Himmel, hilf!
Glaubwürdig wird die Geschichte nur durch ihn selbst. Joseph ist ein Freund unserer Familie. Durch einen Schüleraustausch meiner Frau haben wir ihn kennengelernt. Wie bei nicht wenigen Lehrern in Frankreich hat sein Laïzismus eine massiv antiklerikale Grundlage. Das macht die Glaubwürdigkeit der Geschichte aus und es spricht für seine Toleranz, dass er sie mir, einem Pfarrer erzählt hat. Und für mich selber sollte ich hinzufügen, dass ich nicht an ein Wunder in dieser wunderhaften Geschichte glaube.
Joseph wohnt in einem kleinen Dorf in Lothringen. Dort gelten die für Frankreichs Innenpolitik fundamentalen Gesetze aus dem Jahr 1905 nicht. Elsass-Lothringen hatte sich bei seiner Wiederangliederung gegen die Übernahme der strikten Trennung von Staat und Kirche erfolgreich gewehrt. Kein Laïzismus! Und so ist das Dorf von Joseph weiterhin gut katholisch. Man hält die kirchlichen Feiertage ein und besucht den Gottesdienst.
Heute, am Pfingstsonntag sägt Joseph sein Holz, mit der Motorsäge. Die macht Krach. Das ist sein Beitrag zum Gründungsjubiläum der Kirche. Ohne Regung lässt er die Kirchgänger an sich vorüberziehen, auch wenn sie ihn missbilligend ansehen. Er hat sogar ein gutes Gewissen dabei. Ein Werk der Nächstenliebe sei es gewesen, sagt er, denn er sägte das Holz für seine verwitwete Schwester und war damit der bessere Christ,[1] doch das hat er nicht gesagt
Er sägt so lange, bis die Säge ihren Dienst versagt und nach vergeblichen Versuchen nicht wieder anspringt. Also stapelt er gerade sein Holz, als die Gottesdienstbesucher nach der Kirche wieder an seinem Grundstück vorbeigehen. Sie schauen ihn, wie er meint, merkwürdig an, mit einer gewissen Scheu.
Verwandte, die im Gottesdienst waren, steckten es ihm bei nächster Gelegenheit. Er hatte die Messe mit seinem Lärm wirklich sehr gestört, den ganzen Gottesdienst über. Kurz vor dem Segen erwähnte der Pfarrer das Sägen. Im Gebet flocht er die Bitte ein, und bewahre uns vor diesem infernalischem Lärm. Genau in diesem Moment verstummte die Säge.
[1] Doch da ich ihm den Namen Joseph gegeben habe, fällt mir der diensteifrige Heilige Joseph vom Bad Wildunger Altar ein. Der hat sich auch ums Brennholz gekümmert: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/6273027637/in/set-72157627961292072
Was wäre die Welt um vieles besser und das Leben um vieles einfacher, wäre der Mensch nicht so, in den von Menschen (Obrigkeiten) gemachten Gebote und Verbote verhaftet.
Vielleicht war die Predigt auch so langweilig und nichtssagend, dass der Lärm der Säge für die Gläubigen eine Wohltat war. Nach dem Gottesdienst verstummt die Säge, Josef hatte sein Holz fertig gesägt und die Gläubigen konnten ihre wohlverdiente Sonntagsruhe geniessen. 😉
Ich würde sagen: wie das Leben so spielt 🙂