Dierk Schaefers Blog

Das Konklave und die Nonnen von Sant’Ambrogio

Posted in Geschichte, Kirche, Politik by dierkschaefer on 12. März 2013

Wer eine deftige Geschichte über sex and crime im kirchlichen Umfeld lesen will, sollte lieber den Pfaffenspiegel lesen, auch Bocaccio bietet lustvolle Stories oder die Anna Dunzinger im Zupfgeigenhansel.

So lustig geht es in diesem Kloster nicht zu, eher schwülstig. Auch einem Vergleich mit einem klassischen Schauerroman hält die „Wahre Geschichte“ des Autors Hubert Wolf nicht stand, denn er ist kein Romanzier, sondern Kirchenhistoriker. Geradezu minutiös führt er uns durch die Protokolle eines Inquisitionsverfahrens – alles gut belegt mit einem ganzen Apparat von Anmerkungen. Die muß man zwar nicht lesen, dennoch sollte man mehr fachliches Interesse mitbringen, als den Wunsch nach Unterhaltung, um sich durch das (ohne Anmerkungen) 444 Seiten umfassende Werk zu arbeiten. Ich fand’s spannend.

Warum?

Die Ereignisse im Kloster spielen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts; und dennoch fühlt man sich in das Mittelalter versetzt soweit es um die Mentalitäten und Denkhorizonte geht. Der zeit- und kirchengeschichtliche Hintergrund war mir – und ist wohl auch vielen anderen Lesern weithin unbekannt dank eines schlechten Geschichtsunterrichts in der Schule und dank des Desinteresses, das evangelische Theologen normalerweise an neuerer katholischer Kirchengeschichte haben. Beides ist nicht gut, denn so verstehen wir die Hintergründe bis hin zur aktuellen Papstwahl nicht.

Es geht um den Streit der katholischen Kirche mit der modernen Welt. Hierbei ist nicht die „technische Moderne“ gemeint, sondern die „Aufklärung“, die den Menschen ermutigte, sich seines Verstandes zu bedienen und sich so aus seiner selbstverschuldeten Abhängigkeit zu befreien. Ein Ergebnis des aufgeklärten Denkens war die französische Revolution einschließlich der Schreckensherrschaft. Dieser Einbruch der „Moderne“ brachte die europäische Staatenwelt ins Wanken. Die wehrte sich mit der „Restauration“: Die Gedanken waren nicht mehr frei. Allerdings hatten die anciens régimes nicht auf die Gebietsgewinne verzichten wollen, die ihnen Napoleons Neuordnung Europas verschafft hatte. So gab es in Deutschland nun kaum noch konfessionshomogene Staaten, sondern viele katholische Untertanen hatten nun protestantische Herrschaften – und kaum noch Aufstiegschancen in staatlichen Einrichtungen. Eine völlig neue Situation für die katholische Kirche in Deutschland, und sie war in sich gespalten: einige Theologen suchten nach konstruktiven Antworten auf die neuen Herausforderungen, andere blickten ultra montes, über die Berge nach Rom. »Mit dem Begriff Ultramontanismus wird eine politische Haltung des Katholizismus … bezeichnet, die sich ausschließlich auf Weisungen von der päpstlichen Kurie … stützt. Diese Haltung ging einher mit dem Antimodernismus, einer Strömung innerhalb der gesamten katholischen Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich – ausgehend von Dekreten Papst Pius‘ IX. – gegen gesellschaftliche und politische Reformen zur Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie wandte. Ein Höhepunkt antimodernistischer Tendenzen in der katholischen Kirche war 1910 die Verpflichtung aller Priester auf das Ablegen des sogenannten Antimodernismus-Eids: ab dem 1. September 1910 waren sie ausdrücklich verpflichtet, die im Syllabus Errorum (Liste der Irrtümer) genannten „Irrtümer“ abzulehnen« (http://de.wikipedia.org/wiki/Transmontanismus). Der erwähnte Pius IX, der auch in der Sant’Ambrogio-Affäre die entscheidende Rolle spielt, hatte 1854 das Dogma von der „Unbefleckten Empfängnis“ verkündet, demgemäß die Jesusmutter Maria schon von ihrer eigenen Empfängnis an von der „Erbsünde“ unbefleckt gewesen sei (http://de.wikipedia.org/wiki/Mariendogmen). Damit hatte nicht nur die Sexualfeindlichkeit der kirchlichen Lehre ihren Höhepunkt platonischer Verzückung erreicht, sondern es mehrten sich auch Berichte über Marienerscheinungen. Die „Heilige Jungfrau“ erschien und sprach mit zumeist unbedeutenden Leuten, oft auch Kindern. Die Sant’Ambrogio-Affäre zeigt das Bedrohungspotential für die kirchliche Hierarchie, wenn Menschen niederen Standes und mit allenfalls niederen Weihen am Lehramt vorbei ungefiltert Botschaften heiliger Personen empfangen (http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchliches_Lehramt ). Die Rolle, die Joseph Kleutgen (s. unten) bei der Konzeptionalisierung des doppelten Lehramtes mit Zuspitzung auf das Papstamt spielte, ist geradezu pikant(s. unten).

