Laizismus als Lösung vieler Probleme? – Anscheinend nicht, hatte ich argumentiert …
… und bekam Kommentare. Einer war ergiebig[1].
Zunächst einmal herzlichen Dank für die links, liebe Frau Tkocz, denn sie waren weiterführend. Auf die beiden links selber will ich – von der grundlegenden Frage abgesehen – nur kurz eingehen. Das „Hirtenwort“ [2] des Kölner Kardinals[3] hält keiner theologisch fundierten Betrachtung stand. Er verbreitet unreflektiert die bekannte katholische Familienideologie. Die kann man leicht auseinanderpflücken, lohnt aber die Mühe nicht. Das gilt noch mehr für den Vortrag[4] der grobschlächtig popularisierenden Gabriele Kuby[5]. Da frage ich mich als Psychologe eher, wie sie bei ihrer exquisiten Vorbildung den turn zur – sagen wir: intellektuellen „Schlichtheit“ geschafft hat. Doch gerade diesem Link verdanke ich viele weitere, insbesondere den auf Judith Butler[6] – eine tolle Frau, die ich bisher – weil als feministisch verschrien – nicht wahrgenommen habe. Dazu weiter unten.
Die grundlegende Frage hinter dem Hirtenwort und der Gesellschaftskritik von Frau Kuby – ein viel zu anspruchsvoller Begriff für diesen Vortrag – die grundlegende Frage also ist, ob man Kindern zumuten kann, in diesem geistig-geistlichen Muff aufzuwachsen. Die Frage haben Sie eigentlich auch schon beantwortet: „die Religion … muss sich lediglich an`s Grundgesetz halten“.
Das Grundgesetz, wie auch erst wieder kürzlich das Verfassungsgericht, räumt dem Erziehungsrecht der Eltern einen großen Raum ein. Obwohl sich in mir alles sträubt, hier ist auch das Recht inbegriffen, dass Eltern ihre Kinder in absurd erscheinenden Parallelwelten erziehen – soweit dies nicht gewälttätig erfolgt[7] oder sonstwie plausible Schädigungen verursacht[8].
Eine in der Diskussion hervorstechende Parallelwelt taucht bei der Frage der Sexualerziehung auf. Meisner und Kuby würden sicherlich all die historischen Beispiele als schon damals sündhaft abtun, die zeigen, dass ihre Normvorstellungen auch schon früher nicht allgemein durchsetzbar waren, wobei Frau Kuby sich als die gebildetere erweist in der Zurückführung der Verderbnis in Geschichte und Philosophie. Der Hirte hat – ich will ihm keine Unbildung unterstellen – wohl eher an Schafe als Adressaten gedacht. Doch zu beider Entsetzen haben sich die Normen verändert und sind relativiert worden. Das müssen sie beklagen dürfen. Doch genau in dieser, in ihren Augen sündigen, Welt werden sich auch durch Oberhirten behütete Kinder behaupten müssen[9]. Kinder aus egal welchen Elternhäusern werden also damit konfrontiert, dass andere Kinder anderes gelernt haben. Im Sinne eines friedlichen Miteinanders werden sie lernen müssen, dass es zum einen andere Werte-Welten gibt als die ihnen vertrauten; sie müssen sie verstehen und respektieren lernen – was auch umgekehrt gilt. M.a.W.: Sexualerziehung hat keine missionarische Aktion zu sein, egal in welcher Richtung. Aber sie gehört – alters- und entwicklungsgemäß abgestuft – zum Pflichtunterricht. Vor naiv-fortschrittlichem wie vor weltanschaulich-rückwärtsgewandtem Lehrpersonal sei gewarnt. Doch auch diese sind Persönlichkeiten mit eigener Werte-Erfahrung und -Position.
Die Ausgangsfrage war jedoch die Einbindung von Religion in Staat und Gesellschaft. Im Unterschied zu Frankreich werden in Deutschland die Ressourcen der Konfessionen vom Staat genutzt. Dass sich dies nicht immer zum Vorteil der Kirchen und ihrer Einrichtungen ausgewirkt hat, habe ich in meiner Rezension zu „Himmelsthür“ dargelegt[10]. Zu dieser „hinkenden Trennung von Staat und Kirche“[11], wie die Fachleute den Zustand bei uns nennen, gibt es viel zu sagen, wie schon vielfach auch in diesem Blog geschehen, kritisches wie positives. Eine Frau Kuby trifft sich in ihrer Kritik bestimmt mit der von vielen Kirchengegnern von der anderen Seite. Doch generell läßt sich wohl sagen, dass Christen sich in diesem Staat gut aufgehoben erleben und Mitspracherecht haben. Es wäre ein Fortschritt, wenn das auch die Muslime so sehen könnten, die sich an die staatlichen Gesetze halten – und das ist die überwiegende Mehrzahl. Aber nur so läßt sich der Islam in unsere plurale Gesellschaft einbinden und nur so wird die Umma[12] auch der clamheimlichen Sympathie mit Gewalttätern aus ihrer Mitte den Nährboden entziehen können. Frankreich mit seiner laïzistischen Staatsreligion hat das nicht geschafft. Es ist übrigens lehrreich und geradezu erheitend zu lesen, wie die Trinität von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in Anlehnung an das religiöse Vorbild sich herausgebildet hat.[13] Man meint aber, die muslimisch erzogenen Kinder der Banlieue mit noch mehr staatsbürgerlichem Patriotismus fesseln zu können. Doch sie sind die Kinder „D’OUTRE MER“[14] und pfeiffen auf die Marseillaise.
