Dierk Schaefers Blog

Kindesmißbrauch, zweiter Anlauf der Bischöfe

Posted in Kirche, Kriminalität, Theologie by dierkschaefer on 25. März 2014

Der erste Versuch war mißlungen. Das KFN, das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen unter dem ehemaligen niedersächsischen Justizminister Christian Pfeiffer hatte die Mißbrauchshandlungen an Minderjährigen in der katholischen Kirche wissenschaftlich durchleuchten sollen. Das Vorhaben scheiterte, weil Pfeiffer die Ergebnisse veröffentlichen wollte. Nun soll ein Wissenschaftlerkonsortium der Universitäten Heidelberg, Mannheim und Gießen die Aufgabe übernehmen, und zwar ausschließlich für den Verantwortungsbereich der verfaßten katholischen Kirche in Deutschland, nicht aber für die Ordenseinrichtungen. Geplant ist ein Zeitraum von 3 ½ Jahren. Das Projekt soll nach Aussagen der Wissenschaftler so durchgeführt werden, wie sie „Standard für Drittmittelprojekte“ sind. Diese Drittmittel kommen ausschließlich von der katholischen Kirche.

Was ist zu erwarten?
1.Quantitative Daten über die Mißbräuche durch Geistliche, also die Fallzahlen.
2. Eine qualitative Analyse institutioneller Einflüsse im Sinne einer „Täter-Opfer-Institutionen-Dynamik.
3. Eine Zusammenschau mit den international vorliegenden Befunden und den Ergebnissen, die bereits in Bereich der Deutschen Bischofskonferenz vorliegen. Dazu dürften dann auch schon vorliegende Befunde über Mißbräuche im Bereich diverser Ordenseinrichtungen gehören.
Erklärtes Ziel des Forschungsvorhabens ist laut Bischof Ackermann, zitiert in der FAZ vom Dienstag, 25. März 2014 (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/katholische-kirche-in-deutschland-neuer-anlauf-fuer-missbrauchsstudie-12860861.html ): „eine vertiefte Einsicht über das Vorgehen der Täter und über das Verhalten von Kirchenverantwortlichen in den zurückliegenden Jahrzehnten.“ Die Aufarbeitung der Vergangenheit geschehe „um der Opfer willen, aber auch, um selbst die Verfehlungen zu sehen und alles dafür tun zu können, dass sie sich nicht wiederholen.“
Mißbrauchsopfer „sollten“, so Prof. Harald Dreßing, der Koordinator des Forschungsverbundes, von Beginn an in das Projekt einbezogen werden. „Das gelte für die Entwicklung der Forschungsinstrumente wie für die Interpretation der Ergebnisse.
Den Wissenschaftlern soll ein Beirat aus Betroffenen, Wissenschaftlern und Kirchenvertretern zugeordnet werden, um das Projekt „wissenschaftlich und ethisch [zu] begleiten“.
Ackermann erinnerte an bereits von der Kirche Geleistetes: „deutlich verschärfte Leitlinien, sowie eine „umfassende und gerade auch im staatlichen Bereich hoch anerkannte Rahmenordnung zur Prävention, die materielle Anerkennung erlittenen Leids, Therapiebegleitungen, zahlreiche Fortbildungen und unser Engagement auf der internationalen Ebene.“
Soweit die Darstellung, in der heutigen FAZ vom Dienstag, 25. März 2014.

