Dierk Schaefers Blog

Anhörung in München

Posted in Geschichte, heimkinder, Kinderrechte, Politik by dierkschaefer on 25. Mai 2012

Sehr geehrte Frau Meyer,

Ihre Einladung zur Anhörung im sozialpolitischen Ausschuß habe ich auf Wunsch eines ehemaligen Heimkindes in meinem Blog veröffentlicht und auch kritische Kommentare zu dieser Einladung erhalten (https://dierkschaefer.wordpress.com/2012/05/23/anhorung-von-ehemaligen-heimkindern-im-sozialpolitischen-ausschus-des-bayrischen-landtags/). Diese Kommentare veranlassen mich zu einigen Fragen:

1. Was bezweckt die Anhörung?

Wenn es lediglich darum gehen sollte, daß einige ehemalige Heimkinder life etwas vortragen, was inzwischen als durchgängiges Phänomen damaliger Heimerziehung bekannt ist, dann hätte die Anhörung eher voyeuristischen Charakter, wäre also obszön. Immerhin hat sogar der Runde Tisch in seinen beiden Berichten diesen Teil der Verbrechen benannt und es liegen seriöse wissenschaftliche Untersuchungen vor, die pars pro toto genommen werden könnten.

Eine nochmalige Anhörung sollte in engen Grenzen den Meldestellen vorbehalten bleiben, wenn ein Antrag gestellt wird.

2. Werden die ehemaligen Heimkinder die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen und beantwortet zu bekommen?

Dies wäre sicherlich zum Zeitpunkt der Einladung ein legitimes „Format“ einer solchen Veranstaltung. Nun liegt allerdings mittlerweile die Antwort der Bundesregierung auf die „Kleine Anfrage“ einiger MdB vor, die Klarheit in einigen Bereichen schafft, die zuvor Spekulationen vorbehalten waren. Das ist z.B. die Frage der Anrechenbarkeit auf Sozialleistungen.Antwort 17-9507 Fonds Heimerziehung

Im Hintergrund bleiben all die „Merkwürdigkeiten“ der Konstruktion des Runden Tisches, seiner Dokumentations- und Informationspolitik und seiner manipulativen Beeinflussung der unbedarften ehemaligen Heimkinder, die dort vertreten waren. Danach hatten auch die MdB nicht gefragt, und selbstverständlich wird Ihr Ausschuß darüber nichts sagen können.

Doch zur Information des Ausschusses wie auch der Meldestellen wäre es als Hintergrund-Information sinnvoll, den Fragen nachzugehen, warum wohl in Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern keine Entschädigungen gezahlt werden, warum der Runde Tisch es nicht gewollt/vermocht hat, die Zwangsarbeitsfirmen zu benennen und zur Fondsbeteiligung aufzufordern, warum er die fachkundigen Beiträge von Prof. Kappeler weder berücksichtigt noch erwähnt hat. Wichtig wäre es auch zu erwähnen, daß eine unbefangene Beschäftigung mit dem Problem bereits vor Beginn durch die Intervention von Frau von der Leyen torpediert wurde.

Wer dies alles ohne eigene institutionelle Interessen zur Kenntnis nimmt, wird verstehen, warum manche ehemaligen Heimkinder Ihre Anhörung beargwöhnen und auch den Meldestellen fernbleiben werden.

Zur weiteren Information verweise ich auf die Beiträge von Prof. Kappeler und auf den Bericht von Helmut Jacob, der in mühevoller Recherchierarbeit das aufgearbeitet hat, was ich eine Entschuldigungs-Show nenne.

Kritischer_Ruckblick_2011kappeler Kappeler_Kritik_Zwischenbericht_RTH jacob 1-3

Also noch einmal: Was beweckt der Ausschuß mit der Anhörung?

Gern bin ich bereit, Ihre Antwort – wie auch dieses Schreiben – in meinem Blog zu veröffentlichen.

