Alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit
tauchen auch Erinnerungen an meine Schule und die Weihnachtsfeiern in der hannoverschen Marktkirche auf. Richtig: Die Humboldtschule im Arbeiterviertel Hannover-Linden ging zur Weihnachtsfeier in die Hauptkirche von Hannover, also nicht nach Linden. Darunter taten wir’s nicht. Ein Solist sang regelmäßig den Evangelimann aus Bachs Weihnachtsoratorium. Im Rückblick finde ich das gut und vorbildlich.
Wir Schüler hatten aber mehr Gefallen am Bummel über den Weihnachtsmarkt im Anschluss an den Gottesdienst, mit Schmalzkuchen und „Omas Liebling“, der uns regelmäßig amüsierte: Unter dieser Bezeichnung war eine XXXL Damenunterhose ausgestellt, Jahr für Jahr.
Wir waren schon etwas Besonderes – und das lag an unserem Direx, Zeus mit Spitznamen. Ein Professor mit Habilitation aus Taipeh.
Er hatte Ansprüche:
So meinte er, ein Klavierflügel koste ja nicht mehr als ein VW-Käfer, so solle man sich doch besser den Flügel leisten. Wir Kinder aus dem Arbeiterviertel hörten es mit Staunen.
Er präsentierte uns auch einen Zauberkünstler in der vollbesetzen Aula und meinte, das gehöre zur Kultur. Recht hatte er und damit auf Dauer mein Interesse an Illusionskünstlern geweckt, so dass ich später selber solche Künstler engagierte und immerhin den schon alten Hanussen II mühelos durchschaute. Auch meine Beschäftigung mit Parapsychologie kommt daher.
Was ganz Besonderes jedoch stand in der Lüneburger Heide. Wir hatten dort ein eigenes Schullandheim. Andere Schulen hatten das nicht.
Darum will ich hier über „Humboldts Heim in der Heide“ berichten. Unsere Schule kommt nicht so besonders gut dabei weg.
„Es ist wirklich erschütternd, wie Kirchen und andere Institutionen mit … kleinen Kindern umgegangen“ sind.
Friedhelm Münter, »lange hat er dafür gekämpft, dass er als Opfer von Unrecht sowie psychischer und körperlicher Gewalt in Zusammenhang mit der Unterbringung in Säuglings-, Kinder- und Jugendheimen Entschädigung erhält. Am Freitag ging sein Kampf beim Landessozialgericht in Essen für ihn erfolgreich zu Ende.«[1]
Aus zweierlei Gründen sollte man den Artikel lesen.
- »Tatsächlich ist es bislang noch keinem ehemaligen Heimkind gelungen, eine Versorgung beziehungsweise Opferentschädigung nach dem OEG zu erhalten. Einer der Hauptgründe dafür sind die recht hohen Hürden hierfür: Zum einen muss in vielen Fällen ein Grad der Schädigung in Höhe von mindestens 50 Prozent nachgewiesen werden – denn erst ab diesem Grad der Schädigung erfolgt bei diesen Fällen eine finanzielle Versorgung nach dem OEG. Ein weiterer Hauptgrund ist, dass meistens mit Verweis auf Verjährung der erlittenen Verbrechen argumentiert wird. Und dass die Beweislast beim Antragsteller beziehungsweise beim Kläger liegt.«
Damit könnte ein Präzedenzfall geschaffen sein, der auch anderen in kirchlichen und staatlichen Erziehungseinrichtungen am Leben Geschädigten Recht schafft, und nicht nur gnädig Almosen gewährt. Doch ob das gelingt? Münter hatte einen am Recht orientierten Richter, dazu weiter unten. Dies war aber nur das „Vorgeplänkel“. Richtig zur Sache, also finanziell, geht es erst beim Landgericht Münster, der nächsten Station. Auf der Gegenseite werden wieder die üblichen Verdächtigen sitzen, die zwar bedauern, was damals in ihren Heimen alles passiert ist, aber mit allen Tricks verhindern wollen, für die Verbrechen ihrer Vorgänger zu zahlen.
Zehn Prozessgegner zählt der Artikel auf.
Ich sortiere sie:
a) die kirchlich oder kirchenverbundenen Gegner:
- Landesverband der evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V
- Kirchlicher Gemeindedienst für innere Mission Münster
- Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.
