solche Einstellungsänderung ist erst möglich, wenn andere Erfahrungen versöhnlich stimmen. Das war hier der Fall, wäre aber unmöglich gewesen, wenn sich die Frau total gegen neue Erfahrungen mit der Kirche abgeschottet hätte.
Doch das kann man nicht einfordern. Wenn die Seele reflexhaft zuckt bei allem, was nach Kirche aussieht und sich sperrt gegen Wahrnehmungen, die der traumatischen widersprechen bzw. ein differenziertes Framing ermöglichen, die Einordnung in ein realistisches Bild, in dem beides seinen Platz hat, das furchterregende und das hoffnungsvolle, dann hat hier niemand Vorhaltungen zu machen, schon gar nicht vonseiten der „Täternachfolger“.
Doch schade ist das schon. Denn so verharrt das Opfer in seinem Opferzustand.
Fußnoten
[1] Als Reflexbogen wird in der Physiologie die kürzeste Verbindung zwischen Rezeptor und Effektor über die Nervenzellen eines bestimmten neuronalen Erregungskreises bezeichnet. Die Verschaltung vom afferenten auf das efferente Neuron erfolgt im einfachsten Fall auf spinaler Ebene über eine Synapse im Vorderhorn des Rückenmarks. Man spricht daher bei dieser Form eines Reflexes auch genauer von einem einfachen monosynaptischen Reflexbogen. https://de.wikipedia.org/wiki/Reflexbogen_(Physiologie)
[2] und zuweilen auch zu Fehldiagnosen führt.
[3] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/04/mordsache-unterberg1.pdf
[4] Was mir bisher überhaupt nicht deutlich war: Missbrauchte haben ein Recht nicht nur auf Zorn, sondern auch auf Hass. Dem darf man nicht moralisierend begegnen. Zum ersten Mal habe ich die fürchterlichen Hass-Bezeugungen in manchen Psalmen verstanden. https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/01/25/damit-der-boden-wieder-traegt-seelsorge-nach-sexuellem-missbrauch/
[5] https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2018/41359/sexueller-missbrauch-der-kirche
Ein höchstrichterliches Skandalurteil des EKD-Gerichtshofs, … 3. Juli 2013, https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/07/03/ein-hochstrichterliches-skandalurteil-des-ekd-gerichtshofs/
Auf Kindesmissbrauch kann lebenslänglich stehen – für die Opfer
Ich bin ja ziemlich abgebrüht nach vielen Gesprächen mit vielen ehemaligen Heimkindern in den vergangenen Jahren. Was einige von ihnen erlebt haben, sprengt vielfach die Vorstellungskraft. Sie waren für mich oft auch der lebendige Beweis für die Langzeitfolgen der erlebten Heimerziehung. Untersuchungen im Bereich der Hirnphysiologie untermauern den Befund wissenschaftlich. Wie gesagt: Ich bin viel gewohnt.
Doch gestern erreichte mich ein Aufschrei, der mich zunächst einmal sprachlos machte. So etwas kannte ich nur aus Berichten über Kriegsheimkehrer, die nachts wild um sich schlagen und schreiend aufwachen.
Unsere Beschwichtigungsformeln, mit denen wir versuchen auf Distanz zu gehen, funktionieren in solchen Fällen nicht. Auch die Opfer können nicht auf Distanz gehen; zu voll sind sie mit der immer noch bedrängenden ängstigenden Vergangenheit, zu erfüllt sind sie mit Hass auf die Täter. Nein, sie wollen und können keinen ruhig-abschätzenden Blick auf ihre Erlebnisse und die dafür verantwortlichen Einrichtungen werfen, sie wollen und können auch nicht erkennen, dass diese Einrichtungen sich verändert haben. Es gibt ja auch eine nahtlose Fortsetzung nicht der Methoden, aber doch der Abwehr gegen die Ansprüche auf Ehrlichkeit in der Zerknirschung und Großzügigkeit in der Kompensation für erlittenes Leid.