Nun zur letzten Frage, zur Kritik der Religion an Staat und Gesellschaft. Da gibt es als Grundlage das Böckenförde-Diktum[15] und dann als Beipiel die oben genannte Judith Butler. »Ich bin eine Wissenschaftlerin, die durch das jüdische Denken zur Philosophie gekommen ist, und ich verstehe mich als jemand, der eine jüdische ethische Tradition verteidigt … Ich … entwickelte dabei radikale ethische Positionen auf der Grundlage des jüdischen philosophischen Denkens. Ich lernte – und lernte zu akzeptieren –, dass wir von anderen, wie auch von uns selbst, angerufen und in Anspruch genommen werden, um auf Leid zu reagieren und zu seiner Linderung beizutragen. Um dies zu tun, müssen wir sensibel genug sein, den Ruf zu hören und die Mittel zu finden, um reagieren zu können. … Während meiner Einweisung ins Judentum habe ich auf Schritt und Tritt gelernt, dass es nicht hinnehmbar ist, im Angesicht von Ungerechtigkeiten zu schweigen. …“[16]
In meinem Berufsethischen Unterricht für Polizeibeamte habe ich immer empfohlen, bei der Vereidigung die religiöse Formel zu benutzen: So wahr mir Gott helfe. Denn egal, an welchen Gott Sie glauben: In Ihrer Berufszeit kann sich manches ändern und Sie könnten in Situationen geraten, in denen Gott wohl nicht helfen wollen wird, einen Befehl zu befolgen. Dann bindet Sie Ihr Eid nicht mehr. Eine feierliche Vereidigung ist die rituelle Überhöhung eines säkularen Dienstversprechens. Die Berufung auf Gott scheint mir dabei als Gegengewicht angemessen. Ginge es nur um eine Unterschriftsleistung, würde die Gesetzlage ausreichen. Doch dass das Remonstrationsrecht[17] im Grunde eine Remonstrationspflicht ist, haben die Beamten eher im Berufsethischen Unterricht gelernt als in der Staatsbürgerkunde.
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/01/28/laizismus-als-losung-vieler-probleme/#comments
[2] http://www.kath.net/news/30569/print/yes
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Meisner
[4] http://www.gabriele-kuby.de/wortmeldungen/die-sexualisierte-gesellschaft/?type=98
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Gabriele_Kuby
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Judith_Butler
[7] wie z.B. https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/01/21/glaubensgemeinschaft-zwolf-stamme-sie-werden-wohl-nichts-daraus-lernen/
[8] Letzteres gibt es durchaus und es ist schwer, das Juristen plausibel zu machen, wie ich es in einem auch für mich aufwendigen Fall erlebe.
[9] Sehen wir einmal davon ab, wie die Praxis der Sexualaufklärung durch die Hirten zuweilen ausgesehen hat.
[10] http://jacobsmeinung.over-blog.com/2015/01/rezension-des-buches-vom-frauenasyl-zur-arbeit-fur-menschen-mit-geistiger-behinderung-130-jahre-diakonie-himmelsthur-1884-2014.html
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Trennung_von_Kirche_und_Staat
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Umma
[13] Mona Ozouf, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in Pierre Nora, Hrg., Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005, S. 27-62.
[14] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/6949557245/in/set-72157632548603352 Photo vom bombastischen Kriegerdenkmal in Nizza, Übersetzung Dierk Schäfer
[15] lohnt sich nachzuschlagen und nachzudenken: https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%B6ckenf%C3%B6rde-Diktum
[16] http://www.zeit.de/kultur/literatur/2012-08/judith-butler-kritik-israel-antwort/komplettansicht
[…] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/02/01/laizismus-als-losung-vieler-probleme-anscheinend-nich… […]
[…] und ihrer Einrichtungen ausgewirkt hat, habe ich in meiner Rezension zu „Himmelsthür“ dargelegt[10]. Zu dieser „hinkenden Trennung von Staat und Kirche“[11], wie die Fachleute den Zustand bei uns […]