Zeitvergleich
Geschichte wiederholt sich nicht – so heißt es. Doch es gibt merkwürdige Parallelen.
Heute sehen wir einen Artikel aus der Frankfurter Zeitung vom 01.11.1929.[1] 90 Jahre ist es her, dass diese Zeitung eine detaillierte Analyse des Aufstiegs der Nazi-Partei vorlegte. Vier Jahre später galt keine Pressefreiheit mehr, war alles gleichgeschaltet zu einer Nazi-Lügenpresse.
Schnuppern wir doch kurz die Luft der damaligen Freiheit:
»der Kern der Wählerschaft hat an der guten demokratischen Tradition des Landes festgehalten; nur ein – allerdings ansehlicher – Bruchteil ist der nationalsozialistischen Werbung widerstandslos erlegen, nämlich der Teil der Bauernschaft und des Bürgertums, den Kriegsende, Umwälzung und Inflation politisch aus dem Gleise geworfen und derart direktionslos gemacht haben, daß er, verstärkt durch wirtschaftlich Unzufriedene aller Art, seit zehn Jahren von Wahl zu Wahl anderen Phantomen nachjagt.« » Für den [badischen] Landtag bedeutet der Einzug der Nationalsozialisten eine Vermehrung der Elemente, die sich weigern, überhaupt fair mitzuarbeiten, die die Aufgabe des Landtags nicht fördern, sondern von innen heraus sabotieren wollen. Zu den fünf Kommunisten kommen sechs Nationalsozialisten; ein volles Achtel des Landtags wird damit aus Abgeordneten gegen den Landtag bestehen. Sie treiben ein unehrliches Spiel, indem sie trotzdem die volle Gleichberechtigung mit den andern Parteien in Anspruch nehmen – die ihnen selbstverständlich gewährt werden wird –, wie es auch unehrlich ist, selbst einen Staat des Zwanges, der brutalen Vergewaltigung aller Andersdenkenden zu propagieren und gleichzeitig laut zu lamentieren und vor Entrüstung außer sich zu sein, wenn der bestehende Staat sich gegen ihre Wühlarbeit mit sehr zahmen Mitteln zur Wehr setzt.«
Zeitsprung
»Wo die NSDAP erfolgreich war, ist es heute die AfD. Das erklärt natürlich nicht den ganzen Wahlerfolg der AfD. Aber es ist ein wichtiger Faktor, ähnlich wichtig wie andere Erklärungen, die man bislang oft hören konnte: Arbeitslosigkeit, Verlust von gut bezahlten Jobs im Industriesektor, Unsicherheit wegen der Zuwanderung.«[2] »Was die beiden Parteien gemeinsam haben, ist, dass sie offensichtlich Menschen mit ihren rechtspopulistischen Denkweisen ansprechen, mit relativ schnellen und national gefärbten Lösungen für Probleme und Krisen der Zeit, mit ihrem Insider-Outsider-Denken.«
Dies ist die eine Seite des Problems und seiner Parallelen. Die weiteren Details sollte man den angegebenen Artikeln entnehmen. Dann sieht man auch, dass ein 1:1 Vergleich nicht funktioniert.
Doch auf der anderen Seite des Problems haben wir wieder eine Parallele.
Vor 90 Jahren schrieb die Frankfurter Zeitung: »Die Empfänglichkeit weiter Volkskreise für die nationalsozialistische Agitation könnte nicht so groß sein, wenn die Republik die volle Ueberzeugungs- und Anziehungskraft entfaltet hätte, die gerade einer auf dem demokratischen und sozialen Prinzip aufgebauten Institution innewohnen muß. Deshalb muß der Nationalsozialismus der Republik ein Stachel zur Selbstkritik sein; die Republik ist robust genug, um solche unablässige Selbstkritik ertragen zu können.«
Die Überzeugungs- und Anziehungskraft unserer Demokratie ist im Sinken und als enttäuschter/empörter Bürger könnte man geneigt sein, mancher AfD-Argumentation zu folgen – wenn es nicht die AfD wäre. Unsere Funktionseliten haben ihre Glaubwürdigkeit weitgehend verloren durch zahlreiche Skandale. Es sind ja nicht nur die Großbauprojekte, die merkwürdigerweise nicht von der Stelle kommen, es ist nicht nur der Zustand unserer maroden Infrastruktur, bei dem man sich fragt, wo die Steuergelder hingeflossen sind. Es ist vor allem die Kumpanei mit Wirtschaft und Industrie geschmiert durch die Lobbyvertreter, genannt sei hier nur die Autoindustrie, die gerade durch ihre Betrügereien dabei ist, unsere Wirtschaft gegen die Wand zu fahren. Transparenz in diesen Dingen ist Tabu und die „Abgeordnetenwatch“ ein böser Bube.
