Verführer und Verführte
Zum Tod von Otto Muehl hatte ich gestern einen Beitrag in den Blog gestellt, verbunden mit einigen allgemeinen Gedanken über Künstler, soweit sie über ihr Kunstwerk hinaus weitergehende Ansprüche an die Lebensgestaltung ihrer „Follower“ erheben und durchsetzen können.[1]
Dazu erhielt ich einen Kommentar, den ich an dieser Stelle kommentieren möchte.:
»So wie etliche Kirchenmänner und -frauen die Spur von Gewalt, von Blut und Tränen, die sie quer durch die deutschen Heime gezogen haben, als „Gottgefälligkeit“ verkauf(t)en, hat der Muehl seinen Muell als Kunst verkauft. Und Jimmi Savile den seinen beim BBC als „Showbiz“«.
Letzten Endes haben sie alle eines gemeinsam: Sie sind Schweine und Lumpen, Folterer, Vergewaltiger und Drecksäcke!«
Ich denke, man sollte sich nicht mit den – wenn auch berechtigten – Beschimpfungen zufrieden geben. Das Gemeinsame der hier genannten Personen bzw. Gruppen ist die überwertige Idee.[2] Im Unterschied zur Krankheitsdiagnose finden diese Personen jedoch Follower für ihre Ideen und werden zum Guru. Nun könnte man problemlos in Außenansicht wohl alle Religionen als von überwertigen Ideen begründet ansehen, was kein Unwerturteil sein muß. Schließlich neigt der Mensch zum Transzendieren; er sucht nach dem Sinn seines Daseins, und der Mensch, der vom Brot allein lebt, ist ein armer Mensch, auch wenn das Brot gut belegt ist.
Der Knackpunkt ist jedoch die Wahrung der Menschenrechte. Lade ich meine Mitmenschen freundlich ein, mein Gedankengebäude zu betreten, oder zwinge ich sie dazu? Hierzu gibt es den unmittelbaren Zwang[3], der auch mit einer als richtig geglaubten überwertigen Idee nicht zu rechtfertigen ist, jedenfalls nicht nach heutigen ethischen Standards. Doch es gibt auch die überwältigende Macht der Idee – und die muß nicht immer „ideal“ sein.[4] Hier gilt: Wer sich verführen läßt, ist für sich selber verantwortlich. Doch die Kinder der Ge- oder Verführten!
Im Fall von Gesetzesverletzungen geht es ganz banal um Kriminalität. Wer sich zu Höherem berufen fühlt, wähnt sich frei vom Gesetz, und gehört bestraft.
Im Falle von Muehl ist die Berufung auf die Freiheit der (seiner) Kunst interessant und als Parallele zu einer mißbrauchten Religionsfreiheit zu sehen. Was den genannten Herrn von der BBC betrifft: Die Allgemeinheit läßt ihren Idolen so manches durchgehen und verschließt die Augen vor dem nicht-Tolerierbaren, bis es nicht mehr zu übersehen ist. Doch wenn das Idol fällt, hat nur sein Fall Nachrichtenwert, nicht aber die Opfer. So auch zu sehen im Falle der schließlich gescheiterten Würdigung von Herrn Cohn-Bendit[5]. Letzteres ein grünes Kapitel, das demnächst hier noch aufzugreifen sein wird.
[4] Ganz nebenbei: Mancher mag als Guru, Religionsführer, Demagoge oder Künstler, gestartet sein und wurde – von der Verehrung seiner Follower überwältigt (und der Machtfülle über sie)– zum Zyniker und Manipulator.
Übergriffe als Ausdruck „liebender Verbundenheit in Christus oder Auserwählung vor Gott“ ausgegeben
Man darf gespannt sein, was die Hotline-Erkenntnisse bewirken. Es sollte mehr sein, als Betroffenheit. Die gab’s schon reichlich. Was fehlt, ist Transparenz, die nicht von Diözese zu Diözese anders definiert werden sollte. Ob Bischof Ackermann tatsächlich für alle seine Kollegen spricht, ist nach dem Konflikt KFN-DBK fraglich: »Die Ergebnisse seien durch nichts zu beschönigen, sagte der Bischof. Allerdings werde seitens der Kirche auch nichts beschönigt, was als Beweis der festen Absicht der Bischöfe genommen werden solle, sich einer „offenen wissenschaftlichen Aufarbeitung“ des Umfangs und der Ursachen sexueller Gewalt in der Kirche zu stellen und die Freiheit der Wissenschaft zu respektieren.«
Da wäre also die offene wissenschaftliche Aufarbeitung 1. des Umfangs und 2. der Ursachen sexueller Gewalt in der Kirche. Somit müßte auch nicht nur der Zwangszölibat als möglicher Co-Faktor untersucht werden, sondern die gesamte Sexuallehre der Kirche auf den Prüfstand. Die aktuell aufgetauchte Weigerungshaltung katholischer Krankenhäuser, in Vergewaltigungsfällen Beweismaterial zu sichern, läßt nichts Gutes erwarten. Wenn die Verhältnisse in sexualibus nicht der Lehre der Kirche entsprechen, wird sich wohl auch die Kirche fragen lassen müssen, ob ihre Lehre den Menschen gerecht wird. Das heißt gerade nicht, alles gut zu heißen, was praktiziert wird, sondern offen zu bedenken, was gelehrt wird. 3. Schließlich der Respekt vor der Freiheit der Wissenschaft. Der muß nicht grenzenlos sein, sollte aber wissenschaftsgerechte Ausgangsbedingungen ermöglichen und die unzensierte Veröffentlichung der Ergebnisse. Jeder Wissenschaftler wird dafür sorgen, zu sorgen haben, daß individuelle Persönlichkeitsrechte nicht verletzt werden. Dies kann auch auf einen individuellen Täterschutz, also nicht den der Organisation hinauslaufen. Aber eine wissenschaftliche Untersuchung ist keine gerichtliche, auch wenn manche Opfer das verständlicherweise gerne so hätten.
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