Dierk Schaefers Blog

Traumatisierende Erinnerungen – Ein Dilemma

Er bürge dafür, sagte Detlev Zander, dass ihm Missbrauchsopfer aus Korntal berichtet haben, ihnen seien Gutscheine als Kompensation für erlittenes Unrecht angeboten worden. Aber Zander ist selber Partei in einer Situation nicht völlig klarer Konfliktlinien, schließlich ist auch die Opferseite gespalten. Von dort kommt auch die Schlussfolgerung: Wenn Zander niemand benennen kann, stimmen seine Vorwürfe nicht.

Dies ist ein altes Dilemma in der Heimkinder – und Missbrauchsdiskussion. Erinnerungen können triggern und Retraumatisierungen auslösen. Das erklärt zum einen das lange Schweigen oft über Jahrzehnte hinweg; das erklärt auch die Zurückhaltung nun, in der allgemeinen Aufarbeitungsphase, seine Erfahrungen offen vorzutragen. Doch mit anonym bleibenden Vorwürfen kann man vieles behaupten, sagen nicht nur die Gegner, die nicht zahlen wollen.

Streng genommen kommt man aus diesem Dilemma nicht heraus. Wer fordert muss erkennbar sein – oder klein beigeben.

Nimmt man es nicht so streng, wäre eine Vertrauensperson eine Hilfe, eine Vertrauensperson, der beide Seiten vertrauen, dass sie nicht falsch spielt, die aber nach beiden Seiten hin ihre Kritikfähigkeit bewahrt. Doch so wie ich das sehe, würde eine solche Person heftig unter Beschuss genommen, wenn sie ihre Kritikfähigkeit fallweise unter Beweis stellt. Doch oft werden Personen, die für diese Aufgabe in Blick genommen oder sogar beauftragt werden, schon vorher „verbrannt“.

Beachtlich – und ein Beleg für die Erbärmlichkeit unserer erbarmungslosen Gesellschaft

Posted in Uncategorized by dierkschaefer on 7. September 2014

Die Spitzen der Schweizer Gesellschaft und viele Schweizer Politiker haben eine Wiedergutmachungsinitiative[1] gestartet, deren Forderungen hier auszugsweise wiedergegeben werden.

Meinen Dank an Uve Werner, der auf die Initiative aufmerksam gemacht hat.

 

 

»Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen (Wiedergutmachungsinitiative)

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 124a Wiedergutmachung für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen
1 Bund und Kantone sorgen für die Wiedergutmachung des Unrechts, das insbesondere Heimkinder, Verdingkinder, administrativ versorgte, zwangssterilisierte oder zwangsadoptierte Personen sowie Fahrende aufgrund fürsorgerischer Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen erlitten haben.
2 Sie sorgen für eine unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Massnahmen und fördern die Diskussion darüber in der Öffentlichkeit.

Art. 196 Ziff. 12. Übergangsbestimmung zu Art. 124a (Wiedergutmachung für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen)
1 Der Bund errichtet einen Fonds in der Höhe von 500 Millionen Franken für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen, die vor dem Jahre 1981 vorgenommen wurden.
2 Anspruchsberechtigt sind Menschen, die von solchen Massnahmen unmittelbar und schwer betroffen waren. Die Höhe der Wiedergutmachung richtet sich nach dem erlittenen Unrecht. Über die Ausrichtung der Leistungen entscheidet eine unabhängige Kommission.
3 Der Fonds wird zwanzig Jahre nach seiner Errichtung aufgelöst. Ein allfälliger Restbetrag wird den Einlegern anteilsmässig rückerstattet.«[2]

[1] http://www.wiedergutmachung.ch/de/komitee/

[2] http://www.wiedergutmachung.ch/initiative/

Wie kann man heute noch Buße tun?

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 19. November 2009

Gestern, am Buß- und Bettag, gab es im SDR2/Forum eine Diskussion zum Thema:

»Der Sinn der Seelenhygiene – Wie kann man heute noch Buße tun?«

Dort erzählte Hermann Kügler, Ordenspriester und Pastoralpsychologe in Leipzig, eine Begebenheit aus dem Beichtstuhl:

Ein Jugendlicher hatte im Kaufhaus etwas gestohlen, ihn plagte das Gewissen und er beichtete.

