Dierk Schaefers Blog

Wenn Inklusion bloß Illusion wäre, …

… aber sie ist politischer Betrug. Hansgünter Jung berichtet heute vom Praxisschock[1]. Der war allerdings abzusehen und wurde vielfach vorausgesagt, nicht nur hier im Blog.[2]

Jung schreibt: »Die inklusive Schule war lange Zeit ein Selbstläufer. Ihre Prot­agonisten brauchten nur das Wort „UN-Behindertenrechtskonvention“ auszusprechen – und unbequeme Fragen zu Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit dieses bildungspoliti­schen Großprojekts wurden gar nicht erst gestellt. Gesinnungsethische Beflissen­heit ersetzte juristische Hermeneutik. Doch jetzt bahnt sich im öffentlichen Diskurs eine Wende an. Sie beruht auf ei­nem Praxis­schock, der gleich von zwei Sei­ten kommt. Die Eltern der behinderten Kinder erleben, wie eine Förderschule nach der anderen aufgelöst wird. Gleich­zeitig hat sich der Blick der Öffent­lichkeit dafür geschärft, wie schwierig Inklusion in den meisten Fällen ist: schließlich gilt es den Lernbehinderten, geistig Behinder­ten und Verhaltensauffälligen gerecht zu werden. Die Sensibilisierung hat etwas da­mit zu tun, dass die Lehrkräfte der Regel­schulen neuerdings vor eine weitere Auf­gabe gestellt sind. Sie müssen jetzt auch noch zahlreiche Flüchtlings- und Migran­tenkinder ohne Deutschkenntnisse unter­richten und erziehen. Jetzt hört man den überforderten Lehrkräften endlich zu, wenn sie fragen: „Was sollen wir eigent­lich noch alles leisten?“«

Mich wundert diese Entwicklung nicht, höre ich doch ähnliches aus dem Schulbereich von meinen Bekannten.

 

Fußnoten

[1] Hansgünter Lang, Inklusion vor der Wende, Lange Zeit waren die kritischen Stimmen zur Integration behinderter Schüler kaum zu hören, nun stellt sich der Praxisschock ein. Zitate aus diesem Artikel. FAZ-Print, Donnerstag, 18. Mai 2017. Wird wohl nicht digital erhältlich sein. Ich habe den Artikel gescannt und schicke ihn gern auf Mailanforderung zur privaten Verwendung.

[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/04/03/die-illusion-der-inklusion/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/06/12/die-faz-geizt-mal-wieder-mit-ihren-print-artikeln-und-stellt-sie-nicht-ins-netz/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/04/07/kinderrechte-inklusion-macht-kinder-zu-verlierern/

„Wir wussten zu wenig, was dort mit unseren Jugendlichen passiert“[1]

Posted in Gesellschaft, heimkinder, Pädagogik, Politik by dierkschaefer on 5. Juli 2013

Mal wieder so richtig dumm gelaufen.

 

»In der Vergangenheit waren die Heime negativ aufgefallen. „Es gab danach zahlreiche Auflagen vom Landesjugendamt“.«

 

Wie kam es mal wieder dazu?

 

»Abgeordnete bezweifelten, ob die Kontrollen ausreichen. Für landesweit etwa 400 Einrichtungen seien lediglich drei Mitarbeiter im Landesjugendamt zuständig, kritisierte Grünen-Abgeordnete Marie Luise von Halem«.

 

Doch wer trägt die Hauptverantwortung?

 

»Die Kinder und Jugendlichen in den Heimen«. Sie »haben teils etliche Stationen der Jugendhilfe durchlaufen. Sie kommen aus 14 Bundesländern«.

 

Doch was hilft der Blick zurück, der nur das Versagen der vielen Stationen aufdecken könnte? Der Blick in die Zukunft rechtfertigt sogar  die vorläufigen Endstationen dieser von Kinderzeiten an mißratenen Jugendlichen. Die – oder wir? – sollen doch froh sein, denn es kann nur schlimmer kommen.

»„Was können wir diesen Menschen bieten, wenn wir die Einrichtungen schließen“, fragte die SPD-Abgeordnete Ina Muhß. Die Alternativen seien Psychiatrie oder Gefängnis, warnte sie«.