Damit das eigentlich nicht Nachvollziehbare auch allen Lesern deutlich wird, habe ich diesen Aufschrei aus dem Kommentarbereich nach vorn geholt.
Es ging um eine Werbebroschüre der Diakonie.[1]
»Der Titel der Broschüre belegt die Dummheit der Diakonie. Sie wünscht sich die Erinnerung – und ist in ihrer Schafsblödheit nicht in der Lage zu erkennen, dass GENAU DIE ERINNERUNG die Opfer von Kirche und deren Tochtergesellschaften wie Diakonie fern hält!
In der Erinnerung von Kirchenopfer gibt es nur einen schenkenden Gott und der schenkte: Demütigung, Misshandlung, Zwangsarbeit und Prügel. Und ein Teil der Kinder wurde auch noch Missbrauchsopfer. Auf derlei „Geschenke“ hätten die Kinder nur zu gerne verzichtet.
Wer zu den Geknechteten und Vergewaltigten zählt pfeift auf Hoffnung, leidet unter furchtbaren Erinnerungen. Sie kommen nachts, sie reissen dich aus dem Schlaf, sie nehmen dir die Luft, du schreist deine Angst vor der geilen Drecksau mit Titel Diakon heraus – und wenn du Glück hattest, wachst du in den dich haltenden Armen deines Partners auf. Und irgendwann, wenn sie gross genug sind um zu verstehen, fragen auch deine Kinder nicht mehr, warum der Vater/die Mutter nachts manchmal so schreit. Du siehst es in ihren Augen, du siehst das Mitleid, die Zuneigung, die Liebe und auch die Verschrecktheit. Und erlebst, dass sie bei dem Wort Kirche nur Hass zeigen. Du leidest darunter wie ein Hund, weil du erkennst, dass die Täterschweine auch deine Kinder erreichten.
DIE VERBRECHERISCHEN SCHWEINE DER DIAKONIE MACHTEN AUCH MEINE KINDER ZU OPFERN!«
Fußnote
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/08/27/die-erinnerung-soll-ein-bruder-sein-doch-wohl-eher-eine-schwester/
Traumatisierende Erinnerungen – Ein Dilemma
Er bürge dafür, sagte Detlev Zander, dass ihm Missbrauchsopfer aus Korntal berichtet haben, ihnen seien Gutscheine als Kompensation für erlittenes Unrecht angeboten worden. Aber Zander ist selber Partei in einer Situation nicht völlig klarer Konfliktlinien, schließlich ist auch die Opferseite gespalten. Von dort kommt auch die Schlussfolgerung: Wenn Zander niemand benennen kann, stimmen seine Vorwürfe nicht.
Dies ist ein altes Dilemma in der Heimkinder – und Missbrauchsdiskussion. Erinnerungen können triggern und Retraumatisierungen auslösen. Das erklärt zum einen das lange Schweigen oft über Jahrzehnte hinweg; das erklärt auch die Zurückhaltung nun, in der allgemeinen Aufarbeitungsphase, seine Erfahrungen offen vorzutragen. Doch mit anonym bleibenden Vorwürfen kann man vieles behaupten, sagen nicht nur die Gegner, die nicht zahlen wollen.
Streng genommen kommt man aus diesem Dilemma nicht heraus. Wer fordert muss erkennbar sein – oder klein beigeben.
Nimmt man es nicht so streng, wäre eine Vertrauensperson eine Hilfe, eine Vertrauensperson, der beide Seiten vertrauen, dass sie nicht falsch spielt, die aber nach beiden Seiten hin ihre Kritikfähigkeit bewahrt. Doch so wie ich das sehe, würde eine solche Person heftig unter Beschuss genommen, wenn sie ihre Kritikfähigkeit fallweise unter Beweis stellt. Doch oft werden Personen, die für diese Aufgabe in Blick genommen oder sogar beauftragt werden, schon vorher „verbrannt“.
Kein Wort über Prügelexzesse, kein Wort über sadistische Foltermethoden
… in der Erziehung von Kindern in kirchlichen Einrichtungen.
- Kein Wort über Vertuschung oder gar gerichtliche Drohungen gegen die Opfer.
