Dierk Schaefers Blog

Keine Gnade für Hubertus

Posted in heimkinder, Journalismus, Kirche by dierkschaefer on 19. Mai 2015

Ein Journalist suchte einen skurrilen Möchtegern-Priester und fand eine Tragödie[1]. Er schrieb darüber in „Christ und Welt“ [2].

Dieser Artikel fand unterschiedliche Aufnahme, dazu später. Mich erinnerte er an Hubertus, den „ganz kleinen Bruder Jesu“. Seine Adresse war in meinem Speicher[3] und in meiner Bibel liegt der kleine Zettel als Erinnerung an seine Priesterweihe, ein Zettel mit Bild und umseitigen Text[4], wie ich ihn als katholischen Brauch kenne. Vor meinem geistige Auge standen wieder seine Mails, in denen er mit übergroßer Schrift auf das Schicksal der ehemaligen Heimkinder, auf die Tätigkeit der „ganz kleinen Brüder Jesu“ und ihrer Behindertenbäckerei in der Bischofsstadt Paderborn[5], besonders aber auf sein eigenes Schicksal verwies.

Ja, der Mann suchte Anerkennung, lief aber gegen Wände. Als das Fenster der Bäckerei mit Nazi-Parolen besprüht wurde, beeilten sich die kleinen Brüder, diesen Schandfleck umgehend wegzuputzen. „Falsch“, schrieb ich ihm, er hätte die Presse und die Polizei holen sollen.

Dann kam eines Tages ungelenk-herzig adressiert an „den Pfarrer der Heimkinder“ der Zettel, der immer noch in meiner Bibel liegt. Ich wunderte mich etwas über die Formulierung. Die Priesterweihe fand in einer „katholischen“ Kirche statt. Ja, wo denn sonst, dachte ich, wozu die spezielle Erwähnung?

Seine Mails in Sachen Heimkinder versiegten seitdem, einmal noch ein Mail, das ihn bei einer priesterlichen Handlung zeigte. Ich antwortete in Nichterkennung dessen, was ich nun weiß, es sei schade, dass sein Engagement mit seiner Priesterernennung bereits ans Ziel gekommen sei.

Der Artikel nun ließ mich recherchieren. Die Webseite der Pader-Bäckerei[6] gibt unter „downloads“ die Auskunft: »Die Räumlichkeiten der Behinderten–Bäckerei in der Kasseler Straße 29 werden nun nach dem 24.12.2009 nicht mehr für Sie als unsere Produktionsstätte sein. … weil uns durch das Generalvikariat von Paderborn und der Stadt Paderborn als Bürgermeister die Schwierigkeiten nicht versagt blieben. Durch Teuflisches Zungengerede der Genannten, kamen wir zur Entscheidung daß eine neue Wirkungsstätte gesucht werden muß, die unsere Arbeit gelingen lässt.« Das war noch vor der Priesterweihe. Und dann der Verweis auf die Facebook-Seite von Bruder Hubertus[7].

Davon ist im Artikel auch die Rede. Bruder Hubertus stellt viele Bilder dort ein, von sich, möglichst mit möglichst bedeutenden Personen. Ja, der Mann braucht Anerkennung. Wer sich mit seinem Schicksal vertraut macht, hat Verständnis dafür. Der Artikel in Christ und Welt vermittelt das auch sehr feinfühlig und journalistisch gekonnt. Meine einzige Frage an den Journalisten wäre, ob er bedacht hat, wie Hubertus es aufnimmt, wenn er liest, dass er – nein, nicht skurril ist, aber eine menschliche Tragödie darstellt, immer wieder gegen die Wand der Amtskirche läuft und auch seine „Bewunderer“ in Facebook ihn nicht ernstnehmen? Doch Hubert Groppe hat ja seine Abwehrmechanismen. Er zählt zu denen reinen Herzens und ich wünsche ihm, dass er es behält.