- Evangelischen Perthes-Werk e.V.
- Mellin’sche Stiftung
- Stiftung Nazareth
b) die staatlichen Gegner:
- Landesjugendamt Münster
- Jugendamt Steinfurt
- Kreisjugendamt Soest
- Land NRW
Die sitzen alle in einem Boot, das wohl eher Kanonenboot genannt werden kann. Denn im Unterschied zu Friedhelm Münter sind sie mächtig, und ob Münter beim Landgericht Münster auf einen ähnlich den Sachverhalt ermittelnden Richter trifft, der dann auch konsequent ist, darf bezweifelt werden.
Das belegt
- das Beispiel des Richters am Sozialgericht, Jan-Robert von Renesse. Es lohnt sich wirklich den Fall von Renesse zu lesen. Ich war entsetzt und von dem Mann begeistert. Solche Richter braucht das Land. Er war am Recht orientiert und nicht an den Sparinteressen der Rentenversicherung, auch nicht daran, dem Justizminister zu gefallen, der ihn sogar verklagt hat. Seine Richterkollegen bekamen ihr Gesäß nicht hoch, um die Sachverhalte wie rechtlich vorgeschrieben zu ermitteln. Er aber machte in Israel seine Zeugenanhörungsstelle auf und verhalf vielen KZ-Zwangsarbeitern zu ihrer Rente.
So ein Richter stört, darum entzog man ihm die Zuständigkeit.
»Von 2006 bis zum Frühjahr 2010 war von Renesse als Beisitzer dem 12. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen zugewiesen und als Berichterstatter zuständig für die Rentenzahlungen an Zwangsarbeiter in Ghettos während der Zeit des Nationalsozialismus nach den Regelungen des Ghettorentengesetzes. Seitens deutscher Behörden erfolgte eine umfassender Werbung bei jüdischen Opferverbänden. Von den etwa 70.000 Anträgen auf Zahlung einer Ghettorente lehnten die deutschen Rententräger 96 % ab. Von Renesse führt dies auf die verfolgungsbedingte Beweisnot der Ghettoüberlebenden zurück, die „meist nichts anderes als die auf dem Arm eintätowierte KZ-Nummer (…) als Beweis hatten.“«[2]
Was mich als Pfarrer (i.R.) bedrückt ist die Heuchelei der Vertreter der kirchlichen Einrichtungen. Da gab es bisher viel „Betroffenheitsgestammel“; manche äußerten sogar Beschämung, doch um echte Entschädigungen und ihre Verhinderung wird mit harten Bandagen gekämpft.
Es gibt den Spruch „Herr, schmeiß Hirn ra (herunter)“. Doch Hirn haben die Leute. Es mangelt an Herz und damit an Glaubwürdigkeit.
Fußnoten
[1] https://www.streiflichter.com/lokales/duelmen/friedhelm-muenter-erkaempft-sich-opferentschaedigungsrente-8806246.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Jan-Robert_von_Renesse
Weitere Links, so spannend wie abschreckend:
- O https://www.welt.de/print/wams/nrw/article13737621/Intrigen-im-Einsatz-fuer-NS-Opfer.html
- O http://www.botschaftisrael.de/2013/02/15/der-kampf-des-enkels-eines-ss-mannes-um-die-renten-fur-die-uberlebenden-der-ghettos/
- O http://www.deutschlandfunkkultur.de/land-nrw-verklagt-richter-kaempfer-fuer-holocaust-opfer.1079.de.html?dram:article_id=348742
- O http://www.zeit.de/2016/33/jan-robert-renesse-holocaust-ueberlebende-rente-richter/komplettansicht
Vor wenigen Monaten wurde von Renesse in Dachau ausgezeichnet. http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28420 Aber Karriere wird er in unserem Rechtssystem wohl nicht mehr machen.
»Die moralische Pflicht scheint die Herzen von Bund, Kirchen und Ländern zu öffnen – beim Öffnen der Taschen tut man sich schwerer«
Unter der Überschrift »Tabula rasa am Runden Tisch« berichtet heute Reinhard Bingener in der FAZ über die Chancen eines Erfolgs bzw. Mißerfolgs des Runden Tisches Heimkinder.
