Dierk Schaefers Blog

Das war Spitze, Herr Ratsvorsitzender!

Posted in heimkinder, Kirche by dierkschaefer on 13. September 2011

Das war wirklich Spitze!

Sie haben handwerklich gekonnt meisterhaft den Schlußstrich gezogen. Ich bin stolz auf Sie.

Die evangelische Kirche ist die des Wortes. Mögen sich Ihre katholischen Kollegen auch in Zerknirschung theatralisch vor dem Altar niederwerfen – nur Gott kann ihnen dabei ins Gesicht schauen. Sie aber bekennen aufrecht, man könnte sagen, mit offenem Visier, die Schuld der Väter (und Mütter), die in den Heimen ein fürchterliches Regiment gehalten haben. Das hat schon Stil!

Zudem haben Sie dem Feldgottesdienst nach gewonnener Schlacht ein neues Gesicht verliehen: Das Gesicht der Demut: „Wir schämen uns!“ Damit haben Sie die Taktik der Schadensbegrenzung auf die Spitze getrieben und den Ehrenschild unserer Kirche wieder blank geputzt, so daß wir vor der Welt wieder, wenn auch als Sünder, so doch gerechtfertigt dastehen. Selbstgerechtfertigt zwar, doch zumindest hier auf Erden kommt das bei vielen gut an, was schert uns Gott?

Sie haben es auch gekonnt geschafft, lauter Kautelen in Ihre Entschuldung einfließen zu lassen. Da wurde der Zeitgeist wieder einmal angesprochen, die widrigen Umstände – und schließlich waren es ja immer nur Fälle, einige, die häufig, vielfach so gelitten haben, daß es engagierten Mitarbeitenden [zwar] gelang, eine Atmosphäre der Warmherzigkeit herzustellen, [es aber dennoch] kein Ausgleich für die Mängel [war], unter denen Kinder und Jugendliche litten. So haben Sie es verstanden, sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, von einem Abschnitt zum andern aus der Weise, den Willen der Kinder zu brechen, nämlich oft auf menschenunwürdige Weise , schlichte Mängel zu machen.

Und ganz fulminant der Schluß Ihrer Rede vor der Bitte um Entlastung. Der Prozess der Aufarbeitung und die Suche nach einem angemessenen Umgang mit dem erfahrenen Leid sind Ausdruck dessen, dass wir unser Versagen erkennen. Quod erat demonstrandum! Genau das war zu beweisen – und Sie haben es für unsere Kirche glänzend inszeniert.

Wenn ich von einer neuen Form des Feldgottesdienstes nach gewonnener Schlacht spreche, muß ich auch das Schlachtfeld beschreiben – schon zur Ehre der Gefallenen. Das Schlachtfeld war der Runde Tisch. Hier hatten Staat und Kirche ihre Bataillone aufgestellt; bestens ausgerüstet, denn im Unterschied zur Heimszene wurde kein schlecht ausgebildetes und unterbezahltes Personal eingesetzt. Für die Schwächung der Gegenseite hatten bereits die Familienministerin und der VeH, gesorgt, da hätte es einer Frau Vollmer nicht mehr bedurft. Ihren Bataillonen standen drei unbedarfte ehemalige Heimkinder gegenüber, schlecht ausgerüstet und nicht bezahlt. Dazu auch in Verhandlungstaktik völlig unerfahren. Hier ist Ihnen und den Ihren wieder ein Novum gelungen. Sie benutzten das Schlachtfeld zur Deckung. Darauf muß man erst einmal kommen. Vor der Schlacht hieß es: Wir wollen den Ergebnissen nicht vorgreifen. Nach der Schlacht konnten Sie auf die Ergebnisse verweisen, ohne das gewonnene Terrain benennen zu müssen. Die gewonnene Schlacht hilft auch zu verdecken, daß Entschuldung für Mißhandlung und Mißbrauch von Kindern in den USA, in Irland und in Österreich ganz anders aussieht. Mögen andere zahlen, wir sparen lieber und reden nicht davon. Was jetzt noch kommt, sind kleine Scharmützel, die Ihre nachgeordneten Einrichtungen schon jetzt, manchmal, oft, nicht selten, ausfechten und gewinnen. Den Rest besorgen Bürokratie und Zeit – und ein paar Brosamen werden für die armen Kinder auch noch unter den Tisch fallen und die tätige Reue belegen.