- Kein Wort über die Leibfeindlichkeit, die bis heute Sexualität stigmatisiert, soweit sie nicht im Rahmen katholischer Sexualethik stattfindet.
Wohl Worte über das überforderte, fachlich nicht ausgebildete Personal der damaligen Zeit, aber …
- kein Wort zu deren katholisch konditionierten Lebensbedingungen, die vielfach von falschem Gehorsam und unterdrückten Sexualwünschen durchtränkt waren. Darum …
- kein Wort über Prügelnonnen, die Stöcke und Kleiderbügel auf dem Rücken der Heimkinder zerschlugen, …
- kein Wort über notgeile Priester und Mönche,
- kein Wort über Pädophilie.
- Kein Wort über die finanziellen Interessen, die dazu führten, normale Kinder für schwachsinnig zu erklären, damit Heimplätze in den Behinderteneinrichtungen belegt werden konnten.
- Kein Wort über Kinderarbeit.
Das war alles viel zu schmutzig, um es in den Mund zu nehmen.
Natürlich war die Tagung für ehemalige Heimkinder der Behindertenhilfe und Psychiatrie und die interessierte Fachöffentlichkeit am 23. Juni 2016 in Berlin kein Hochamt für die Kirchenvertreter. Doch man folgte den eingefahrenen Gleisen:
- Keine Drastik,
- Verweis auf die damaligen Verhältnisse,
- auf allgemein tolerierte Gewalt in der Erziehung.
Immerhin wurde zugegeben, dass es auch damals andere fachliche Meinungen über Kindererziehung gab.
Natürlich wurde das „Nie wieder“ bemüht, um zugleich auf die heutige, völlig andere Situation in den Einrichtungen zu verweisen.
Kein Wort auch über die aktuelle Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, für die nun weniger Mittel bereitgestellt werden, als für die ehemaligen Heimkinder aus den Erziehungsheimen – wobei ironischerweise der Fonds Heimerziehung als erstrebenswertes Ziel erscheint.
Peter Henselder hat Teile der Tagung in bewährter Art filmisch dokumentiert. Man muss ihm dankbar sein, denn er liefert ein Nischenprodukt, das die Öffentlich-Rechtlichen mangels hinreichender Einschaltquote meiden. Er liefert auch zwei Interviews in seiner unnachahmlichen eher hölzernen Befragungsart. Doch er gibt seinen Partnern nur Anlass, das schon im Vortrag Gesagte in aller Beschwichtigung zu wiederholen.
Er unterlässt es, nach den Knackpunkten zu fragen:
- Warum die Ungleichbehandlung?
- Warum so spät?
- Wer ist dafür verantwortlich?
Auf solche Interviews kann ich verzichten!
Letztlich ein déjà vu – wie beim der Affäre des Runden Tisches. Die katholische Tagung weckt in mir ungute Träume: https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/01/traumhaft/
Evangelischerseits sieht das nicht besser aus: https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/06/18/bundesverband-evangelische-behindertenhilfe-begruesst-errichtung-der-stiftung-anerkennung-und-hilfe/
Wer sich ein eigenes Urteil bilden will, hier die Links zu einigen Dokumenten der genannten Tagung:
https://www.youtube.com/channel/UC6FCy2mMqY3bxdvdIWnxX_g/videos?shelf_id=0&sort=dd&view=0
https://www.youtube.com/watch?v=AsOqREjzRx8
https://www.youtube.com/watch?v=7y2ypV-0aGw
https://www.youtube.com/watch?v=KBhwgyob1Ho
http://www.orden.de/dokumente/Presseordner/heimkinder_juni_2016/2016-Vortrag-Kard.Woelki_Tagung.pdf
https://www.youtube.com/watch?v=RFIj4Rejz-Y
https://www.youtube.com/watch?v=RF1R1F-UYXA
https://www.youtube.com/watch?v=qDqPSFdqZTA
https://www.youtube.com/watch?v=x93vCbnhwio
https://domforum.de/news/Gewaltx_Missbrauch_und_Leid_an_Behinderten_zwischen_1949_und_1975/
Ist es legitim, die Obszönitäten von Kronschnabel mit Bonhoeffer in Verbindung zu bringen?