»Die moralische Pflicht scheint die Herzen von Bund, Kirchen und Ländern zu öffnen – beim Öffnen der Taschen tut man sich schwerer,« schreibt Bingener.
Das Bild ist herzig, aber Bund, Kirchen und Länder haben kein Herz und die Art, die ehemaligen Heimkinder zwei Jahre lang hinzuhalten, war entsprechend herzlos.
Bingener schreibt auch von den »in Verhandlungen unerfahrenen drei Heimkinder[n]« und ist sich der Brisanz dieser Feststellung offenbar nicht bewußt. Diese Unerfahrenheit war von Beginn an bekannt und hätte kompensiert gehört. Dafür nicht gesorgt zu haben, gehört zu den Grundversäumnissen von Antje Vollmer – es ist leider nicht das einzige.
Bingener geht auch auf das Thema Zwangsarbeiter ein und schreibt: » Zwar sollen frühere Heimkinder in Irland im Schnitt etwa 75.000 Euro als Entschädigung erhalten haben, doch in Deutschland wird es politisch nicht opportun sein, dass einstige NS-Zwangsarbeiter – sie erhielten zwischen 2500 und 7500 Euro – weniger Entschädigung bekamen als die ehemaligen Heimkinder bekommen könnten.« Damit verweist er auf die schimpfliche Abspeisung der NS-Opfer durch die deutsche Wirtschaft, die ja auch an den Heimkindern gut verdient hat. Nun könnte man als Nichtbetroffener ja resignierend sagen, es sei eben der Fluch der bösen Tat, daß sie fortwährend Böses muß gebären. Doch hier gibt es Profiteure, die sich ins Fäustchen darüber lachen dürften, daß sie dank der NS-Zwangsarbeiterregelung gut wegkommen; Staat und Wirtschaft nun schon zum zweiten Mal. Hatte Bingener eingangs von Herz gesprochen? Ein grandioser Irrtum.
»Von der Schuld bis zur Sühne«
»Von der Schuld bis zur Sühne«
Diesen Artikel hätte ich der FAZ gar nicht mehr zugetraut:
Auszüge:
»Ein runder Tisch ist eine angenehme Einrichtung: Für die Politik, die mit der Einberufung eines runden Tisches dem Vorwurf der Untätigkeit entgegentritt. Für Vertreter der Betroffenen, die an einem runden Tisch endlich Gehör finden. Und nicht zuletzt für die beschuldigten Institutionen, die mit einer Teilnahme zunächst keinerlei Verpflichtungen eingehen.
Auch soll es ihnen schon gelungen sein, den einen oder anderen runden Tisch im Laufe einiger Sitzungen in die sprichwörtliche lange Bank umzuschreinern.«
Dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/01/03/auf-der-langen-bank-freeze-now/
»Ein runder Tisch gibt der „Täterseite“ die Möglichkeit, den ihr anhaftenden moralischen Makel zu tilgen – womöglich gegen Zahlung einer, nicht zu hohen, finanziellen Entschädigung.«
Aber über das „Abstandsgebot“ zu den Zahlungen an die Zwangsarbeiter wird man wohl noch diskutieren dürfen.
Dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2009/12/13/zwangsarbeiterlosung-als-zwangslosung-fur-heimkinder/
Auch die die Zahl der vom Runden Tisch gemeldeten Heimkinder muß hinterfragt werden.
Ich habe es in meiner Kommentierung des Zwischenberichts getan.
Der Runde Tisch wird regelmäßig an meinen Blog erinnert. Reaktionen gibt es jedoch in keiner Weise. Ich fühle mich an ein bekanntes Motiv erinnert – allerdings nur, was die Handlung betrifft, nicht die „Personen“.
Zum „Zwischenbericht“ des Runden Tisches
Zum „Zwischenbericht“ des Runden Tisches
Der ganze Komplex des Zwischenberichtes besteht aus mehreren Teilen.
Nicht eingehen möchte ich auf den ersten, den „Entwurf“. Der war nicht öffentlich, und es muß möglich sein, einen Entwurf intern zur gemeinsamen Abstimmung kursieren zu lassen, ohne daß er öffentlich detailliert kritisiert wird, auch nicht im Nachhinein.
Für die hier besprochenen Teile beziehe ich mich als Quelle auf die drei nachstehend genannten Links.
