Gedenkstätten? „Das beste Gedenken wäre es, die Dinger in die Luft zu sprengen!“
»Übrigens erinnere ich mich lebhaft an die Reaktion eines britischen Gastes – ehemaliges Heimkind – auf einer Mitgliederversammlung des VEH e.V. Auf den Vorschlag, ehemalige Heime, Klöster, Schulen als Gedenkstätten einzurichten, meinte er trocken: Das beste Gedenken wäre es, die Dinger in die Luft zu sprengen!«
So ein Kommentar auf meinen Beitrag zur Vergangenheitsaufarbeitung.[1]
Die Reaktion des britischen Gastes „hat was“. Der Vorschlag ist zwar irreal, niemand wird ihn umsetzen. Doch von der Idee her hat er auf radikale Weise recht. So würde schmerzhaft sichtbar das geschaffen, was Libeskind im Jüdischen Museum „voids“ genannt hat. Eine Leerstelle erinnert an das, was ausgelöscht wurde. Lydia Koelle geht in ihrer Publikation[2] darauf ein.
Ich habe die voids im Museum gesehen, als es noch leer war. Die Museumsführerin wies uns darauf hin – und wohl alle in der Gruppe waren beeindruckt. Als ich später einmal dort war, gab es die voids natürlich immer noch, doch die nun eingerichtete Ausstellung lenkte die Aufmerksamkeit auf sich selbst, auf ehemaliges jüdisches Leben in Deutschland. Ich fragte ein paar Jahre später jemanden, der das nunmehr eingerichtete Museum gesehen hatte, nach den voids, und er erinnerte sich nicht mehr daran. Das Leben, in diesem Fall das Museum als Inszenierungsort von Vergangenheiten, geht weiter. Wer sich noch an deutsche Städte in der unmittelbaren Nachkriegszeit erinnert – es gibt auch Photobände davon – kennt sie heute kaum wieder. Die Generation unserer Eltern hat die voids, die bombengeschaffenen Leerstellen neu besetzt und neu belebt – wie und was auch sonst? Unsere Generation hat vielfach sorgsam rekonstruiert, was im Krieg zerstört wurde, so der Römer in Frankfurt, – bis hin in die Jetzt-Zeit, nehmen wir nur das Berliner Schloss als Beispiel. Eine Dokumentation wird daran erinnern. Das Schloss ersteht – wenn auch nur als Fassade – neu; Fassade in makabrer Bedeutung. Ein Blick hinter die Fassade, bildlich gesprochen, sollte uns vor der Illusion bewahren, es sei alles wieder gut.
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/01/20/wer-die-vergangenheit-der-vorfahren-aufarbeitet-kann-die-eigene-uberspringen-und-gewinnt-beinfreiheit-fur-die-gegenwart/
[2] Lydia Koelle, Deutsches Schweigen, Der Vergangenheit Gegenwarten im Familiengedächtnis, in Literatur, Religion und Öffentlichem Raum http://www.kas.de/wf/doc/kas_40005-544-1-30.pdf?141217163207
Ein Nachtrag zur Erinnerung:
„Wovor die Lehrer gewarnt haben, ist nämlich längst passiert, irgendwann zwischen Irakkrieg und Fußball-WM. Wir haben Auschwitz vergessen. Es ging ganz schnell.“ http://www.welt.de/kultur/history/article136504160/Was-wissen-wir-ueber-Auschwitz-Nichts.html
Wer die Vergangenheit der Vorfahren aufarbeitet, kann die eigene überspringen und gewinnt Beinfreiheit für die Gegenwart.
Wie vorbildlich sind doch wir Deutsche im Vergleich zu anderen Nationen in der Aufarbeitung unserer schrecklichen Vergangenheit!
Diesen Gedanken verbannt man sehr schnell, wenn man die entlastende Funktion dieser Aufarbeitung anschaut.
Die Rituale öffentlicher Vergangenheitsgedenken der Untaten unserer Vorfahren sind auch eine Form ihrer Beschweigung und der Beschweigung unserer eigenen Beweggründe. Unsere Ergriffenheit vom Schicksal der Opfer führt zur Identifikation mit ihnen und lenkt von den Tätern, von ihrer Schuld und von unserer generationellen Verstrickung ab.[1]
»Jeder Ort, und derer waren viele, an dem das Verbrechen sich ereignet hatte, wurde in eine Gedenkstätte umgewandelt. Es wurde dieses Gedenken nicht mehr als eine bloß notwendige, sondern als die edelste Aufgabe des Staates angesehen, und nirgends war es ehrenvoller zu arbeiten als im Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung, das in der Mitte der Hauptstadt des Landes angesiedelt war, … . So war die Dunkelheit, aus der dieser Staat vor langer Zeit hervorgekrochen war, in das hellste Licht gestellt und zu seinem Eigentlichen erklärt worden, was nur logisch war, schließlich war es der Grund seiner Gründung. … Nur war es nicht mehr interessant, seit es auf dem Präsentierteller dargeboten wurde und wie von tausend Sonnen so hell und von allen Seiten beleuchtet war. Aus dem Blitzkrieg war Blitzlicht geworden und aus der Wirklichkeit dieses Verbrechens eine Geschichte aus alten Zeiten. … Schrecklich war jetzt, daß es kaum noch wehtat. Das war das eigentlich Schreckliche und mehr noch: für ihn war dies das Eigentliche. Daß dieses Verbrechen, so groß es war, hatte aufhören können wehzutun.«[2]
Die Aneignung der Opferschicksale durch die Nachfahren der Täter belegt die Publikation von Lydia Koelle am Beispiel des Denkmals für die europäischen Juden[3] [4]. Sie hätte das aktueller auch am Beispiel des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas[5] zeigen können, wo man am Tag nach der Einweihung gleich wieder zur ausgrenzenden Politik dieser Gruppen überging. Doch Koelle kommt es auf die die jüdisch-theologischen Hintergründe an. Sie nennt damit auch ganz andere Argumente, die speziell diese Form des Gedenkens problematisch erscheinen lassen. Das ist lesens- und berücksichtigenswert.