Kommentar

1. Schon die Erhebung der Zahlen dürfte Probleme in der Spannung von Hell- und Dunkelfeld bereiten. Zwar gibt es eine gestiegene Bereitschaft von Opfern sich zu outen, weil sie inzwischen wissen, daß ihr Schicksal kein Einzelschicksal ist. Doch dieses Wissen schützt gerade nicht in diesem Tatbestand vor Retraumatisierungen. Die Angst davor wird eine schwer abschätzbare Zahl von Opfern davon abhalten, sich ihrer traumatischen Vergangenheit und diese dann auch noch zur Verfügung zu stellen.
2. Das Ziel der Untersuchung, die „Täter-Opfer-Institutionen-Dynamik“ zu analysieren ist tatsächlich wichtig und so erhellend wie weiterführend. Doch werden sich Opfer dafür auf einen für 3 ½ Jahre veranschlagten Weg begeben, der ihnen selbst nichts nutzen wird?
3. Und überhaupt: Wer wird sich bereit finden zur Teilnahme am Beirat? Die professionell Beteiligten werden dafür bezahlt, und die Opfer? Hier droht nicht nur die gleiche Asymmetrie, wie an den Runden Tischen, sondern man darf auch eine psychische Disponiertheit der Opfervertreter vermuten, die sie von den verdeckt bleibenden Betroffenen unterscheidet und dafür sorgen könnte, daß sie von den Opfern als ihre Vertreter eben nicht anerkannt werden. Von einer psychisch-seelsorgerlichen Begleitung dieser Opfer ist bisher nichts zu lesen. Sie könnten aber als Vorzeigeopfer und Alibi wenn nicht mißbraucht, so doch verschrien werden. Vertrauenssteigernd wäre ein qualitativer Vergleich der psychischen Situation und Entwicklung der Betroffenengruppe im Beirat (so sie sich denn als „Gruppe“ versteht), mit einer parallel zu betreuenden Anzahl von Opfern, die nicht im Beirat sind. Auch von einer rechtlichen Beratung und Vertretung der Betroffeneninteressen ist nicht die Rede. Alles schon gehabt. Wo? Am Runden Tisch.
4. Die Drittmittelfinanzierung und die Standards: Wenn ich es nicht falsch sehe, haben Drittmittelgeber eine wichtige Stellung bei der Publikation der Ergebnisse, bis hin zum Vetorecht. So ist die Studie für die Münchner Erzdiözese bis heute nicht veröffentlicht worden. Wer zahlt, bestimmt die Musik. Wollen die Betroffenen da mittanzen? Sie sollten sich hüten, denn ihre Leidensgenossen werden sie dafür prügeln, jedenfalls wenn „nur“ wissenschaftliche Ergebnisse herauskommen, aber keine auch nur halbwegs anständige Entschädigung, eine Entschädigung mit Rechtsanspruch, kein gnädig und auf Antrag gewährtes Almosen, wie bisher für die ehemaligen Heimkinder üblich.
5. Ackermann erwähnt als bisherige Leistungen für die Opfer „die materielle Anerkennung erlittenen Leids und Therapiebegleitungen“. Materielle Anerkennung, das klingt nicht nach Entschädigung. Zwar kann es die nie vollwertig geben, aber doch eine annäherungsweise und faire Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen der Beschädigung einer Lebensbiographie. Materielle Anerkennung heißt allenfalls, die beim besten Willen nicht bezifferbaren Folgen von Traumatisierung anzuerkennen, wie z.B. die Unfähigkeit, erfüllte partnerschaftliche Beziehungen einzugehen.

Fazit: Hier findet zwar kein Kongreß der Weißwäscher statt. Das ginge bei der vorhandenen Daten-Lage gar nicht. Aber hier soll ein Beitrag geleistet werden zur Einhegung eines Konflikts zwischen Opfern und Tätern zugunsten der Institution Kirche. Da dieser Versuch der Konfliktberuhigung die Opfer nicht beruhigen wird, seien sie davor gewarnt, sich den Mechanismen einer zwar sinnvollen wissenschaftlichen Untersuchung zu unterwerfen, die aber nicht den Interessen der Opfer dienen wird. Profitieren werden allenfalls die Wissenschaft, dann die Kirche und last but not least künftige Generationen, denen die Opferrolle erspart werden könnte. Dies allenfalls rechtfertigt das Vorhaben auch ethisch – bei allen ethischen Bedenken.

PS: Merkwürdig stimmt, daß die ehemaligen Heimkinder inzwischen völlig in den Hintergrund gedrängt wurden. Von den Belastungen, denen sich die katholische Kirche aktuell gegenüber sieht, wird inzwischen nur noch der Mißbrauchsskandal erwähnt. Ich halte den Heimkinderskandal für mindestens gleichwertig, unter theologischen Aspekten für wesentlich schlimmer.