Der Richtungsstreit zwischen „Liberalen“ und Antimodernisten war noch imgange, als die Sache mit dem Kloster Sant’Ambrogio passierte. Eine junge Nonne hatte die Macht im Kloster Sant’Ambrogio übernommen. Sie konnte sich auf gängige Glaubensmeinungen verlassen, Glaubensmeinungen, die auch heute nicht überholt sind, nämlich daß es jenseits dieser Welt eine andere nicht nur gibt, sondern daß die jenseitige auch in die diesseitige eingreifen kann – und es auch tut. Religionsfeinde mögen die Nase rümpfen und zum Angriff blasen. Doch daß der Glaube Berge versetzen kann, im Guten wie im Bösen, ist nicht so leicht von der Hand zu weisen. Immerhin erleben wir gerade, wie der Glaube an Allah, entsprechend gehandhabt, eine Weltmacht so unter Streß setzt, daß sie dabei ist, ihren eigenen Glauben an die Menschenrechte aufzuweichen.

Die junge Nonne von Sant’Ambrogio jedenfalls war eine Meisterin in der Handhabung des Glaubens ihrer Schwestern und Beichtväter. Mit Marienerscheinungen, Briefen aus dem Himmel und ihrem äußerst hübschen Aussehen spielte sie die Äbtissin in die Bedeutungslosigkeit, besetzte auf himmlischen Befehl Schlüsselämter im Kloster, blendete den einen und bezirzte den anderen Beichtvater mit ihrer Schönheit und Rosendüften himmlischen Ursprungs. An den erotischen Aspekten ist lediglich interessant, welcher Wust von Aberglauben nötig war, um die streng verbotene und rigide verpönte Sexualität praktizieren zu können. Doch was im Himmel mit immer neuen Briefen gut geheißen wurde, war in Ordnung, durfte aber nicht mitgeteilt werden. So weit, so skurril bis hin zum Zungenkuß als jesuitischen Segen. Die junge Nonne war ehrgeizig und erledigte andere Nonnen, die ihr gefährlich werden konnten, per Giftmord. Und hatte sie einmal jemand bei zweifelhaftem Tun beobachtet, dann war nicht sie es, sondern der Teufel, der sich ihrer Gestalt bemächtigt hatte. Die Gründung eines eigenen Klosters mit ihr als Äbtissin war ihr Lebensziel. Dazu sollte der Klosterfonds dienen, den die lebenserfahrene Prinzessin Katharina von Hohenzollern als Mitgift beim Eintritt ins Kloster eingebracht hatte. Die war zwar fromm, aber nicht verblendet. Darum sollte sie aus dem Weg geräumt werden. Doch sie überstand nicht nur alle Attacken, sondern konnte sich retten. Gustaf Adolf, Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, wollte zunächst zwar nicht glauben, was seine Cousine berichtete, holte sie aber mit päpstlicher Unterstützung aus dem Kloster und vermittelte ihr einen neuen Beichtvater. Mit dessen Hilfe erhob die Prinzessin Anklage beim Inquisitionsgericht.

Damit sind wir mitten in den kirchenpolitischen Querelen dieser Zeit – und die gehen bis heute. Der Inquisitionsprozeß lief zwar geordnet ab, wenn man von den folgeträchtigen Personalentscheidungen absieht. Zunächst war ja auch alles eher unproblematisch: Angemaßte Heiligkeit war der erste Punkt der Anklage, dann die sexuellen Eskapaden und schließlich das Mordkomplott. Das hätte sich alles gut abwickeln lassen. Dummerweise stellte sich aber bei der Vernehmung des zweiten und sexuell aktiven Beichtvaters, Pater Peters, seine wahre Identität heraus: Joseph Kleutgen (http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Kleutgen), strammer Antimodernist, Vordenker des Ultramontanismus, Verfasser des neuscholastischen Standardwerks Die Theologie der Vorzeit. Trotz seiner Argumentationskunst konnte er einer Verurteilung nicht entgehen. Er war auf die angemaßte Heiligkeit der Nonne und auf ihre Verführungskünste hereingefallen. Dank der Zusammensetzung des Inquisitionsgerichts konnte man ihn aber aus der Schußlinie nehmen. Das Urteil in der Sant’Ambrogio-Affäre wurde mit Rücksicht auf das Image der Kirche nie veröffentlicht, und Kleutgen alias Pater Peters nutzte seine Auszeit zur argumentativen Stützung der neuscholastischen Richtung, in der alles auf die Autorität des Papstamtes zulief. So war er schließlich maßgeblich beteiligt an der Abfassung des Unfehlbarkeitsdogmas, das weithin vom deutschen Episkopat nicht mitgetragen, aber dennoch durchgesetzt wurde. Die Gründung altkatholischer Gemeinden (http://de.wikipedia.org/wiki/Altkatholische_Kirche) hat den Vatikan anscheinend weniger gestört als die Gründung der Pius-Bruderschaft (http://de.wikipedia.org/wiki/Pius-Bruderschaft) in heutiger Zeit. Die lebhaften Bestrebungen, das „Zweite Vatikanische Konzil“ zu revidieren, sind die Neuauflage des Modernistenstreits aus dem 19. Jahrhundert.

