#auchdasistKirche
Soweit ich sehe, bin ich (fast) der einzige evangelische Pfarrer, der nicht nur in seinem Blog, sondern auch bei Twitter kirchenkritische Meldungen und Meinungen verbreitet. Ich verweise auf einen Beitrag in meinem Blog: https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/07/27/ecrasez-linfame-hasskommentare-meinem-blog/
Wie dort beschrieben, verstehe ich die auch hasserfüllten Postings von Menschen sehr gut, die in kirchlichen Einrichtungen durch kirchliches Personal traumatisiert wurden und deren Ansprüche nun gnadenlos auf die lange Bank geschoben werden nach dem Motto „Kinder schänden, Zeit schinden, Kassen schonen“. Wer meinen Blog liest, der sieht, dass ich mich seit rund 20 Jahren umfangreich für deren Belange einsetze.
Doch ich bin es leid, immer wieder von nicht persönlich betroffenen Leuten blanken Hass über Kirche und Religion entgegengeschleudert zu bekommen, die zumeist keine bis wenig Ahnung von Kirchen, von Religion und Religionswissenschaft haben, von Theologie ohnehin nicht.
Ich werde wohl leider nicht aufhören können, wie bisher Kritikwürdiges über Kirche und Religion zu berichten und werde es auch heftig verurteilen. Doch es gilt, wenigstens die Gebildeten unter den Verächtern der Religion (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_die_Religion._Reden_an_die_Gebildeten_unter_ihren_Ver%C3%A4chtern) an ihre Bildungslücken zu erinnern.
Dazu gehört nicht nur, dass Kirche und Religion für viele Menschen immer noch ein Stück Heimat sind. Wir sollten die positive Bedeutung von Religion und Kirche – und ihre Leistungen herausstellen. Man kann und sollte aber nicht der Versuchung unterliegen, das Positive mit dem Negativen zu verrechnen; das wäre zynisch. „#auchdasistKirche“ wird auch von Gegnern und Feinden genutzt werden, doch damit wird erst die Realität von Kirche und Religion transparent. Kirche und Religion sollen so durchwachsen präsentiert werden, wie sie nun einmal sind.
Zunächst aber möchte ich alle ermuntern, für die Kirche und Religion Bedeutung haben – bei aller Ambivalenz: Machen Sie Gebrauch von „#auchdasistKirche“!
Ich beginne mit „Notfallseelsorge: #auchdasistKirche“
Da bin ich voll bei Ihnen Herr Schäfer! Sie haben eh schon für uns Betroffene sich eingesetzt und dafür bin ich zumindest sehr dankbar!
http://deutschlands-heimkinder.de
“…von nicht persönlich betroffenen Leuten blanken Hass über Kirche …”
Ich halte es mit Hermann Hesse: “Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf” (Lektüre für Minuten 1977 S. 71).
Es geht daher nicht darum, die Kirche oder Religion zu hassen, es geht um “Sachverhalte”, die Menschen geschädigt haben und die dafür nun Abhilfe und Gerechtigkeit einfordern. Die Entschädigungsvorschläge von Opfern und Tätern mögen dabei unverhältnismäßig erscheinen und entladen sich dann nicht nur in Hass, sondern auch in Wut und Zorn. Es gibt daneben von Opfern Verbesserungsvorschläge an den Systemen, die verhallen wie ein Echo. “Kein Mensch fühlt im andern eine Schwingung mit, ohne daß er sie selbst in sich hat” (ebenda S. 122). Es braucht die stete Erinnerung an erlittenes Unrecht und das Aufzeigen von Verbesserungspotentialen. Danke Ihnen Herr Schäfer für diesen Blog.
Vielen Dank, lieber Herr Boesen für Ihren Kommentar: „Es geht daher nicht darum, die Kirche oder Religion zu hassen, es geht um “Sachverhalte”, die Menschen geschädigt haben und die dafür nun Abhilfe und Gerechtigkeit einfordern.“
Sich damit zu beschäftigen was nun die Kirche im Laufe ihrer Zeit auch „Gutes“ hervorgebracht hat halte ich für mühselig. Die „Hasstiraden“ gegenüber der Kirche sind genau so sinnlos, weil daraus nie etwas sinnvolles entstehen kann und es lediglich dem Hassredner dient, der nun einmal rücksichtslos seinen Hass losschreit und sich nicht dafür interessiert, was sein Gegenüber davon hält. Wer Hass verbreitet sucht nicht den Dialog was ja bedeutet, dass andere Menschen nicht in seiner Welt einbezogen werden. Insofern sehe ich es auch so wie hier Hermann Hesse zitiert wird, der sich ja auf Menschen bezieht. Genauso ist es ja, dass die Kirche nicht nur Gebäude sind, sondern es sind die Menschen, die Kirche ausmachen.
Letztlich muss man sich fragen, was die Kirche in der Gegenwart für einen Sinn ergibt und da steckt sie in ein Dilemma. Einerseits darf sie nicht den modernen Zeitgeist ignorieren, was bedeutet, wie kann sie sich da „anpassen“ und andererseits will sie religiöse Inhalte vermitteln, die ja ihre theologische Substanz ist. Beides erscheint kaum möglich zu sein, denn es wäre sonst sehr einfach zu meinen, die ev. Kirche ist ja mehr zeitgemäß, aber sie verliert auch ihre Mitglieder. Also scheint die Modernisierung bzw. Anpassung an den Zeitgeist auch nicht die Lösung sein.