 

PS: Weitere Links zum Thema

http://www.dw.de/pfeiffer-die-kirche-hat-dazugelernt/a-17516485
http://www.dw.de/kirche-neue-forschung-zum-missbrauch/a-17517726
http://www.dw.de/hagenberg-miliu-missbrauchte-sch%C3%A4men-sich/a-17516189

Staat, Kirche, Gesellschaft: Das System schlug mit Wucht zurück

Sie »wusste, so kann man Kinder nicht behandeln. Verzweifelt suchte sie jemanden, dem sie sich anvertrauen konnte. „Ich habe mein Tagebuch genommen und bin damit zum Leiter des Innsbrucker Jugendamtes gegangen“, sagt Wanker. Der Herr Rat wollte von den Missständen freilich nichts wissen. „Er hat mich aufgefordert, das Tagebuch zu verbrennen.“«

Es kam noch schlimmer, wie im Link[1] nachzulesen ist. Bei bidoc ist dokumentiert, wie es hinter den Kinderheimmauern zuging[2]. Alles kirchenfeindliche Propaganda?

Doch das war damals, bei uns?

Vergleichbar wurde und wird noch heute Alexander Markus Homes von kirchlichen Kreisen verleumdet: »… die maßlosen Vorwürfen des ehemaligen Heimkindes Homes: „Durch die Nonnen hätten „Gottes aggressive Hände und Füße ihn geprügelt und getreten“ – zitiert der Redakteur die verstiegenen Anwürfe des inzwischen 53jährigen Homes«[3] + [4]. Homes war einer der ersten, oder der erste überhaupt, der die inzwischen wissenschaftlich untersuchten und anerkannten Mißstände in den kirchlichen und staatlichen Heimen aufdeckte, er wurde als „Nestbeschmutzer“ behandelt und versteht es heute hoffentlich als Ehrentitel.

Doch die Rechtsnachfolger, die heute Verantwortlichen haben hinzugelernt. Nachdem die Abwehrfront gegen das Buch von Wensierski[5] nicht zu halten war, gründete man einen Runden Tisch, über den die Heimkinder nach allen Regeln asymmetrischer Verhandlungskunst gezogen wurden (einige ließen sich willig ziehen). Die katholische Kirche warf sich in Person von Herrn Ackermann bäuchlings vor den Altar und bekannte ihre Sünden, die evangelische Kirche veranstaltete einen Bußgottesdienst[6], an dem leider auch ehemalige Heimkinder die Feigenblattfunktion übernahmen. Aber alle pochen auf Verjährung und zahlen gnädig völlig freiwillige Almosen, an die man mit mehr oder weniger Bittstelleraufwand gelangen kann. Entschädigung? Kommt nicht in Frage. Die Iren irren!


[5] Wensierski wird im Text zum vorigen Link allerdings immer noch gewatscht.

Kriminelle Blasen

Posted in Gesellschaft, Justiz, Kirche, Kriminalität, Theologie by dierkschaefer on 18. Januar 2013

»Lance Armstrong war der größte Radsportler aller Zeiten – und der größte Betrüger. Nach Jahren des Leugnens hat er nun in einer Talk-Sendung Doping gestanden. Über ein Leben, das so nur im Inneren einer moralischen Blase führbar war.« Ein toller Begriff, den heute die FAZ gebraucht. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/lance-armstrong-der-unmenschliche-12028487.html

Warum toll? Die moralische Blase der Doping-Welt ist nur eine in einer Welt voller Blasen. Es handelt sich um abgegrenzte Lebensbereiche mit einer Sondermoral. Hier ist sie deutlich an die Oberfläche gestiegen: »„Es ist möglich“, hat die Radsportlegende Eddy Merckx erzählt, „abseits des Sports ein braver Mensch zu sein und auf dem Rad eiskalt und brutal.“«