 

So sehen Offenbarungseide aus.


Ohne Hände ins Leben!

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 17. Mai 2009

Ohne Hände ins Leben!

Wer sich mit den Schicksalen von ehemaligen Heimkindern beschäftigt, den läßt das Thema auch im Urlaub nicht los.

In Lyon stieß ich auf ein Denk-mal! und photographierte es.P1260743 d

Ein geistlicher Herr, sein Habit weist ihn als katholischen Würdenträger aus, schaut milde auf ein Kind, seine Linke umfaßt es sanft, die Rechte, der Zeige­finger ist abgebrochen, weist gen Himmel, wie die thematisch ähnliche Statue von August Hermann Francke in Halle. P1230235 d Kopie 2

Doch im Gegensatz zu Francke eröffnet seine gesamte Haltung eher den Blick des Betrachters auf das Kind.

Doch das Kind hat keine Hände.

Kein Zweifel, er wird sie ihm nicht abgeschlagen haben. Ich unterstelle auch nicht, daß er Kinder mißhandelt hat. Doch für mich ist diese Statue eine Illustration kirchlicher Heimerziehung.

Allerdings nicht generell.

Wir dürfen nicht vergessen, daß früher (viel früher) Findelkinder, die in einem Kloster Aufnahme fanden, eine deutlich größere Über­lebens­chance hatten, als Kinder in öffentlichen Kinderheimen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, daß sie dort nicht nur eine für das Leben nützliche Erziehung bekamen, sondern daß es sogar pädagogisch sinnvolle Sonderwege gab. Dabei denke ich an Fra Filippo Lippi aus dem 15. Jahrhundert. Früh verwaist fand er Aufnahme bei den Karmelitern. In der Schule fiel er durch ungebührliche Kritzeleien auf. Doch die Mönche entdeckten sein Talent und ließen ihn das Malen lernen.

Solche kindgerechten Reaktionen waren sicher auch damals nicht die Regel – und doch wird man nachdenklich, wenn man den Berichten der Heimkinder entnimmt, wie wenig viele von ihnen gefördert wurden. Ganz im Gegenteil: Viele wurden mißhandelt und mißbraucht. Demütigung scheint ein durchgängiges Prinzip gewesen zu sein. Diese Heimkinder gleichen damit dem Kind auf dem Bild, dem die Hände abgeschlagen wurden, denn sie entkamen dem Heim als Behinderte an Geist und Seele, manche hatten bei der Zwangsarbeit auch körperliche Schäden davongetragen.

Wie behindert waren die Erzieher? Was muß man für ein Mensch sein, um Kinder so zu quälen, wie es vielfach berichtet wird? (Eine Frage, die leider auch für manche Eltern zu stellen ist.  Siehe dazu: gewalt-07-2)

Von einigen Heimkindern, die in staatlichen Heimen waren, hörte ich: „Die kirchlichen waren ja noch viel schlimmer“. Da ich Pfarrer bin, suche ich natürlich auch nach einem Grund für die Mißhandlungen gerade in kirchlichen Einrichtungen – und habe ihn noch nicht gefunden. Das, was dort geschah, steht völlig im Gegensatz zu dem Jesus-Wort bei Matthäus (18,10): Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. (siehe las meninas)

So wurde die Statue eines hochgerühmten Theologen aus dem 14./15. Jahrhundert für mich zum Symbol kirchlicher Erziehung in der Nachkriegszeit.

Der Theologe ist übrigens Jean le Charlier de Gerson, auch Johannes Gerson genannt. Er lebte von 1363 bis 1429, war auch zeitweise Kanzler der Pariser Universität Sorbonne. In seinem letzten Lebensabschnitt widmete er sich der Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen. Sein Denkmal steht gegenüber der Kirche St. Paul in Lyon, seiner letzten Wirkungsstätte.

Bei Wikipedia lesen wir, daß er „gegen die Unsittlichkeit der Geistlichkeit eiferte (was ihm den Beinamen Doctor christianissimus eintrug). Anderseits betrieb er in Konstanz auch die Verurteilung und Hinrichtung von Jan Hus und Hieronymus von Prag.“

photos: dierkschaefer