Dierk Schaefers Blog

»Wenn der Richter das gelesen hätte, dann hätten Sie keine zehn Jahre gekriegt.« XIII

logo-moabit-kDieter Schulz

Der Ausreis(ß)ende

oder

          Eine Kindheit,

           die keine Kindheit war

 

 

 

Dreizehntes Kapitel

Von Auerbachs Keller in den Venusberg[1]

„Mischa, ich habe schon mit meinem Mann gesprochen, er ist übrigens auch bei der Polizei, („Aha!“) und wir haben uns folgendes überlegt: Wir werden dich vorläufig oder auch für immer bei uns aufnehmen. Das liegt ganz bei dir!“ Bloß gut, dass ich gerade nichts weiter im Mund hatte, außer einem Schluck Rotwein. Die Tischdecke sah nach ihrem Vortrag ein wenig rotgesprenkelt aus. Ich? Ich sollte bei/von Bullen großgezogen werden? In meinem Kopf hatten schon die ersten hundert Gramm Wodka in Verbindung mit dem Rotwein zu wirken begonnen. Sonst hätte ich spätestens jetzt einen Wodka benötigt.

Wie genau ich zu den Bullen stand, davon musste wohl nichts in meinen Akten gestanden haben. Sie schrieb meinen unverhofften Erstickungsanfall wohl der freudigen Überraschung zu, die sie mit der Eröffnung ihres Vorschlages in Verbindung brachte. Eine Überraschung war es auf jeden Fall für mich. Wie sie es auch auffassen mochte. Ich glaube, ich hätte sie sehr in Verlegenheit gebracht, hätte ich ihren Vorschlag schlichtweg abgelehnt. Was mir ja auch fast aus dem Mund gerutscht wäre. Wäre da nicht der Rotwein in die falsche Kehle gerutscht und hätte mir etwas Bedenkzeit verschafft. Hatte sie nicht selbst gesagt, dass kein Heim bereit wäre mich aufzunehmen? Wohin also sonst mit mir, wenn ich auch nicht zu meiner Mutter durfte?

Verschiedene Gründe, eigentlich nur zwei, waren dafür ausschlaggebend, dass ich mich auf ihren Vorschlag einließ. Zum einen, ich blieb in Leipzig, somit in der Nähe meiner Mutter und Schwester. Zum zweiten, die Frau selbst zog mich wie schon erwähnt in ihren Bann. Was bisher noch keine Erzieherin von sich hätte behaupten können. Ich wollte dann auch gar nicht mehr erfahren, welche Alternative es für mich sonst noch gäbe. Wie sie so ihre Augen in die meinen versenkte und in mir forschte, wie ich mich wohl entscheiden würde, konnte ich einfach nicht mehr nein sagen.

„Als wäre ich ihr Liebhaber …“ Er wird es!

Als wäre ich ihr Liebhaber oder ähnliches zahlte ich die nicht gerade geringe Zeche, legte ein generöses Trinkgeld dazu, und wir konnten aufbrechen.

Ganz ohne irgendwelche Formalitäten durfte ich mit zu ihr nach Hause gehen. Man stelle sich mal vor, in der Wohnung gab es sogar schon ein Telefon. Während des langandauernden Gesprächs, welches sie gleich nach unserer Ankunft zu führen begann, durfte ich mich völlig frei im Wohnzimmer bewegen. Ziemlich eingeschüchtert alleine von der luxuriösen Einrichtung (einschließlich Telefon) im Gegensatz zu der bei uns Zuhause, wagte ich mich aber kaum zu bewegen. Ich stand die ganze Zeit am Fenster und starrte auf die Straße hinab. Bis sie ins Zimmer kam. „So, alles in bester Ordnung. Wir werden gleich nochmal in die Stadt gehen und für dich zunächst einmal die wichtigsten Sachen einkaufen. Erstmal aber werde ich dir dein Zimmer zeigen.“ Sie nahm mich bei der Hand. Wie? Ich und ein eigenes Zimmer? So etwas hatte ich ja noch nicht einmal bei Muttern gehabt. Überhaupt konnte mich gar nicht daran erinnern, jemals zuvor ein eigenes Zimmer gehabt zu haben. Außer dem Arrestzimmer im Heim. „Weißt du, wir beide, mein Mann und ich, wir haben uns immer so sehr Kinder gewünscht. Wir haben leider erfahren müssen, dass wir nie welche miteinander haben werden!“, wurde ich über das Vorhandensein eines Kinderzimmers aufgeklärt. Bei der Noch-Nachkriegszeit herrschte ja eigentlich noch enorme Wohnungsnot. 1953 gab es meiner Ansicht nach immer noch mehr Trümmer als geeigneten Wohnraum. Über soviel Fürsorglichkeit geriet ich geradezu in Verlegenheit. Von meiner sonst gewohnten Kaltschnäuzigkeit war nichts mehr vorhanden. Ich war einfach nur ergriffen. Dies war eine ganz neue Erfahrung für mich, von Fremden derart fürsorglich als Kind behandelt zu werden. Und das gerade in dem Augenblick wo ich mich mitten in der Pubertät[2] befand und mich schon fast als ganzer Mann fühlte.

Zahnbürste und Nachtzeug, etwas Unterwäsche, ein neues Hemd und Hosen sollten fürs erste reichen. Als wir vom Einkauf zurück kehrten, war auch schon mein Ersatzvater in der Wohnung. Er war in der Polizeifunkzentrale in Leipzig im Drei-Schichtdienst eingesetzt, erfuhr ich auch sogleich. Diese Woche war Frühschicht angesagt. Ich wurde eingehend in Augenschein genommen und für gut befunden. Was die Bemerkung GUT für eine Bedeutung hatte, erfuhr ich etwas später. Genauer gesagt am nächsten Tag. Zu der Zeit, als dies alles geschah, wäre es undenkbar gewesen, die folgenden Einzelheiten überhaupt am Rande zu erwähnen. Die Zeit an sich war viel zu prüde. Ich finde es heute aber für unerlässlich, dieses einschneidende Erlebnis zum besseren Verständnis meines Lebensweges mit aufzuführen. Deshalb vermeide ich es auch hier Namen zu nennen. Wenn du, liebe Monika[3], bisher noch nicht schockiert genug über meinen Lebenswandel bist, so solltest du aber jetzt, wie ich es dir angekündigt habe, dieses Manuskript aus der Hand legen. Es liegt mir sehr viel daran, dass wenigstens du mich (wenn überhaupt jemals) mit der Reinheit deines Herzens in Erinnerung behältst. Ich wurde, besser gesagt ich ließ mich von den beiden zu Sexspielen verführen. Ich befriedigte mich schon seit Jahren selbst (was wieder einen anderen Ursprung hatte), war auch ansonsten (zwangsläufig durch die Nachkriegszeit) bestens aufgeklärt worden vom Leben selbst. Ich war elf, als eine 20jährige Freundin meiner Schwester eine zeitlang bei uns wohnte, weil sie Zuhause rausgeflogen war. Sie zeigte mir alles. Den gewissen „Kick“ also kannte ich schon. Zunächst noch trocken, aber immerhin!