Er habe, so Herr Kügler, nicht gleich die Absolution erteilt, sondern mit dem Jungen die Frage der Wiedergutmachung besprochen.

So ist es richtig. Keine Absolution ohne Wiedergutmachung.

In Australien denkt die Kirche offenbar für die mißhandelten Heimkinder nur an den Dialog und die Begleitung, was auch immer das ist.

»Die katholische Kirche setzt sich für die Begleitung ehemaliger Heimkinder und fördert den Dialog mit allen die durch einen Heimaufenthalt geschädigt wurden.«

Aus: http://www.glaubeaktuell.net/portal/nachrichten/nachricht.php?IDD=1258551500&IDB=1&IDDLink=&IDDParent=1067270799

 

Es ist immer gut, über die eigene Schuld zu reden. Das hilft der Seelenhygiene.

Doch reden allein macht nichts wieder gut und reicht für eine echte Buße nicht nicht aus.

Wiedergutmachung

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 25. Oktober 2009

Die Leidtragenden von Agent Orange erhalten von der [vietnamesischen] Regierung umgerechnet 25 Euro im Monat, mehr ist nicht drin. Vietnam ist ein armes Land. Die amerikanische Regierung und die Chemiefirmen, welche die Mittel hergestellt hatten, wollen keinerlei Wiedergutmachung leisten. Eine Sammelklage der Opfer beschied ein New Yorker Gericht im Jahre 2005 negativ mit der Begründung, niemand hätte die Absicht gehabt, Menschen zu vergiften.

Aus: Carsten Stormer, Krieg und kein Ende in: Sonntag Aktuell, 25. Oktober 2009, Seite 3

Wiedergutmachung mit Bordmitteln

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 27. September 2009

Wiedergutmachung mit Bordmitteln

Mit Kopfschütteln lese ich den Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (http://www.domradio.de/bischofskonferenz/artikel_57118.html, gesehen am 25. September 2009).

Dort heißt es u.a.:

Um den Betroffenen noch besser bei der Aufarbeitung und Verarbeitung ihrer Biographie zu helfen, denken wir an einen weiteren Ausbau des Engagements der katholischen Kirche. Das Angebot seelsorgerischer und psychotherapeutischer Hilfen soll stärker in den Mittelpunkt gestellt werden….

Betroffene könnten bei Bedarf Kontakte zu den jeweiligen Trägern der Einrichtungen bzw. ihren heutigen Rechtsnachfolgern erhalten. Uns liegt diese Idee auch deshalb am Herzen, weil dies eine gute Möglichkeit wäre, in persönlichen Gesprächen mit Betroffenen die Vergangenheit und die tatsächlichen Geschehnisse kennen zu lernen und so eine gemeinsame Aufarbeitung zu erreichen.

Ich frage mich, ob die Deutsche Bischofskonferenz unter ihrem Vorsitzenden [Erzbischof Zollitzsch] in diesem Teil des Presseberichts vom Kostendenken geleitet war, oder ist es bloße Naivität? Jedem seelsorgerlich tätigen Menschen müßte klar sein, daß eine Organisation, die Traumata zu verantworten hat, nur bei wenigen Traumatisierten auf Verständnis stoßen kann, wenn eben diese Organisation therapeutische/seelsorgerliche Hilfestellung anbietet. Bei wohl den meisten dürfte das dafür erforderliche Vertrauen fehlen, ein Vertrauen, das sich nicht einfordern läßt. Zwar haben die Personen gewechselt und auch kirchlich geführte Heime inzwischen in der Regel ein pädagogisch vertretbares Konzept. Doch wer mit dieser vielfach belegten Vergangenheit belastet Hilfe anbietet, wird, wenn er ernst genommen werden will, neben einer Entschädigung die Finanzierung von frei gewählten Therapeuten zusagen müssen. Erst dann ist vorstellbar, daß einige ehemalige Heimkinder sich auch relativ frei entscheiden könnten, in eine der kirchlich getragenen Beratungsstellen und Therapieeinrichtungen zu gehen. Das Angebot in der Presseerklärung (auch auf evangelischer Seite gibt es ähnliche Zumutungen) ist unseriös.