Armstrong ist ein Beleg für die Ausrede: »„Es haben doch alle gemacht.“ Allein dieser Satz zeigt, wie Leistungssport – ähnlich wie alle anderen ins Extreme gesteigerten Tätigkeiten – die Perspektive verzerrt. Alle sind in diesem Fall eben nur alle, die es genauso machen. Es sind genügend, um sich eine eigene Welt einzurichten, in der man sich wie das Mitglied eines Geheimbundes gibt: verschlossen, verschwiegen, mitunter verlogen und immer einer inneren Logik folgend, die sich Außenstehenden nicht mehr vermitteln lässt, eben weil sie außen stehen. Es wirkt wie eine Welt in der Welt – und ist doch nur eine Blase.« [FAZ].

 

Gilt das nur für den Sport? Da gibt es Immobilien- und sonstige Spekulationsblasen, die der gleichen Logik folgen. Auch hier eine Welt in der Welt, die nach eigenen Regeln verfährt. Sie weichen nicht nur von der allgemeinen Moral ab, sondern stehen teils in krassem Widerspruch dazu. Verschworene clanartige Gemeinschaften, die sich – wie die Mafia – für ehrenwerte halten und deren Mitglieder nach außen verschwiegen sind und sich gegenseitig decken. Das gilt auch für Kartellabsprachen, für Drogen- und Menschenhandelsringe, für „Kameradschaften“ und terroristische Gruppen.

Auch innerhalb der Kirche steigen solche Blasen auf: Kinder wurden mißbraucht und weitergereicht, wie wir dem Telefon-Hot-Line-Report von Bischof Ackermann gestern entnehmen konnten. Die Omerta, das Schweigegebot, hat jahrelang den Umgang der Kirche mit den Verfehlungen mancher Amtsträger bestimmt.

 

Die Vielzahl der moralischen Schmutz-Blasen ist der Schaum, an dem unsere Gesellschaft zu ersticken droht. Hoffen wir auf weitere Blasenentzündungen!

Übergriffe als Ausdruck „liebender Verbundenheit in Christus oder Auserwählung vor Gott“ ausgegeben

Posted in Kinderrechte, Kirche, Psychologie, Theologie by dierkschaefer on 17. Januar 2013

Man darf gespannt sein, was die Hotline-Erkenntnisse bewirken. Es sollte mehr sein, als Betroffenheit. Die gab’s schon reichlich. Was fehlt, ist Transparenz, die nicht von Diözese zu Diözese anders definiert werden sollte. Ob Bischof Ackermann tatsächlich für alle seine Kollegen spricht, ist nach dem Konflikt KFN-DBK fraglich: »Die Ergebnisse seien durch nichts zu beschönigen, sagte der Bischof. Allerdings werde seitens der Kirche auch nichts beschönigt, was als Beweis der festen Absicht der Bischöfe genommen werden solle, sich einer „offenen wissenschaftlichen Aufarbeitung“ des Umfangs und der Ursachen sexueller Gewalt in der Kirche zu stellen und die Freiheit der Wissenschaft zu respektieren.«

Da wäre also die offene wissenschaftliche Aufarbeitung 1. des Umfangs und 2. der Ursachen sexueller Gewalt in der Kirche. Somit müßte auch nicht nur der Zwangszölibat als möglicher Co-Faktor untersucht werden, sondern die gesamte Sexuallehre der Kirche auf den Prüfstand. Die aktuell aufgetauchte Weigerungshaltung katholischer Krankenhäuser, in Vergewaltigungsfällen Beweismaterial zu sichern, läßt nichts Gutes erwarten. Wenn die Verhältnisse in sexualibus nicht der Lehre der Kirche entsprechen, wird sich wohl auch die Kirche fragen lassen müssen, ob ihre Lehre den Menschen gerecht wird. Das heißt gerade nicht, alles gut zu heißen, was praktiziert wird, sondern offen zu bedenken, was gelehrt wird. 3. Schließlich der Respekt vor der Freiheit der Wissenschaft. Der muß nicht grenzenlos sein, sollte aber wissenschaftsgerechte Ausgangsbedingungen ermöglichen und die unzensierte Veröffentlichung der Ergebnisse. Jeder Wissenschaftler wird dafür sorgen, zu sorgen haben, daß individuelle Persönlichkeitsrechte nicht verletzt werden. Dies kann auch auf einen individuellen Täterschutz, also nicht den der Organisation hinauslaufen. Aber eine wissenschaftliche Untersuchung ist keine gerichtliche, auch wenn manche Opfer das verständlicherweise gerne so hätten.