Spricht man mich heute, 65 jährig, auf meine Ähnlichkeit wegen meines zerknitterten Gesichtes, mit Charles Bronson[4] an, so heißt das noch lange nicht, dass ich damals nicht ein hübsches Kerlchen war. Ein Foto aus der Zeit, das einzige übrigens, welches mir aus der Zeit meiner Kindheit geblieben ist, bekam ich erst 1990, als ich nach der Maueröffnung nach Dönschten fuhr, um Erinnerungen aufzufrischen. Und siehe da, der damalige Heimleiter wohnte immer noch im Dachgeschoß des damaligen Heimes mit seiner Frau. Im hohen Alter freuten sich beide über meinen Besuch. Die Frau kramte ein Tagebuch hervor. Aus diesem las sie mir vor, wann ich genau für immer aus dem Heim verschwunden war. Und, in dem Tagebuch war sogar noch ein Passfoto von mir eingeklebt. Dieses Foto schenkte sie mir. Somit habe ich nun wenigstens einen Beweis in Händen, dass auch ich mal ein hübsches Kerlchen war.

keine Umschreibungen wie im Kamasutra

Als süßer Bengel bezeichnet zu werden war ich ja schon gewohnt. Dass man mich aber gleich so süß fand, dass man(N) mich gleich als Dritten im Bunde haben wollte, merkte ich gleich am nächsten Tag nach meinem Einzug bei der Bullenfamilie, die ja eigentlich noch keine richtige Familie war, da ja zu einer richtigen Familie meiner bescheidenen Meinung nach ein Kind fehlte. Aus heutiger Sicht betrachtet war das mehr oder weniger eine Sexgemeinschaft zwischen den beiden mit gleichen Vorlieben. Beide liebten nämlich kleine Jungs. Zum einen produzierten die beiden sich gerne vor deren, z.B. meinen Augen, zum anderen spielten sie beide gerne an meinem kleinen „Knorpel“ herum. Na ja, wenn schon, denn schon! Dann muss ich wohl auch noch hinzufügen das ER es gerne hatte, dass ich sein Glied in den Mund nahm, und SIE es furchtbar gerne sah, wenn ICH es tat. Noch irgendwelche Fragen? Klar, dass Sie jetzt neugierig geworden sind und nun auch wissen möchten, wie es dazu kam. Keiner kommt doch so einfach daher und sagt tu dies oder das. Wenn die Zensur diesen Absatz nicht gerade streicht, will ich Ihnen den Gefallen tun und darüber berichten. Verlangen Sie aber bitte nicht, dass ich solch schmeichelhafte Umschreibungen, wie sie im Kamasutra vorkommen, benutze. Bitte denken Sie immer daran, dass ich kein Schriftsteller im klassischen Sinne bin. Dafür reichen meine sechs Volksschuljahre bei weitem nicht aus. Zum Dichter nicht geboren, nicht ausgebildet. Das mögen Sie bestimmt schon an meiner eigenwilligen Schreibweise längst erkannt haben. Ich habe auch nicht vor, mit diesem Manuskript ein großes Werk zu präsentieren. Mit meinen begrenzten Mitteln will ich Ihnen lediglich das nackte, wahre Leben schildern, in das ich in einer Zeit hineingeboren wurde, die ich keiner zukünftigen Generation noch einmal zu erleben wünsche. Man stelle sich nur mal vor, dass unsere Computergeneration plötzlich ohne Strom und Heizung dasteht, statt Fun blanker Überlebenskampf angesagt wäre.

Wie bereits eingangs erwähnt soll dies ein mahnend Zeichen sein, sich gegen jedwede Kriegstreiber zu wehren.

Sicher gibt es Menschen mit einem bewegterem Lebenslauf. Doch ich bin der Meinung, nach dem, was ich so im Laufe des Lebens erfahren musste, leben viele am Leben vorbei. Das heißt: es ist überhaupt kein Leben drin in ihrem Leben. Alles tröpfelt nur so dahin, an ihnen herunter. Die meisten Menschen, die ich kennengelernt habe, glaubten doch allen Ernstes, dass sie schon etwas Besonderes in ihrem Leben erlebt hätten, nur weil sie schon mal in Italien, Griechenland, der Türkei oder auf einer der angesagten Modeinseln gewesen sind. Manche betrachten es schon als Sensation, wenn sie einmal in ihrem Leben die Wohnung oder gar den Wohnort gewechselt haben. Die Spießbürger, die sich über jede Art von Verbrechen so schön entrüsten können, im gleichen Atemzug sich aber den Film aussuchen, wo es am blutrünstigsten zugeht, sich ausschließlich Krimis und Actionfilme reinziehen. Herrschaften, ein paar Ganoven muss es schon geben, damit die Drehbuchschreiber das Ganze schön aufbauschen können. Das wirkliche Leben gibt dafür viel zu wenig her. Aber das alles, was in diesen Filmen so schön als Tatsachen verkauft wird, wird dann auf den kleinen Ganoven projiziert. Aus eigenem Erleben aber kann ich hier berichten, dass gerade die brutalsten Verbrecher in der Knasthierarchie ganz oben stehen. Ja, sie bekommen zum Teil sogar Fan-Post.

Warum also, so habe ich mir gedacht, soll ich nicht ein wenig dazu beitragen, das reale Leben anderen Leuten ins Haus zu bringen, wo ich doch hier im Knast reichlich Zeit zum Schreiben habe?