1. Der offizielle Zwischenbericht
http://www.gewalt-im-jhh.de/Aktuelles_von_der__an_die_oder/RTH_Zwischenbericht.pdf
Dieser Bericht hat für mich zwei wesentlich unterschiedliche Teile,
die Abschnitte 1-7 und
der Abschnitt 8: »Zusammenfassung und Ausblick«.
2. Hinzu kommt die Pressekonferenz mit der Vorstellung des Berichts durch Dr. Antje Vollmer und dem Zusatzvotum von Sonja Djurovic:
http://de.sevenload.com/sendungen/Top-TV-im-OKB/folgen/iC47wnY-Zwischenbericht-Teil-1
3. Die anschließende Diskussion:
http://de.sevenload.com/sendungen/Top-TV-im-OKB/folgen/UM0RAot-Zwischenbericht-Teil-2
Nach dem Prinzip „es gilt das gesprochene Wort“ lege ich meinen Schwerpunkt auf meine Eindrücke von der Präsentation des Berichts durch Frau Dr. Vollmer.
Das Positive vorweg: Ich sah und hörte eine Vorsitzende, die in der Darstellung der Arbeit des Runden Tisches integer wirkte und ein in den meisten Details gutes Arbeitsergebnis präsentierte, dies in einer Weise, die mir deutlich machte, daß Frau Dr. Vollmer sich nicht auf die bloße Abhandlung eines Themas beschränkt, sondern bemüht ist, die Befindlichkeiten der ehemaligen Heimkinder zu respektieren. Sehr positiv fand ich, daß sie wichtige Details des Berichts vorstellte, insbesondere, und das gilt auch für die Schriftform des Berichts, die Zitate aus den Eigenberichten der ehemaligen Heimkinder, die nun endlich eine offizielle Würdigung erfahren und hoffentlich geeignet sind, die heute Verantwortlichen in den Organisationen nicht nur zu beschämen, sondern zu Entschädigungsmaßnahmen zu veranlassen. Im Klartext: Ich sehe hier eine legitime Nötigung, endlich tätig zu werden.
Positiv auch die vielen Ergebnisse, die die Erfahrungen der ehemaligen Heimkinder und die „Qualität“ der Heimerziehung bestätigen, eine Qualität, die um so erschreckender ist, als es offenbar auch viele Heime gab, die es anders und besser machten. Dies sind öffentliche Festlegungen des Runden Tisches, die den Weg zu Entschädigungslösungen bahnen (sollten), zumal gesagt wurde: »Es gab Verantwortlichkeiten«, »Kontrolle wurde in der Regel nicht wahrgenommen«.
Und zum Schluß wurde immerhin nicht nur von immaterieller, sondern auch von materieller Rehabilitation gesprochen.
Der Runde Tisch hat mit seinem Bericht endlich, endlich die Öffentlichkeitsarbeit geleistet, die ihm, wäre sie eher gekommen, zumindest die Massivität des Mißtrauens erspart hätte, die ihm in nachvollziehbarer Weise von Beginn an entgegenschlug und deren Funktionsweise ich bei der Anhörung am 2.4.09 vorgetragen habe (siehe: https://dierkschaefer.wordpress.com/2009/04/05/anhorung-runder-tisch-2-april-2009/ – doch das war tauben Ohren gepredigt).
Was hat gefehlt?
Die genannte Basis von 450 Heimkinderberichten hätte der Erklärung bedurft. Was ist mit der Vielzahl von Berichten, die bei verschiedenen anderen Anlaufstellen und bei den Forschungsprojekten abgeliefert wurden? Hat man sich darum bemüht? Sind sie Teil der 450? Der Runde Tisch muß sich vonseiten der ehemaligen Heimkinder kontrollierbar machen!
Es gab zwar eine nachvollziehbare Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und erzwungener Arbeit, so daß verständlich ist, warum der Runde Tisch den Begriff Zwangsarbeit nicht übernehmen wird. Unverständlich ist, daß die Firmen, die von der erzwungenen Arbeit profitiert haben, nicht – zumindest als Gruppe – genannt werden, um klarzustellen daß sie für die unterbliebene Sozialversicherung der betroffenen Heimkinder verantwortlich sind und man sie zur Kasse bitten wird. Diese Arbeitgeber (und die Heime), die damals sehenden Auges von den Ausbeutungsarbeitsverhältnissen der Abhängigen profitiert haben, sollten doch in einem Zwischenbericht bereits wenigstens Erwähnung finden. Immerhin gibt es auch ehemalige Heimkinder, die massive gesundheitliche Schäden am Arbeitsplatz erlitten haben. (Zum Thema „Arbeitserziehung“ werde ich demnächst noch im Blog schreiben.)