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/missbrauch-in-katholischer-kirche-erschuetternde-ergebnisse-12028299.html

http://www.hilfe-missbrauch.de/

Merkwürdige Inkonsequenzen innerhalb der katholischen Kirche

Posted in Kirche, Theologie by dierkschaefer on 23. April 2012

Ein Leserbrief in der FAZ macht auf merkwürdige Inkonsequenzen innerhalb der katholischen Kirche aufmerksam. Er knüpft an die Meldung der FAZ mit dem Titel „Bistum beschäftigt Priester weiter“ vom 20. März an. Darin ging es um die Weiterbeschäftigung pädophiler Priester ausgerechnet im Bistum Trier, Sitz des Mißbrauchsbeauftragten Ackermann. In nicht-kriminellen Fällen, so der Leserbrief, zeigt sich die Katholische Kirche weniger tolerant.

Wohl jeder wird Fälle kennen, in denen kirchlich Bedienstete ihren Job verloren, weil sie nach einer Scheidung wieder geheiratet haben. Ich selber denke an einen Fall in einer schwäbischen Kreisstadt. Ein in der Gemeinde sehr beliebter Priester wollte seine „Frau Freundin“ ehelichen, denn sie war schwanger. Nicht nur nebenbei: Auch Maria war schwanger, ohne verheiratet zu sein – aus theologisch-dogmatischen Gründen mußte das so sein. Theologisch-dogmatische Gründen waren es auch im Fall dieses Priesters, dem die einhellige Unterstützung seiner Gemeinde nichts nützte. Er mußte gehen – und die Gemeinde hatte erlebt, was Katholisch-sein bedeutet.

Selbst wenn man so weit geht, Verständnis dafür aufzubringen, daß auch dann das Dogma über dem Menschen steht, wenn es sich unmenschlich auswirkt, wird man kein Verständnis dafür haben, daß eine andere Verletzung des Ordinationsgelübdes weniger schwer wiegt, obwohl sie zudem strafbewehrt, also kriminell ist. Ein Kinderschänder soll theologisch-dogmatisch ehrenwerter sein als ein Priester, der seine schwangere Freundin ehelichen, nach alten Begriffen: ehrbar machen will?

Zur Frage der „Verjährung“ im Zivilrecht

Posted in heimkinder, Kinderrechte, Kirche, Politik, Theologie by dierkschaefer on 25. Februar 2012

Ein offener Brief, der Verbreitung verdient:

Herrn Bischof
Dr. Stephan Ackermann
Beauftragter der Bischofskonferenz
für alle Fragen im Zusammenhang des
sexuellen Missbrauchs Minderjähriger
im kirchlichen Bereich
Bistum Trier
54203 Trier

20. Februar 2012

Schadenersatz für die Opfer
hier: Verzicht auf Verjährungseinreden

Sehr geehrter Herr Dr. Ackermann

als ein Anwalt, der seit Jahren Opfer sexueller Gewalt durch katholische Priester in Deutschland und Österreich berät und vertritt, bin ich immer wieder damit konfrontiert, dass sich die Kirche gegenüber Schadenersatzansprüchen auf die Einrede der Verjährung beruft. Auf diese Weise entledigt sie sich der Hauptlast der Wiedergutmachung der verheerenden Schaden, die Kindern und Jugendlichen durch die Sexualverbrechen ihrer Priester zugefügt wurden.

In der Öffentlichkeit besteht der Eindruck, der auch von kirchlicher Seite immer wieder bestärkt wird, dass Verjährungsfristen unüberwindliche Hindernisse darstellen, die nur der Gesetzgeber beseitigen könnte, und auch dies nur für die Zukunft. In diesem Sinne forderten auch Sie vor kurzem eine Verlängerung oder Aufhebung der Verjährungsfristen im Zivilrecht.