„Du Dummerchen, lass dich doch gehen!“

Zeit dazu ließen mir meine „Pflegeeltern“, wie sie sich zu bezeichnen pflegten, nicht viel, um sich mit mir zu amüsieren. Bis man mich in der Schule angemeldet haben würde, so wurde mir gesagt, könne ich nach Belieben ausschlafen. An alles hatte man ja gedacht, was meinen Einzug betraf. Eine Bettdecke zu kaufen hatte man allerdings vergessen (?). Mir wurde deshalb gestattet, die erste Nacht im gemeinsamen Ehebett zu übernachten. Mir waren vor Müdigkeit schon die Augen zugefallen. Ein Zeichen für meine besorgten Pflegeeltern mich ins Bett zu schicken. „Wir gehen auch gleich zu Bett, M. muss morgen auch wieder früh raus!“; damit wurde ich liebevoll zugedeckt und mit einem Kuss versehen. Die Müdigkeit war da, aber der Schlaf wollte sich trotzdem nicht einstellen. Zu viele Gedanken kreisten in meinem Kopf herum. So tat ich nur so als ob ich schliefe, als die beiden dann auch ins Bett kamen. Ich bekam recht schnell nackte Tatsachen zu sehen. G. vergewisserte sich, dass ich schlief und ließ noch vor dem Bett ihre Hüllen fallen. Nicht dass ich noch keine nackte Frau gesehen hätte. Aber unter diesen Umständen? Auch M. stand bald wie Gott ihn erschaffen hatte vor dem Bett.

Und als er drin war, wurde ich so Zeuge ehelicher Leidenschaft. Mir schaffte dies auch Leiden! Wie ich mich schon bei anderen Gelegenheiten dem nicht entziehen konnte, so wuchs auch bei mir etwas heran, was ich bei dieser Gelegenheit allerdings zum Teufel wünschte. Ich konnte den beiden wohl schlecht zu erkennen geben, dass ich noch hellwach war und Probleme mit meinem Piephahn hatte. Ich war kaum mehr in der Lage abzuwarten bis nun meine Pflegeeltern ihrerseits eingeschlafen waren, um mich eines gewissen Drucks zu befreien. Dann aber schlief auch ich erschöpft ein. Mit der immer noch gleichen Erektion, mit der ich eingeschlafen war, wachte ich am nächsten Morgen auch wieder auf. Schon beim geringsten Geräusch, außer den typischen Schlafgeräuschen, wurde ich wach. So als sich M. morgens zur Arbeit fertig machte. Ich ließ ihn erst aus dem Haus gehen, und lief dann ganz schnell zur Toilette, um meine Stange Wasser ins Klo zu entlassen. Meine Pflegemutter war alles andere als ein Morgenmuffel. Sie selbst hatte zwar wegen mir extra arbeitsfrei bekommen, war aber dennoch mit ihrem Mann zusammen aufgestanden. Sie bot mir gleich eine Tasse (echten!) Bohnenkaffee an, als sie mich im Flur sah. „Wir können uns ja gleich wieder hinlegen und ausschlafen. Das bisschen, was wir für dich noch besorgen müssen, schaffen wir auch am Nachmittag spielend!“ erklärte sie mir. Ich hatte ja wenigstens noch einen Schlafanzug an, der aus Baumwolle zu sein schien. Ihr Nachthemd dagegen war so gut wie aus Nichts. Sie bemerkte meine verstohlenen Blicke sehr wohl. Beim Einschenken des Kaffees ließ sie mich auch noch sehen, dass sie unten auch nichts weiter drunter hatte. Meine Verlegenheit schien sie aber nur zu amüsieren. Wieder im Bett wollte sie dann auch recht bald wissen, welche Erfahrungen ich schon mit Mädchen gemacht hätte. Ich verschwieg ihr natürlich die Episode mit der 20 jährigen Freundin meiner Schwester, ebenso wie ich oftmals Zeuge von Vergewaltigungen in der Nachkriegszeit geworden war. Auch dass ich genau wusste, was die Frau in Dresden Hellerau mit den drei Russensoldaten angestellt hatte. Ich gab lediglich die üblichen Doktorspiele mit etwa gleichaltrigen Mädchen zu.

Ich sollte so etwas, was sich zwischen Mann und Frau abspielte, nur immer als etwas ganz natürliches, von der Natur Gegebenes betrachten, riet G. mir. Sie und M. hielten es jedenfalls seit Beginn ihrer Beziehung so. G. erklärte mir dann auch, dass das ein körperliches Bedürfnis wie allen anderen, wie etwa Essen und Trinken sei. Mit ihrem psychologischen Einfühlungsvermögen kochte sie mich langsam weich. Oder hart? Wie man(N) es nimmt! Wenn der Körper danach verlange, soll man erst gar nicht dagegen ankämpfen. Sie ließ mich dann auch ganz unverblümt wissen, dass M. heute morgen schon am liebsten eben diesem Bedürfnis nachgekommen wäre. Verschwieg aber das vom Vorabend. M. hätte es sich dann aber doch nicht gewagt, weil ich ja noch mit im Bett gelegen hätte und die dabei entstehenden Geräusche mich geweckt und erschreckt haben könnten. M. wäre nun mal so gestrickt, dass er diese schönste Nebensache der Welt am liebsten dreimal am Tage betreiben würde. Bei einem solch offenen und direkt geführten Aufklärungsgespräch hatte ich natürlich Schwierigkeiten, meine Latte, die ja schon längst keine Wasserlatte mehr war, im Zaum zu halten. Peinlich wäre es mir gewesen, wenn meine „Biologielehrerin“ dies bemerkt hätte. Sie war aber eine zu gute Psychologin, um mich merken zu lassen, dass sie längst wusste, wie es um mich stand. Heute weiß ich natürlich, dass das volle Absicht von ihr gewesen war, dieses Gespräch in diese Richtung zu lenken. Erstmal Pause. G. erhob sich lasziv aus dem Bett, führte mir so wieder ihren Körper vor, in dem Nachthemd, welches mehr zeigte als dass es verbarg, und ging zur Toilette. Ich denke heute noch manchmal daran zurück, wie und was mir bei diesem erneuten Anblick alles wehtat. Als sie danach wieder unter die Bettdecke krabbelte, gab sie sich nicht die geringste Mühe mir gegenüber zu verbergen, wie genau es in ihrem Schritt aussah. Von wegen ausschlafen. Sie schien so gar nicht müde zu sein. Nun, auch mich hinderte etwas daran, wieder einschlafen zu können.