Zur Inszenierung gehören die Begleitumstände. Menschen haben einen unterschiedlichen Medienwert. Ist der medienträchtige Skandal erst einmal vom Tisch (dafür hatte der Runde Tisch gesorgt und die inflationären Betroffenheitsbekundungen im Vorfeld), dann zählt fast nur noch der gesellschaftliche Rang. Was ein Professor in seinem Fachvortrag sagt (den Vortrag habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen), was ein unbedarftes ehemaliges Heimkind vorträgt, ist durch ihren Rück-Blick medientechnisch längst verbraucht, hat aber dazu gedient, das Schlachtfeld durch den historischen Nebelschleier zu tarnen. Was jedoch „die Kirche“ in Person ihres Ratsvorsitzenden nun hochoffiziell verkündet, das, fast nur das kommt in die Medien, wenn auch nur noch in die zweite Reihe.

Und dann der Termin im Medienschatten von nine-eleven. Andererseits aber haben Sie dem nächsten Medienschatten vorgegriffen. Elf Tage später kommt ein größerer Publikums- und Medienmagnet nach Deutschland. Gemessen daran waren Sie nur das Vorprogramm.

Nachtrag:

Klicke, um auf anhang_rolf_breitfeld.pdf zuzugreifen

Klicke, um auf veh_stellungnahme.pdf zuzugreifen

http://hpd.de/node/11947?nopaging=1

15 Antworten

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  1. Heidi Dettinger said, on 13. September 2011 at 12:17

    In den Heimen der evangelische Kirche wurden wir
    – gefoltert
    – vergewaltigt
    – verhöhnt
    – gedemütigt
    – ausgebeutet

    Man hat uns
    – „zwangsernährt“ mit unserem eigenen Erbrochenem
    – unterernährt
    – Schlaf entzogen
    – politisch und religiös indoktriniert
    – eingesperrt und isoliert

    Obendrein bekamen wir
    – keinen Hauch von Liebe oder Zuneigung
    – keine bis kaum Schulbildung
    – kaum eine qualifizierte Berufsausbildung

    Wir bekamen
    – keinen Lohn, für die Zwangs- und Kinderarbeit, die wir jahrelang leisteten
    – keine Renteneinzahlungen für unsere Arbeit
    – nicht einmal eine vernünftige Krankenversicherung

    Und als wir anfingen, alt, krank, müde, oftmals in Armut und Einsamkeit lebend, uns zu organisieren, die Täter von damals anzuklagen, Entschädigung, Rentenzahlungen, gestohlenen Lohn einzufordern – da fiel der Kirche ersteinmal nicht besseres ein, als alles abzustreiten.

    Am „Runden Tisch“ taten die Vertreter eben dieser Kirche alles in ihrer Macht stehende, um akzeptable Entschädigungszahlungen zu vermeiden, Aufarbeitung unseres Schicksals zu torpedieren, Worte wie „Zwangsarbeit“ und „systematisches Unrecht“ aus allen Texten zu radieren. Selbige Vertreter (z.T. selbst Juristen!) setzten sich damit durch, die Vertreter der Überlebenden ihrer Höllen – genannt „Heime“ – ohne rechtlichen Beistand in den Verhandlungen zu lassen. Sie strengten sich geradezu an, die Ehemaligen, die ihnen wieder einmal – nun am RTH – ausgeliefert waren, über den Tisch zu ziehen… Das ganze Schauspiel ist erst im Dezember letzten Jahres mit der absolut unwürdigen, widerlichen, ekelhaften Erpressung, die später „Abstimmung“ heißen sollte, zu Ende gegangen!