In Wirklichkeit handelt es sich hierbei um einen großen Irrtum und vielleicht auch eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit, denn Verjährungsfristen greifen nur, wenn und solange sich die Kirche darauf beruft. Würde sie dies nicht tun, könnten einschränkungslos alle Missbrauchsfälle, gleich wie lange sie zurückliegen, in Zivilprozessen aufgearbeitet werden und den Opfern durch angemessene Entschädigung ihr schweres Schicksal wenigstens teilweise erleichtert werden. Ich erlebe gegenwärtig zum Beispiel, dass einer heute 50-jährigen Frau, der als Kind und junges Mädchen von einem katholischen Priester jahrelang sexuelle Gewalt zugefügt wurde, Schadenersatz für den großten teil ihrer Leidenszeit von vornerein deshalb vorenthalten bleibt, weil sich der Würzburger Bischof auf Verjährung beruft.

Wie wollen Sie derartiges mit den wiederholten Beteuerungen Ihrer Kirche, Wiedergutmachung zu leisten, vereinbaren? Wäre es nicht ein Gebot des Anstandes und der Ehrlichkeit, auf die Verjährungseinrede grundsätzlich zu verzichten, um die restlose Aufklärung und Entschädigung aller Missbrauchsfälle möglich zu machen? Solange Ihre Kirche das nicht tut, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie den Opfern klerikaler Kinderschädung eine angemessene Entschädigung bewusst verweigert, um sie stattdessen mit Almosen abzuspeisen.

Als einer der Vertreter dieser Opfer fordere ich Sie als den Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz auf, auf Ihre Amtsbrüder und alle Verantwortlichen in kirchlichen Einrichtungen einzuwirken, ab sofort auf die Flucht in die Verjährungseinrede zu verzichten und endlich den Weg für eine angemessene Entschädigung der furchtbaren Qualen der Missbrauchsopfer freizugeben.
Da es sich um eine Angelegenheit von überragender öffentlicher Bedeutung handelt, schreibe ich diesen Brief als offenen Brief an Sie und erwarte auch eine öffentliche Antwort. Der jüngste Hinweis Ihres Sprechers, dass Sie auf offene Briefe nicht antworten würden, kann im vorliegenden Fall nicht gelten.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Sailer

Dr. Sailer

………………………………………………………………………………………………………………..

Doch der Ackermann wird nicht antworten, denn die Verjährungseinrede war nur ein Vorspiel für eine bedeutendere Unternehmung:

https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/07/03/das-jungste-gerucht-vom-jungsten-gericht/


Bischofskonferenz versprach unkomplizierte Lösung

Posted in heimkinder, Kinderrechte, Kirche, Theologie by dierkschaefer on 24. Februar 2012

»„Anträge auf Entschädigung bei der katholischen Kirche können Personen stellen, die geltend machen, als Minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich geworden zu sein. Die Richtigkeit der Angaben ist schriftlich an Eides statt zu erklären, weitergehende Belege oder Beweise werden nicht verlangt“. Bischof Stephan Ackermann zur Entschädigungsregelung (März 2011)«

»Auch mit Ihren Schilderungen haben wir uns intensiv auseinandergesetzt und sind vielen weiteren Quellen nachgegangen. Wir konnten dabei Ihre Aussagen zur Frage eines sexuellen Mißbrauchs nicht nachvollziehen. Eine Leistung in Anerkennung von erlittenem Leid erscheint auf diesem Hintergrund daher nicht gerechtfertigt«.

Unterschrieben vom Generalvikar, der Mann gleich nach dem Bischof

http://www.regensburg-digital.de/diozese-an-missbrauchsopfer-wir-bedauern-aber-sie-lugen/15022012/ Freitag, 24. Februar 2012

 

Ach ja, übrigens:

»Weitere Themen der Frühjahrsvollversammlung unter Leitung des Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch sollen unter anderem der im Sommer 2011 eingeleitete, innerkirchliche Gesprächsprozess und der Entschädigungsfonds für misshandelte Heimkinder sein.