Geschickt brachte sie gleich wieder ihr Lieblingsthema aufs Trapez[5]. „Wir werden dir heute gleich ein schickes Steppbett, oder magst du lieber ein Federbett? kaufen. Dann können M. und ich uns wieder lieben wie wir es gewohnt sind. Weißt du, das ist dann für uns alle besser so. Unsere Körper brauchen das nun mal jeden Tag!“ ließ sie mich tief in ihr Intimleben blicken. „Du hast damit wohl noch keine Schwierigkeiten oder?“ Was sollte ich sagen ? Mir wurde es ganz schön mulmig unter der Bettdecke. „Sag schon! Haben so kleine Jungs schon Schwierigkeiten damit?“ G. schaute mich genau an bei dieser so eindringlich gestellten Frage. Ich versuchte mich einer ehrlichen Antwort zu entziehen indem ich so tat, als wüsste ich gar nicht, was sie mit „Schwierigkeiten“ meinte. Die 27 jährige Frau ließ dies aber nicht als Antwort gelten. „Du wirst doch wohl wissen, ob dein Puller manchmal schon hart und groß wird!?“ wurde sie schon etwas direkter.

„Ja schon,“ musste ich jetzt schon etwas näher bei der Wahrheit bleiben. „Was du nur für ein Geheimnis daraus zu machen versuchst. Ich sagte doch bereits, dass das etwas ganz natürliches ist, wenn der Körper sich meldet!“ sprach sie beruhigend auf mich ein. Ob es oft passiere, wann und bei welchen Gelegenheiten im Besonderen, begann sie immer weiter in mich zu dringen. Meine Peinlichkeit nahm überhaupt kein Ende, weil ich ihr einfach nicht die Wahrheit sagen konnte, wie es wirklich um mich bestellt war, was sie gerne hören wollte. Hinterher ist man immer schlauer!

„Was meinst du? würde dein kleiner Mann da unten steif werden wenn M. und ich uns lieben würden?“ „Ich weiß nicht!“ log ich. „Wir könnten es ja mal ausprobieren!?“ schaute sie mich lauernd an. Meine Güte, ich konnte noch nicht einmal mit einer Hand unter die Bettdecke um IHN wenigstens ein wenig zu besänftigen.

So, wie G. mich belauerte, wusste sie sofort, was wirklich mit mir los war. Anscheinend aber kam ich ihr nicht in dem Maße entgegen, wie sie es sich erhofft hatte. Deshalb ging sie zu einer anderen Taktik über. „Also gut, du willst sicherlich noch ein wenig schlafen. Ich sage dir nur noch, dass du jederzeit mit irgendwelchen Problemen zu einem von uns kommen kannst. Auch wenn du mal ein Mädchen mitbringen willst. Wir wollen uns dann nur davon überzeugen, dass dies auch sauber ist.“ Damit drehte sie sich auch schon auf die Seite, wobei sie mich noch ihr Hinterteil sehen ließ. Um meine Aufmerksamkeit auch ja auf sich zu lenken, bemerkte sie, dass es doch recht kühl wäre, um ohne Bettdecke zu schlafen. Am liebsten würde sie ja ganz eng an M. angekuschelt schlafen, weil es dann so schön warm an ihrem Hintern wäre. „Willst du nicht zu mir rüber rutschen und mich ein wenig wärmen?“ fragte sie mich mit lockender Stimme. Bloß das nicht! Ich würde gar nicht nahe genug an sie herankommen, ohne dass sie nicht sofort bemerken würde, wie es wirklich um mich stand.   „Du hast wohl Angst das M. eifersüchtig werden könnte, was?“ hielt sie so gar nicht ihr Versprechen, was das Weiterschlafen betraf. „Na warte, wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich eben zu dir.“ Damit rutschte sie auch schon auf meine Bettseite herüber. Meinetwegen, dann sollte sie sich eben an mich kuscheln. Jedoch drehte auch ich mich herum, so dass sie sich an meinen Rücken wärmen konnte. Es reichte ihr aber noch nicht, ihre handvoll Quarktaschen an die Schulter zu pressen. Sie legte auch noch einen Arm um mich. Dass sie auch noch ihren warmen Unterleib gegen mich drückte, gehört wohl auch mit zum Kuscheln, nahm ich an. Ich wagte kaum noch zu atmen, als ihre Hand immer tiefer rutschte. Nur noch wenige Zentimeter und ich wusste nicht mehr wohin ich mich mit meiner Scham verkriechen sollte. Dabei machte ich mir aber selbst nur etwas vor. Ich wusste längst, dass ich mir eine direkte Berührung herbeisehnte. Hatte ich doch schon früher, bei der Freundin meiner Schwester, ganz andere Freuden genossen, als ich sie mir mit der eigenen Hand bewirken konnte.

„Du Dummerchen, lass dich doch gehen!“ flüsterte sie mir besänftigend ins Ohr, als sie ihr Ziel erreicht hatte und ich vor Schreck (?) zu atmen vergaß und dicke Backen machte. Diese Hand ging damit ganz anders um, als ich von meiner eigenen gewohnt war. G. drückte ihren Unterleib gegen meinen Po, so dass ich ihr eine größere Angriffsfläche bieten musste. Das war ja grausam … schön! – was die erfahrene Frau da mit mir anstellte. Ihre freie Hand nahm meine oben liegende und führte diese zwischen ihre warmen Schenkel.

Gut, also das soll es gewesen sein, wie ich zum ersten Mal als reifer Jüngling von einer Frau verführt wurde. Weil mich das irgendwie süchtig gemacht hatte, ging ich auch darauf ein, ihren Mann in unser Geheimnis mit einzubeziehen.

Würde ich mich in noch mehr Einzelheiten verlieren, müsste ich dieses Buch (ich hoffe, dass es eins wird) einem Pornoverlag anbieten.

Neben diesem Aufklärungsunterricht bekam ich dann auch wenig später meinen normalen Unterricht in der Schule. Es war soweit alles wunderschön. Ich durfte alle 14 Tage meine Mutter besuchen, und wir feierten zusammen ein tolles Weihnachtsfest. Ich rutschte wie nie ins neue Jahr, und ein paarmal dabei auch mangels Masse wieder raus und ich dachte gar nicht an irgendeine Flucht aus diesem Paradies.

Fußnoten

[1] Die Erlebnisse von Dieter Schulz in diesem Kapitel riefen dem Editor den Aufenthalt des noch sehr simplen Simplizius Simplizissimus im Venusberg in Erinnerung. Grimmelshausen geht allerdings nicht dermaßen ins Detail, wie auch die Bibel, nicht so prüde wie oft vermutet, die Avancen von Potiphars Frau gegenüber Joseph nur nennt und nicht groß ausschmückt. Genesis 39. Das tat dann die Nachwelt https://de.wikipedia.org/wiki/Potifar#/media/File:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_Heineken_047.jpg . Schulz war nun kein Joseph und kann in diesen Dingen so ganz simpel nicht mehr gewesen sein. Zu viel hatte er schon gesehen und erlebt; diese Art von „Verwöhnung“ allerdings noch nicht. http://gutenberg.spiegel.de/buch/simplicius-simplicissimus-5248/94 gutenberg.spiegel.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/simplicius-simplicissimus-5248/95 Sonntag, 29. Januar 2017

[2] Schulz: Diesen Ausdruck – Pubertät – kannte ich damals allerdings noch gar nicht!