Unser Gemeinwesen wird von zwei Seiten bedroht: Von seinen Vertretern, die gekonnt auf der Klaviatur gesetzlicher Möglichkeiten spielen – und dabei auch manchmal falsch spielen. Ihnen muss man auf die Finger hauen und sie bei den Wahlen abstrafen – wenn es da denn Alternativen gibt. Die erklärten Gegner unserer menschenrechtsbegründeten freiheitlichen Lebensweise sind Feinde dieses Staates und der Mehrheit der rechtlich Denkenden. Hier müssen unsere Staatsorgane mit allen rechtlichen Möglichkeiten durchgreifen bis hin zum Parteienverbot. Es wird Zeit. 1929 hatte man nur noch vier Jahre bis zur Machtergreifung der Feinde der Menschheit.
[1]Zitate aus : https://www.faz.net/aktuell/politik/historisches-e-paper/historisches-e-paper-nsdap-erstmals-im-badischen-landtag-16402663.html
[2] Die gegenwartsbezogenen Zitate sind entnommen aus: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-02/afd-waehler-rechtsextremismus-nsdap-gemeinden-milieu/komplettansicht
Der liebe #GOtt sieht alles – und #GOogle auch
Ein déjà vue! Shoshana Zuboff schreibt unter der Überschrift Die Google-Gefahr – Schürfrechte am Leben über die Bedrohung, die von der Gestaltung unserer Lebenswelt durch Organisationen wie besonders Goggle ausgehen, noch dazu im Fall Google im Verbund mit der NSA[1]. Der Artikel ist lesenswert, obwohl der informierte Zeitgenosse das Szenario inzwischen weitgehend kennt.
»Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir erleben das Entstehen absoluter Macht. Die Internet-Giganten, Google an der Spitze, übertragen ihre radikale Politik vom Cyberspace auf die reale Welt. Sie werden ihr Geld damit verdienen, dass sie die Realität kennen, kontrollieren und in kleinste Stücke schneiden.« Sie schreibt weiter, der ehemalige NSA-Direktor Mike McConnell habe gesagt, „Jüngste Berichte über eine mögliche Partnerschaft zwischen Google und der Regierung verweisen auf gemeinsame Anstrengungen – und gemeinsame Herausforderungen –, die wir in der Zukunft wahrscheinlich erleben werden. Der Cyberspace kennt keine Grenzen, und unsere Verteidigungsanstrengungen müssen ebenso grenzenlos sein.“
Professor Alex Pentland meint, es bedürfe eines „exponentiellen Wachstums der Daten über menschliches Verhalten“. … die immer größere Zahl der Sensoren, Mobiltelefone und sonstigen Datenerfassungsgeräte werde bald die „Augen und Ohren“ eines „weltumspannenden lebenden Organismus“ bilden.“ „Verteilte Sensornetze“, so meint er, ermöglichten eine „göttliche Perspektive auf uns selbst. Zum ersten Mal können wir das Verhalten einer großen Zahl von Menschen aufzeichnen, während sie ihr alltägliches Leben führen.“… Es geht nicht nur darum, alles zu sehen wie Gott; es geht um eine gottgleiche Macht, die Realität zu gestalten und zu kontrollieren.
Ein déjà vue?
Ja, ich hatte das Thema schon einmal kurz erwähnt[2] und geschrieben, daß vor ca. 15 Jahren mich der landeskirchliche Datenschutzbeauftragte, ein Jurist, nach einer biblischen Begründung für den Datenschutz fragte. Das kommt in der Bibel nicht vor, sagte ich. Man könne allenfalls daran anknüpfen, daß Gott, wie wir ihn uns vorstellen, nichts verborgen bleibt. Dies sei also ein Privileg Gottes. – Das soll hier nun näher dargestellt werden.
In der Versuchungserzählung aus dem Paradies preist die Schlange die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis: Ihr werdet sein wie Gott. Das führte zum „Sündenfall“ und zur Vertreibung aus dem Paradies. Es war also nicht gut, sein zu wollen wie Gott. Auch als die Menschen den Turm zu Babel bauten, sah Gott seine Privilegien in Gefahr und verwirrte ihre Sprache.