Dies wird auch im weiteren Text der Erklärung deutlich:

Wir setzen uns mit der Vergangenheit auseinander und wollen herausfinden, wie groß das Unrecht tatsächlich ist, das geschehen ist.

Es ist zwar nur ansatzweise vergleichbar. Die Judenvernichtung war ein Vernichtungsprogramm. Dies kann man den Heimen auch bei üblem Willen nicht nachsagen. Aber sie hatten eine gesellschaftlich geduldete Exklusionsfunktion, wenn auch diese wohl kein „Programm“ war. Doch wenn kirchliche Stellen (wie auch der Runde Tisch) immer noch meinen, sie müßten herausfinden, wie groß das Unrecht tatsächlich ist, das geschehen ist, dann entspricht das der unsäglichen Diskussion, ob es tatsächlich 6 Millionen Juden waren oder vielleicht doch „nur“ 4 oder 5.

Es liegen wahrlich genügend und glaubwürdige Zeugnisse von massiven Menschenrechtsverletzungen in den Heimen (kirchlich wie staatlich) vor, so daß die Nachfolger der damals Verantwortlichen mehr leisten können als Wiedergutmachung mit Bordmitteln.

„Governments too often in these cases refuse to address the problem“

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 23. Juni 2009

Governments too often in these cases refuse to address the problem, they manufacture statutes of limitations, that prevent victims from having their day in court, they refuse to make mandatory reporting an issue, they do not create a national registry for those in the helping professions caring for vulnerable groups, author poor public policy, and starve good agencies of resources and money.

Für alle, die die Mails von Herrn Mitchell nicht bekommen oder entnervt wegklicken, sei dieser von ihm gefundene Link empfohlen:

http://www.reach.ca/shared_future/eng/longueepee.htm

Wer Schwierigkeiten mit dem Englischen hat, installiere sich dieses hilfreiche Programm:

http://dict.lingo4u.de/

Anhörung Runder Tisch, 2. April 2009

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 5. April 2009

Anhörung am Runden Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“
Berlin, Donnerstag, 2. April 2009    Dierk Schäfer

Ohne Auftrag von dritter Seite und in meiner freien Zeit bin ich freiwillig zu dieser Anhörung erschienen. Ich habe auch weder die Absicht noch die Aussicht auf irgendeine Honorierung meines Beitrages.
Ich bin Pfarrer der evangelischen Landeskirche Württemberg, seit Februar dieses Jahres im Ruhestand. Mit Heimkindern bin ich in Kontakt seit meiner ersten Kriegskindertagung an der Evangelischen Akademie Bad Boll im Jahr 2000. Neben einigen persönlichen Kontakten gibt es viele per Telefon und eMail. Manche Gespräche nehmen zuweilen seelsorgerlichen Charakter an. Hierbei dürfte auch meine langjährige Beschäftigung mit Traumatisierungen und der Notfallseelsorge eine Rolle gespielt haben. Aufgrund dieser Kontakte und einiger schriftlicher Äußerungen im Internet zur Heimkinderproblematik haben einige ehemalige Heimkinder gefordert, mich an den Runden Tisch zu berufen. Dies ist nicht erfolgt. Mein heutiger Beitrag geschieht lediglich im Rahmen einer Anhörung.

Für diesen Beitrag haben den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Runden Tisches die Texte „Verfahrens-vorschläge-RT“ und „Rueck-Sicht“ als handout vorgelegen. Sie stehen in Zusammenhang mit diesem Bericht. Die „Verfahrensvorschläge“ sind eine anläßlich der Anhörung leicht überarbeitete Fassung eines Vorläufertextes, mit ergänzenden Fußnoten und zwei integrierten Anlagen.

Dokument als PDF bitte hier runterladen

Anlage „Verfahrensvorschläge“ hier als PDF runterladen

Anlage „Ruecksicht“ hier als PDF runterladen