[3] Monika aus Dönschten. Kapitel 2

[4] Welchen meint er, diesen https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Bronson_(H%C3%A4ftling) oder eher diesen https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Bronson#/media/File:Charles_Bronson_1961.JPG

[5] Statt der Wendung „etwas aufs Tapet bringen“ wird fälschlicherweise oft auch „etwas aufs Tablett bringen“ oder „etwas aufs Trapez bringen“ benutzt. https://de.wikipedia.org/wiki/Tapet

Was gab’s bisher?

Editorische Vorbemerkung – https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/06/25/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt/

https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/06/00-editorische-vorbemerkung.pdf

Kapitel 1, Die Ballade von den beschissenen Verhältnissen – oder – Du sollst wissen, lieber Leser: Andere sind auf noch ganz andere Weise kriminell – und überheblich.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/07/29/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-erstes-kapitel/

https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/07/01-erstes-kapitel.pdf

Kapitel 2, In Dönschten, am Arsch der Welt … ach Monika!

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/08/25/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-ii/https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/08/02-ach-monika.pdf

 Kapitel 3, Weiter im Kreislauf: Heim, versaut werden, weglaufen, Lage verschlimmern.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/09/28/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-iii/

https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/09/03-weiter-im-kreislauf.pdf

 Kapitel 4, 17. Juni 53: Denkwürdiger Beginn meiner Heimkarriere

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/10/24/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-iv/

04-beginn-meiner-heimkarriere-17-juni-53_2

Kapitel 5, von Heim zu Heim

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/11/21/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-v/

PDF: 05-von-heim-zu-heim

 Kapitel 6, Wieder gut im Geschäft mit den Russen

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/12/09/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-vi/

06-wieder-gut-im-geschaft-mit-den-russen

Kapitel 7, Lockender Westen

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/01/04/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-vii/

PDF 07-lockender-westen

Kapitel 8, Berlin? In Leipzig lief’s besser.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/01/09/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-viii/

PDF: 08-berlin-in-leipzig-liefs-besser

Kapitel 9, Aber nun wieder zurück nach Berlin

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/01/17/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-ix/

PDF: 09-aber-nun-wieder-zuruck-nach-berlin

Kapitel 10, Bambule

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/02/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-x/

PDF: 10-bambule

Kapitel 11, Losgelöst von der Erde jauchzte ich innerlich vor Freude

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/06/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-xi/

PDF: 11-losgelost-von-der-erde

 Kapitel 12, Ihr Lächeln wurde um noch eine Nuance freundlicher. Süßer!

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/07/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-xii/

PDF: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2017/02/12-sc3bcc39fer.pdf

Kapitel 13, Von Auerbachs Keller in den Venusberg

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/19/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-xiii/

PDF: 13-von-auerbachs-keller-in-den-venusberg

Wie geht es weiter?

Kapitel 14, Ein halbes Jahr Bewährungsprobe. Wo? Im Heim natürlich!

 

 

 

 

»Wenn der Richter das gelesen hätte, dann hätten Sie keine zehn Jahre gekriegt.« XII

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Der Ausreis(ß)ende

oder

Eine Kindheit,

die keine Kindheit war

Zwölftes Kapitel

Ihr Lächeln wurde um noch eine Nuance freundlicher. Süßer!

Ihr Armleuchter! dachte ich nur. Ich wusste ganz genau in welche Richtung ich mich bewegen musste, um eine Suche nach mir scheitern zu lassen. In Leipzig, noch dazu in Zoonähe, kannte ich mich bestens aus. Ich verschwand gut sichtbar für die Erzieher im nahe gelegenen Gebüsch in Richtung Zoo. Kurz davor jedoch schlug ich in Hasenmanier einen Haken. Jetzt, vom Heimgelände aus nicht mehr sichtbar zu erkennen, ging ich auf dieses direkt wieder zu. Ich wusste von der Brücke in der Nähe. Diese überquerte ich fast zur gleichen Zeit wie die Polizei bei dem Heim eintraf. Aber damit befand ich mich auch schon in deren Rücken. Soll­ten sie mich doch im Zoo-angrenzenden Wald suchen. Das Heim war wie beschrieben am vorderen Eingang mit einer hohen weißen Mauer umgeben. Eine relativ schmale Straße führte von der Brücke her kommend dorthin. Genau gegenüber allerdings begann schon eine größere Gartenkolonie. Wie jeder weiß, kannte ich mich in Leipzigs Gartenkolonien bestens aus.

Also, während die Vopo’s sich im Heim Informationen holten, saß ich schon längst auf einem Laubendach und beobachtete von meinem Logenplatz aus die Aktivitäten der Bullen.

Sollten sie mich doch bei meiner Mutter suchen, nachdem sie mich weder im Wald noch im Zoo gefunden hätten.

Frechheit siegt, sagte ich mir.

Ich schwöre, ich hatte bis dahin weder einen Krimi gelesen, noch im Kino gesehen. Alles was ich so professionell (?) tat war einfach nur eine Eingebung aus dem Moment geboren. Ein guter Schlagballwerfer hätte ohne weiteres einen Ball von „meiner Laube“ aus über die Heim­mauer werfen können. Nachdem die Polizei wieder abgezogen war, um die Suche nach mir aufzunehmen, kroch ich vom Laubendach herunter, um mich auf einem Sofa in der Laube selbst von meinen Strapazen zu erholen. Von meiner letzten Flucht (Berlin, Sie erinnern sich?) hatte ich immer noch einen Notgroschen bei mir. Zwischen den Knöpfen meines Hosen­schlitzes hatte ich einen kleinen Einschnitt mit einer Rasierklinge gemacht und in dieser so entstandenen Tasche hatte ich 20 Mark versteckt. Das hatte ich von je her bei jeder meiner Hosen gemacht und war so somit durch alle Filzen gekommen. Frechheit siegt, sagte ich mir, und ging abends gegen 21 Uhr einfach in ein Restaurant und gab meine Bestellung auf. Moch­ten die anwesenden Gäste denken was sie wollten. Ich hatte Kohldampf! Übrigens hatte ich solche Restaurantbesuche gemacht, ohne jegliche Beanstandung noch zu den guten Zeiten, wenn meine Geschäfte mal wieder gut gelaufen waren. Ich war dann ins Theater gegangen, hatte mir, ich weiß gar nicht mehr wie oft, den Diener zweier Herren[1] angesehen, sowie Egmont[2] oder Hamlet. Niemals erregte ein 11-13 jähriger besonderes Aufsehen, wenn er nach der Theatervorstellung (ca.23 Uhr!) noch in einem Restaurant auftauchte.