    Und nun, nicht mal ein Jahr danach, wird in Berlin dieser Entschuldigung-Zirkus aufgezogen…

    Meint Ihr denn, wir seien dumm und taub und blind?
    Meint Ihr denn, wir lebten noch im Mittelalter?
    Meint Ihr denn, wir haben auf diese Hand gewartet, die uns erst missbraucht und prügelt, dann über den Tisch zieht und nun in scheinheiliger Geste um Entschuldigung bittet?

    Gebt uns was unser ist: Unseren Lohn! Unsere Renten! Und für das, was Ihr nicht zurückgeben könnt, zahlt eine Entschädigung, die diesen Namen verdient und uns gerecht wird.

    Dann – aber auch nur dann – werden wir vielleicht noch einmal über eine Entschuldigung reden!
    _______________________________

    Eine Frage sei noch erlaubt, Herr Schäfer: In wiefern hat der VEH für eine Scwächung der Gegenseite gesorgt?

    • dierkschaefer said, on 13. September 2011 at 14:39

      „Eine Frage sei noch erlaubt, Herr Schfer: In wiefern hat der VEH fr eine Scwchung der Gegenseite gesorgt?“ Das knnen Sie bereits in meinem Protokoll zu meiner Anhrung am RT nachlesen. Meine damals geuerten Bedenken haben sich voll besttigt, was nicht heien mu, da es bei geschickterem taktischen Verhalten des VeH besser ausgegangen wre.

  2. wessi said, on 13. September 2011 at 19:12

    Phoenix sendete am 04.09.ein sog. „Kamingespräch“: Elmar Theveßen im Gespräch mit Präses Schneider

    Der Vorsitzende der EKD behauptete darin allgemein, dass Missbrauch in den monotheistischen Religionen angelegt sei; konkret sah er das Christentum missbraucht vom Osloer Attentäter. Kleiner hatte er es wohl gerade nicht…qed

    (Das Video kann auf phoenix.de besichtigt werden)

  3. Pedro Hans Peter Fricke said, on 14. September 2011 at 14:01

    Leute es ist halt so, die von uns damals in den Heimen waren, sind entweder im Knast gescheitert oder die von uns eine Karriere gemacht haben, haben 40 Jahre die Schnauze gehalten, damit nur nichts rauskommt. Es hat bei mir über 40 Jahre gedauert um mich überhaupt daran zu erinnern und das meiste habe ich vergessen oder erfolgreich verdrängt. Eine Frage wo sind die Leute die in der „Freistatt“ Gottes von 1961 – 1965 waren. Kann ja nicht sein das ich der einzige bin.

  4. […] „Das war wirklich Spitze!“ Kommentar von Dierk Schäfer zur Rede des EKD-Vorsitzenden: https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/13/das-war-spitze-herr-ratsvo… Pressemitteilung des Humanistischen Pressedienstes (hpd): http://hpd.de/node/11947?page=0,0 Absage […]

  5. […] alttestamentlicher Prophetie, und auch den polemischen Angriff habe ich nicht ausgelassen [https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/13/das-war-spitze-herr-ratsvorsitzender/]. Immer habe ich tauben Ohren gepredigt. Vielleicht haben Sie Ohren zu […]

  6. […] der EKD-Leitung in einem Versöhnungsgottesdienst nach allen Regeln der Kunst vorgeführt wurden. [https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/13/das-war-spitze-herr-ratsvorsitzender/] Es bleibt die ungewisse Hoffnung, per Gericht die Erinnerungen materialisieren zu […]

  7. Church-bashing « Dierk Schaefers Blog said, on 3. September 2012 at 04:37

    […] Beiträge hier in Erinnerung rufen (https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/01/traumhaft/ und https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/13/das-war-spitze-herr-ratsvorsitzender/). Ich habe davon nichts zurückzunehmen, besonders weil ich bereits frühzeitig konstruktiv, wenn […]

  8. […] [1] Wenn ich hier anerkennend von Respekt spreche, mag man das auf dem Hintergrund sehen, daß ich Schneider in seiner (amtlichen) Haltung in der Heimkindersache massiv angegriffen habe und nichts davon zurückzunehmen gedenke. https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/13/das-war-spitze-herr-ratsvorsitzender/ […]


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