Ja – aber warum?
Die Leser meines Blogs werden aufgemerkt haben, als ich erstmals und ohne weiteren Kommentar einen Text von Erich Kronschnabel auf die Ebene eines förmlichen Blog-Artikels gehoben habe. Lediglich von „Gossensprache“ schrieb ich warnend für empfindliche Gemüter.[1]
Die Obszönität ist bei Kronschnabel die Methode, mit der er die eigentlichen Obszönitäten geißelt: 1. Die Verbrechen an Kindern in kirchlichen Einrichtungen und 2. der Betrug und Heuchelei bei der Verweigerung einer realistischen Entschädigung.
Heinrich Bedford-Strohm, derzeit Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland schreibt über Bonhoeffer:
»Wer fromm ist, muss auch politisch sein: So wie bei Bonhoeffer lassen sich die Aufgaben der Kirche gegenüber Staat und Öffentlichkeit auch heute zusammenfassen. Die erste von Bonhoeffer genannte Aufgabe verstehen wir heute als Kultur der Einmischung. Wenn die Kirchen mit Denkschriften in die demokratische Zivilgesellschaft hineinsprechen, dann geht es genau um das, was Bonhoeffer als „Verantwortlichmachung des Staates“ bezeichnete. Die zweite Aufgabe, der diakonische Dienst an den Bedürftigen, bleibt ohnehin. Dass er heute geleistet wird, zeigt sich, wenn etwa Gemeinden mit großer öffentlicher Zustimmung für den Schutz von Flüchtlingen eintreten. Und die dritte Aufgabe? Was heißt dem Rad in die Speichen fallen? Für Bonhoeffer rückte dies zunehmend ins Zentrum seines Denkens und Handelns. Dass der Imperativ keineswegs nur in der Diktatur gilt, sondern auch in demokratischen Gesellschaften eine Option sein kann, zeigte schon in den frühen achtziger Jahren die Diskussion um gewaltfreien zivilen Ungehorsam gegen die Stationierung von Massenvernichtungswaffen.«[2]
Was hat das mit der Heimkinderfrage zu tun?
Es geht zunächst nicht um die Frage, ob man „dem Rad in die Speichen fallen“ soll. Dieser Wagen, von Staat und Kirchen gesteuert, hat längst seine Opfer hinter sich gelassen. Nun ist das dran, was Bedford-Strohm so kurzweg die zweite Aufgabe nennt: der diakonische Dienst an den Bedürftigen, der ohnehin bleibe. Das ist allzu simpel.
Hier setzt Kronschnabel ein und kommt, sprachlich völlig realistisch, auf die für die Kirchen unbequeme Gegenwart. Es geht eben nicht um Bonhoeffers „Verantwortlichmachung des Staates“, sondern um die der Kirche. Die aber kümmert sich lieber um die „kirchliche Außenpolitik“ und verdeckt damit die interne Fäulnis. Das mit dem Frieden und den Flüchtlingen ist ja richtig und wichtig, doch wenn’s nur zur Camouflage dienen soll, ist’s Heuchelei, naiv oder absichtlich.
Bonhoeffer kann man als Blutzeugen leicht auf den Denkmalsockel stellen, – gut für Sonntagsreden. Doch im Alltag gerät Bonhoeffer der Kirche zur Peinlichkeit. „Von guten Mächten wunderbar geborgen …“ Mir wird so kannibalisch wohl, wenn ich an diesen wohlfeil gebrauchten Trost denke, für den die Kirchen im Unterschied zu Bonhoeffer nicht habhaft einstehen wollen.[3]
Herrn Kronschnabel sei Dietrich Bonhoeffer an Herz gelegt[4] und der Gedanke, dass organisierte Mitmenschlichkeit über die gleichen Probleme stolpern kann, wie sie vielen Organisation eigen sind, die sich am Markt behaupten müssen. Die Organisation läuft und läuft und läuft – zuweilen bis ihre kriminellen Methoden publik werden – und sie läuft dennoch weiter. Oder glaubt irgendjemand, dass VW vom Markt verschwindet?