Doch eigentlich ist alles entschieden. Der Zentralismus römischer Macht steht festgemauert hier auf Erden – und kann allenfalls in Randbereichen in eine milde Herrschaft umschlagen. Dafür haben nicht nur Joseph Kleutgen und Pius IX gesorgt, sondern auch der emeritierte Benedikt XVI. Wie eng der Verstand in „span’sche Stiefel“ eingeschnürt ist, liest man ausführlich bei Norbert Lüdecke, Kommunikationskontrolle als Heilsdienst.

Wer wird der nächste Papst? Ein Europäer, gar ein Italiener? ein Schwarzer oder Latino? Ein Traditionalist oder eher ein Liberaler?

Wer auch immer. Er ist nicht zu beneiden. Der Vertrauensverlust wird durch immer neue Enthüllungen von Skandalen größer. Die Bindung an Tradition und Dogma wird auch beim besten Willen nicht zu lösen sein – und selbst wenn, – was bringt eine Lockerung in einer immer stärker säkularisierten (westlichen) Welt? Der Byzantinismus des Kirchenstaates steckt in einer ideologischen Sackgasse, darüber kann auch seine operettenhaft-medientaugliche Inszenierung nicht hinwegtäuschen.

Wer allerdings angesichts des Aufmarsches von narzistisch-kostümierten Würdenträgern zum Konklave von einer Schwuchtelparade spricht, kennt die Hintergründe nicht und offenbart nur seine Vorurteile über Homosexualität.

10 Antworten

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  1. Hermann Aichele said, on 12. März 2013 at 13:52

    WOW – wollte den Link hierher ja zuerst achtlos zur Seite schieben. Heute (dank Ebels paper.li !) doch noch gelesen; und zuerst aufgemerkt bei dem Satz vom „Desinteresse“, das „evangelische Theologen normalerweise an neuerer katholischer Kirchengeschichte haben“. Stimmt genau. Nun ja, ich nehme für mich auch in Anspruch, zwischen 1964 und 1970 mit wichtigeren Fragen beschäftigt gewesen zu sein… Und beachtete damals weder Küng noch den anderen damaligen (angeblichen?) Reformer Ratzinger.
    Jetzt nehme ich mir mal vor, den Antimodernisten-Eid u.ä. wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Wir könnten zwar sagen, seit 500 Jahren protestierten doch wir Protestanten gegen Rom – was gehen uns die von dort auferlegten Denk-Beschränktheiten an…? Aber sie treffen uns ja – immer wieder; immer wieder trifft man auf die Folgeerscheinungen.
    OK – danke. In einem Zwischenhoch will ich mich mal wieder mehr hier im Internet umsehen.
    Ja, und für hier der Wunsch, dass Sie noch mehr solcher Artikel bringen zur aktuellen und zur früheren Kirchengeschichte – und eben mit so guten Links und Querverweisen.

    • dierkschaefer said, on 13. März 2013 at 12:25

      Herzlichen Dank für’s „WOW“. Der Mensch lebt schließlich nicht nur vom Brot allein.
      Ein kurzer Nachtrag zur Bedeutung nicht nur katholisch-esoterischer Welten:
      Evangelischerseits haben wir mit unseren Kreationisten vergleichbare Phänomene. Ähnlich auch die als ganz konkret erzählten Gebetserhörungen für die Finanzierung mancher Projekte, dafür müssen wir nicht einmal über die Grenzen unserer Landeskirche hinausschauen.
      Was zum Glück fehlt, ist ein verbindliches Lehramt zur Dogmatisierung der „reinen“ Lehre. Dafür werden wir aber von außen für diese „Hinterwelt“ in Mithaftung genommen.
      Doch das Terrain der Hinterwelt ist größer als viele es wahrnehmen. Ich bin gerade Zaungast von „Karma-Arbeit“, die tatsächlich bis ins finstere Mittelalter führt und sich in der Gegenwart unheilvoll auf die Mitbetroffenen auswirkt.

  2. […] Vordenker des Unfehlbarkeitsdogmas auf die vorgetäuschten Ekstasen einer attraktiven Nonne rein. https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/03/12/das-konklave-und-die-nonnen-von-santambrogio/ Doch vielleicht hat er den Mut eines Pater Klaus Mertes, SJ,  […]

  3. […] sexuell bedingte Verrücktheit war in meinem Beitrag über die Nonnen von Sant’Ambrogio zu lesen. https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/03/12/das-konklave-und-die-nonnen-von-santambrogio/  Auch die Mutter Theresa gehört in diese […]

  4. […] hier im Blog schon zweimal das Thema Heiligkeit behandelt wurde [https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/03/12/das-konklave-und-die-nonnen-von-santambrogio/ und […]

  5. […] Das Konklave und die Nonnen von Sant’Ambrogio, 12. März 2013, https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/03/12/das-konklave-und-die-nonnen-von-santambrogio/ Aufgerufen: Freitag, 5. März […]


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