Mit freundlichem Gruß

Dierk Schäfer

11 Antworten

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  1. Erich Kronschnabel said, on 25. Mai 2012 at 19:29

    Zur Frage der Anrechenbarkeit von Fonds-Zahlungen auf Sozialleistungen:
    Die Antwort ist juristisch Wischiwaschi, es bleibt also jedem einzelnen Träger überlassen, ob diese Gelder als
    Einkommen gewertet werden oder nicht.

    Rechnet irgend ein Träger das Geld an, kürzt dem Empfänger die Sozialgelder entsprechend, kann der Hilfeempfänger vor dem Sozialgericht klagen – und VERLIERT!Weil es juristisch nicht wasserdicht gemacht wurde!

    Ich unterstelle auch hierbei Absicht, auch so klappt die Refinanzierung bestens. Die Kommunen können die
    klammen Kassen elegant auffüllen.

    Was hilft gegen Brechreiz?

    • Heidi Dettinger said, on 26. Mai 2012 at 05:27

      Ich fürchte gar sehr, Herr Kronschnabel, Sie könnten Recht behalten!
      Das nennt sich dann „Prinzip rechte Tasche, linke Tasche“…

  2. Helmut Jacob said, on 26. Mai 2012 at 23:17

    Tatsächlich handelt es sich nur um Empfehlungen, und noch gar keine rechtsgültigen Verwaltungsanweisungen. Darum ist es völlig offen, ob einzelne Sozialämter oder einzelne ARGEs diese Gelder nicht mit ihren Leistungen verrechnen.
    Vorsicht ist auch geboten, wenn es gilt, beim Sozialamt oder bei der ARGE nachzufragen. Auf keinen Fall darf man schreiben, dass man einen Antrag bei den Anlaufstellen oder in schriftlicher Form gestellt hat. Nach dieser Aussage wollen die Behörden über den Verlauf des Antrages informiert werden und man kann – wenn klar ist, dass diese Leistungen verrechnet werden – nicht mehr schummeln und schreiben, der Antrag wurde abgelehnt. Dann haben die Behörden ein Auskunftsrecht über den Ablehnungsbescheid. Hier ein Formulierungsvorschlag:
    Auf Empfehlung des Runden Tisches Heimerziehung (RTH) hat der Deutsche Bundestag einen Fonds über 120 Mio. Euro beschlossen, der von dem Bund, den Ländern und der evangelischen und katholischen Kirche zu gleichen Teilen gespeist wird. Ich frage an, ob diese Leistungen auf solche der Sozialhilfe, der Grundsicherung oder auf „Hartz IV“-Leistungen angerechnet wird.
    Selbst dann kann man noch gelackmeiert sein, weil beispielsweise das Sozialamt, nachdem es Wind von den Almosen des RTH erhalten hat, einen Irrtumsbescheid ausstellen und die Gelder einkassieren.
    Ich sage es nicht gerne, aber es muss sein: Vorsicht bei der Antragsstellung oder Verzicht auf einen Antrag oder das Risikospiel mitmachen und dabei wissen, dass man den Tätern in die Hände spielt. Sie nämlich lachen sich über jeden Antrag ins Fäustchen.

    • Erich Kronschnabel said, on 27. Mai 2012 at 12:48

      Diese Ausführungen möchte ich noch ergänzen, weil sie zutreffend sind.

      Zur Zeit lasse ich juristisch prüfen, wie es sich bei Beziehern von Sozialleistungen auswirkt, wenn Fondsgelder
      durch Benennung eines Gläubigerkontos auf dieses geleitet werden, damit Schulden aus der Zeit VOR der
      Fondsgründung beglichen werden. Ein entsprechender Schuldvertrag zwischen Gläubiger/in und Ex-Heimkind
      wird dann vorhanden sein…sagt der gesunde Menschenverstand.

      Geprüft wird auch, wie es um das sogenannte Schonvermögen von Beziehern von Sozialleistungen bestellt ist.
      Auch dieser Punkt wurde niemals am RTH abgearbeitet. Bewusst nicht abgearbeitet, sage ich immer wieder.
      Es wird sich zeigen, ob ausgezahlte Fondsgelder unter den gesetzlichen Status des Schonvermögens fallen.
      Ich empfinde es einfach als lächerlich, mit welch blöden Winkelzügen die Täterorganisationen die Auszahlungen verhindern bzw. verzögern wollen. Leider werden sich viele Opfer davon einschüchtern und
      abschrecken lassen.