Man säuft eben kein Bier während der Arbeit.

Vor genau diesem Lokal stand am nächsten Morgen, als ich mich auf dem Laubensofa gut ausgeruht, und im Bewusstsein meiner Freiheit auf dem Weg zu meiner Schwester machte, ein Brauereiauto. Der Fahrer hatte dummerweise, aber nur für ihn selbst dummerweise, während er im Lokal sein verdientes Trinkgeld vom Wirt in Form eines Bierchens gleich vertrank, welches ich ihm natürlich von Herzen gönnte, also, er hatte die Fahrertüre offen gelassen. Nein, nicht nur nicht abgeschlossen meine ich damit, sondern richtig weit offen gelassen. So sah ich an der Rücklehne seines Fahrersitzes eine größere Tasche hängen. Ähnlich wie sie die damals noch kassierenden Straßenbahnschaffner trugen[3]. Darin waren, wie ich aber erst später feststellte, erstmal musste ich mir die Tasche greifen und ein Stück damit weg sein, darin waren alle Einnahmen der Tour, die er bisher abgefahren hatte. Ein­schließlich der Lieferscheine der noch zu beliefernden Kunden. Mit dem Geld konnte ich schon etwas anfangen, Lieferscheine aber brauchte ich nicht. Wollte ja auch nicht seine weitere Arbeit behindern. Nachdem ich das Geld fein säuberlich auf meine Taschen verteilt hatte, brachte ich die für mich aber nicht für den Fahrer nutzlos gewordene Tasche wieder zum Auto zurück. Er wird sich wahrscheinlich beim nächsten Kunden gewundert haben, dass noch alles in seiner Tasche war, nur eben das Geld fehlte. Sollte er sich doch seinen Kopf darüber zerbrechen, wie das möglich war. Man säuft eben kein Bier während der Arbeit. Schon gar nicht, wenn man auch noch Auto fahren muss. Sollte er das eben als Bußgeld dafür verbuchen. Er hätte sich das Trinkgeld ja anders geben lassen können, um es dann nach Feier­abend zu verprassen. Wo doch soviele Ganoven in der Welt herumlaufen, lässt man doch nicht einfach sein Geld so offen im Auto rumhängen. Du mein Bierfahrer hattest dein Auto in Gegenrichtung zum Verkehr und halb auf dem Bürgersteig stehend geparkt. Alles Verkehrs­ver­gehen, die ein Bußgeld erfordern. Ich jedenfalls auf dem Trottoir gehend kam an deinem Auto kaum vorbei. Die offenstehende Wagentüre versperrte mir den Weg vollends. Was hast du dir nur dabei gedacht? Ich musste ja zwangsläufig auf deine Geldtasche aufmerksam wer­den. Dieser Einladung konnte ich nicht widerstehen. Du wirst es schon irgendwie verkraftet haben, wie ich, dem man sein Auto im Laufe der Zeit mehrmals aufgebrochen und ausgeraubt hat. Vielleicht war es ja sogar einer deiner Söhne. So wäre dann eben ausgleichende Gerech­tig­keit geschehen.

Meine Schwester war zwischenzeitlich unweit meiner Mutter in eine eigene Wohnung gezo­gen. Sie war mit einem Leutnant der NVA[4] verheiratet und hatte auch schon zwei Kinder. Wir waren eine Familie, in der Zusammenhalt noch groß geschrieben wurde. Die Kriegs – und Nachkriegszeiten, die wir auf der Flucht gemeinsam durchgemacht hatten, verbanden uns sehr stark. Ihr Mann sah es natürlich nicht besonders gerne, dass ich mich bei ihnen aufhielt, bes­ser gesagt versteckte. Soviel ich mitbekam, drohte meine hübsche Schwester ihm mit Liebes­entzug im Falle, dass er sich gegen ihren Bruder stellen würde. Er machte gute Mine zum bösen Spiel und beließ es dabei. Seiner Karriere hat es nicht geschadet. Als ich 1990 bei ihm in Leipzig zu Besuch war, hatte er es jedenfalls bis zum ABV[5] geschafft. Genau in Reudnitz, dem Stadtteil, wo er mich damals immer beherbergen musste, wenn ich mal wieder „Urlaub“ aus einem Heim genommen hatte.

Jetzt komme ich etwas durcheinander. Ich glaube die NVA gab es 1953 noch gar nicht[6]. Es muss wohl die KVP, die Kasernierte Volkspolizei[7] gewesen sein, deren Uniform und Rangab­zeichen er damals trug. Nur, mein Schwager war nicht kaserniert. Er ging am Morgen zum Dienst aus dem Haus und kam am Abend wieder. Jedenfalls war ich in der Wohnung meiner Schwester so sicher wie in Abrahams Schoß. Meine Mutter ergriff trotzdem immer besondere Vorsichtsmaßnahmen bevor sie mich besuchte. Erst wenn sie sich sicher war, nicht verfolgt worden zu sein, kam sie in die Wohnung meiner Schwester und schloss mich weinend in ihre Arme.

Tagsüber war ich sowieso immer auf Trebe[8], ging meinen Geschäften bei den Russen nach. Ich konnte tun und lassen was ich wollte. Fernsehen hielt einen zu damaligen Zeiten noch nicht von nützlichem Tun ab. Ich las viel. James Cook[9], „Mit vollen Segeln um die Welt“, hatte es mir besonders angetan. Mein Gott, dass war Freiheit und Abenteuer pur.

Ganoven sind der Polizei immer einen Schritt voraus.