Ehemalige Heimkinder, die in den Nachkriegsjahren in Einrichtungen misshandelt oder sexuell missbraucht wurden, können Leistungen aus dem zu Jahresbeginn von Bund, Ländern und Kirchen gemeinsam aufgelegten Fonds beantragen. Dafür stehen 120 Millionen Euro zur Verfügung. Die Bischöfe wollen sich in Regensburg über die ersten Erfahrungen mit dem Entschädigungsfonds unterrichten lassen.«

http://nachrichten.t-online.de/bischoefe-beraten-ueber-zukunft-der-theologie-fakultaeten/id_54259838/index?news Freitag, 24. Februar 2012

»… oder sich gar für die Kirche schämen«

Posted in Kirche by dierkschaefer on 22. Dezember 2011

»Manch einer hatte vielleicht schon gehofft, dass wir das

belastende Missbrauchsthema endlich hinter uns lassen könnten. Dem ist leider nicht so«.

http://www.volksfreund.de/storage/med/pdf/2011/575289_OffenerBrief_Bischof_Ackermann_Burbach.pdf?fCMS=1a3823125833ef306c9ef7cd39f7369a

Symbolhandlungen und ihre Glaubwürdigkeit – Und die Opfer zweiter Klasse

Posted in heimkinder, Kirche, Theologie by dierkschaefer on 1. April 2010

Symbolhandlungen und ihre Glaubwürdigkeit – Und die Opfer zweiter Klasse

»In den Karfreitagsgottesdiensten der katholischen Kirche soll eigens für die Opfer sexueller Übergriffe gebetet werden. Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Fälle sexuellen Missbrauchs, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, regte am Mittwoch an, in die traditionellen Fürbitten eine Bitte „für die Kinder und Jugendlichen“ einzufügen, denen „in der Gemeinschaft der Kirche, großes Unrecht angetan wurde, die missbraucht und an Leib und Seele verletzt wurden“«.

http://www.faz.net/s/Rub79FAD9952A1B4879AD8823449B4BB367/Doc~EA931EBCD1A0C4F01822D792AB0BF1E55~ATpl~Ecommon~Scontent~Afor~Eprint.html Donnerstag, 1. April 2010

Zweierlei Maß auch hier? https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/04/01/zweierlei-mas/

Oder schließt » missbraucht und an Leib und Seele verletzt« auch die ehemaligen Heimkinder ein?

Doch nehmen wir einmal an, die Kirche, in diesem Fall die katholische, wolle für alle in ihrem Verantwortungsbereich mißhandelten Kinder ein Zeichen der Buße setzen, so ist das zunächst ein gutes Zeichen. Am Buß- und Bettag vergangenen Jahres veröffentlichte ich in diesem Blog einen „Bußaufruf an die Kirchen in Deutschland“. Ich bekam auch einige Antworten von kirchenleitenden Personen, die mein Engagement lobten, aber ansonsten hauptsächlich auf den Runden Tisch verwiesen.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Nachdem nun die Mißbrauchsenthüllungen – ja, ich weiß, nicht nur kirchliche Einrichtungen sind betroffen, auch andere – nachdem nun immer neue Enthüllungen zur täglichen Lektüre des Zeitungslesers geworden sind und die Kirche, hier speziell die katholische, in Bedrängnis gebracht haben, da besinnt sich die Kirche auf etwas mehr als „Betroffenheitsgestammel“: Sie setzt ein Zeichen: Wir beten für die Opfer! – Morgen, am Karfreitag, dem christlichen Opferfest.

Ein Symbol ist hohl, wenn es keine Entsprechung im Leben hat. Ein Gebet wird zur Heuchelei, wenn es tätige Reue ersetzen soll.

Von der tätigen Reue ist immer noch nichts zu sehen. An getrennten Runden Tischen sollen gleichgeartete Verbrechen abgehandelt werden. Die Opfer zweiter Klasse werden seit einem Jahr hingehalten, während „ihr“ Runder Tisch längst Bekanntes zusammenträgt. Mehr dazu: http://www.gewalt-im-jhh.de/Kappeler_zu_ZB_RTH.pdf .