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/06/27/wie-unfein-erich-spricht-klartext-ueber-die-diakonie-konzentriert-und-schlagkraeftig/
[2] http://www.zeit.de/2015/15/dietrich-bonhoeffer-todestag-protestantismus-widerstand/komplettansicht
[3] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/13/das-war-spitze-herr-ratsvorsitzender/
Damit der Boden wieder trägt – Seelsorge nach sexuellem Missbrauch
Dieses Buch ist notwendig, schreiben die Autorinnen im Vorwort zu ihrem Buch Damit der Boden wieder trägt – Seelsorge nach sexuellem Missbrauch. Sie haben Recht damit. Ihre Begründung: Seelsorger/innen sind unsicher. Sie trauen sich die seelsorgliche Begleitung Traumatisierter oft nicht zu und reagieren hilf- und ratlos. Sie fürchten, dem Opfer sexueller Gewalt nicht gerecht werden zu können. Noch immer werden Opfer von sexueller Gewalt von der Seelsorge nicht wahrgenommen oder gar abgewehrt.
Die Autorinnen sind mutig. Schließlich sind die beiden großen Kirchen in Missbrauchsskandale verstrickt und machen dabei keine gute Figur. Die Frage ist, ob Missbrauchsgeschädigte überhaupt Zutrauen fassen zu Seelsorgerinnen[1], die im kirchlichen Dienst stehen. Zudem dürften Seelsorger die einzige Gruppe sein, die von ihrem beruflichen Selbstverständnis her bereit ist, missbrauchten Menschen unentgeldlich zuzuhören und hilfreiche Gespäche zu führen.[2] Die kostenfreie Zuwendung entbindet nicht von Anforderungen an die Professionalität der Gespräche. Die soll durch dieses Buch gefördert werden.
Die Autorinnen können offenbar auf große Erfahrung im seelsorglichen Umgang mit missbrauchten Menschen zurückblicken und aus diesen Erfahrungen schöpfen.
Die genannten Zielgruppen für dieses Buch sollten aber erweitert werden. Nicht nur Opfer von Missbrauch sollten es lesen (als Einschränkung wird auf mögliche Retraumatisierungen hingewiesen), nicht nur die Seelsorgerinnen, an die sich solche Menschen wenden, nein – und zuallerst, denke ich – sollten Kirchenleitungen das Buch lesen, angefangen vom Bischof persönlich und den Spitzen der Kirchenverwaltung bis zu den mit diesen Fragen beschäftigten Mitarbeitern. Doch sie werden es wohl nicht tun. Sonst könnten sie – endlich – die betroffenen Menschen verstehen und angemessen mit ihnen umgehen (lassen)[3].
Von diesen Menschen und den Umgang mit ihnen handelt das Buch. Aus eigenen Erfahrungen kann ich bestätigen: Dieses Buch ist notwendig. Auch habe ich viel Neues gelernt.
- Angesichts vielfachen sexuellen Missbrauchs, über die Zahlen könnte man streiten, muss „man“, nicht nur der Pfarrer im Gottesdienst, darauf gefasst sein, dass es unter den Zuhörerinnen kirchlicher, aber auch sonstwie öffentlicher Rede, missbrauchte Personen gibt, die auf der Suche nach Verständnis sind, aber zudem retraumatisierbar. Doch diese „Fallgruppe“ wird nicht erkannt und berücksichtigt.
Die Autorinnen zeigen Möglichkeiten auf, die missbrauchten Menschen Mut machen können, Vertrauen zu fassen und Seelsorge zu suchen. Den Seelsorgerinnen wird Mut gemacht, indem sie mit diesem Buch auf solche Begegnungen sachkundig vorbereitet werden. Die vielen Redundanzen sollten dafür sorgen, dass jeder am Schluss weiß, was Missbrauch bedeutet und wie Missbrauchten angemessen seelsorglich zu begegnen ist.