Ansonsten war ich immer in Action. Die Polizei schien es zu nerven, dass sie mich nicht aufgreifen konnte. Jetzt durchsuchten sie auch schon regelmäßig Keller und Dachboden bei meiner Mutter. Sogar nachts standen sie sich ihre Plattfüße noch platter vor Mutters Haus. Sollen sie doch, dachte ich mir, wenn meine Mutter davon berichtete. Meine Mutter kam nun langsam zu der Einsicht, dass es wohl das Beste sei, wenn ich mich in den Westen zu meinem Vater absetzen würde. Ich bekam von Mutter auch noch einen Tipp, wie das zu bewerk­stelli­gen sei. Aber noch bevor ich von diesem Tipp Gebrauch machen konnte (vorläufig!) trat etwas ein, was meine Zukunftspläne wieder einmal zunichte machte. Bei der Zivilpolizei war eine kleine findige Person, die meine Akten anscheinend gut studiert hatte, auf einen besonde­ren Dreh gekom­men, wie man meiner habhaft werden konnte. Ich sage ja immer, die Ganoven sind der Polizei immer einen Schritt voraus. Die Polizei kann zunächst immer nur reagieren. Irgendwann jedoch lernen auch die dazu. In meinem Fall war es eine weibliche Person, die sich meine Akten etwas genauer angesehen hatte. Hatte auch folgerichtig ihre Schlüsse gezo­gen. Deswegen war ich dann auch eines Tages ganz schön überrascht, als mir in der Nähe des Rathauses, ich war gerade mit einem russischen Offizier am Verhandeln, jemand eine Hand auf die Schulter legte. Eine weibliche Stimme, wirklich sehr freundlich, sagte: „So Mischa (das war mein Spitzname bei den Russen), dann wollen wir mal!“ Der Offizier, der brennend daran interessiert war, etwas durch mich zu erwerben, was es nur in Leipzig zu erwerben gab, dafür war er schließlich eigens von Wittenberge nach Leipzig gereist, wollte es nicht wahr haben, dass mich diese freundliche Person einfach von seiner Seite zog. Ich brauchte ihm auch gar nicht zu dolmetschen, weswegen man unser Geschäft platzen ließ. Die weibliche Zivil­polizistin wies sich als solche aus und sprach dabei ebenso gut russisch wie ich auch. Der Offizier zog notgedrungen den Schwanz ein, als er mit dem Polizeiausweis konfrontiert wurde. Schließlich wusste er, dass der Erwerb von französischem Samt oder Schweizer Uhren etc. illegal war.

Ich bedauerte es genauso wie der Russe, dass aus unserem Geschäft nichts mehr wurde. Für die Provision, die ich bei diesem Geschäft bekommen hätte, so hatte ich mir schon im stillen ausgerechnet, hätte meine Mutter länger als eine Woche im Akkord als Trümmerfrau arbeiten müssen. „Scheiße!“ dachte ich nur, jetzt geht die ganze Prozedur mit einer Heimeinweisung wieder von Vorne los. Freiheit Ade.

Ich feierte meine erneute Verhaftung ganz legal mit einer hübschen Frau.

Zunächst aber nahm die Festnahme zivile Formen an. Eine ganz neue Masche der Polizei? Ich dachte angestrengt darüber nach, welcher Pferdefuß dahinter stecken mochte. Wollte das Weib mich nur in Sicherheit wiegen, damit ich keinen Fluchtversuch unternahm, wobei sie sich nicht sicher zu sein schien, wer von uns beiden der schnellere war? Es gab gar keinen Pferdefuß. Ich durfte mir das Lokal aussuchen, wo die Frau mit mir in aller Ruhe über meine Probleme reden wollte. Ohne diesen polizeiüblichen bösen „du-Früchtchen- Blick“ lächelte sie auch noch bei meinem Wunsch, in Auerbachs Keller[10] gleich hinter uns in der Mädler Passage zu gehen. Da wurde doch der Hund in der Pfanne verrückt. Sanft aber bestimmt sich bei mir einhakend steuerte sie mit mir das Kellerlokal an.

In dieser Umgebung, wo ich schon des öfteren mit Offizieren diverse Geschäftsabschlüsse gefeiert hatte, fühlte ich mich besonders wohl. Ich fand es in dem Lokal besonders anhei­melnd. Wusste ich doch, dass schon Goethe hier gesessen und an seinem Faust geschrieben hatte.[11] Trotz meiner geringen Größe und meines Alters war ich doch bereits empfänglich, was die Schönheit einer Frau betraf. Diese Frau, deren Namen ich aus verständlichen Gründen nicht nennen möchte, faszinierte mich. Erstens weil sie eine Schönheit ausstrahlte, die mich in ihren Bann zog, zweitens weil die Frau mit mir zu reden verstand, mich als vollwertigen Men­schen behandelte. Ich wollte ihr Budget nicht strapa­zieren, ich hatte ja immerhin in der letzten Zeit wirklich gute Geschäfte abgeschlossen. Auch an diesem Tage schon vor meiner Fest­nahme. Mit hochgezogener Augenbraue, unnachahm­lich wie sie das machte, warf sie mir einen prüfenden Blick zu, und erklärte sich schließlich bereit, sich von mir einladen zu lassen. Ich ließ so ziemlich das Beste auffahren, was das Restaurant zu bieten hatte. Bald schon, so glaubte ich, würde ich mich wieder mit der eintönigen Heimkost begnügen müssen. Also feierte ich ganz legal meine erneute Verhaftung mit einer für meine Begriffe hübschen Frau.

Wie? Noch nie etwas von einem Mini-Playboy gehört? Mit Galgenhumor sagte ich ihr, dass dies wohl wieder einmal meine Henkersmahlzeit sein würde, bevor es wieder an den Einheits­fraß in irgendeinem Heim ging. Da legte dieses Wesen von einer Frau mir doch, wie ich es später noch oft in Filmen sehen sollte, eine Hand auf die meine: „Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird, Mischa! Es ist richtig, dass wir dich gesucht haben, aber wir haben dennoch ein Problem mit dir. Wir können vorerst kein Heim für dich finden, welches bereit wäre dich aufzunehmen!“ Na, dass war doch mal eine gute Nachricht, schoss es mir durch den Kopf. „Frei rumlaufen, bzw. bei deiner Mutter, die offensichtlich keine Macht über dich Rumtreiber ausüben kann, können wir dich aber auch nicht lassen!“ schickte sie aller­dings gleich einen Dämpfer hinterher. So jetzt kam wohl auch gleich der Pferdefuß zum Vor­schein. Ich schluckte. Ich muss gestehen, mir wurden die Augen feucht. Sie müssen wissen, dass ich trotz des widersprüchlichen Lebens eine sensible Ader habe. Ihr Lächeln wurde um noch eine Nuance freundlicher. Süßer!