Die Kirchen haben sich in die Situation gebracht, daß Entschädigungszahlungen nur noch den Charakter von Strafzahlungen annehmen können; kaum jemand wird noch an Umkehr und Reue denken – da können die Kirchen noch so sehr beten lassen. Diese Entwicklung schmerzt.

»Die deutschen Kirchen sind stark vermachtete und verfilzte Organisationen mit viel Pfründenwirtschaft zur Alimentierung von Funktionären, die gern unter sich bleiben und miteinander in einem verquasten Stammesidiom kommunizieren, das für Außenstehende unverständlich bleibt – der ideale Nährboden für Schweigekartelle und Wagenburgmentalität.« Dies schreibt Friedrich Wilhelm Graf, der heute eine erhellende Analyse vom ehemaligen Glanz und heutigen Elend der Kirchen vorgelegt hat. http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E1B34F6F7FBC44C9EBB2877C9A10ACA36~ATpl~Ecommon~Scontent~Afor~Eprint.html

Wenn man das liest, kann man sich so manche unangemessene Reaktion der Kirchen auf die Vorwürfe, sei es von mißhandelten Heimkindern oder von mißbrauchten Domspatzen erklären bis hin Verschwörungstheorie des Vatikans.

Graf schreibt weiter: »Die Kirchen sind hoch narzisstisch und fortwährend auf sich selbst fixiert. Es fehlt ihnen zunehmend an überzeugendem Personal, speziell an gebildeten Führungskräften, sieht man einmal von Karl Kardinal Lehmann und Wolfgang Huber ab. Sie kennen keine diskursive Kultur des offenen argumentativen Austrags interner Konflikte. In Tausenden von Ausschüssen, Kommissionen, Kammern und beratenden Gremien wird viel geredet, aber nichts gesagt und noch weniger verbindlich entschieden. Die eitle Neigung, sich zu allem und jedem zu Wort zu melden, unterminiert die religiöse Glaubwürdigkeit.«

Graf nennt Karl Kardinal Lehmann. Dies sicherlich mit Recht. Auch Lehmann ist heute mit einem Artikel vertreten. Wer ihm und seiner Kirche übel will, wird sagen, da habe man einen elder churchman vorgeschickt, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das sehe ich nicht so. Lehmann ist zwar umsichtig genug, um die über die katholische Kirche hinausreichende Allgemeinheit des Problems aufzuzeigen. Doch anders als bei seinen Kollegen wirkt er sachlich und glaubwürdig. Und eines ist ganz neu: Er spricht nicht nur von über Heiligkeit der Kirche, sondern auch von ihrer und Sündigkeit.

http://www.faz.net/p/Rub0FA9A4B1B13749AC97BC3B6889482661/Dx1~Eb38e845604439e463530152da11d1079~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Das Vokabular gehört zwar zum verquasten Stammesidiom, eröffnet aber einen für die katholische Kirche unerhörten Ansatz, Kirche differenzierter zu denken und zu gestalten. Dies wird und muß die ehemaligen Heimkinder nicht interessieren. Für sehr viele von ihnen ist das Kapitel Kirche bestenfalls abgeschlossen, soweit nicht die noch offenen Rechnungen im Vordergrund sind. Wenn die Kirche diese Rechnungen beglichen hat, wird sie auch wieder Symbole setzen können.

Graf schreibt zum Schluß seines Artikels: » Niemand kennt den Preis, den eine freiheitliche Bürgergesellschaft auf lange Sicht zu zahlen hat, wenn ihre religiösen Institutionen und Organisationen erodieren. Er dürfte sehr viel höher sein als von vielen vermutet, und deshalb bedarf es nun einer politischen Debatte über Aufgabe und Zustand der Kirchen. Sie sind zu wichtig, als dass man sie ihren eigenen, wahrlich „exzentrischen“ Funktionseliten überlassen darf.« Dem möchte ich nichts hinzufügen.