- Was mir bisher überhaupt nicht deutlich war: Missbrauchte haben ein Recht nicht nur auf Zorn, sondern auch auf Hass. Dem darf man nicht moralisierend begegnen. Zum ersten Mal habe ich die fürchterlichen Hass-Bezeugungen in manchen Psalmen verstanden. Auch die angewandte Form der biblischen Exegese[4] war mir neu – und hilfreich. Mein Theologiestudium liegt nun schon lange zurück, doch ich kann mir vorstellen, dass auch jüngere Kollegen hier etwas lernen können.
Hilfreich für die Seelsorge im kirchlichen Rahmen dürfte die nach Themen differenzierende Liste brauchbarer Bibelstellen im Anhang des Buches sein.
Nun zu den Opfern. Auch hier sollte man die Zielgruppe erweitern. Beim Lesen ging mir die ganze Zeit der Spruch von Jean Améry durch den Kopf: „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.“ Zitiert wird er erst gegen Ende des Buches. Doch diese Erkenntnis ist charakteristisch auch für Missbrauchte und erweitert das Thema auf alle, die in einer überwältigenden Gewaltsituation in Todesängsten waren und diese nicht vergessen können, weil überall, oft unerwartet und auch unverstanden, Trigger das Trauma neu auslösen können[5]. In diesen Menschen ist etwas unwiderruflich zerbrochen: Das Grundvertrauen in die Zuverlässigkeit der (normalen) Welt. Für uns „Normalos“ ist das schwer vorstellbar und wir meinen, irgendwann müssten solche Erlebnisse doch einmal abgelegt und vergessen werden können. Diese Erwartung ist genau die Zumutung, die traumatisierte Menschen sofort auf Distanz gehen lässt. Nur sie haben zu entscheiden, was sie für überwunden halten können – und sie sind überrumpelt, wenn der nächste Trigger wieder funktioniert.
Das Buch behandelt zielgruppengemäß zwei Aspekte: Die psychische Situation der Missbrauchten und die Herausforderung der Seelsorgerinnen.[6] Die Seelsorger müssen ihre Grenzen erkennen, heißt es, sie müssen wissen, wann eine Psychotherapie erforderlich ist.
Ein dritter Aspekt wird nur angedeutet: Der forensische.
Das dürfte seinen Grund in der zu Recht geforderten Parteilichkeit haben. Die Seelsorgerin hat fest auf der Seite der missbrauchten Person zu stehen, sie darf keine Zweifel anmelden, niemanden entschuldigen, hat nicht einmal Erklärungen für den Missbrauch anzudeuten. Dies ist erforderlich, um das Vertrauen nicht zu stören oder gar zu zerstören. Obwohl ich auch Fälle kannte, in denen ein behaupteter Missbrauch nicht stattgefunden hatte, hat mir ein jahrelanger Briefwechsel mit einer missbrauchten jungen Frau gezeigt, wie wichtig Parteilichkeit für das Vertrauen ist, ein Vertrauen, das bis zur Übersendung der Tagebücher reichte. Dennoch müssen Seelsorgerinnen auch darauf vorbereitet sein, dass ein Missbrauchserlebnis auch suggeriert sein kann, zuweilen therapieinduziert als die logische Erklärung für bestimmte Diagnosen.
