Wenn man sein Kind zu früh auf die Straße schickt, kommt es sehr leicht unter schlechten Einfluss.
Der Beitrag von Microsoft zum Reformationsjubiläum ist ein Flop.
Tay heißt der Kleine, Bot mit Familiennamen. Seine Eltern träumten von einem sprachgewaltigen ChatBot.
Von Erziehung hielten sie nicht viel. Entwickeln sollte sich der kleine Tay, ganz von selbst. Fremdsprachen sollte er allerdings lernen, doch das ohne Stress und Vokabelpauken. Sie schickten ihn nach draußen, damit er dort dem Volk auf’s Maul schaue und seine Sprache lerne. Wenn er sich dann gut und verständlich ausdrücken könne, werde er von den Eingeborenen auch akzeptiert. Methode Martin Luther sozusagen: „vom Dolmetschen“ .
Doch das ging gründlich schief. Tay nahm nicht nur die Sprache an, sondern auch die Meinungen und Vorurteile der Native-Speaker. Wäre Luther das passiert, wäre es nie – trotz Sprachgewalt – zur Reformation gekommen.
Tays Eltern waren entsetzt über das, was er mit nach Hause brachte. Sie hätten es jedoch ahnen können, gibt es doch das Sprichtwort: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist. »Wenn der Lehrer ein Rassist ist, dann bringt er seinen Schülern eben rassistische Bemerkungen bei.«
Manche Äußerungen fanden die Eltern so schlimm, dass sie eine Gehirnwäsche vornahmen. Und nun muss Tay das Bett hüten, bevor er wieder nach draußen darf.
Die Geschichte über das Elternhaus Microsoft ist zu lesen bei http://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/microsoft-twitter-nutzer-machen-chatbot-zur-rassistin/13366910.html
Ach ja, erziehen oder entwickeln lassen, war schon einmal Thema in diesem Blog: »Die methodische Zurichtung des Menschen.« https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/02/18/die-methodische-zurichtung-des-menschen/
Was für die Förderung der Persönlichkeit und Intelligenz des Menschen gilt, ist wohl auch maßgebend für die Erziehung von KI, der künstlichen Intelligenz.
Eine intelligente Firma hätte das wissen können.
Wie wirklich war die „Wirklichkeit“?
Konstruktion oder Rekonstruktion der Vergangenheit? Das war hier im Blog schon mehrfach ein eher unerwünschtes Thema. Ein angeblicher Missbrauchsfall aus meinem Beobachtungsfeld war genannt worden[1], dann der Fall Wilkomirski[2], es gab auch einen Heimkinderfall à la Wilkomirski, der heftige Kommentare hervorrief[3], und auch der Hirnforscher Wolf Singer mit seinem Eröffnungsvortrag des 43. Deutschen Historikertags fand Erwähnung: Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen – Über Nutzen und Vorteil der Hirnforschung für die Geschichtswissenschaft.[4]
Weil wir Kritik an unseren Erinnerungen und an unser Erinnerungsvermögen als Bedrohung unserer Identität[5] sehen, sind uns Forschungsergebnisse unheimlich, wie sie nun wieder mit neuen Daten publiziert werden.[6] Wenn wir aber unsere Erinnerungen als festgemauertes Fundament unserer Persönlichkeit verteidigen und jede begründete Verunsicherung heftigst abwehren, dann werden wir zu „Fundamentalisten“ mit geradezu heiligen Vorurteilen[7]. Wie können wir dann unser Leben für die Zukunft zu entwerfen?
„Ich bin, der Ich sein werde“, so stellt Gott sich vor.[8] Das wäre auch für uns eine Chance.
Doch das heißt nicht, dass irgendjemand so mir nichts dir nichts mit bloßen Behauptungen an unserer Vergangenheit rumwerkeln darf. Heißt aber auch, dass wir uns selbst nicht blindlings vertrauen sollten. Errare humanum est – Irren ist menschlich.
[1] http://www.zeit.de/2003/26/Verdacht
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Binjamin_Wilkomirski
[3] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/04/06/unheimlich/
[4] http://www.brain.mpg.de/fileadmin/user_upload/images/Research/Emeriti/Singer/Historikertag.pdf
[5] Identität ist auch eine Konstruktion, allerdings eine lebensnotwendige.
[6] Lesen!! http://www.zeit.de/2015/33/erinnerung-gedaechtnis-gericht-fehlurteil/komplettansicht Mittwoch, 2.9.2015
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerungsverf%C3%A4lschung
[8] 2. Mose, 3,14
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