Ich fand auch keinen Hinweis auf die vielfach berichtete medikamentöse Ruhigstellung und deren (wohl fehlende) vormundschaftsgerichtliche Anordnung. Auch lag dem Runden Tisch anscheinend nicht der Bericht des Heimkindes vor, an dem in der Tübinger Psychiatrie Menschenversuche vorgenommen wurden. Man hört auch von der Erprobung neuer Medikamente an Heimkindern. Wie steht es damit?
Schaut man schließlich in die Zusammenfassung muß man feststellen, daß sie Folgerungen aus den harten Fakten der vorangegangen Kapitel weitgehend vermeidet. Hier ist alles sehr vage und unverbindlich. Wäre die Pressekonferenz nicht gewesen, hätte ich unterstellt, daß der Runde Tisch darauf setzt, daß meist nur die Zusammenfassung gelesen wird.
Insgesamt frage ich mich, wozu der Runde Tisch diesen zeit- und ressourcenaufwendigen Umweg gehen mußte, um schließlich, immerhin in Absetzung von der enthüllenden Zielvorgabe der damaligen Familienministerin, doch zu sagen: »Eine Fondslösung ist nicht ausgeschlossen.« Die Fondslösung hat mit guter Begründung bereits die Abgeordnete Künast in ihrer Dissertation vorgeschlagen.Auch ich habe bei der Anhörung eine differenzierte Fondslösung angeregt. Angesichts der juristischen Probleme, die der Runde Tisch bei den rentenrechtlichen Fragen und dem Problem der Verjährung sieht, hätte man Fondslösungen schon lange ansteuern können. Warum der Umweg? Warum der nur zaghafte Hinweis, diese Lösungen würden »nicht ausgeschlossen«?
Kurz noch zum mir bekannten Teil der Befragung auf der Pressekonferenz.
Vorweg: Als ehemaliger Tagungsleiter kenne ich das Problem, wenn Beiträge aus dem Publikum zu lang geraten oder gar zum Co-Referat ausufern, und ich hätte wohl nicht anders als Frau Dr. Vollmer manchem Teilnehmer das Wort schließlich entzogen. Hier wird aber ein Bedarf sichtbar, nämlich daß sich der Runde Tisch auch öffentlich den Fragen von ehemaligen Heimkindern und ihren fachkundigen Begleitern stellen muß. Wer immer hinter verschlossenen Türen tagt, darf sich nicht wundern, wenn die Betroffenen ihre Fragen auch öffentlich erörtert und beantwortet haben möchten. So fehlte die Antwort auf den Vorschlag, die Kirchen zu bitten, auf die Verjährungseinrede zu verzichten. Wenigstens die Zusage hätte kommen müssen, diesen Punkt mit den Kirchen gründlich zu erörtern. Und wenn ein Rechtsanwalt einen Fall vorträgt, der dem Runden Tisch anscheinend bekannt ist, und beklagt, daß seine Mandantin nicht an den Runden Tisch eingeladen wurde, dann hätte man – bei allem Datenschutz – doch eine Erklärung hören wollen, oder die Vorsitzende hätte ihn ausreden lassen sollen.
Das Angebot, der Runde Tisch werde Betroffenen helfen, auch gegen Widerstand Akteneinsicht zu erhalten, hätte diesem bei einer Eröffnungsveranstaltung zu Beginn der Arbeit des Runden Tisches gut angestanden. Man wird wohl nie erfahren, wie viele Akten clam-heimlich seit Bekanntwerden der Problematik noch vernichtet wurden.
Die Vorsitzende erklärte, das Zeitfenster des Untersuchungsraumes ermögliche eine »exemplarische« Aufarbeitung. Darf man das so verstehen, daß sich Heimkinder mit zeitlich abweichenden Daten oder aber aus Heimen, die keine Erziehungsheime waren, ganz einfach auf den Runden Tisch und seine Ergebnisse berufen dürfen, um analoge Kompensationen zu erhalten?
