Dierk Schaefers Blog

Das politische Versagen der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft

Posted in Christuskirche/Bochum, Hans-Ehrenberg-Gesellschaft, heimkinder, Kirche, Politik by dierkschaefer on 21. November 2011

Morgen ist der große Tag der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft.  Dr. Antje Vollmer, Bundestagsvizepräsidentin a.D., Moderatorin des Runden Tisches Heimkinder erhält den Hans-Ehrenberg-Preis 2011

Aus dem Programm

→ Fest­akt mit dem Vize­prä­ses der west­fä­li­schen Lan­des­kir­che, Albert Henz, Super­in­ten­dent Peter Scheff­ler, Ober­bür­ger­meis­te­rin Otti­lie Scholz, Stadt­kan­to­rei Bochum unter Lei­tung von Arno Hart­mann
→ Fest­akt und  Dis­kus­sion sind öffent­lich, der Zugang frei.
→ Platz-Reservierungen unter info@christuskirche-bochum.de

Vorweg:

Wer die Diskussion auf der Web-Seite der Christuskirche verfolgt hat, weiß, daß die ethisch-moralische Qualifikation der Preisträgerin Antje Vollmer mit guten Gründen angezweifelt wird. Die Zweifel und Proteste haben ihren Niederschlag auch auf anderen Web-Seiten, in Blogs und Foren gefunden. Damit wurden die Zensurmaßnahmen von Thomas Wessel obsolet. Er ist Mitglied der Findungskommission der Ehrenberg Gesellschaft, Pfarrer an der Kirche und „Moderator“ ihrer Web-Seite. Wenn auch nicht als solcher ausgewiesen scheint er der Sprecher der Gesellschaft zu sein.

Nachdem nun wohl alle Argumente zur ethisch-moralischen Qualifikation – wo auch immer – vorgetragen sind und die meisten nicht widerlegt, sondern überhört oder wegzensiert wurden, erscheint es mir angebracht, den politischen Aspekt zu betrachten, der Herrn Wessel erklärtermaßen der wichtigste ist. Ich kann mich dabei nur an der causa Vollmer orientieren. Es geht also nicht um frühere Preisträger.

Nun zum politischen Aspekt der Angelegenheit:

»Antje Voll­mer, so Trau­gott Jähni­chen, Vor­sit­zen­der der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft, habe ihre Poli­tik auf jenem „dia­lo­gi­schen Prin­zip“ gegrün­det, das Ehren­berg für die poli­ti­sche Theo­rie der Gegen­wart (Hans-Georg Gada­mer, Jür­gen Haber­mas, Ema­nuel Levinas) frucht­bar gemacht habe.« So auf der Web-Seite der Christuskirche.

Das dialogische Prinzip und die poli­ti­sche Theo­rie der Gegen­wart

Was geschah politisch am Runden Tisch, den Frau Vollmer moderiert hat?

Drei einzelnen ehemaligen Heimkindern (plus drei Stellvertreter), alle ohne Mandat einer Gruppierung, saß eine Mehrzahl von Vertretern von Korporationen und Verbänden gegenüber. Das waren in der Hauptsache der Staat in seinen Auffächerungen von Bund, Land und kommunal Verantwortlichen und die beiden Großkirchen mit ihren Sozialeinrichtungen. Die asymmetrische Machtverteilung wurde vielfach beklagt und nirgends gerechtfertigt. Sie soll hier kein Thema sein. Es geht um die politische Struktur (und Kultur).

Wir wissen, daß zum Einfluß des Wählers mit seiner Stimme am Wahltag noch andere Einflußgrößen im politischen Prozeß hinzutreten. Manche sind im Rahmen der repräsentativen Demokratie demokratisch legitimiert, andere nicht. Der Wähler, kleinste Basis einer jeden Demokratie, sieht sich (nicht nur am Runden Tisch) einem Machtgefüge gegenüber, auf das er so gut wie keinen Einfluß hat. Wie ein politischer Dialog mit einem solchen Machtgefüge funktioniert, sieht man am Beispiel des Runden Tisches sehr gut. Begründete Argumente werden kaum aufgenommen, vielleicht nicht einmal wahrgenommen. Die Ehrenberg Gesellschaft setzt dieses auf der Web-Seite der Christuskirche fort. Eine solche politische Struktur gleicht eher der eines Ständestaates, der allerdings in seiner Machtstruktur für alle durchschaubar war. Das ist in unserem Parteien- und Korporationsstaat anders. Das Ende des Ständestaates war in Frankreich die Revolution. Der für den Normalbürger undurchschaubare Parteien- und Korporationsstaat hat als Ventil zwar die allgemeinen Wahlen, doch zunehmend mehr treten Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit hinzu. Der Sieg von Staat, Kirchen und Verbänden in der Heimkindersache, befördert die Verdrossenheit über Staat und Kirche. Bei den Kirchen ist die Austrittswelle der schlagende (und teure) Beleg dafür.

Frau Vollmer hat mit ihrer inzwischen erschöpfend  kritisierten Moderation des Runden Tisches Heimkinder das unterstützt, was Habermas die „post- bzw. scheindemokratische Politik kleiner Führungseliten und ihrer staatstechnischen Strategien“ nennt. Er spricht auch davon, daß mit der „Positivierung unteilbarer demokratischer, sozialer und kultureller Menschenrecht von Anfang an eine Rechtspflicht erzeugt“ wurde. Diese bestehe darin, die überschießenden moralischen Gehalte zu realisieren, also den historisch wechselnden Verletzungen der Menschenrechte mit Mitteln einklagbarer Rechte zu begegnen.

Die Festlegung der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft auf Frau Vollmer erfolgte ohne eine gründliche Bewertung ihrer Maximen und der Verdienste von Frau Vollmer. Wer mit der heißen Nadel näht, darf sich nicht wundern, wenn die Nähte platzen. Man hätte nachbessern können. Aber so hat die Hans-Ehrenberg-Gesellschaft nicht nur ihren bisher guten Ruf verspielt, sondern ihrem Namensgeber Schande bereitet.

Dies alles, so meine Interpretation, um sich mit einer bekannten Politikerin a.D. zu schmücken. Eine Lebenswerk-Prämie sozusagen. Doch Frau Vollmer schmückt nicht und ihr Politikstil entspricht nicht der Auslobung.

Ein Hans-Ehrenberg-Preis wäre angemessener für Menschen, die, wie Hans Ehrenberg, mutig sind und für ihre vorbildlichen Ziele ihre Existenz dransetzen. Ein solches Zeichen wäre mutig und ermutigend zugleich.

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