Die Leser meines Blogs werden manche Parallelen ziehen wollen, auch wenn eine Gleichsetzung nicht angebracht sein dürfte. Aber zurzeit erscheint eine kaum noch zu bewältigende Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen über verschiedene Kinderheime in der Nachkriegszeit. Soweit ich es überblicke haben vornehmlich die evangelischen Einrichtungen es unternommen, Aufträge für der Erforschung ihrer Vergangenheit zu vergeben; sie haben die Zeichen der Zeit erkannt und wissen, was sich schickt: Rituale der Erinnerung, Rituale der Buße. Autoren, die etwas auf sich halten, lassen sich für ihre Forschungen keine Vorgaben machen, und man merkt dies den Veröffentlichungen auch meist an.
Wie gehen nun die ehrenwerten Auftragsgeber der betroffenen Institutionen mit „ihrer“ Belastung um? Relativ einfach. Es ist eine vergangene Belastung. Die Last ist zwischen zwei Buchdeckel dokumentiert und abgelegt. Nachdem nun trotz aller Gegenwehr bekannt geworden ist, wie in vielen Heimen die Kinder gedemütigt, ausgebeutet, misshandelt und teils auch missbraucht wurden, hatte man schließlich die Auftragsarbeiten vergeben; die Vergangenheit ließ sich nicht mehr leugnen. Nun liegt sie am Tag und die Vor- und Grußworte der Vorsitzenden der heutigen Einrichtungen sind ihr Terrain am Beginn der wissenschaftlichen Untersuchung. Die Gelegenheit nutzen sie. Sie verkleinern, relativieren oder schieben das Unangenehme an den Rand. Um nur ein Bespiel zu nehmen:
„Zu Werk und Wandel gehören auch die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte: die Deportationen und Ermordung von Kindern und Frauen mit Behinderungen im Dritten Reich; die Zwangsarbeit, die Menschen in der gleichen Zeit bei uns verrichten mussten; die Gewalt, die Kinder und Jugendliche in unseren Einrichtungen in unserer jüngeren Geschichte erlebt haben. Die damit verbundene Schuld darf nicht relativiert werden und in einem Rückblick auf 125 Jahre fehlen.“
So aus dem „Geleitwort – Dank“ der Kreuznacher Diakonie. Das sind sechs Zeilen von 70[6]. Die sechs Zeilen stehen für die Nazi- und die Nachkriegszeit bis weit in die 70er Jahre.
Man mußte ja mehr zu tun, als eine übliche Jubel-Jubiläumsschrift zu präsentieren. Für die Auslöser der aktuellen Heimdiskussion fiel aber nur die Zeile ab: „die Gewalt, die Kinder und Jugendliche in unseren Einrichtungen in unserer jüngeren Geschichte erlebt haben“. Danach kann das Öffentlichkeitsreferat die neue schöne Heimwelt anpreisen:
Wer die Vergangenheit der Vorfahren aufarbeitet, kann die eigene überspringen und gewinnt Beinfreiheit für die Gegenwart.
[1] Von was reden sie? So fragt ein Kommentator zum Fall Oetker. Es geht hier um „Aufarbeitung der väterlichen Nazivergangenheit“ und das muss man sich auch nicht noch vom Steuerzahler bezuschussen lassen. Man könnte meinen Oetker hat überhaupt nichts aus dem ganzen gelernt. Oder hat sein Vater nicht mit „staatlicher Vorteilsnahme der NS Zeit“ einen Konzern aufgebaut. Hier fehlt einfach das Fingerspitzengefühl für die Sache. Da hätte es wesentlich bessere Methode gegeben dies anzugehen. So sieht das nicht nach Aufarbeitung aus, sondern wirkt wie ein nach Mitleid haschendes Geschäft mit einer Portion Eigenwerbung. Kommentar zu http://www.zeit.de/2013/43/unternehmen-oetker-ns-vergangenheit
[2] Iris Hanika, Das Eigentliche, zitiert nach: Lydia Koelle, S. 19, dort Kapitel 2: Rotkäppchen im dunklen Wald der Erinnerung. Die Grenzen säkularer Heilswege: http://www.kas.de/wf/doc/kas_40005-544-1-30.pdf?141217163207
[3] Lydia Koelle, Deutsches Schweigen, Der Vergangenheit Gegenwarten im Familiengedächtnis, in Literatur, Religion und Öffentlichem Raum
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Denkmal_f%C3%BCr_die_ermordeten_Juden_Europas
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Denkmal_f%C3%BCr_die_im_Nationalsozialismus_ermordeten_Sinti_und_Roma_Europas
[6] gezählt nach der digitalen Fassung der Studie
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