Nur selten, dass man mich sprachlos erlebte. Der Frosch in meinem Hals war diesmal schuld daran. Die Frau verstand es, auf meine Stimmung einzugehen. Sie ließ mir etwas Zeit bevor sie fortfuhr. Wie sie so meine Hand in der ihren hielt und mit dem Daumen meinen Hand­rücken streichelte, ging es mir bald wieder besser. Nur mein Herzklopfen blieb. Woher dieses Herzklopfen herrührte? Weiß der Teufel. Mephisto möge mir verzeihen. Dieser stand ja gleich vor dem Abgang zu diesem Restaurant. Allerdings nur in Bronze.[12] Aber wer konnte schon wissen … wenn man den Teufel anrief?!

Die Frau erklärte mich für verrückt, als ich ihr meinen Wunsch, mein Bedürfnis vortrug. Als Erwachsene, erst recht als Polizistin, hatte sie strickt etwas dagegen zu haben. Als Mensch aber, der sich in meine Lage versetzen konnte, drückte sie ein, nein beide Augen des Gesetzes zu. Sie selbst orderte beim Ober. Als dieser das Glas brachte, stürzte ich die 100 Gramm Wodka in einem Zuge, wie ich es bei den Russen gelernt hatte, hinunter. Ein anerkennender Blick meines Gegenübers ging mir durch Mark und Bein. Oder war es doch nur der Wodka, der heiß durch meine Adern floss? Stilgerecht stopfte ich zwar gleich ein Stück Weißbrot hinter­her, welches angeblich den Alkohol aufsaugen sollte damit er nicht so schnell ins Blut über­ging, wie man mir beigebracht hatte. „Ich verstehe gar nicht, warum du so aufgeregt bist. Du hast doch gar keine Veranlassung dazu. Hör doch erstmal, was ich dir zu sagen habe,“ beruhigte sie mich, als gerade der Hauptgang – Wildschweinkeule mit Preiselbeeren serviert wurde[13]. Ein zünftiger Rotwein gehörte natürlich zu solch einem Essen. Was auch von der Polizistin akzeptiert wurde. Schade, dass sie während des Essens ihre Hand von der meinen nehmen musste. Diese Geste hatte so ein nie dagewesenes angenehmes Gefühl in mir erzeugt. Schon vor dem Wodka war es mir dabei ganz warm ums Herz geworden. Keineswegs mit der tröstenden Hand meiner Mutter zu vergleichen. Nein. Ein ganz anderes Gefühl hatte mich dabei beschlichen. Das vorhergegangene Forellenfilet – in Auerbachs Keller und der Messestadt Leipzig gab es so etwas! – hatte den Hunger gerade mal so eben angekratzt. Jetzt während mein Gebiss dem Wildschwein den Garaus machte und sich mein Magen zu füllen begann (bei vollem Magen verhandelt es sich bekanntlich besser), kam die Frau mit ihrem Vorschlag heraus, den sie mir zu machen hatte. „Mischa, ich habe schon mit meinem Mann gesprochen, er ist übrigens auch bei der Polizei, („Aha!“) und wir haben uns folgendes überlegt …

Fußnoten

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Diener_zweier_Herren

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Egmont_(Goethe)

[3] Wer’s nicht mehr kennt, so sahen die aus:        strasenbahnertasche

[4] Nationale Volksarmee https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Volksarmee

[5] Abschnittsbevollmächtigter https://de.wikipedia.org/wiki/Abschnittsbevollm%C3%A4chtigter

[6] Stimmt. „Die Nationale Volksarmee (NVA) war von 1956 bis 1990 die Streitkraft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).“ https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Volksarmee

[7] „Die Kasernierte Volkspolizei (KVP) war der militärische Vorläufer der Nationalen Volksarmee der DDR.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Kasernierte_Volkspolizei

[8] Hier nur im Sinne von „sich herumtreiben“ http://umgangssprache_de.deacademic.com/26403/Trebe

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/James_Cook

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Auerbachs_Keller

[11] Faust, In Auerbachs Keller: Uns ist ganz kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen!

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Auerbachs_Keller#/media/File:Auerbachs_Keller_Bronzegruppe_Faust.jpg

[13] Schulz: (hatte ich aus Rache für die Jagd bestellt, welche seine Verwandtschaft auf mich veranstaltet hatte, als ich sie vom Kartoffelacker vertreiben wollte.)

 

Was gab’s bisher?

Editorische Vorbemerkung – https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/06/25/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt/

https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/06/00-editorische-vorbemerkung.pdf

 

Kapitel 1, Die Ballade von den beschissenen Verhältnissen – oder – Du sollst wissen, lieber Leser: Andere sind auf noch ganz andere Weise kriminell – und überheblich.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/07/29/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-erstes-kapitel/

https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/07/01-erstes-kapitel.pdf

 

Kapitel 2, In Dönschten, am Arsch der Welt … ach Monika!

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/08/25/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-ii/https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/08/02-ach-monika.pdf

 Kapitel 3, Weiter im Kreislauf: Heim, versaut werden, weglaufen, Lage verschlimmern.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/09/28/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-iii/

https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2016/09/03-weiter-im-kreislauf.pdf

 Kapitel 4, 17. Juni 53: Denkwürdiger Beginn meiner Heimkarriere

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/10/24/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-iv/

04-beginn-meiner-heimkarriere-17-juni-53_2

Kapitel 5, von Heim zu Heim

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/11/21/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-v/

PDF: 05-von-heim-zu-heim

 Kapitel 6, Wieder gut im Geschäft mit den Russen

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/12/09/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-vi/

06-wieder-gut-im-geschaft-mit-den-russen

 Kapitel 7, Lockender Westen

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/01/04/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-vii/

PDF 07-lockender-westen

Kapitel 8, Berlin? In Leipzig lief’s besser.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/01/09/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-viii/

PDF: 08-berlin-in-leipzig-liefs-besser

Kapitel 9, Aber nun wieder zurück nach Berlin

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/01/17/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-ix/

PDF: 09-aber-nun-wieder-zuruck-nach-berlin

Kapitel 10, Bambule

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/02/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-x/

PDF: 10-bambule

 Kapitel 11, Losgelöst von der Erde jauchzte ich innerlich vor Freude

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/06/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-xi/

PDF: 11-losgelost-von-der-erde

 Kapitel 12, Ihr Lächeln wurde um noch eine Nuance freundlicher. Süßer!

https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/07/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-xii/

PDF: 12-suser

Wie geht es weiter?

Kapitel 13, Von Auerbachs Keller in den Venusberg