Diese Geschichten, auch wenn sie sich wohl nicht so abgespielt haben, gehören zu den Urmythen unseres Kulturkreises. Darin werden Gott Fähigkeiten und Rechte eingeräumt, die dem Menschen nicht zustehen und alle Hybris[3] wird böse enden. Das sahen auch die alten Griechen so, um einen nichtchristlichen Teil unseres kulturellen Erbes heranzuziehen.
Doch Mythos hin oder her: All diese Geschichten haben die Menschen nicht abgehalten, für göttlich erklärte Ge- und Verbote zu mißachten. Es wäre naiv, sich beim Datenschutz auf „alte Geschichten“ zu stützen, wenn es auch für mich als Theologen reizvoll ist, diesem Gedanken nachzugehen. Mit der Formel der liebe Gott sieht alles ist zwar viel Schindluder getrieben worden. In früheren Zeiten lebten sogar hochgestellte und gebildete Leute in Angst vor dem Jüngsten Gericht, was sich zuweilen aber erst auf dem Sterbebett herausstellte. Ob aber dadurch Kriminalität nennenswert verhindert wurde, vermag ich nicht zu beurteilen, auch nicht ob die darauf basierende Kindererziehung gefruchtet hat.
Wie dem auch sei: Fakt ist, daß die göttliche Allwissenheit dabei ist, unter die Menschen und damit unter die Räder zu kommen – und nur wenige fürchten sich davor[4].
- Die Theologen greifen das Thema nicht mit ihren Denkmöglichkeiten auf[5],
- die Kritiker der Religion kämpfen lieber gegen Windmühlen als gegen die gottähnliche Machtfülle weltlicher Instanzen.
- Und die Masse? Biblisch gesprochen: sie aßen, sie tranken, sie freiten, sie ließen sich freien bis auf den Tag, da Noah in die Arche ging, und kam die Sintflut und brachte sie alle um[6]. Da sieht man, wie sich die Zeiten geändert haben. Gefreit wird heute kaum noch. Es muß also heißen: Sie gaben sich dem Konsum und den Bequemlichkeiten der neuen Techniken hin, und dachten nicht mehr an Gott. Für die Nichtgläubigen: Sie dachten nicht mehr an die Gefahren für ihr und unser Menschsein.
Was also tun ohne Gott?
Shoshana Zuboff fordert zum Schluß ihres Artikels: Der moderne demokratische Staat muss ein Gegengewicht zu einem gefährlichen neuen Absolutismus schaffen, der sich auf eine durchdringende, geheime und jeglicher Rechenschaftspflicht enthobene Macht stützt. Es ist der erneute Griff nach der Weltmacht[7], um den es hier geht, nachdem der Griff nach der atomaren Weltmacht eingehegt wurde und bis heute im Patt endete. Auch diese neuen Mächte müssen eingehegt und geregelt werden. Wir brauchen Institutionen und Gesetze dafür, auch strafbewehrte Gesetze, wir brauchen für unsere Kinder den neuen Gefahren angepaßte Lehrpläne und wir brauchen Eltern, die nicht einfach so in den Tag leben und vor lauter Bequemlichkeiten, die uns die „schöne, neue Welt“ bietet, die Gefahren übersehen. Denn, biblisch gesprochen: Seid nüchtern und wachet! Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge[8]. Und weltlich: Unsere Rechte, auch die Menschenrechte, werden uns nicht auf einem Silbertablett serviert. Wir müssen wachsam sein und sie immer wieder neu erringen und sichern.
[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-google-gefahr-zuboff-antwortet-doepfner-12916606.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 [Zitate in kursiv, Hervorhebungen ds]
[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/09/10/wenn-der-himmel-betriebsausflug-macht/
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Hybris : »Im heutigen Sprachgebrauch wird Hybris als ein bildungssprachlicher Ausdruck für Vermessenheit und Selbstüberhebung verwendet, die zu einem schlimmen Ende führen werden. Beispiel: „Die Hybris, die uns versuchen läßt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln.“«
[5] Es gibt meines Wissens keine einschlägige differenzierte „Denkschrift der EKD“ und ich möchte bezweifeln, ob meine Kollegen auf der Kanzel das Thema aufgreifen. Immerhin aber hatte sich der Theologe Karl Barth (http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Barth ) wenn auch wenig differenziert aber grundsätzlich gegen Geheimdienste geäußert. Von den Möglichkeiten heutiger Überwachung konnte er 1946 nichts wissen.
[6] Lukas 17:27
[7] Auch dies ist immer wieder eine „Versuchungsgeschichte“ http://de.wikipedia.org/wiki/Versuchung_Jesu
[8] 1.Pet 5:8
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