Der Seelsorger hat hier gewiss nicht zu explorieren. Auch ein vermeintlicher Missbrauch ruft seelische Not hervor. Doch zuweilen steht am Ende der Wunsch nach gerichtlicher Klärung, strafrechtlich wie auch zivilrechtlich mit dem Ziel von Entschädigung. Richterinnen sind keine Seelsorger. Sie achten auf die Verjährungsgrenzen, dann auf die Beweisbarkeit und Glaubwürdigkeit der Vorwürfe. Der angeforderte Gutachter geht, sofern er professionell arbeitet, von der „Nullhypothese“ aus: der Missbrauch habe nicht stattgefunden. Nun sucht er nach Gründen, um diese Hypothese zu widerlegen. Der Gutachter Max Steller sieht hauptsächlich zwei Ursachen für die falsche Wahrnehmung/Erinnerung vermeintlicher Opfer. Da ist a) die Suggestion, vornehmlich bei Kindern, und b) psychische Störungen, vornehmlich bei Personen, die schließlich dank Therapie oder eigener „Einsicht“ Missbrauch für die Ursache ihrer Störungen halten[7], schließlich gibt es c) Menschen, die keinen sexuellen Missbrauch erlebt haben, ihre Not aber so benennen, d.h. sex. Missbrauch ist die Chiffre für ihre reale Not, die aber andere Ursachen hat. Das Terrain ist also schwierig – und steckt voller Minen. Glücklicherweise ist die Überprüfung der Richtigkeit der Eigenaussagen des Opfers nicht Aufgabe der Seelsorge. Doch sollte das Opfer die Sache gerichtlich klären wollen, muss es vorbereitet werden. Zunächst auf die Enttäuschung, wenn der Fall verjährt sein sollte, dann auf den Richter, der nach Beweisen fragt oder nach einem Sachverständigen-Gutachten. Damit wird alles wieder aufgerollt – auch die Emotionen. Hält das Opfer das durch?
Ein wirklich weites Feld. Das Buch will Mut machen und helfen, es zu betreten, damit diese Menschen aus ihrer Isolation und ihren Selbstvorwürfen herausfinden.
Dazu ist es sehr gut geeignet.
Erika Kerstner / Barbara Haslbeck / Annette Buschmann, Damit der Boden wieder trägt – Seelsorge nach sexuellem Missbrauch, 1. Auflage 2016, 240 Seiten, ISBN: 978-3-7966-1693-8, erscheint im Februar 2016, 19,99 €
[1] Die Autorinnen benutzen fast durchgängig „gendergerechte“ Benennungen (Seelsorger/innen). Mich stört das beim Lesen ungemein. Um den Sachverhalt klarzustellen: Missbraucher sind zumeist männlich – es gibt auch Ausnahmen; die Opfer sind meist Kinder, weiblich oder männlich. Menschen, an die sich Missbrauchte wenden, dürften wohl eher weiblich sein. Da das im Ansatz ökumenische Buch aber durchgehend auf katholische Normalität rekurriert, kommt über das Beichtsakrament den Pfarrern, also Männern, eine Bedeutung zu, die man im evangelischen Raum kaum finden wird. Ich schreibe in dieser Rezension demnach abwechselnd von Seelsorgern und Seelsorgerinnen.
[2] Sicherlich gibt es auch außerhalb des kirchlichen Rahmens Einzelne und Gruppen, die für solche Menschen da sind. Vergleichsweise sehen wir das an der Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge. Hier stechen auch die Kirchen als Organisationen positiv heraus. Es ist allerdings leichter, Hilfe für Menschen anzubieten, die nicht kirchlich vorgeschädigt sind.
[3] Das gilt auch für den kirchlichen Umgang mit den gedemütigten, misshandelten und ausgebeuteten ehemaligen Heimkindern.
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Materialistische_Bibellekt%C3%BCre
[5] Von „Flashbacks“ berichten auch Unfallopfer und Notfallseelsorger.
[6] Dazu wird auch mehrfach die Rücksichtnahme auf die Institution Kirche, die Arbeitgeberin der Seelsorger genannt. Ich habe das zunächst für ein eher katholisches Problem gehalten; für mich als Protestanten ist die Kirche ein Ding von dieser Welt und darum eher und heftiger kritisierbar, als das für Katholiken denkbar ist. Doch das scheinbar loyale Wegducken meiner Kollegen, oder auch das Ausweichen wegen der Peinlichkeit, Missbrauch und Kirche zusammenzubringen und zu thematisieren, [Dierk Schäfer, Scham und Schande, Die Kirchen und die Heimkinderdebatte, https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2010/05/essay-pfarrerblatt.pdf] hat mich an die Ökumenizität des Phänomens erinnert.
[7] mehr dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/11/02/politisch-korrekt-ist-dieses-buch-ganz-und-gar-nicht/
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