Dierk Schaefers Blog

Zuschreibung der Verantwortung für die Folgen eigenen Handelns – nicht nur im Strafrecht, sondern auch bei Würdigungen

Posted in Christuskirche/Bochum, Hans-Ehrenberg-Gesellschaft, heimkinder, Kirche, Theologie by dierkschaefer on 14. November 2011

[Dieser Text wurde insgesamt von Thomas Wessel nicht veröffentlicht.]

0      »Wir ordnen seit Men­schengedenken unsere Welt über die wechselseitige Zuschreibung von Verant­wortlichkeit,

0      wir urteilen – vom Ge­richtssaal über die Schule bis zum gemein­samen Schlafzimmer – bei der Verletzung eines anderen nicht nur nach der objekti­ven Schwere der Verletzung, sondern auch nach der Intensität des persönlichen Dafürkönnens, vom Vorsatz bis zur Fahrlässigkeit,

0      wir fragen also nicht nur nach dem angerichteten Schaden, sondern auch nach der anrichtenden Person und halten diese im Zweifel für verantwortlich:

Ist das vor einer kritischen Theorie von Freiheit, Schuld und Strafe alles Verblendung, oder hat diese Praxis einen tieferen Sinn, vielleicht so­gar einen Grund oder ein Recht?«

So schreibt und fragt Winfried Hassemer, Strafrechtswissenschaftler und ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, in einer Rezension in der heutigen Ausgabe der FAZ. Ich habe einige Umstellungen im Satzbau vorgenommen, ohne jedoch den Sinn zu verändern. (Original in: Winfried Hassemer, Lassen wir uns die staatsnotwendige Fiktion nicht abhandeln!, Rezension über Marco Stier, Verantwortung und Strafe ohne Freiheit. FAZ, Montag, 14. November 2011, Seite 26.)

Es geht bei Hassemer um die Problematik des freien Willens und die Zuschreibung von Verantwortung, Grundlage von Bestrafung.

Wenn ich diese Überlegungen in einen anderen Zusammenhang stelle, nämlich den der Tätigkeit von Dr. Antje Vollmer als Moderatorin des Runden Tisches/Heimkinder, dann sind zunächst die Unterschiede zu betonen. Frau Vollmer hat gegen kein kodifiziertes Gesetz verstoßen. Von Bestrafung ist hier also nicht zu sprechen. Jedoch von der Zuschreibung der Verantwortung für die Folgen des Handelns.

Wenn die Hans-Ehrenberg-Gesellschaft, bisher einzig durch Thomas Wessel, Mitglied der Findungskommission für den diesjährigen Hans-Ehrenberg-Preis, diesen Zusammenhang von Handeln, Ergebnis und Person  als Motiv für die Auswahl der diesjährigen Preisträgerin abstreitet, so entzieht sie ihr auch die intellektuelle Grundlage für diese Würdigung.

Da die Begründungen für die Preisverleihung immer dürftiger wurden, nachdem Protest aufgekommen war, gleicht dieses Verhalten dem von Münchhausen karikierten Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen zu wollen. Um im Bilde zu bleiben: In den Sumpf ist man wohl recht blind geraten (Verschwörungstheoretiker sehen das anders.) und der Schopf ist nicht etwa der eigene, sondern stellt sich als eine in der Not hastig übergestülpte Perücke dar.

Diese Preisverleihung, selbst wenn sie „ungestört“ über die Bühne gehen sollte, hinterläßt nur Blessierte:

0      Die ehemaligen Heimkinder, die sich verhöhnt fühlen müssen,

0      die Hans-Ehrenberg-Gesellschaft, der man neben ihrer Halsstarrigkeit zumindest noch Blindheit, wenn nicht auch Voreingenommenheit bei der Auswahl unterstellen muß,

0      und last, but not least den Namensgeber, Hans Ehrenberg.

Ich würde übrigens sehr begrüßen, wenn nach diesem Fiasko die Ehrenberg-Gesellschaft für die Würdigung ihres Namenspatrons wenigstens das Kapitel von  Jens Murken über „Hans Ehrenbergs missglückte Reintegration in den Dienst der westfälischen Kirche“ kostenfrei online zur Verfügung stellen würde.

2 Antworten

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  1. helmutjacob said, on 14. November 2011 at 17:29

    Die Preisverleihung hat ja im Zusammenhang mit den Blessuren einiger ehemaliger Heimkinder auch noch zur Spaltung unter ihnen geführt. Wenn man in die einzelnen Foren schaut, kann es einem nur schlecht werden. Eine sinnvolle Diskussion über die Ehrenberg-Preisverleihung ist nirgends möglich. Das mag aber auch daran liegen, dass die Dressur in den Heimen wohl lebenslänglich anhält. Die Opfer haben gelernt, sich gegenseitig in Schach zu halten, zu bedrohen und – im Gegenüber geht es ja nicht mehr – sich virtuell zu bespucken. Entweder herrscht Kaffeekränzchen-Harmonie in den Foren oder Kalter Krieg.
    In den Foren werden die Auswirkungen der Heimerziehung sichtbar. Dieses Kapitel des Teils asozialen Umgangs der Opfer untereinander hat Frau Vollmer völlig verpennt oder sie hatte keine Zeit dazu, weil sie damit beschäftigt war, ihre Vorstellungen von Opferentschädigungen auf Biegen und Brechen durchzuhauen. Es gibt zunehmend mehr Opfer, die dem „Spatz in der Hand“ zusprechen, weil sie denken: Besser als gar nichts. So geht die Rechnung der Vollmer auf. Und sie hatte leichtes Spiel. Von den drei Opfervertretern hat eins bereits den Rückzug angetreten. Da waren es nur noch zwei.

  2. Heidi Dettinger said, on 14. November 2011 at 23:21

    Herr Jacob,

    manchmal könnt‘ ich glatt heulen, wenn ich Ihre präzisen Formulierungen lese! Sie treffen den Nagel so schmerzhaft auf den Kopf, dass man meint, es würde einem der Schädel gespalten.

    Bis auf eine Kleinigkeit: Ich glaube kaum, dass Frau Vollmer irgendetwas „verpennt“ hat. Ich bin – ohne eigentlich eine Anhängerin von Verschwörungstheorien zu sein – davon überzeugt, dass der „asoziale Umgang“ der Überlebenden haarscharf in das Kalkül der Moderatorin und derer, die den Runden Tisches besetzten, passte. Frau Vollmer kennt sich mit der Not der Geschundenen mit Sicherheit ebenso aus, wie alle anderen Teilnehmer des RTH.

    „Teile und herrsche“ ist nicht ja gerade eine Neuerfindung – und es funktioniert immer noch und immer wieder. Bestens!

    Richtig bitter wird es für die meisten Ehemaligen werden, wenn sie merken, dass der „Spatz in der Hand“ in der Tat sich nicht vom „gar nichts“ unterscheidet!


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