      Berücksichtigen sollte jeder Betroffene auch die Tatsache, dass kein Mensch gezwungen werden kann, ein
      Konto im Antrag zu benennen. In solchen Fällen erfolgt die Auszahlung per Postbarscheck! So wickeln das
      auch die Jobcenter und die Bundesagentur für Arbeit ab. Auch Köln bzw. die Bundeskasse verschicken in
      solchen Fällen Postbarschecks, wie von dort bestätigt wurde.Merke: Konto muss kein Mensch haben und/oder
      nicht benennen.

    • Hans-Peter said, on 27. Juni 2012 at 19:15

      bevor ich der erste bin, dem das Messer ausrutscht, werd ich diese Seite zumachen müssen. Mir reichts für heute,
      kann nicht mehr weiterlesen, Behörden spielen mit den Opfern

  3. Heidi Dettinger said, on 27. Mai 2012 at 12:08

    Es gibt meiner Meinung nach sogar eine PFLICHT seitens des/der Empfängers/Empfängerin von Transferleistungen, alle ihm/ihr möglichen anderen Gelder zu beantragen und zu beanspruchen, bevor es an die ARGE oder die Sozialleistungen geht. Wundern würde es mich also nicht im Geringsten, sollten die Behörden Wind bekommen von einer Anspruchsberechtigung, sie dann Druck machten, die Rentenausgleichszahlung auch wirklich zu beantragen. Um sie dann wieder abzuziehen. Bingo!

    Außerdem trudeln bereits die ersten Meldungen ein, nach denen Krankenkassen Anträge auf Kuren mit dem Hinweis auf den Hilfsfonds für Heimkinder ablehnen. Bingo! auch für die KK also.

    • Erich Kronschnabel said, on 27. Mai 2012 at 12:57

      Können Sie Namen und Standorte solcher Krankenkassen hier veröffentlichen, Frau Dettinger?

      Das kann auch positiv gesehen werden, denn mit einer solchen, schriftlichen Leistungsverweigerung können
      Betroffene bei der Anlaufstelle was anfangen. Fondsverwaltung und KK können sich dann miteinander rumschlagen.Fristenberechnung beginnt ab Antragsdatum.

    • sabine s. said, on 28. Mai 2012 at 01:17

      Ich bekomme meine Reha-Maßnahme von der Krankenkasse. Scheint also nicht gängige Praxis zu sein, dass die KK auf den Fonds verweisen.

  4. alexa whiteman said, on 27. Mai 2012 at 15:06

    was auch noch interesannt ist, sind unser bank konto. die können nehmlich über das finanzamt und selber nach schauen. ich spreche vom arbeitsamt und sozialamt. ich musste vor jahren da für unterschreiben.
    also nichts mit datenschutz.

    alexa
    überlebende/bayern
    1960-1978

    • Alexandra said, on 29. Dezember 2022 at 18:49

      Hallo Alexa,

      Ich bin auch Überlebende aus Bayern und suche Kontakt zu Betroffenen aus Bayern um uns evtl. gegenseitig zu stützen🤔

  5. Helmut Jacob said, on 27. Mai 2012 at 23:23

    Die Vermögensfreigrenzen unterscheiden sich bei den Sozialleistungen: Bei der Sozialhilfe ist das Schonvermögen in § 90 SGB XII (und der Verordnung dazu) geregelt, die Freigrenze beträgt je nach Hilfeart 1.600 € bzw. 2.600 €. Der niedrigere Betrag gilt bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, der höhere Betrag gilt bei der Grundsicherung für erwerbsgeminderte Menschen und bei den Hilfen nach Kapitel 5 bis 9 des SGB XII, den früheren Hilfen in besonderen Lebenslagen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Schonverm%C3%B6gen


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