Interessant war, wie bedeckt sich der Regierungsvertreter und auch der nicht „die Länder“ vertretende Landesvertreter verhalten haben. Das sieht deutlich nach Widerstand gegen jede kostenträchtige Empfehlung des Runden Tisches aus. Es wird klarzustellen sein, daß die staatlichen Organe, unabhängig von dem föderalen und kommunalen Verantwortungsdschungel in erster Reihe der Verantwortlichen stehen. Der Staat, in welcher Form auch immer, muß die Rechtsnachfolger der Mit-Täter und ihrer Organisationen in die Mitverantwortung nehmen – und in die Mitfinanzierung der Entschädigungskosten. Der Staat muß dafür sorgen, daß es nicht zu vergleichbarer Peinlichkeit kommt wie bei der Zwangsarbeiterentschädigung, als man sich – hier war es die Industrie – lange und zum Teil erfolgreich um die Verantwortung gedrückt hat. Der Verweis der Vorsitzenden auf die Rücksicht, die man auf die Lösungen für andere Opfergruppen nehme müsse, verheißt ohnehin nichts Gutes, nämlich eine Lösung, die noch schäbiger ist als die für die Zwangsarbeiter.
Schließlich ein Wort zu den Vertretern der ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch der Pressekonferenz. Frau Djurovic scheint die einzige gewesen zu sein. Wo waren die anderen? Hat der VeH doch Recht mit seinem Vorwurf, daß die ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch nicht gut vertreten sind.
Mit Erstaunen hörte ich übrigens, daß die Vertreter der ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch anscheinend kein Budget für kleinere Auslagen bekommen haben, sondern z.B. ihr Porto selber finanzieren müssen. Wenn das stimmt, handelt es sich entweder um falsche Bescheidenheit, auf jeden Fall aber um Mißachtung der Heimkindervertreter durch den Runden Tisch. Den Heimkindern sitzen ohnehin nicht nur Personen gegenüber, die einen „Apparat“ im Hintergrund haben, sondern auch ihre Kosten abrechnen können.
Vor dem Runden Tisch liegt nun noch ein Jahr anstrengender Arbeit, und vor den ehemaligen Heimkindern ein weiteres Jahr des Wartens. Es wäre konstruktiv, wenn der Runde Tisch mehrere Lösungsszenarien erarbeitet, damit nicht noch mehr Zeit ins Land geht und noch mehr Heimkinder eine Entschädigung nicht mehr erleben. Anscheinend will man Gesetzesänderungen (Rentenrecht, OEG) anregen. Das wird dauern und ist nur glaubwürdig, wenn die danach möglichen Ansprüche rückwirkend gelten und auch vererbbar sind.
(siehe https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/01/03/auf-der-langen-bank-freeze-now/ )
Wenn nicht parallel zur Prüfung von Gesetzesänderungen eine Fondslösung vorbereitet wird, wird die Angelegenheit vollends unglaubwürdig. Ich komme mir ja mittlerweile merkwürdig vor, wenn ich immer wieder auf meine Verfahrensvorschläge verweise. Aber ich halte sie weder für überholt, noch für überhaupt wahrgenommen und diskutiert. Bitte kein Mißverständnis: Ich bin nicht der Meinung, daß es nur so und nicht anders geht. Aber ich darf erwarten, daß sich der Runde Tisch, der mich zur Anhörung vorgeladen hatte, sich erkennbar mit den Vorschlägen auseinandersetzt. (siehe: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/05/verfahrensvorschlage-rt2.pdf
Ein Punkt gehört noch angesprochen: Die Zukunft der ehemaligen Heimkinder in Alters- und Pflegeheimen. Hier liegt eine Möglichkeit, über die Entschädigung für Zwangsarbeiter hinauszugehen, ohne diese zu diskriminieren. Wird es den ehemaligen Heimkindern ermöglicht werden, die Endphase ihres Lebens unter Berücksichtigung ihrer Vorbelastungen angstfrei und menschenwürdig zu verbringen, nachdem vielen die Kindheit und Jugend auf verbrecherische Weise und mit Langzeitwirkung verkorkst wurde?
