Dierk Schaefers Blog

»Schwarze Pädagogik« – Ein Nachruf auf Katharina Rutschky

Posted in heimkinder, News, Pädagogik by dierkschaefer on 16. Januar 2010

»Schwarze Pädagogik« – Ein Nachruf auf Katharina Rutschky

Am Donnerstag dieser Woche, so vermeldet die Zeitung, starb Katharina Rutschky.

Ihre »Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung« mit dem sprichwörtlich gewordenen Titel »Schwarze Pädagogik« stand schon lange, und wie vieles nur angelesen in meiner Bibliothek, bevor ich mit Katharina Rutschky in Kontakt kam. Das war über ein ganz anderes Thema, für das sie sich beherzt zwischen alle Stühle gesetzt hatte. Ich plante 1994 eine Tagung, in der es auch um das Thema »Mißbrauch mit dem Mißbrauch« ging. »Sexueller Kindesmißbrauch in der Familie – ein Vorwurf und seine Folgen« war der Tagungstitel. Das war ein mutiges Unterfangen, doch das wußte ich anfangs noch nicht, sollte es aber bald erfahren. Zu den unerschrockenen Unterstützern gehörte Katharina Rutschky, und sie wußte schon, in welche Nesseln ich mich gerade begab. (siehe: »Zu den Folgen des Vorwurfs „Kindesmißbrauch“«, epd-Dokumentation No: 40/95).  Sie gab mir am Telefon bereitwillig und engagiert Auskunft und empfahl Referenten. Wir haben mit ihr eine mutige Frau verloren, die sich beherzt gegen manche Strömungen der Zeit stemmte.

Ihr Tod war mir Anlaß, wieder einmal in ihre Textsammlung zur Schwarzen Pädagogik zu schauen. Allein die Überschriften der einzelnen Quellenbeiträge lassen mich erschaudern: Fast das ganze Spektrum der Heim-„Erziehung“ in der Nachkriegszeit ist in diesen historischen Texten vorgezeichnet, nur wenige Texte stammen aus dem ersten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts, alle anderen sind älter. Sie dokumentieren die Angst vor dem Kind, das mit Zwang gebändigt und zivilisiert werden muß. Und sie dokumentieren die Selbstüberhöhung des Erziehers, der nach Blaschke (1828) »ein Organ der Gottheit« ist. Die Sorte von Gottheit haben die ehemaligen Heimkinder zur Genüge kennen gelernt. Sexueller Mißbrauch allerdings kommt in den Quellentexten nicht vor, denn Gottheiten sind asexuell, und die Erzieher müssen Götter bleiben. Doch ansonsten: Die Erziehung ist »ein ewiger, doch Heiliger Krieg«, so Sailer (1809). Das Kind und seine Triebhaftigkeit sind eine Bedrohung der bürgerlichen Gesellschaft. Bis zur Infibulation für pubertierende Jungen gehen die Anregungen.

»Aufsicht ist der Nerv der Erziehung« schrieb August Hermann Francke 1722 – und damit geraten wir schon in ein Dilemma. Aufsicht heißt neudeutsch »monitoring« und wird nicht ohne Grund als wichtig für die Kriminalprävention bei Kindern und Jugendlichen gesehen. Kindgerechte Pädagogik, die auf ein gelingendes Leben vorbereiten soll, bleibt unsere Aufgabe an den Kindern. Doch dazu bedarf es keiner Schwarzen Pädagogik, sondern der Achtung der Kinderrechte und unserer liebevollen Zuwendung. Zur Abschreckung lohnt es sich, Katharina Rutschky’s Buch zu lesen.

4 Antworten

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  1. Sabine Ida said, on 25. Januar 2010 at 00:28

    Hallo, ich interessiere mich schrecklich für dieses Buch…nur ist es leider vergriffen. Kann mir jemand helfen ?

  2. Ida said, on 28. Juli 2010 at 00:37

    …nur, dass nichts ändert, das Buch gibts nicht mehr…


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