Die Freude bei Kirchenaustritten ist bei den Gegnern groß und dennoch frage ich mich, was dann an dieser Stelle treten soll, also was sind die Alternativen? Das sollte kritisch im Blick bleiben, denn es gibt auch Organisationen, die scheinbar politisch daher kommen, wie die AfD, ihre Ableger Pegida, Legida, die auch unter einer säkularen Weltanschauung betrachtet werden können. Ja und wie steht es mit den Coronaleugnern, die ihre Gurus haben. Jene vermeintlichen Heilsbringer, die ihnen ihr Weltbild anbieten und da meine ich schon, darüber sollte man nachdenken. Es ist nun einmal so, es gibt bestimmte Momente, Ereignisse im Leben, da möchte der Mensch schon eine Orientierung haben. Antworten auf bestimmte Phänomene und so wird auch immer diese Sehnsucht im Menschen sein, nach diesen Antworten zu suchen und diese entweder in seiner Kirche oder in anderen Weltanschauungen suchen und finden.
Ich bin nun einmal die ersten Jahre in Heimen aufgewachsen, da gab es sicherlich auch schreckliche Diakonissen, aber auch jene Diakonissen, die es mit mir gut gemeint haben und ich kann von mir ausgehen, sie haben mich zu dem gemacht bzw. mein Leben, meine Werte mitgeprägt und wenn am Ende da nur Hass bliebe, würde ich mich selber hassen und das tue ich nicht. Ich bin mit dem was ich bin zufrieden und schaue nicht zurück im Zorn, sondern grundsätzlich im HIER und JETZT und das ist gut so wie es ist.
Vielen Dank für die differenzierte Antwort.
Sie haben recht: „wenn am Ende da nur Hass bliebe, würde ich mich selber hassen und das tue ich nicht. Ich bin mit dem was ich bin zufrieden und schaue nicht zurück im Zorn, sondern grundsätzlich im HIER und JETZT und das ist gut so wie es ist.“ Leider können das Viele nicht und ich als Nichtbetroffener kann es ihnen auch nicht glaubwürdig vermitteln.
Lieber Herr Schäfer,
wir beide kennen sicherlich viele ehemalige Heimkinder, aber auch sicher nicht die Mehrheit. Ich gehe nicht davon aus, dass die Mehrheit der Ehemaligen im Hass stecken geblieben ist. Sie haben sich weiter entwickelt, Berufe erlernt, geheiratet und Kinder. Sicherlich kommt es immer wieder vor auch an die Vergangenheit zu denken und manchmal ist es schmerzlich, weil in einem Heim aufzuwachsen nicht ausschließlich mit Gewalt zu tun hat, sondern mit Verlust bzw. eine Kindheit und/oder Jugend, die anders ist, als es eigentlich sein sollte. Möglicherweise hat da Jeder etwas anderes vermisst und wenn man selber keine Eltern hat, ist es schwer verständlich, was einem entgangen ist und dennoch spürt man, dass da etwas gefehlt hat. Es ist einfacher über Gewalt zu reden bzw. zu schreiben, als über den Schmerz einer defizitären Kindheit, weil Traurigkeit vermeintlich schwach macht oder man sich angreifbar fühlt. So versucht man dann eher so etwas wie ein „Indianer-der keinen Schmerz kennt“ zu sein und fühlt sich vermeintlich stark im Hass. Auch eine Art Schutz, auch wenn es letztlich zu NICHTS führt, aber es ist nicht die Mehrheit der Ehemaligen, da bin ich ganz sicher.
Ich gehe nicht davon aus, dass man als Nichtbetroffener etwas glaubwürdig vermitteln kann oder nicht, weil es ja darum geht, was wohl ein ehemaliges Heimkind im Hier und Jetzt bräuchte. Das ist sicherlich schon sehr unterschiedlich und auch nicht so allgemein zu benennen, weil wir trotz der Heimerziehung sehr individuell sind. So wie auch unsere Biografie trotz der Heimerziehung nicht vergleichbar ist. Da auf einen Nenner zu kommen ist schwierig, auch wenn ich es die ersten Jahre –wie alles anfing-hoffte, habe ich nach einigen Jahren doch erkannt, dass es kaum möglich ist. Wir konnten zwar immer über die Gewalt und das Schlimme in den Heimen reden, aber nie über die anderen innerpsychischen Prozesse, über das was wir gerne gehabt hätten oder was wir vermisst haben. Das ist wohl doch zu schmerzhaft und Gefühle sind schwer zu beschreiben. Ich habe sicherlich viele Formen von Gewalt in meiner Kindheit und Jugend erlebt und dennoch war das schlimmste Gefühl in dieser Zeit meine Einsamkeit und das hat mich dann im Heim zur Sprachlosigkeit geführt. Nun ja, da bin ich erfreulicherweise „herausgewachsen“ und sicherlich ist dann doch entscheidend, wie der weitere Weg nach der Heimerziehung verläuft.
Aber eines haben Sie ja doch vermittelt. Sie haben nicht die Erfahrungen die wir im Heim gemacht haben heruntergespielt, relativiert etc. Wie es doch so Einige in der Verantwortungskette immer wieder versucht haben und das ist ja nicht selbstverständlich. Sie nehmen IHRE Kirche durchaus differenziert wahr und genau so sollte es sein und das gilt auch für uns. Wir sollten auch die Kirche differenziert wahrnehmen, zumindest ist das auch mein Anspruch. Nur in einer Differenziertheit kann man sich annähern oder zumindest gegenseitig zuhören und nur so bleibt die Hoffnung auf Verstehen.