PS: Sympathisch fand ich natürlich den Hinweis von Frau Dr. Vollmer, daß der Runde Tisch seine Heim-Rundreise während der Buß- und Bettags-Woche gemacht hat. Wenn ich auch nicht viel Zuversicht in die Handlungsbereitschaft der Kirchen mehr habe, darf ich doch an meinen Bußaufruf an die Kirchen erinnern.
Soweit Sie es noch nicht getan haben: Unterzeichnen Sie die Petition!
Zwangsarbeiterlösung als Zwangslösung für Heimkinder?
Der „Grünen“-Politiker Volker Beck schlägt nach der Meldung vom 12.12.09 im Hamburger Abendblatt vor, das Verfahren der Zwangsarbeiter-Stiftung als Modell für die Entschädigung der ehemaligen Heimkinder zu nehmen.
Richtig erscheint mir, daß eine Stiftung eine brauchbar flexible Rechtsform darstellt, und ich habe ja in meinem Bußaufruf an die Kirchen die Gründung eines Stiftungsfonds vorgeschlagen.
http://www.petitiononline.com/heimkids/petition.html
Dabei verwies ich auch auf meine Verfahrensvorschläge, die ich in der Anhörung beim Runden Tisch am 2.4.09 vorgelegt habe. Dort habe ich drei nach Fallgruppen differenzierte Fonds vorgeschlagen.
https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/04/verfahrensvorschlage-rt.pdf
Doch zunächst zu den Details im Zwangsarbeitermodell.
Das Hamburger Abendblatt schreibt von erfolgten Einzelentschädigungen im Bereich von 2.500 und 7.500 Euro. Gehen wir von der Höchstsumme 7.500 Euro aus und nehmen als Beispiel ein ehemaliges Heimkind, das mit dieser Summe noch 10 Lebensjahre vor sich hat, dann sind das 750 Euro im Jahr, also 62,50 Euro im Monat, mit dem sich dieses ehemalige Heimkind seine Sozialhilfe aufbessern kann – aber nur 10 Jahre lang! Ich bin dabei von der Höchstsumme ausgegangen. Im schlechtesten Fall wären es 20,83 pro Monat.
Mir wurde aus kirchlichen Kreisen zugetragen, daß manche dort Verantwortliche auf die Zwangsarbeiterlösung spekulieren, wenn es mit der langen Bank dann doch nicht klappen sollte.
Doch eine solche Lösung wäre ein Hohn, nicht nur, weil die Lebenshaltungskosten in Osteuropa, wo die meisten ehemaligen Zwangsarbeiter leben, deutlich niedriger sind.
Es wäre auch eine völlig unangemessene Pauschalierung der doch recht unterschiedlichen Fälle. Auf die Unterschiedlichkeit wurde doch bisher immer hingewiesen!
Darum brauchen wir eine Stiftung, die mindestens drei Fonds finanziert:
1. Für Zahlungen, um die Rentenausfallzeiten zu kompensieren.
2. Für Therapiekosten, soweit sie nicht von der Krankenkasse gezahlt werden.
Diese beiden Fonds könnten sofort eingerichtet werden und nach entsprechender Fall-Lage die Leistungen erbringen. Ich habe noch kein triftiges Argument gehört, warum das nicht sofort zugesagt werden könnte, – aber es fehlen die Zahlungsbereiten. Wenn die kirchlichen und staatlichen Stellen, sowie auch die Beteiligten Firmen, von recht-schaffen(d)en Personen geleitet werden, werden sie in Kürze Zusagen machen und Finanzierungspläne vorlegen.
3. Erst an dritter Stelle kommen Entschädigungen für erlittene Unbill: Mißhandlung/Mißbrauch, Demütigung, Vorenthalt von Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten. Die müssen je nach Einzelfall vereinbart werden.
4. Schließlich ist auch daran zu denken – und vorzusorgen, daß die ehemaligen Heimkinder in absehbarer Zeit in ein Alter kommen, in dem sie auf fremde Hilfe angewiesen sein könnten und eine Heimeinweisung nötig wird. Darauf müssen die Heim-Organisationen vorbereitet werden.
Jedenfalls: Mit der Zwangsarbeiterlösung werden die ehemaligen Heimkinder, wie ich befürchte, ein weiteres Mal betrogen.
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