In einer Netzzeitung evangelischer Pfarrer wurde der Artikel verlinkt mit dem Kommentar:

Keine Gnade für Schwurbeltexte[8]

Ich antwortete dem Kollegen: äh? ist ein sehr guter artikel, hubertus ist ein armer kerl. kenne seine geschichte.

Rückantwort: je tragischer der Fall, desto unprätentiöser sollte der Text sein. Gibt Journalisten, die sehen das offenbar anders.

Ich: sehe ich auch anders: ein sehr sensibler artikel. bin aber kein journalist, sondern nur pfarrer.

Er: auch unter Pfarrern (oder gerade da?) sollen die Geschmäcker sehr unterschiedlich sein 😉

Er, er twittert unter knuuut und bietet „Pastorenstückchen“ an.

Ich werde neugierig. Seine Selbstbeschreibung bei Twitter: »Bald in der Anstalt. Keine Katze. http://pastorenstueckchen.de « Er tritt also ganz unprätentiös auf, ohne Titel, sogar ohne Nachnamen, will also wohl mit Knut angesprochen werden, aber knuuut ist mir zu sehr an Knuuutschen dran, das ist mein Ding nicht und auch sein Photo … na ja, Schwamm drüber. Erst seine Pastorenstückchen[9] brachten ihn mir ein Stückchen näher: Ich fand seine Telefonnummer und per Rückwärtssuche auch seine Gemeinde.

Nein, knutschen werde ich ihn gewiss nicht, nicht einmal „Du“ sagen. Doch dieser Amtsbruder könnte etwas lernen von den ganz kleinen Brüdern Jesu, denen mit dem reinen Herzen, und von Journalisten mit der Sensibilität, wie sie ein Pfarrer aufbringen sollte, ganz unverschwurbelt.

[1] Raoul Löbbert suchte einen skurrilen Möchtegern-Priester und fand eine Tragödie: http://www.christundwelt.de/detail/artikel/mann-fuers-grosse/

[2] http://www.christundwelt.de/detail/artikel/keine-gnade-fuer-hubertus/ . Der Artikel erschien auch in der ZEIT http://www.zeit.de/2015/20/priester-katholische-kirche-hubertus-groppe/komplettansicht

[3] bruderhubertus@christus-web.de

[4] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/17817661325/in/dateposted-public/

[5] http://hubertus.weebly.com/behinderten-baumlckerei.html

[6] http://www.missionszentrale.org/

[7] https://de-de.facebook.com/diekleinenbruederjesus

[8] http://www.zeit.de/2015/20/priester-katholische-kirche-hubertus-groppe …0 Retweets 1 Favorit

[9] http://pastorenstueckchen.de/ueber/

Heimatlos

Posted in Geschichte, Gesellschaft, Soziologie by dierkschaefer on 26. März 2013

»Alles ist auf Zeit angelegt: Arbeitsverträge, Partnerschaften, Smartphone-Verträge, Mietverträge. Der moderne Mensch ist ein Drifter. Dass wir nur Gast auf Erden sind, war eigentlich einmal metaphysisch gemeint«.

»Waren bis in die 1960er Jahre noch fast ausschließlich die Wohnung, Arbeitsstätte und optional Kirche oder Kneipe die Orte der Interaktion, so ergibt sich heute ein komplexes, oft dynamisches Netzwerk aus einer Vielzahl von virtuellen Anlaufpunkten und physischen Orten, an denen sich multimobile Menschen heute aufhalten.“«

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/mobilitaet-und-wohnen-heimatlos-in-den-eigenen-vier-waenden-12127867.html Dienstag, 26. März 2013

Ein lesenswerter Beitrag zur Anthropologie des modernen Menschen abgelesen an den Architekturtrends, die dem heutigen Anforderungsbild des Menschen entsprechen. Frage ist nur, ob er sich diesem Bild fügt oder dazu gezwungen wird. Dafür sieht es nicht so gut aus:

Entwicklung der Moderne